Nina Caprez (li.) und Lynn Hill pausieren im Portaledge mehrere hundert Meter über dem Boden an der
Nina Caprez und Lynn Hill pausieren im Portaledge an der „Nose“ am El Capitan. Foto: John Glassberg
Maltes Gespräche

Nina Caprez über (Fels-)Süchte

1986 im Kanton Graubünden geboren, etablierte sich Nina Caprez nach einer kurzen erfolgreichen Wettkampfkarriere als führende Kletterin der Schweiz und spezialisierte sich auf alpine Mehrseillängenrouten. Gemeinsam mit Roger Schäli und Sean Villanueva eröffnete sie mit „Merci la vie“ (8a) eine der der schwierigsten Freikletterrouten am Eiger. Als wir das Gespräch führen, ist sie im achten Monat schwanger.

Als du vor ein paar Jahren an einer freien Begehung der „Nose“ (ca. 1000 Meter lange Kletterroute am El Capitan im Yosemite in Kalifornien, Anm. d. Redaktion) gescheitert bist, hast du geschrieben, die Niederlage sei deswegen so schmerzhaft, weil du gemerkt hast: Mit Mitte dreißig sehnst du dich nach was anderem. Hast du dieses andere jetzt mit der Schwangerschaft gefunden?

Ich habe die „Nose“ lang probiert, mich lang drauf vorbereitet und es war wirklich sehr knapp. Letzte Woche war Lynn Hill (der US-Amerikanerin gelang 1993 die erste freie Begehung der „Nose“, Anm. d. Redaktion) bei mir zu Besuch und ich habe ihr gesagt: Ich bin jetzt nur deswegen schwanger, weil ich nicht hochgekommen bin. Und mit Tränen in den Augen hat sie gefragt: "Warum?!"

Hätte ich die „Nose“ geschafft wie all die anderen Routen, die ich probiert habe, dann wäre ich mit 33 wieder in den gleichen Zyklus gefallen: Erfolg, mehr trainieren, mehr Erfolg – für mich hat das nicht mehr gepasst. Und dass ich es nicht geschafft habe, hat mir Türen eröffnet, die ich sonst nie zu öffnen gewagt hätte. Glaube ich.
2018 verbrachte sie sieben Tage in der „Nose“ mit Lynn Hill, am Ende fehlte Nina eine Seillänge zur freien Begehung. Bewertet ist die Route mit 5.14a, was einer 8b+ entspricht. Foto: Jan Novak

Du hast Klettern mit anderen Süchten verglichen hattest du Angst, dass du aus diesem Zyklus „Erfolg und Training“ nicht mehr rauskommst?

Ja, genau. Ich habe die „Nose“ zwei Mal probiert, beide Male war ich einen Monat mit Lynn zusammen, beim letzten Mal waren wir sieben Tage lang in der Wand. Das sind Erlebnisse, die kann dir niemand nehmen! Klar ist es ist am Ende ein bisschen bitter, wenn man so lange probiert und dann nicht wegen einem Meter hochkommt, aber: genau das war gut für mich. Es gibt beim Klettern schon ein bisschen Suchtpotenzial. Wenn andere Leute sehen, dass du Erfolg hast und die Medien kommen, dann wirst du überall für Vorträge eingeladen. Ich glaube das kann schon ein bisschen süchtig machen.

Du schreibst, als du an der „Nose das „Great Roof " schon im zweiten Versuch geschafft hast, da habe Lynn geweint. Warum?

Sie hat einen Sohn, der ist jetzt 18 – und seit über 18 Jahren hatte sie keine Wände mehr geklettert. Und als sie mit mir wieder an die „Nose ging, war sie zum ersten Mal wieder so richtig einen Monat unterwegs. Sie hatte so viele Erinnerungen an damals und das hat sie einfach sehr berührt, sich selbst wieder in der Wand zu sehen und dann mit einer jungen Frau wie mir – ich war so alt wie sie damals, als sie das frei durchstiegen hat.

Nina Caprez in der Route „To Bolt or Not to Be" (8b+) in den Smith Rocks in Oregon (USA). Foto: Mike Schäfer

Als du angefangen hast, war sie schon eine Legende…

Lynn Hill war auf jeden Fall einer der ersten Namen, die mir etwas gesagt haben. Zum 15. Geburtstag hat mir meine Mutter das Buch „Climbing Free" von ihr geschenkt und hat reingeschrieben: „Go free, aber bitte nie free solo“.

Du schreibst, die chronische Raucherei deiner Mutter war dir unheimlich und sie hat dir dann als Belohnung dafür, dass du nicht geraucht hast, eine Reise geschenkt?

Meine Mutter ist eine sehr spezielle Frau, nicht so die klassische Mami. Sie hat drei Kinder allein großgezogen und war damit wie viele alleinstehende Eltern eigentlich überfordert und das lief dann eher so ein bisschen „laissez faire“. Sie wusste genau, dass sie nicht perfekt ist, und das Rauchen war ihr ein elendes Gefängnis – sie wollte nicht, dass wir rauchen. Sie hatte große Angst, dass wir auf den falschen Weg geraten, und da war sie erleichtert, dass wir alle drei in den Schweizer Alpenclub eingetreten sind. Da hat sie auch gesehen, das sind gute Leute, die geben aufeinander acht und da sind Drogen und Abstürze nicht so das Problem.

Warum so große Angst, dass ihr auf einen schlechten Weg kommt? Habt ihr in einer schlechten Gegend gewohnt?

Ihr Bruder ist an Alkohol gestorben und ihr Vater hatte schwere Alkoholprobleme, von dem her war es für sie wichtig, dass wir da ja nicht reingeraten.

Aber in der Kletterszene wird ja schon ordentlich getrunken…

Das kann man nicht vergleichen mit Leuten, die nur auf der Straße hängen und trinken. Ich habe super viel gefeiert und dabei viele Abstürze gehabt, aber ich war gut aufgehoben, das war einfach lustig. Diese Jugendgruppe und das Klettern gaben mir so eine große Erfüllung, dass ich nie auf einen schlechten Weg gekommen wäre.

Alkohol ist irgendwie auch Teil von so einer Art Zyklus, oder? Man plant eine Tour, bricht auf, freut sich, wenn es klappt und hinterher trinkt man einen. Und nach dem Trinken kommt wieder etwas anderes.

Das ist ja auch was Schönes, jetzt in der Schwangerschaft vermisse ich das.

„Abhängen" im Indian Creek. Für Nina Caprez kein Problem. Foto: Michael Pang

Es lohnt sich, deine Posts und Blogeinträge zu lesen. Das hier habe ich nur auf englisch gefunden: 'Ich sehe den genauen Unterschied zwischen Drogen nehmen und Klettern nicht: Wenn ich klettere, bin ich im totalen Flow, die Wahrnehmung ändert sich, ich fühle mich wie eine Zauberin, ich habe Superkräfte und alles führt mich nach oben gilt das für einen Durchstieg oder auch sonst?

Auch sonst! Als ich mit dreizehn meine erste Klettertour gemacht hab, wirklich nur zwanzig Meter hoch, da hatte ich dieses Gefühl! Ich war noch jung, aber da wusste ich: Da geht irgendwas ab in meinem Körper und jedes Mal, wenn ich die Hände an den Fels lege, ist das für mich ein Zaubermoment, da habe ich null Probleme, alles auszuschalten und mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Ich bin dann mega feinfühlig und kann einfach jede Bewegung abspeichern. Darum kann ich – auch wenn ich nur eine 6 klettere – hinterher haargenau sagen, was musst du wo genau machen, wie fühlen sich die Griffe an. Für mich ist das Klettern ein magischer Moment. Und es gibt Momente, wenn ich einen schwierigen Durchstieg geschafft habe, wo das Flow-Gefühl noch eine Stufe höher ist. Aber eben das, was mich ganz stark geprägt hat, war dieser erste Klettertag und dieses Gefühl. Und dieses Gefühl war nie weg, ich war nie zu müde zum Klettern, es war immer so eine positive Sache.

Dass man sich überhaupt mit so viel Kompromisslosigkeit ins Klettern stürzt und sein ganzes Leben danach ausrichtet, verlangt ein großes Selbstvertrauen.

Und außerdem muss es wirklich einfach Sinn machen, man kann nicht sein ganzes Leben dem Klettern widmen, wenn man das für jemand anderen macht oder jemandem gefallen will.

Es muss wirklich so einen tiefen Sinn in deinem Leben haben, dass du dir gar nicht die Frage stellst, warum du das machst. Und die Ziele suchst du dir nicht raus, sondern die kommen auf dich zu.

Welche Sachen hast du im Leben richtig gemacht, damit dein Leben diese Richtung nahm?

Ich war schon als Kleinkind so neugierig: Was hat die Welt zu bieten, was kann ich erforschen, wie weit kann ich gehen? Ich habe mich immer sehr dafür interessiert, Leute und andere Kulturen kennenzulernen. Ich hatte einen offenen und hellen Geist und ich habe mich auch in Menschen nie getäuscht, ich wurde wirklich noch nie übers Ohr gehauen.

Neugierig und furchtlos: Wer Nina Caprez kennt, weiß, dass sie schon als Kind keine Angst hatte. Foto: Guillaume Broust

Du warst ein neugieriges Kind? Gib mal ein Beispiel.

Diese Reise, die mir meine Mutter fürs Nichtrauchen spendiert hat: Da hat mich eine Gruppe Franzosen gefragt, ob ich mit ihnen nach Argentinien komme. Da war irgendwo auf viertausend Metern ein Hochplateau voll mit Bouldern und ich habe die Leute fast nicht gekannt, aber ich hatte ein sehr gutes Gefühl mit denen. Ich war die einzige Frau, dann sind wir da los, sechs Wochen in die Pampa von Argentinien, völlig auf uns allein gestellt. Das war schon ein einschneidendes Erlebnis.

Nicht schlecht, aber ich meinte eher als Kind?

Ich war das jüngste von drei Kindern und ich wollte immer beweisen, dass die kleine Nina mithalten kann. Als ich drei Jahre alt war, wollte ich unbedingt auf einen Baum klettern und meine Mama hat gesagt, du bist noch zu klein. Dann sind alle zum Mittagessen gegangen und ich bin allein da hoch, runtergefallen und habe mir den Arm gebrochen. Aber da war irgendwie mein Ego schon so groß, dass ich weder geweint noch mich irgendwie beklagt habe. Meine Mutter hat uns immer sehr viel vertraut und sehr viel machen lassen. Als ich 16 war, hat mein Bruder gesagt, komm Nina, wir gehen auf den Mont Blanc. Wir sind in den Zug gestiegen, nach Chamonix gefahren und zu meinem Geburtstag auf den Mont Blanc. Fand ich mega cool und unsere Mutter hatte keine große Ahnung, wo wir da jetzt hin gehen.

Du hast die großartige „Divine Providence“ (7c) am Pilier d'Angle on sight am Mont Blanc geklettert. Die wurde Anfang der 90er erstmals frei geklettert, damals eine unglaubliche Sache, das wussten nur Insider: eine 7c an so einem wilden Spot – nirgendwo sind die Alpen mehr Himalaya-like als dort. Aber du hast im Interview nicht gesagt, hurra, ich war die erste Frau! Sondern geschwärmt, wie schön das war. Da hab ich wirklich den Hut vor dir gezogen.

Es war jedenfalls eine der Touren, auf ich am meisten stolz bin. Man braucht aber auch viel Glück, vielleicht drei Mal im Jahr hat die Tour gute Bedingungen: trocken, aber nicht zu viel Steinschlag. Der Zustieg ist auch nicht so witzig, man muss unter wirklichen großen Serács (Türme aus Gletschereis) durch.

Und „Erste Frauenbegehung“, damit gehe ich sehr vorsichtig um. Klar bin ich die schwierigen 400 Meter Fels im Vorstieg und on sight geklettert, aber den ganzen Sockel – der ist auch schon 500 Meter –, da sind wir in Wechselführung durch, und die letzten 400 Meter Mixed bis zum Gipfel hat mein Partner geführt. Und der hat mir wirklich das Leben gerettet, weil ich mit einem autogroßen Block einfach weggefallen bin...

Du warst auf dem Block drauf und der ist mit dir raus?

Genau, ich konnte nichts machen, ich bin einfach ins Seil gefallen und er hat mich gehalten. Ich bin schon stolz auf das Ganze. Wir hatten auch Glück mit dem Start, fast die letzte Seilbahn verpasst, aber am Ende hat einfach alles hat gestimmt! Beim „Silbergeier“ haben sie ein riesen Tamtam gemacht, weil ich die erste Frau war. Aber ich habe die Route fünf Tage mit Babsi Zangerl ausgebouldert, wir haben hervorragend zusammengearbeitet, aber sie hatte dann einen Bandscheibenvorfall und musste pausieren. Und bei der „Unendlichen Geschichte“, da waren auch die Babsi und ich unterwegs und wir waren genau gleich stark. Dann wusste wir nicht, wer darf als Erste probieren darf und haben einfach Schere, Stein, Papier gespielt.

Wer hat gewonnen?

Das war ich, sie hat mich gesichert. Und dann hat sie am nächsten Tag alles geklettert und ich habe gesichert.

In zwei Tagen direkt nacheinander? Großartig!

Es war einfach mega! Das ist eben, was mich ein bisschen stört: man versucht immer Heldengeschichten zu machen, ein Held, eine Heldin, wer hat das zuerst gemacht? Und vergisst immer ein bisschen, dass das eine riesen Teamarbeit ist.

Wenn Menschen eine extrem starke Motivation haben, besteht die oft aus zwei Komponenten, ganz gleich, ob jemand erfolgreich Sport treibt, ein 1,0-Abitur macht oder irgendwas anderes. Es gibt diese eine Sache, wo du hin willst und dort bekommst, was dich glücklich macht – oft gibt es aber auch irgendwas, wo du weg willst...

Ich hatte keinen Vater, aber ehrlich gesagt, hatte ich die beste Kindheit, die ich mir vorstellen kann. Unbewusst fehlte mir jedoch eine Autoritätsperson. Und noch heute, wenn jemand einen Befehl gibt, ohne dass es einen Grund dafür gibt... dann verstehe ich das nicht, weil ich das nie gekannt habe. Ich fühle mich nicht komisch, weil ich nie einen Vater hatte, das war einfach so und ich habe das Beste daraus gemacht und meine Mutter auch. Ob ich da vor etwas weglaufen wollte, da bin ich mir nicht ganz sicher.

Manche Menschen wissen, wozu sie berufen sind. Bei Nina Caprez ist es das Klettern. Foto: Jan Novak

Weglaufen meine ich nicht. Weglaufen hieße: eine Flucht, die fehlschlagen wird.

Was ich nicht konnte, war mit Routine umgehen. Es war für mich wirklich schwer, in die Schule zu gehen, Stundenplan, Jahresplan – das war für mich einfach Horror.

Am Anfang in der Primarschule ging das noch, weil ich das Klettern noch nicht hatte, aber durch den Sport wurde das extremer. Als ich dann das Abitur fertig hatte, habe ich gesagt, ich kann nie mehr irgendwo in so ein fixen Plan rein, das geht nicht, damit kann ich nicht umgehen. Als ich ins Nationalteam Klettern aufgenommen wurde, wollte ich erstmal ein Zwischenjahr machen, dann wurden es zwei, dann bin ich dabei geblieben. Ich glaube die Struktur und die Sicherheit, die viele Leute brauchen in ihrem Leben, das war für mich Horror und das war beim Klettern schon etwas, was ich dort vermeiden wollte, also geregelten Arbeitstag, geregelte Woche, geregelte Ferien, das war für mich unmöglich.

Hattest du jemals einen festen Job? Also Vollzeit?

Nein.

Berufsausbildung?

Nein, ich habe das Abi abgeschlossen, dann das Diplom als Routenbauerin gemacht und mich halt so mit verschiedenen Jobs durchgeschlagen. Meine Mutter hat gesagt: Das kannst du machen, du musst dich nur selbst versorgen und ich so: juhu!

Hattest du in der Schweiz Vorbilder? Es gab Männer, die das gemacht haben, wie Stephan Siegrist. Der hatte ja quasi hingeschmissen und wollte die Firma von seinem Vater nicht übernehmen.

Da gab es niemanden in der Schweiz, Stephan ist ja wenigstens Zimmermann. Mein Bruder wollte unbedingt, dass ich noch eine Ausbildung mache, aber ich habe gesagt, ich will nicht. Ich wollte klettern gehen. Das war eine extrem schwierige Zeit, da war ich so  21, 22. Da musste ich einfach weg und bin nach Frankreich, weil der Druck war zu hoch war.

Von deiner Familie?

Familie, Freunde, Bekannte, einfach alle. Das Bergsteigen hat man verstanden in der Schweiz, aber das Klettern, was ist denn das Klettern? Bist du Weltmeisterin? Nein, ich bin nicht Weltmeisterin. Besteigst du den Mount Everest? Nein, ich besteige nicht den Mount Everest. Klettern war so eine Nische, die damals unbekannt war, vor allem im Vergleich zu jetzt, wo überall die Kletterhallen stehen und jeder klettert. Ich musste weg in ein Land, wo es mehr Kletterkultur gab, mehr Geschichte, mehr Verständnis. Ich musste irgendwo hin, wo die Leute mich motiviert haben, das zu machen, obwohl ich selber nicht wusste, wo es hingeht. In der Schweiz gibt es kein Verständnis, wenn du etwas machst und weißt nicht, wie es ausgeht.

Du bist damals nach Grenoble, dem überragenden Standort für Bergsport überhaupt?

Ich habe mich da sehr wohl gefühlt, ich war dort gut aufgehoben, ich hatte ein paar französische Kollegen, die dort lebten und viele Saisonjobs gemacht haben. Die Saisonjobs in der Schweiz gibt es auch nicht so, die Franzosen arbeiten einfach nicht so gerne wie die Schweizer.

Du hast am Anfang ein paar kleinere Sponsorenverträge gehabt: ein bisschen gejobbt, ein bisschen Sponsoring, das wurde mehr und irgendwann warst du Vollprofi.

Ich wollte nie mein ganzes Einkommen von Sponsoren haben. Ich fand das immer gefährlich, dass man abhängig ist von denen, und auch von einem gesunden Körper, der Leistung bringt. Ich bin daher gerne jobben gegangen, dann hat es angefangen, dass ich Vorträge gegeben habe. Das war schon cool, ich habe gerne meine Geschichten erzählt und ich habe schon sehr früh einen großen Drang gehabt, Fotos und Videos zu produzieren, weil es Spaß macht, wenn man solche Dinge erlebt und die dann in Bildern weitergeben kann. Das hat mir sicher sehr geholfen in meiner Karriere.

In zehn Seillängen durch das Rätikongebirge: die legendäre Route „WoGü“ (8c), erstbegangen von der Ketterlegende Beat Kammerlander. Foto: Marc Daviet

Was genau musst du leisten, damit du als Profi bezahlt wirst? Schwer klettern allein reicht ja nicht aus.

Jeder Athlet muss auf irgendeine Art und Weise kommunizieren, das ist das Ziel, wenn du zu einer Marke gehörst. Du bist ein Werbeplakat, aber du kannst aussuchen, wie du dich beschriftest.

Du wirst nicht einfach dafür bezahlt, dass du schwer kletterst, aber dann sagst du es niemandem, das geht nicht. Ich habe meinen Job immer so gesehen, dass ich dank einem Sponsor meine Träume erfüllen kann. Also ist mein Ziel auch, dass ich andere Leute träumen lasse, sei es, dass die ein Video schauen oder ich die irgendwie animiere, auch raus zu gehen und zu klettern. Das war für mich immer eine sehr positive Art, Werbung zu machen.

Klingt abgedroschen, aber davon, dass es abgedroschen klingt, darf man nicht abschrecken lassen...

Nein, ich habe einen Traumjob und ich habe auch wirklich coole Partner, die haben mir so viel Freiraum gelassen, die haben mir so vertraut, die haben gesehen, wie viel Freude ich habe, wenn ich klettere, wie ich das wirklich ausstrahlen kann. Ich war da völlig im Flow und habe alles probiert zu der Zeit, wo es jeweils richtig war. Seit der „Nose“ habe ich nichts Schweres mehr probiert. Ich habe jetzt ein anderes Projekt, das ist eher sozial und da sind meine Sponsoren voll hinter mir, auch wenn ich jetzt schwanger bin und ein Baby haben werde. Die Authentizität von einem Athleten heute ist so viel wert, weil es so einfach ist, ein bisschen ein „falscher“ - Athlet oder in den sozialen Medien ein Held zu sein und in der Realität scheißt du dir in die Hosen. Ich glaube diese natürlichen Leute stechen hervor, der Kontrast ist zu groß.

Dein neues Projekt ist ein soziales?

Ja, genau, „Andrea“ heißt es. Mein Freund ist Fotograf und wir haben festgestellt, dass wir uns sehr gerne haben, aber: wenn wir kein Projekt haben, das uns wirklich beide animiert, dann geht unsere Beziehung auseinander – ich werde immer klettern wollen und er fotografieren. Dann haben wir uns überlegt, wie können wir das zusammenfügen?

Und haben einen Unimog gekauft und ihn der „Andrea“ genannt. Da haben wir eine mobile Boulderwand drauf gebaut und sind dann letztes Jahr vier Monate nach Rumänien und Griechenland zu armen Leuten in Ghettos und in Flüchtlingslager.

Da haben wir durch unsere Kletterwand die Leute animiert, sich gut zu fühlen und alle, egal ob arm und reich, schwarz und weiß, auf eine Ebene zu bringen. Mir bedeutet dieser Sport so viel, ich weiß, wie gut man sich fühlen kann, wenn man klettert und ich wollte eine Art und Weise finden, das auch zu Leuten zu bringen, die nicht reich sind oder wie wir einfach die Berge vor der Haustür haben.

Hast du in der letzten Reel-Rock-Auswahl den Film „Black Ice“ gesehen?

Nein...

Musst du dir anschauen! Da geht es um eine Kletterhalle im Memphis, eine der härtesten Städte der USA, voll die grobe Gegend und die Kletterhalle ist ein Sozialprojekt. Alleine, dass du jemanden sicherst und sein Leben übernimmst und dich dann selbst ihm anvertraust, das löst wahnsinnig viel aus, und dann gehen die Eisklettern mit Conrad Anker. Es ist so berührend, ich hätte fast geheult, ich schicke dir den Trailer. Noch eine persönliche Frage, wenn du nicht magst, dann lass sie aus. Du hast gesagt, du bist ohne Vater aufgewachsen, wie stelle ich mir das vor, war der einfach weg, wollte der nix wissen, ist der unbekannt verschollen?

Nein, als ich zweieinhalb Jahre alt war, ist der an einem Berg abgestürzt und gestorben.

Für deine Mutter war es dann hart, wenn du in die Berge gehst, oder?

Alle drei Geschwister sind in die Berge und dann hat meine Mutter gesagt, sie muss das verstehen, was zieht einen in die Berge? Da hat sie auch angefangen mit Klettern – mit vierzig – und jetzt ist sie voll fanatisch, sie ist fünfundsechzig und liebt es und hat so ein großes Verständnis bekommen, dass sie dann keine Angst mehr hatte. Sie weiß, wie sehr ich diesen Sport beherrsche, dass ich nie ohne Seil gehe und so.

Das ist ja eine großartige Wendung: euer Vater beim Klettern abgestürzt und eure Mutter hat, um das zu verstehen, selbst angefangen und neuen Lebensinhalt gefunden.

Genau!

Großartig. Das wäre ein toller Schluss, nein, halt – du hast mal in einem Jahr zweihundert Nächte draußen geschlafen. Draußen-draußen oder im Auto?

Draußen-draußen! Ich glaube, das war der Sommer, wo ich auch „Divine Providence“ geklettert bin, da war ich so viel draußen, das war mega.

Pläne für die Zeit nach der Entbindung?

Wir gehen auf Reisen mit dem Projekt „Andrea“, von Oktober bis Mitte Dezember etwa. Ich habe jetzt nicht das Bedürfnis, die nächsten Jahre auf Expedition zu gehen oder große Wände zu klettern, sondern möchte einfach so viel Zeit wie möglich draußen mit der Familie sein und möchte diese Werte meinem Kind weitergeben, mein Partner ganz genauso. Der Unimog ist super ausgestattet, da würden wir schon gerne ein paar Jahre auf Reisen gehen.

Bevor das Kind in die Schule muss.

Genau!

Danke für das Gespräch und viel Glück mit dem Baby! Wir verraten nicht, ob es Mädchen oder Junge wird.

Wir wissen es auch gar nicht.

Echt nicht?

Nein! Wir haben es uns nicht sagen lassen.

Großartig!

- Ende -

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