Maltes Gespräche

Lhakpa Sherpa über Training im Supermarkt

Lhakpa Sherpa, geboren 1973 in Makalu Village, Nepal, lernte im Everest-Basecamp den rumänischen Bergführer Gheorghe Dijmărescu (±) kennen. Sie zog zu ihm in die USA und bestieg den Everest fünfmal mit ihm gemeinsam - sie als Trägerin, er als Bergführer. Als alleinerziehende Mutter arbeitete sie weiter als Trägerin am Everest und stand 2022 zum zehnten Mal auf dem Gipfel, damit hält sie den weiblichen Rekord für die meisten Besteigungen. Sie arbeitet in einem Supermarkt in Connecticut, USA.

Bei den Meldungen über deine zehnte Everestbesteigung steht seltsamerweise nirgendwo, in welcher Eigenschaft du oben warst: als Trägerin, Bergführerin oder Bergsteigerin? 

Diesmal einfach als Bergsteigerin - Einheimische, die als Träger oder Führer am Everest waren, müssen kein Permit bezahlen, sonst wäre das nicht möglich gewesen.  

Die Leute sind so beeindruckt von der Tatsache, dass du zehn Mal auf dem Everest warst, dass sie vergessen das zu fragen - aber du hast sonst damit als alleinerziehende Mutter schlicht und ergreifend Geld verdient?  

Ich arbeite hier in den USA auch Vollzeit, manchmal Doppelschichten. Es wird aber einfacher jetzt, die Kinder sind größer und helfen mit, ich komme mehr raus. Dieses Jahr geht es an den K2, das ist mein großer Traum. Mittlerweile erhalte ich viel Hilfe von fremden Menschen, ich habe das Geld über Crowdfunding zusammenbekommen. Das ist ein großartiges Gefühl. 

Du stammst aus einer ziemlich armen Familie...  

Als ich klein war, lebten wir in einer Höhle, weil wir kein richtiges Haus hatten und hielten Yaks, Schafe und Ziegen. Und weil ich ein Mädchen war, durfte ich nicht in die Schule, so war das damals. Schule war nur für Jungs.  

Mädchen durften nicht in die Schule?!  

Sie durften schon, aber bei den Armen war es die Ausnahme. Seit 2010 ist Schulpflicht für alle, endlich.  

Du hast zehn Geschwister, die verdienen ihr Geld alle am Everest? 

Nicht alle, aber meine vier Brüder arbeiten noch als Bergführer. Eine Schwester war auch oben, aber jetzt nicht mehr, sie hat ein Baby. Und ich mache weiter, weil ich einfach muss. 

Der Everest war für euch der Weg aus der Armut.  

Genau. Ich habe auch schon Trekkingtouren geführt und Vorträge gehalten, damit verdiene ich Geld, ansonsten arbeite ich in einem Supermarkt. Ich arbeite sehr viel...  

... wahrscheinlich 24/7...  

...dafür trainiere ich nie. Mein Training ist meine Arbeit, der Supermarkt ist mein Gym. Ich arbeite körperlich sehr hart. Dann mache ich Pause und fliege wieder an den Everest.  

Die harte Arbeit kennst du aus der der Kindheit...  

Wir hatten keinen Strom, keinen Fernseher, kein Telefon. Es gab nur die Berge und die Yaks. Die Berge waren immer meine Freunde, ich vertraue ihnen, ich liebe sie wirklich sehr. Städte machen mich nervös.  
- Lhakpa Sherpa

Bei deinem ersten Job am Everest warst du fünfzehn, damals warst du Küchenhelferin. Dieses Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmtheit, das am Bergsteigen ja so anziehend ist, hast du das da schon gespürt? 

Oh ja! Ich wusste sofort, das ist meins. Endlich konnte ich was lernen. Ich hab soviel gelernt gleich auf der ersten Expedition.  

Du warst immer noch sauer, weil du nicht zur Schule gehen durftest?  

Und wie! 

Deswegen waren die Expeditionen für dich so befriedigend.  

Ich wollte lernen! Jeder will lernen, oder? Und ich konnte ganz schnell ein paar Brocken japanisch, deutsch, spanisch, französisch. Ich wollte sofort wiederkommen.  

Diese erste Expedition war dann 1988, wie sah dein Job aus?  

Ich war in der Küche. Abwaschen, beim Kochen helfen, Töpfe hin- und hertragen. Basecamp, Lager 1, Lager 2. Mein Vater ließ mich dann Lasten tragen, um zu trainieren. Meine Mutter war dagegen, sie dachte, ich finde nie einen Mann. Mir war das egal, ich habe dann im Jahr 2000 die erste nepalesische Frauenexpedition zum Everest geleitet, damals war ich das erste Mal auf dem Gipfel.  

Die BBC hat vor ein paar Jahren eine Liste aufgestellt mit den hundert inspirierendsten Frauen auf der Welt, da bist du mit drauf.  

Das war total aufregend. So viele Leute wissen jetzt, wo ich herkomme und was ich geschafft habe, das gibt mir viel Kraft. Ich will jetzt auf den K2, 2010 hab ich den K2 schon mal versucht, da ging es nicht wegen Schlechtwetter. Ich kann nicht gegen den Berg kämpfen, ich kann nur alles geben.  

Nochmal zum Everest. Du warst zehn Mal oben und immer als Trägerin?  

Genau, ich war auch schon zusammen mit meinen Brüdern unterwegs und hab ihn auch von der tibetischen Seite aus bestiegen.  

Wenn der Kunde gezogen und geschoben wird, das zählt für mich nicht als Besteigung. Eine Besteigung, bei der frau jemand anderem den Rucksack trägt, die zählt eigentlich doppelt. 

Ohne Sherpas kommen die nicht hoch, die sterben da sonst. Und wir müssen die ja auch noch immer wieder runterbringen.   
- Lhakpa Sherpa

Und du arbeitest mittlerweile aber auch als Führerin?  

Ja, ich darf jetzt auch führen. Ich brauche nur noch Kunden. Ich bringe die rauf und lebendig wieder runter.  

Hast du dir das früher jemals vorstellen können?  

Ja, das hab ich.  

Du besitzt ganz offensichtlich überdurchschnittlich viel Energie. Woher kommt die?  

Ich bin sehr gesund. Und ich gebe nie auf. Und ich habe Geduld.  

Ich hätte dich eher für ungeduldig gehalten. 

Nein, nein, ich kann warten. Auch wenn mein Leben manchmal sch... war: immer lächeln, nie böse sein mit anderen. Mein Leben war oft wirklich anstrengend. Da helfen nur kleine, kleine Schritte und Geduld.  

Warum hast du eigentlich keine Sponsoren? Ist das nicht enttäuschend, bist du da nicht irgendwie wütend?  

Doch, bin ich. Ich bin manchmal total wütend, dass ich keinen Sponsor habe. Am K2 klebe ich die Logos auf meiner Kleidung ab, die ist gekauft, niemand soll damit Werbung machen können.   

Du hast dich im Everest Basecamp damals in einen Rumänen verliebt, mit dem du in die USA gegangen bist?  

Darüber möchte ich nicht mehr sprechen. Ist auch schon lange her.  

Lhakpa Sherpa mit ihren beiden Töchtern. Foto: Lhakpa Sherpa

Wie alt sind eure Kinder jetzt?  

Mein Sohn ist 23, die Mädchen sind 20 und 16. Mein Sohn ist Mechaniker und lebt in New York, er verdient gutes Geld.  

Ihr seid amerikanische Staatsbürger?  

Die Kinder ja, ich nicht, aber ich habe eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Ich würde auch gern mal nach Europa. 

Leben deine Eltern noch? Und was mit eurer Landwirtschaft?  

Meine Mutter lebt noch, mein Vater ist vor drei Jahren gestorben. Die Landwirtschaft macht einer meiner Brüder mit seiner Frau. 

Warst oder bist du eine strenge Mutter?   

Oh, sehr streng. Manchmal auch locker, aber oft sehr streng. Ich bin Mutter UND Vater gleichzeitig, weißt du. Und ich sage ihnen, wenn ich als Mutter mit euch spreche, müsst ihr gehorchen. Wenn ich als Vater mit euch spreche, dann auch.  

Als du so oft am Everest gearbeitet hast, waren die Kinder ja noch klein, wie hast du das organisiert?  

Jemand hat sich um sie gekümmert, gegen Bezahlung. Manchmal waren sie auch hier bei Verwandten.  

Du hast Verwandte in den USA?  

Ja, sogar sehr viele. Auch hier in Connecticut. Sie sind sehr glücklich hier und arbeiten sehr hart und zum Teil sind sie sehr erfolgreich. Sie kaufen Läden und Restaurants.  

Ein Hobby oder so etwas hast du nicht, oder?  

Wie meinst du das?  

Was man halt so in der Freizeit macht.  

Nein. Ich gehe gern wandern. Aber eigentlich liebe ich die Arbeit. 

Kannst du dir vorstellen, mit dem Bergsteigen irgendwann aufzuhören? 

Auf keinen Fall! Viele Frauen schreiben mir, ich soll nochmal zum Everest und einen neuen Rekord versuchen. Sind wir fertig? Ich hab noch zu tun... 

Eine Frage noch: wirst du Sauerstoff benutzen am K2?  

Auf jeden Fall. Meine Kinder haben nur mich. Wenn mir was passiert, werden sie böse. Also mit Sauerstoff. Weißt du, was mein Traum ist? Ich fühle mich so gesund, ich möchte auf dem Everest stehen, wenn ich hundert bin. Und den ganzen Tag lang runter schauen. 

- Ende -  

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