Viele Menschen in einer Reihe unterwegs auf einer Skitour in Richtung Breite Krone. Rundherum verschneite Berge.
Zu spüren, wie kalt die Luft ist, weil man ihren Weg in die Lungen plötzlich wahrnimmt, und wie die Eiskristalle im Wind die Haut aufzuritzen scheinen. Foto: Johann Kristan
Skitourenkurs in der Silvretta

Hohe Berge

Sechs Tage in der Silvretta, eine Skitourenwoche inspiriert durch ein Buch: Unsere Autorin weiß jetzt, wie sich das Skibergsteigen anfühlt.

In der Dunkelheit aufzustehen, ohne die anderen wecken zu wollen, aber zu wissen, dass sich das Knarzen des Bettes nicht vermeiden lässt, und sich ein bisschen schlecht zu fühlen, für die anderen ungewollt den Tag einzuläuten. Das verschneite Fenster im Bad zu öffnen und nach draußen zu blicken – endloses Weiß und friedliche Bergspitzen im rosa Morgenlicht. Nach dem Frühstück die Skischuhe anzuschnallen, die Druckstellen am Schienbein der letzten Tage zu spüren, sich an gestern zu erinnern, als der Bergführer meinte, Schmerz läutert. Sich weniger als sonst darüber geärgert zu haben, sondern einfach mitgegangen zu sein, weiter rauf in den Hang bei schlechter Sicht, nur an den perfekten Schnee und die Abfahrt zu denken und daran, dass man die Beine auch nach der Skitour im Büro wieder schonen kann.

Ohne Probleme aufzufellen, die kalten Ski nach draußen zu tragen, in den pudrigen Schnee zu werfen und in den Himmel zu schauen, ein helles Blau an diesem letzten Tag. Kilometerweit geradeaus in der Spur zu gleiten und dem Berg führer in der roten Jacke zu vertrauen, dass er schon weiß, welche Hänge ungefährlich sind. Die Schmerzen in der schwachen Schulter zu spüren, sich mit Stöcken und Steighilfen bergan zu kämpfen, dann nur den rechten Stock zu nutzen und die linke Schulter mehr ruhen zu lassen. Den Bergspitzen entgegenzugehen, fast in Zeitlupentempo und den Schnee in der Ferne durch den Wind in das Blau wehen zu sehen, als ob die Berge dampfen würden.

Diese innere Weite ganz tief und intensiv in sich zu spüren, melancholisch zu werden und das Gefühl jetzt schon zu vermissen, weil man weiß, dass es lautlos verschwinden wird … Foto: Johann Kristan

An Höhe zu gewinnen

An das Lawinentraining des ersten Tages zu denken, wie viel mehr Schnee heute liegt und wie unmöglich es scheint, darin jemanden innerhalb von fünfzehn Minuten zu retten. Als Letzte zu gehen, mit viel Abstand zur Gruppe, weil die Schmerzen in Schienbein und Schulter zu stark sind, aber nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen. Sich über die starken Böen zu freuen, zu sehen, wie sich die Eiskristalle über die ausgeblasenen Schneeflächen schlängeln.

Den Anschluss zur Gruppe kurz zu verlieren, sie hinter der nächsten Scharte verschwinden zu sehen und anhalten zu müssen, weil der Skistopper rausgesprungen ist, den Schuh aus der Bindung zu wiegen, leicht zu fluchen und im verharschten Schnee am Hang den Ski zu richten, wieder einzusteigen und schneller weiterzulaufen, in dem Wissen, dass die Gruppe sonst warten muss. An Höhe zu gewinnen und die anderen wieder zu sehen, zu beobachten, dass manche schon die Ski ablegen. Im Sturm auf dem Bergrücken abzufellen für die Abfahrt danach, die Ski mit dem Rucksack zu beschweren, fast weggeblasen zu werden und die Kraft der Natur zu spüren, umzingelt sein vom schier endlosen Gipfelmeer – hohe Berge überall am Horizont.

Die Oberschenkel zu spüren und wieviel Kraft es braucht, die Schneemassen zu durchkämmen. Foto: Johann Böhmer

Sich bis zum Gipfel bergauf zu hacken

Sich mit den Skischuhen in den wenigen Schnee durch das graue Geröll die letzten Höhenmeter bis zum Gipfel bergauf zu hacken, mehr Halt mit den Armen und Stöcken zu haben als mit den rutschigen Sohlen, nur aufwärts zu steigen und zu sehen, wo man hintritt und die Gedanken, wie man später wieder runterkommt, erstmal beiseitezuschieben. Am Gipfel auf über 3000 Metern anzukommen, die Gruppe zu umarmen und sich zu freuen, die Sonne im Gesicht zu spüren und in stiller Dankbarkeit zu ruhen. Wieder abzusteigen und es leichter zu schaffen, als zuerst gedacht, die Ski auf der harschigen Fläche anzuschnallen, über die Kanten zu versuchen, auf der harten Schneefläche Halt zu finden, dann bald den kniehohen Pulverschnee zu spüren, sich nach vorne zu beugen und den Stemmschwung zu versuchen – die Oberschenkel zu spüren und wieviel Kraft es braucht, die Schneemassen durchzukämmen, das Gleichgewicht zu behalten trotz innerem Freudentaumel.

Ohne Fell weiterzugleiten, aber trotzdem schieben zu müssen, weil der Schnee so hoch ist und die Fläche zu wenig Gefälle hat. Nach einer halben Stunde Pause zu machen, beim Abschnallen der Ski bis zur Hüfte im Schnee zu versinken und mit den anderen Schokolade und Äpfel zu teilen. Ein schweres Gefühl ums Herz zu bekommen, als man feststellt, noch kein einziges Mal auf die Uhr gesehen zu haben, den Tag zu nehmen, wie er kommt und einfach zu sein …

Zu spüren

Diese innere Weite ganz tief und intensiv in sich zu spüren, melancholisch zu werden und das Gefühl jetzt schon zu vermissen, weil man weiß, dass es lautlos verschwinden wird … Sich in der Hütte mit den anderen zum Spielen zu verabreden, vom Hüttenwirt ein Glas Rotwein serviert zu bekommen, das fabelhafte Essen zu genießen, die Wärme in den Wangen zu spüren, weil die volle Hütte aufheizt und die Menschen einen von innen zu wärmen scheinen.
Ins Bett zu kriechen und sich zu fühlen, als würde man ein ganz anderes Leben führen, abgeschnitten von der Außenwelt, in unermesslicher Geborgenheit.

Janina Stilper war Volontärin in der Panorama-Redaktion und las Silke Stamms „Hohe Berge“, ein Buch über eine Frau auf Skitour, das sie endgültig davon überzeugte, das Skibergsteigen zu lernen.

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