Klettern verboten!

"Der Naturschutz frisst seine Kinder" - Die Aktionstage gegen die Kletterverbote im unteren Donautal 1993

Demonstrationen und Menschenketten auf der Schwäbischen Alb

Demo Sigmaringen und Seilschaftskette Donauland. Fotos: Archiv des DAV/Andreas Dick und Peter Klein

Betrachtet man die Bilder von Demonstrationen und Menschenketten auf der Schwäbischen Alb, denkt man sofort an die Proteste der Friedensbewegung gegen die atomare Aufrüstung zu Beginn der achtziger Jahre und nicht an den Deutschen Alpenverein. Transparente mit der Aufschrift „No Öko-Terror“ oder „Wehret den Ökoextremisten“ wirken aus heutiger Sicht für einen anerkannten Naturschutzverband ziemlich verstörend.

Klettern hatte sich seit den siebziger Jahren immer mehr zu einer Trendsportart entwickelt. Viele Menschen entdeckten ihre Leidenschaft für die nahgelegen Klettergebiete der deutschen Mittelgebirge. Gleichzeitig wurde der Umwelt- und Naturschutz von einem Randthema zu einem gesellschaftspolitischen Ziel. 1977 verabschiedete der DAV sein Grundsatzprogramm zum Schutz der Alpenwelt und wurde 1984 in Bayern als Naturschutzverband anerkannt. Ökologen erkannten die Bedeutung der Felsen als wichtige Biotope und Rückzugsorte für brütende Vögel. Diese sollten unter Schutz gestellt werden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Interessen von Klettern und Naturschutz aufeinanderprallten.

Seit Ende der achtziger Jahre wurden immer mehr Klettergebiete in den Mittelgebirgen durch örtliche Behörden gesperrt. Die Kletterszene fühlte sich durch den DAV zunächst nur unzureichend repräsentiert, da die Mittelgebirge traditionell nicht im Zentrum seiner Aufmerksamkeit lagen. Daher gründeten sie eigene lokale Interessensgemeinschaften (IG-Klettern), die mit den Behörden vor Ort Kompromisse aushandeln sollten.

Klettern und Naturschutz als Einheit

Auch der DAV sah Handlungsbedarf. Auf der Hauptversammlung in Heilbronn 1991 wurde ein Aktionsprogramm für den Erhalt der außeralpinen Klettergebiete verabschiedet und dazu eine hauptamtliche Stelle geschaffen. Im Herbst 1991 wurde zusammen mit dem Naturschutzreferat des DAV, der JDAV und dem Bundesverband der IG-Klettern der Bundesausschuss Klettern- und Naturschutz gegründet, der eine bundesweite ökologisch orientierte klettersportliche Raumplanung konzipieren, die Kletternde informieren und schulen, sowie die Klettergebiete pflegen sollte.

Während mit den meisten Behörden Lösungen gefunden werden konnten, eskalierte die Situation 1992 in Baden-Württemberg. Dort sollte ein neues Biotopschutzgesetz verabschiedet werden. Das Ländle drohte zu einem fast weitgehend kletterfreien Bundesland zu werden. Das Landratsamt Sigmaringen plante zudem, zwei Drittel der 45 Kletterfelsen im Oberen Donautal mit einem Kletterverbot zu belegen. Eine von der IG-Klettern und dem DAV erarbeitete Kletterkonzeption fand kein Gehör. Um den Status des Klettergebiets zu erhalten, organisierte der DAV zusammen mit der IG-Klettern die erste Protestaktion von Natursportler*innen auf deutschem Boden. Im Mai 1993 demonstrierten in Sigmaringen über 3000 Menschen mit Informationsveranstaltungen, Lärmschlange und einer Seilschaftskette durch das Donautal gegen die drohenden Verbote. Unterstützung erhielten sie unter anderem von Stefan Glowacz und Heiner Geißler, dem Vorsitzenden des 1992 gegründeten Kuratoriums für Sport und Natur, dem Dachverband der Natursportverbände. Von der Ladefläche eines Pickups aus sprach Heiner Geißler zu rund 1000 Demonstranten: „Wir sind Naturschützer! (…) Wir wollen das Donautal vor einseitigen Auslegungen dieser Gesetze, vor Alternativ Radikalismus schützen!“ Zudem erinnerte er an die freiwillige Selbstbeschränkung, welche die Kletterer bereits geübt hatten.

Im Rahmen der DAV-Hauptversammlung 1994 wurde auf dem Schlossplatz in Stuttgart eine weitere Kundgebung organisiert. Zwar blieben die Kletterverbote im Oberen Donautal bestehen, aber die Politik wurde für das Thema Natur und Sport sensibilisiert. Das 2002 verabschiedete Gesetz zur Neuregelung des Landschafts- und Naturschutzes betonte, dass die natur- und landschaftsverträgliche sportliche Betätigung in der freien Natur zur Erholung gehörte. 2004 konnte schließlich nach der Ausarbeitung einer neuen Kletterregelung ein tragfähiger Kompromiss für das Donautal gefunden werden, der sowohl die Interessen von Naturschutz als auch von Natursport verbindet. Es ist kein Zufall, dass etwa im gleichen Zeitraum der DAV sowohl ein bundesweit anerkannter Sportverband (1995) als auch ein Naturschutzverband (2005) wurde. Klettern und Naturschutz bilden im DAV eine selbstverständliche Einheit.

 

Stefan Ritter, Archiv DAV