Kletterfels mit Routenname
Kletterroute "Schätzle": Nicht immer klingen Routennamen so widerspruchsfrei. Foto: DAV/Steffen Reich
Routennamen in der Diskussion

Wenn Worte wehtun

Können Routennamen diskriminierend wirken? Und sollten sie dann geändert werden? Der Amerikanische Alpenverein AAC hat dazu ein Projekt gestartet – und was macht die Diskussion im deutschen Sprachraum? Gedanken von Andi Dick.

Die Forderung steht im Raum: Wenn Routennamen diskriminierend wirken können – lasst sie uns entschärfen! Die Diskussion zum Thema war schon 2020 in Deutschland kurz aufgeflackert; im August nun meldeten Wiener ÖAV-Sektionen, einen Kletterführer namens „Keltenkalk“, der „rechtsextreme Codes“ enthalte, nicht in ihren Geschäftsstellen zu verkaufen; die Zeitschrift „Alpin“ startete eine Online-Diskussion (siehe Infobox unten). Offene Gesellschaft und respektvolle Sprache sind ein Thema, bei dem schnell die Emotionen hochkochen. Wer sich als „Weiße*r“ dem Humanismus verpflichtet fühlt, mag sich schwer damit tun, eigene Sprachtraditionen als Teil einer dominanten Kultur- und Politikgeschichte infrage zu stellen. Man mag sich von Minderheiten dominiert fühlen, wenn sie ihr Recht auf Teilhabe einfordern. Es ist ein zentraler Wert im Alpinismus, an Widerständen zu wachsen: Die steile Wand, vielleicht auch die kühne Absicherung, die meist männliche Erstbegeher hinterlassen – sie gehören zum sportlichen Spiel.

Nur eklig – oder entwürdigend?

Doch welche Rolle spielen Routennamen? Muss es sein, dass sie Menschen, die sich von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen, diese Verletzung auch in der Freizeit ins Bewusstsein rücken? Wer wie der Autor zur Gesellschaftsmehrheit gehört, könnte versuchen, sich in diese „anderen“ hineinzuversetzen – oder zu spüren, wann ein Routenname auffordernd oder abstoßend wirken mag. Nur eklig – oder entwürdigend? Einfaches Beispiel aus realer Vergangenheit: An einer Hallenroute namens „Der gelbe Eiter“ wollte man sich nicht unbedingt die Finger klebrig machen – und es gibt noch deutlich ekelhaftere Namen. Andere Namen mögen zu einem „jetzt erst recht“ provozieren. So grüßte in den 1980ern ein Erstbegeher eine starke Kletterin mit der Route „Emanzenschreck“ – die sie aber postwendend kletterte. Ein (erfundener) Titel wie „Nix für Weicheier“ als Signal für kühne Absicherung kann als faire Warnung wie als Herausforderung gesehen werden. Anders ist es, wenn Wörter Menschen als Angehörige einer Gruppe angreifen, weil ihre Herkunft, Hautfarbe, Veranlagungen, geschlechtliche Selbstidentifikation, ... nicht dem Mehrheitsbild entsprechen: Spasti, Schwuchtel, Schlampe, Kanak. Können wir sie wirklich noch als Teil unseres Sprach„schatzes“ gutheißen? Sprache fließt. Das berüchtigte N-Wort zum Beispiel war bei Astrid Lindgren oder Mark Twain noch üblicher gesellschaftlicher Sprachgebrauch (und Pippi Langstrumpf wie Tom Sawyer stehen für ein humanistisches Weltbild). Heute hat die Aufarbeitung der Schuld begonnen, die der „Westen“ mit Kolonialismus und Sklaverei auf sich geladen hat; das N-Wort steht als Symbol für seinen tradierten Weltbeherrschungsanspruch – und es gilt mittlerweile als unangemessen, es auszuschreiben.

Lernen – und sich ändern

Die Gattung Homo sapiens ist deshalb erfolgreich, weil Menschen lernen und sich ändern können (ob schnell genug, wird sich im Klimawandel zeigen). So wandelt sich auch die Sprache, mit der wir die Welt in Begriffe und Schubladen sortieren. Dazu kann es gehören, Wörter nicht mehr zu verwenden, die Unterdrückung und Diskriminierung symbolisieren. Zum Lernen sind wir auf Input angewiesen – der kann vor allem von den Betroffenen kommen; sie spüren die Verletzung in sich. Wenn sie sagen „dieser Routenname tut uns weh“: Wie könnten wir darauf beharren? Es wäre zu weit gegriffen, Erstbegeher*innen, die ihre Kreationen mit anstößigen Worten betiteln, eine rassistische, sexistische oder homophobe Grundhaltung zu unterstellen. Auch muss keine böse Absicht dahinterstecken, vielleicht war es nur ein misslungener Kalauer, missverstandene Ironie, ein Wortspiel in einem privaten Szene-Kleinkrieg. Doch solche Untertöne gehen leicht verloren und sind beim begrenzten Platz in den Kletterführern nicht einfach zu dokumentieren – ihre verletzende Wirkung kann trotzdem bleiben. Solche Dokumentation könnte übrigens über Hintergründe aufklären, wenn Routen wie am Dachstein oder der Planspitze den Namen des Erznazis Eduard Pichl tragen, der sie erstbegangen hat. Hat der Name aber eine ehrende Funktion, wie bei einer Hütte oder einem Wanderweg, wird es Zeit für eine Änderung – wie es mit der Zurückbenennung der Wolayerseehütte geschehen ist. Auch das „Hitlerwandl“ am Battert, erstbegangen an einem 20. April, heißt im Kletterführer schon lange „Graue Wand“, unabhängig von der Intention des Erstbegehers.

Freiheit – mit Verantwortung und Respekt

Es gibt im Bergsport keine juristischen Institutionen, eine gewisse Anarchie verleiht ihm erst die Freiheit, die zu inspirierenden Leistungen führt. Aber Diskussionen über sportliche Ethik und Stil hat die „Szene“ schon immer gerne geführt, wodurch auch Entwicklungen beeinflusst wurden. Nun ist es Zeit, über Ethik und Stil bei der Benennung unserer Spielplätze zu diskutieren. Vielleicht gar moderiert vom Alpenverein? Die Ergebnisse können dann den Redaktionen von Zeitschriften, Webseiten und Führern als Leitbild dienen – und kreative Erstbegeher*innen vor ungewollten Fehlgriffen bewahren. Dabei sollten wir nicht vergessen: Es geht nicht um ein glattgebügeltes, blutleeres Neusprech. Sondern darum, dass unser wunderbarer Sport keinen Menschen unnötig verletzt oder in seiner Würde angreift.

Climb United

Im Februar 2021 gründete der US-amerikanische Alpenverein AAC die Initiative „Climb United“. Bei einer Umfrage unter den Mitgliedern hielten es 77 % für wichtig, diskriminierende Routennamen anzusprechen. Der AAC schreibt: „Die Klettergemeinschaft mit über 5 Millionen Menschen sagt uns, welche Routennamen lustig sind, welche frech und welche schädlich.“ Es sollen Werkzeuge entwickelt werden, „um Sprache zu erkennen und zu bewerten, die … Diskriminierung fördert“. Dabei gilt das Prinzip: „Die Wirkung eines Routennamens ist entscheidender als die Absicht.“ Eine Vorschlagsliste sammelt „unakzeptable Wörter“, die als „in jeglichem Kontext verletzend“ gelten, und soll regelmäßig geprüft und angepasst werden. Wird ein Routenname als unangemessen gemeldet, sollen die Erstbegeher*innen (falls sie tot sind: Hinterbliebene oder Freund*innen) „eingeladen“ werden, einen neuen Namen vorzuschlagen. Lehnen sie das ab, sollen Publikations-Verantwortliche einen neuen, sachlichen Namen vergeben dürfen – für bestehende Routen wie für Neutouren. Auf Wunsch des Erstbegehers, aber nur „wenn angemessen und ohne Risiko weiterer Verletzungen“, soll darauf hingewiesen werden können, dass „Verletzungen unbeabsichtigt waren“ und welche Geschichte hinter dem Namen steckt.

Ein Meinungsbild

Rund 150 Personen beantworteten online die Frage der Zeitschrift Alpin: „Sollen Erstbegeher:innen ihre Routen mit politisch nicht korrekten Namen umbenennen?“

  • 35,8 %: Ja, sie sind nicht mehr zeitgemäß!

  • 16,9 %: Nicht rückwirkend! Aber heutige Erstbegeher:innen sollten wissen, dass derartige Namen ein No-Go sind.

  • 47,3 %: Routennamen sind im Kontext der Zeit ihrer Benennung zu sehen, Teil der Kletterhistorie und sollen bleiben wie sie sind!

Weitere Infos und Hintergründe zur Befragung gibt es auf alpin.de.

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