Bergsteigerin auf einer Seilbrücke über einen Gletscher
Schmelzende Gletscher und schneearme Winter machen Touren im Hochgebirge anspruchsvoller. Foto: DAV/Silvan Metz
Klimawandel und Bergsteigen

Rückzug und Anpassung

Die Staatlich geprüften Bergführerinnen Gudrun Weikert und Dörte Pietron sind beruflich wie privat viel in den Bergen unterwegs. Welche Veränderungen nehmen sie auf Tour wahr und welche Konsequenzen ziehen sie daraus?

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Welche Auswirkungen des Klimawandels beobachtet ihr?

Bergführerin und Extrembergsteigerin Dörte Pietron Dörte Pietron

Die sich verschiebenden und unberechenbareren Jahreszeiten. Und natürlich den Gletscherrückgang. Daraus resultieren die Instabilität von Moränen an den Seiten des Gletschers, Steinschläge aufgrund von Permafrostschmelze oder auch größere Bergstürze. Die sind zum Glück seltener, werden aber trotzdem häufiger werden.

Bergführerin Gudrun Weikert Gudrun Weikert

Bei der tageszeitlichen Erwärmung weiß ich: Je später die Tageszeit, desto wärmer wird es, da kann ich reagieren. Bei tauendem Permafrost dagegen kann einem der Berg einfach um die Ohren fliegen, weil es eine längere Wärmeperiode vorneweg gab. Beim Gletscherrückgang kommt oft Gelände zum Vorschein, das man sehr schwer begehen kann. Oder man kommt nicht mehr weiter, weil es plötzlich große Bergschründe gibt, die es vorher nicht gegeben hat. Und neben den schnellen und teilweise extremen Wetterumschwüngen fällt mir eine verstärkte Windtätigkeit auf, was gerade im Winter die Lawinensituation verschärft.

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Welche Rolle spielen die kürzeren Winter?

Bergführerin Gudrun Weikert Gudrun Weikert

Wenn der Gletscher nur gerade mal zugeweht ist, geht man nicht so einfach drüber mit den Ski. Die Spalten sind nur gering abgedeckt, die Sturzgefahr wird größer. Dazu kommt: Der Gletscher hält sich nicht mehr an eine Kartografie, wo Gletscher in Karten eingezeichnet sind, sind gar keine mehr – stattdessen gibt es dort dann große Spalten- oder Serac-Zonen.

Bergführerin und Extrembergsteigerin Dörte Pietron Dörte Pietron

Auch eingezeichnete Wege können durch kollabierende Moränen oder Berghänge plötzlich nicht mehr vorhanden sein.

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Was bedeutet das für die Tourenplanung?

Bergführerin Gudrun Weikert Gudrun Weikert

Das Zeitfenster für Hochtouren verändert sich massiv und wird kürzer. In Chamonix ist es nicht mehr ratsam, im August eine große Hochtour zu planen. Und teilweise sind die Hochtouren auch gar nicht mehr machbar.

Bergführerin und Extrembergsteigerin Dörte Pietron Dörte Pietron

Man kann inzwischen nicht mehr sagen, wann die beste Jahreszeit für eine bestimmte Tour ist. Früher war man sich da relativ einig. Die Eiger-Nordwand zum Beispiel, das kann mittlerweile im März/April passen oder auch im Februar oder Dezember.

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Das heißt für euch konkret?

Bergführerin und Extrembergsteigerin Dörte Pietron Dörte Pietron

Ich habe mich zunehmend aufs Felsklettern verlegt und mich durch meine Vorlieben schon angepasst. Beim Felsklettern gibt es immerhin einige Touren, die früher notorisch nass waren und mittlerweile häufig trocken sind. Wenn ich allerdings etwas anderes machen möchte, muss ich noch flexibler sein und mich anpassen. Wenn man auf Eis und durchgefrorenes Gelände angewiesen ist, muss man über längere Zeit die Nullgradgrenze beobachten. Da ist nicht nur der Tag der Besteigung wichtig, sondern auch die Zeit davor.

Bergführerin Gudrun Weikert Gudrun Weikert

Das Gleiche gilt im Winter: Wenig Schneefall oder viel Schneefall mit wenig oder viel Wind, auch das muss ich über einen längeren Zeitraum beobachten. Und mir bei einem bestimmten Zeitfenster meiner Gäste schon mal einen Plan B überlegen. Das ist gefühlt häufiger der Fall als früher. Persönlich habe ich mich vom kombinierten Gelände zurückgezogen und bin auch relativ wenig beim Eisklettern. Grundsätzlich bin ich tageszeitlich sehr früh unterwegs und schau mir noch öfter den Wetterbericht während des Tages an.

Klima-Chronologie Bergsaison 2022/23

  • Juli 2022 – Großer Gletscherabbruch an der Marmolata: Massive Eis und Felslawine – elf Menschen sterben; sieben Wochen später folgt ein weiterer großer Felssturz.

  • August 2022 – Nullgradgrenze über 5000 Meter und Steinschlaggefahr: Schweizer Bergführer*innen stellen Touren auf das Matterhorn ein.

  • August 2022 – Trinkwassermangel durch Trockenheit und zu wenig Schnee im Winter: Die Neue Prager Hütte am Großvenediger muss die Saison vorzeitig beenden.

  • August 2022 – Gletscherspalten und Steinschlag am Mont Blanc: Tête-Rousse- und Goûter-Hütte werden geschlossen, seit Mitte Juli gibt es keine Führungen auf dem Normalweg.

  • August 2022 – Schwere Unwetter nach Hitzewelle in den Alpen: Heftige Erdrutsche und Schlammlawinen im Aostatal und in Trentino-Südtirol.

  • September 2022 – Toteis: Die Bayerische Akademie der Wissenschaften erkennt dem Südlichen Schneeferner den Status Gletscher ab.

  • Winter 2022/23 – Schneearmut: In weiten Teilen der Alpen gab es außergewöhnlich wenig Schnee, bis Ende des Jahrhunderts könnte die Schneefallgrenze um 400 bis 800 Meter ansteigen.

  • März 2023 – ÖAV-Gletscherbericht 2021/22: Größter Gletscherschwund seit Beginn der Aufzeichnungen 1871. Im Mittel sind die österreichischen Gletscher um 28,7 Meter kürzer geworden. Größte Längenänderung: Schlatenkees (Venedigergruppe), 89,5 Meter.

  • Juni 2023 – Bergsturz in der Silvretta: Vom Südgipfel des Fluchthorns brachen bei einem Bergsturz über eine Million Kubikmeter Fels ab. Die nahe gelegene Jamtalhütte wurde nicht beschädigt.