Illustration vom Standplatzbau
Ein gewisses handwerkliches Geschick ist wertvoll beim Standplatzbau – doch muss man Komplexität gegen Zeitaufwand abwägen. Illustration: Georg Sojer
Standplatzbau II

Stand Alpin: Ausreichend sicher, schnell und übersichtlich

In der zweiten Folge unserer Serie zum Standplatzbau behandelt Chris Semmel mit der DAV-Sicherheitsforschung die Möglichkeiten, in „wildem“ alpinem Gelände (ohne Bohrhaken) einen sicheren Stand für die Seilschaft zu schaffen.

Zugegeben, Standplätze an fraglichen Fixpunkten müssen immer seltener gebaut werden. Die meisten der gängigen Routen in den Alpen haben mittlerweile Bohrhaken an den Ständen. Dennoch gibt es in fast jedem traditionellen Gebiet Routen, die (noch) nicht saniert wurden. In den Dolomiten sind die Routen ohne Bolts sogar in der Mehrzahl und es entstehen auch heute noch Erstbegehungen ohne Bohrmaschine, nur mit Hammer und Haken. Wer in bohrhakenfreien Kletterrouten, an kombinierten Graten oder in alpinen Wänden unterwegs ist, muss auch an fraglichen Fixpunkten situativ und schnell einen ausreichend sicheren Standplatz aufbauen können.

Stand ohne Bohrhaken

  • Zeit gehört zum Sicherheitskonzept: Nicht ewig basteln, sondern situativ „ausreichende“ Sicherheit schaffen.

  • Wie wirkt der Sturzzug? Der Stand muss für alle zu erwartenden Richtungen passen.

  • Bei mehreren Fixpunkten: Kräfte verteilen und Energieeintrag vermeiden durch eine „fixierte Kräfteverteilung“.

  • Der Südtiroler Stand (Ankerstich am Zentralpunktkarabiner, evtl. gefädelte Haken) ist schnell und braucht wenig Material.

  • Wenn möglich und nötig: Umschlagen nach oben durch Verspannen verhindern.

  • Fragliche Haken mobil ergänzen: Im Kalk sind häufig Keile günstiger, im Urgestein helfen oft Cams.

  • Mit ein paar Hammerschlägen lassen sich vorhandene Haken prüfen und nachschlagen; ein kleines Sortiment eigener Haken sollte auf „Abenteuerrouten“ dabei sein.

Die Grundlage: kompetent entscheiden

Ein Standplatz sollte immer den Sicherheitsanforderungen der Situation angepasst sein. Auf einer Hochtour oder in leichtem Felsgelände kann man oft über ein Köpfel oder einen Felsblock sichern und auf „Redundanz“ oder ein Abspannen des Zentralpunktes verzichten. In einer steilen Felswand dagegen wird man in der Regel alle vorhandenen Fixpunkte nutzen – seien sie auch noch so fragwürdig. Das Motto lautet dort: Quantität, wenn miese Qualität. Denn die Festigkeit von Normalhaken ist mit bloßem Auge selbst für Expert*innen nicht seriös einschätzbar. Das gilt besonders für altes Material – im Jargon gerne als Rostgurken bezeichnet. Hier sind Redundanz und eine Kräfteverteilung das A und O. Die Fähigkeit, sich in einer Standplatzumgebung rasch zurechtzufinden und sich situativ für die beste Variante unter den vielen Möglichkeiten zu entscheiden, ist die Grundlage – das Handwerkszeug ist das Können, die vorhandenen Punkte dann sinnvoll zu verbinden. Gepaart mit einer hohen (Eigen-)Verantwortung und einer korrekten Selbsteinschätzung lassen sich so auch bohrhakenfreie Routen mit vertretbarem Risiko begehen. Neben Keilen und Friends auch Hammer und Haken mitzunehmen, ist dabei oft eine gute Idee. Und wenn Eisschrauben zum Einsatz kommen, entscheidet die Qualität des Eises, ob sie als „solider“ Fixpunkt (analog Bohrhaken: Reihenschaltung, s. Panorama 4/2021) oder als „fraglich“ (Thema dieses Beitrags) zu behandeln sind.

Was muss der Standplatz leisten?

Wenn der Sturzzug nur nach unten wirken kann – beim Nachsichern oder beim Vorstieg in gestuftem Gelände ohne Zwischensicherungen, wo Stürzen wegen der hohen Verletzungswahrscheinlichkeit tabu ist, ist der Stand eher als „Notfallsystem“ zu betrachten, das den Absturz der Seilschaft verhindert. In dieser Situation ist der in Windeseile anzubringende, einfache Köpfelstand ausreichend. Sollte sich dann doch an einer kurzen Steilstufe eine Zwischensicherung legen lassen, wird der bei einem Sturz entstehende Zug nach oben vom Körper des oder der Sichernden gepuffert. Im steilen Fels gibt es weniger Hindernisse, der Sturzraum wird günstiger. Aber durch freien Fall und längeren Sturzweg erhöht sich die Sturzenergie, die auf die Sicherungskette wirkt. Jetzt muss der Stand nicht nur die Seilschaft vor einem Totalabsturz bewahren, er muss auch die Energie des Vorstiegssturzes aufnehmen können. Und das gilt für alle Richtungen, in die der Sturzzug wirken kann: nach oben (Sturz in eine Zwischensicherung), zur Seite (Sturz in einem Quergang) oder nach unten (Sturz direkt in den Stand).

Abb. 1: Verletzungsgefahr durch Anprall. Die Schlinge des Standplatzes kann durch Sturzzug nach oben hochgerissen werden und zieht den Sichernden mit; je näher er an der Wand steht (l.), desto weniger stark wird er Richtung Wand gezogen. Illustration: Georg Sojer

Zug nach oben heißt Gefahr

Bei einem nicht nach unten verspannten Stand – egal ob am Köpfel oder mit Kräfteverteilung – besteht bei Zug nach oben (Vorstiegssturz in eine Zwischensicherung) die Gefahr, dass das System nach oben „umschlägt“. Üblicherweise ist die sichernde Person im Zentralpunkt selbstgesichert, wird also ebenfalls nach oben gezogen. Das bietet beim Köpfelstand, wie oben geschildert, einen gewissen Schutz davor, dass die Schlinge vom Köpfel gezogen wird. Andererseits bedeutet jedes Hochgerissenwerden die Gefahr, schmerzhaft an der Wand anzuschlagen und womöglich die Kontrolle über das Bremsseil zu verlieren. Diese Gefahr lässt sich etwas reduzieren, indem man sich nahe der Wand positioniert: dann wird man parallel zur Wand hochgezogen und nicht auf die Wand zu (Abb. 1).

Hilfreich ist es zudem, darauf zu achten, dass der Zentralpunkt einer Kräfteverteilung möglichst nah am unteren Fixpunkt positioniert ist, so dass die Kräfteverteilungsschlinge nicht so weit umschlagen kann. Dies gelingt besonders gut beim Südtiroler Stand (s. unten). Noch wirksamer – und deshalb anzustreben – ist es, den Zentralpunkt nach unten abzuspannen. Das geht ganz einfach: Das Seil, das aus dem Selbstsicherungs-Mastwurf herausläuft, wird mit einem weiteren Mastwurf unterhalb fixiert: in einem Haken oder in einem Klemmgerät mit Zugrichtung nach oben (Abb. 2).

Abb. 2: Lösung Abspannen. Sie verhindert das Hochreißen des Zentralpunkts und damit die Anprallgefahr und die Sturzweitenverlängerung. Illustration: Georg Sojer

Kräfteverteilung: gemeinsam stark!

Einzelne Fixpunkte – ob Normalhaken oder mobile Sicherungsmittel – sind allein oft zu schwach für die bei einem Sturz wirkenden Kräfte. Deshalb versucht man, diese auf möglichst viele Fixpunkte zu verteilen. Für diese Kräfteverteilung existieren mehrere Ansätze: Bis in die 2000er Jahre war die „Ausgleichsverankerung“ am weitesten verbreitet, heute wird das „fixierte Kräftedreieck“ favorisiert. Der Hauptgrund dafür war die Erkenntnis, dass beim Ausbruch eines Punktes die klassische Ausgleichsverankerung „läuft“: Der Zentralpunkt mit dem oder der Sichernden und der Partnersicherung rutscht durch. Das bedeutet einen gefährlichen zusätzlichen Krafteintrag in das System, der sogar noch größer sein kann als die Kraft, die den ersten Fixpunkt zum Versagen brachte (s. Abb. 3). Bei einer fixierten Kräfteverteilung – egal, ob „fixiertes Kräftedreieck“ oder „Südtiroler Stand“ (s.u.) – ist der Zentralpunktkarabiner in der Standschlinge fixiert, so dass beim Ausbruch eines Punktes kein erheblicher zusätzlicher Krafteintrag entsteht. Zu beachten: Eine wirksame Kräfteverteilung erhält man nur, wenn der Winkel in der Schlinge nicht zu groß wird (maximal 90 Grad).

Abb. 3: So nicht mehr. Das früher übliche „Kräftedreieck“ rutscht durch, wenn ein Haken ausbricht – der zusätzliche Energieeintrag gefährdet dann auch den zweiten Haken. Illustration: Georg Sojer

Möglichst viel, möglichst schonend

Wo es keine Bohrhaken gibt, darf man beim Konzept „Standplatz“ kreativ werden – geleitet vom Mantra „Quantität, wenn schlechte Qualität“. Das heißt: Alle Gurken am Stand werden eingebunden und wenn möglich mit mobilen Sicherungsmitteln ergänzt. Außerdem sind alle sinnvoll verfügbaren Zwischenhaken als zusätzliche Fixpunkte willkommen. Beispielsweise kann man die erste Zwischensicherung der nächsten Seillänge, wenn sie gut ist, von vornherein in den Stand mit einbeziehen („Plus-Clip“ oder Verbindung durch lange Schlinge oder Restseil), was auch den Start vom Stand weg entschärft.

Konstruktionen für alle Situationen

Köpfelstand

Beim Köpfelstand wird eine Bandschlinge über ein Köpfel gelegt. Entscheidend dabei: Das Köpfel muss gut verwachsen sein und zuvor immer geprüft werden! Dazu legt man am besten eine Hand am Köpfel an und schlägt mit der anderen flach dagegen oder tritt mit dem Fuß. Spürt die „Sensor-Hand“ eine deutliche Vibration, ist das Köpfel nicht solide und man sollte nach alternativen Fixpunkten Ausschau halten. Die Schlinge wird beim Köpfelstand um die Basis des Köpfels gelegt, muss also ausreichend groß sein; per Ankerstich kann man sie fixieren. Der Sicherungskarabiner sollte nicht in der Schlinge „abhauen“ können: Dazu hängt man ihn am einfachsten direkt in den Selbstsicherungskarabiner ein.

Der Köpfelstand. Illustration: Georg Sojer

Blockstand

Den Blockstand baut man am besten mit dem Kletterseil. Dazu geht man um den Block herum, knüpft in gewünschter Selbstsicherungslänge ein Sackstichauge und spannt in diesem das Seil mittels Mastwurf um den Block; das Sackstichauge ist der Zentralpunkt. Alternativ kann man auch eine ausreichend lange Schlinge um den Block legen, sollte dann aber wie beim Köpfelstand den Zentralpunktkarabiner fixieren.

Der Blockstand. Illustration: Georg Sojer

Stand an Baum oder Latsche

Um Bäume wird immer eine Ankerstichschlinge gelegt, damit sich bei Sturzzug nach oben die Schlinge nicht anheben kann. Ist der Rest der Schlinge anschließend zu lang, knotet man sie per Sackstich ab. Bäume und Latschen sollten nicht morsch und mindestens oberarmdick sein, um als einzelner Fixpunkt für einen soliden Standplatz auszureichen.

Stand an Baum oder Latsche. Illustration: Georg Sojer

Stand an einer Sanduhr

Sanduhren werden im Gegensatz zu Bäumen nicht mit Ankerstich, sondern möglichst immer doppelt gefädelt, so dass die meist stabilere Basis belastet wird. Passt eine Schlinge nicht doppelt durch die Sanduhr, kann auch eine Kevlar-Reepschnur im Einzelstrang verknotet werden. Soll eine Sanduhr alleine als Stand dienen, muss sie mindestens armdick und rissfrei sein.

Der Stand an der Sanduhr Illustration: Georg Sojer

Clevere Lösung aus Südtirol

Aus den bohrhakenarmen Dolomiten kommt eine Variante der fixierten Kräfteverteilung, die als „Südtiroler Stand“ viel Anklang gefunden hat, denn der Aufbau ist bestechend einfach und kommt obendrein mit wenig Material aus. Mit einer offenen Dyneema- oder Kevlar-Reepschnur werden alle Fixpunkte direkt gefädelt oder eingehängt (Keile und Cams immer mit Karabiner clippen!). Die Schlinge wird dann möglichst nah am untersten Fixpunkt verknotet, der Zentralpunkt dort per Ankerstich fixiert, was Krafteintrag durch Durchlauf bei Fixpunktausbruch verhindert. Auch ein weites Umschlagen wird vermieden, Verspannen ist nicht mehr nötig. Außerdem kann man so auch die dolomitentypischen, tief eingeschlagenen Haken fädeln; würde man sie per Karabiner einhängen, kann die Biegebelastung am Fels Bruchgefahr für den Karabiner bedeuten. Hat man nur zwei Fixpunkte am Stand, lässt sich mit der Südtiroler Methode mit einer vernähten Schlinge sehr schnell eine Kräfteverteilung bilden.

Fixierte Kräfteverteilung an zwei fraglichen Fixpunkten. Illustration: Georg Sojer

Fixierte Kräfteverteilung an mehreren fraglichen Fixpunkten

Um mehrere Fixpunkte nach dem Modell „Südtirol“ miteinander zu verbinden, braucht man eine ausreichend lange Schlinge (am besten 240 cm). Universell einsetzbar ist eine offene, 5 m lange und hochfeste Reepschnur aus Dyneema oder Kevlar.

Fixierte Kräfteverteilung an mehreren fraglichen Fixpunkten Illustration: Georg Sojer

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