Josef Klenner und zwei Mitarbeiter der BGS in der
Josef Klenner 2018 auf der Praterinsel in München. Foto: DAV/Marco Kost
Josef Klenner im Portrait

Kompromiss statt Keil

Der scheidende DAV-Präsident Josef Klenner steht selten in der Öffentlichkeit, vielen gilt er als sachlich und zurückhaltend. Über einen Präsidenten, der sich nicht wie ein Präsident benimmt.

Von: Dominik Prantl

Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Zement. Josef Klenner – so viel schon einmal vorweg – hat für seinen Arbeitgeber jahrzehntelang den Bau von Zementwerken vorangetrieben, und auf die Frage, wie das eigentlich zusammengeht, ehrenamtlich für den DAV als anerkannten Naturschutzverband zu arbeiten und sich hauptberuflich mit einem emissionsmäßig so schlecht beleumundeten Produkt zu beschäftigen, sagt er, es sei in der Zementindustrie immer das Bestreben, effizient zu produzieren. Viele andere würden es jetzt wohl dabei belassen, ein bisschen PR-Phrase, passt schon. Klenner aber startet einen Exkurs in die Chemie, zu Calciumkarbonat und Ton und Eisenerzen und wie durch Erhitzen das Abfallprodukt Kohlenstoffdioxid entsteht.

Hängen bleibt jedenfalls, dass es erstens offenbar nicht ganz so simpel ist mit dem Zement als Klimakiller und man zweitens im Zementwerk selbst am meisten bewegen kann.

Nie den Blick fürs Detail verlieren

Man weiß dann aber vor allem auch, dass Klenner im Planen von Zementwerken auch immer noch das Calciumkarbonat sah, er in dem großen Ganzen nie den Blick für das Detail verloren hat. Insofern ist es umso erstaunlicher, dass über Josef Klenner selbst kaum Details zu finden sind, obwohl sich dessen Zeit als Vorsitzender und Präsident des Deutschen Alpenvereins auf insgesamt rund 25 Jahre summieren. Recherchiert man wie heute üblich kurz einmal auf Google nach dem Namen „Josef Klenner“ und „DAV“, verrät das Internet: so gut wie nichts.

Das ist ungewöhnlich in dieser doch eigentlich völlig ergooglebaren Welt, wo man mittels Netzeinträgen über die Yogalehrerin im Reihenhaus nebenan fast mehr erfährt als durch zwei Jahrzehnte Nachbarschaft. Auch bei genauerer Suche klingen ein paar der wenigen Einordnungen nicht sonderlich schmeichelhaft: Klenner sei ein blasser Funktionärstyp und das krasse Gegenteil zu Heinz Röhle, der zwischen den beiden Amtszeiten Klenners als Präsident fungierte. In der Mediensprache sind das unmissverständliche Magenschwinger.

Josef Klenner bei einem Sektionentag Anfang der 1990er Jahre. Foto: Archiv DAV

In einer Reihung mit Fritz März oder Heinz Röhle, den beiden anderen langjährigen DAV-Spitzen seit 1980, Ersterer promovierter Jurist, der andere Professor Forst, war der Verfahrenstechniker Klenner als Erster Vorsitzender bzw. ab 2002, nach der Strukturreform, als Präsident der größten nationalen Bergsteigervereinigung der Welt, ja, man darf das so sagen, eine Ausnahmeerscheinung. Klenners Wikipedia-Eintrag hat etwa drei Zeilen. Sogar jener des Vor-Vor-Präsidenten März (1980 bis 1992) ist deutlich länger, der von Röhle (2005 bis 2010) sowieso. Röhle wurde „Mimo“ genannt, Mini-Mozart. März, ein Mann der Erstbegehungen zwischen Karwendel und Kordilleren, läuft bei manchen noch heute unter dem Spitznamen „Alpenkönig“.

Amtsübergabe von Fritz März an Josef Klenner, Hauptversammlung 1992 in Ingolstadt. Foto: Archiv DAV

Klenner war immer nur: der Josef.

Wenn man Josef Klenner trifft und ihm sagt, man wolle ihn als Person erklären, aber nicht verklären, dann lacht er erst einmal, fast schüchtern, aber freundlich und ohne Häme. Erklären, nicht verklären, das gefällt ihm. Im Grunde ist das ja genau sein Ding. Ein typischer Klenner-Satz klingt beispielsweise so: „Ich bin als Ingenieur dazu erzogen worden, sachliche Entscheidungen zu treffen.“

Man muss für diese Sachlichkeit zeitlich sicherlich etwas zurückgehen und räumlich hinauf nach Wadersloh, Nordrhein-Westfalen, heute 12.000 Einwohner, schon bei der Gründung 78 Meter über dem Meer. Die nächste größere Stadt Bielefeld, von der manche belustigt behaupten, es gebe sie gar nicht, ist 50 Kilometer entfernt. In dieses „flache Münsterland“ (Klenner) jenseits von Bielefeld also wird Josef, der Vater Zimmermann und Nebenerwerbslandwirt, die Mutter Hausfrau, im Jahr 1949 hineingeboren. Laut den Kirchenbüchern war die Familie Klenner hier seit Jahrhunderten ansässig. Die nächsten Berge mit Skihängen und Kletterfelsen und Langlaufloipen, stehen im Sauerland, 70 Kilometer entfernt, eine Stunde Autofahrt. Wobei es als Kind zuhause kein Auto gegeben habe und auch keinen Fernseher, sagt Klenner. Noch heute ist Wadersloh eine Gegend, in der man CDU wählt und Fußballspieler wird oder wenigstens Fußballfan, aber eher nicht Bergsteiger oder Bergfunktionär.

Marathon in Josef Klenners Heimatstadt, 1987. Foto: privat

Klenner, inzwischen Vater einer längst erwachsenen Tochter, wohnt nach wie vor dort. Sein Haus steht am Ortsrand, „mit dem Rad sind es zehn Minuten ins Grüne“. Er mag das Land.

Schon der junge Klenner war nie einer, der etwas für den schnellen Erfolg übers Knie brach. Er ging notfalls auch den längeren Weg, um ans Ziel zu kommen, dafür mit weniger Risiko. Als er die Schule nach acht Jahren beendete, machte er erst eine Lehre zum Schlosser und fand über den zweiten Bildungsweg zur Verfahrenstechnik. Die Studienverhältnisse – und er formuliert dies als Fakt, nicht als nostalgische Erinnerung – seien damals noch ein wenig anders gewesen als heute; „es gab nicht diese Flexibilität“. In den Semesterferien habe er in der Möbelindustrie mitgeholfen, in der Produktion, bezahlt für Akkordarbeit. „Wenn man kräftig mit angepackt hat, dann hat sich das im Geldbeutel gezeigt.“ Es klingt wie die erste Lektion einer Gebrauchsanleitung zu: Leistung zahlt sich aus.

Neue Aufgaben statt neue Firma

1973, noch zu Studienzeiten, begann Klenner bei thyssenkrupp in Beckum. Er blieb bei der Firma bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 2017, ein ganzes Berufsleben, 44 Jahre lang. Soll aber bloß niemand auf die Idee kommen, Kontinuität mit Langeweile zu verwechseln! Klenner meint, er habe in einem Unternehmen drei verschiedene Berufe ausgeübt: Forschung, technischer Vertrieb, dann Projektmanagement, unter anderem viele Jahre als Bereichsleiter, der mit einem großen Team Zementwerke auf der ganzen Welt von Namibia über Iran bis Malaysia plante. Statt wie heute üblich in neuen Firmen wohlvertraute Aufgaben zu erledigen, ließ sich Klenner in seiner wohlvertrauten Firma lieber neuen Aufgaben anvertrauen.

Skitour in den Zentralalpen, um 1990. Foto: DAV/privat

Zwischen die Heimat Wadersloh und den Beruf als Ingenieur passte schließlich noch eine dritte Lebenssäule: die Berge, der Alpenverein. Auch diesem blieb er treu, auch der DAV wurde ihm wohlvertraut und anvertraut. 1969, und diese Jahreszahl weiß Klenner auf Anhieb, war er „erstmals in den großen Bergen“, zumindest nahm er die Gegend um Berwang im Norden Nordtirols damals so wahr. 1974 trat er dann in die Alpenvereinssektion in Beckum ein, „damals eine sehr kleine Sektion“, so Klenner. Er machte Karriere, als Funktionär noch mehr als am Fels, wo er nie als Extremer auffiel, aber alpine Klettertouren lieben lernte und sich manch kombinierter Tour in den Westalpen stellte.

Als Ehrenamtlicher ging es noch höher und steiler hinaus, ganz ohne Achttausender oder Zehnten Grad: Vorsitzender der Sektion Beckum (1980 bis 1992), Vorsitzender des DAV-Landesverbands Nordrhein-Westfalen (1988 bis 1992), erstmals DAV-Vorsitzender (1992 bis 2005), schließlich auch noch Präsident des Club Arc Alpin (2004 bis 2011).

Schon 2011, ein Jahr nach Antritt seiner zweiten Amtszeit, wurde ihm für sein ehrenamtliches Engagement das Bundesverdienstkreuz erster Klasse verliehen. Während Klenners DAV-Präsidentschaften trat der Alpenverein unter anderem dem Deutschen Sportbund bei und wurde als Naturschutzverband nach dem Bundesnaturschutzgesetz anerkannt. In seine Zeit fiel die Gründung des Kuratorium Sport und Natur, die nachhaltige Sicherung der Klettermöglichkeiten in den Deutschen Mittelgebirgen und vor allem die klare Positionierung des DAV für Offenheit und Vielfalt, gegen Intoleranz und Hass.

Große Auszeichnung: die nordrhein-westfälische Sportministerin Ute Schäfer zeichnet Josef Klenner im Mai 2011 mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse aus. Foto: DAV/Klaus-Jürgen Gran

Und das alles als blasser Funktionärstyp?

Anruf bei Ludwig Wucherpfennig, einst DAV-Vizepräsident und 2010 kurzzeitig Interimspräsident. Wucherpfennig ist seit 1983 bei jeder DAV-Mitgliederversammlung dabei gewesen, er kennt Klenner seit drei Jahrzehnten, sie saßen gemeinsam in diversen Ausschüssen und Diskussionsrunden. Ja, stimmt schon, sagt also Wucherpfennig, andere im Verein zeigten vielleicht mehr Leidenschaft als der Josef. Aber: „Er hängt an diesem Verein. Er lebt für diesen Verein.“ Und ja, manchmal dauern die Sitzungen auch länger. Aber: „Seine Stärke ist es, ruhig die Argumente von allen anzuhören.“ Außerdem werde beim Alpenverein immer viel diskutiert.

Amtsübergabe zwischen Josef Klenner und Ludwig Wucherpfennig auf der HV 2010 in Bielefeld. Foto: DAV/Georg Hohenester

Mit dieser ruhigen, zielorientierten Art habe Klenner hervorragende Arbeit geleistet. Wenn man Wucherpfennig richtig versteht, wäre es auch ein grober Fehler, diese ruhige Art als Willensschwäche auszulegen. Wucherpfennig meint sogar: „Wir haben in den ersten Jahren unter Josef mehr für die Natur gemacht als davor unter Röhle. Sie müssen sich nur die Olympiabewerbungen ansehen.“ Auch habe Klenner im Rahmen der Hauptversammlung 2021 in Friedrichshafen letztlich „die Kohlen aus dem Feuer geholt“, wie Wucherpfennig sagt. Nur durch sein Insistieren sei das Klimaschutzkonzept verabschiedet und die Klimaneutralität des Vereins bis 2030 als Ziel auch wirklich vereinbart worden. „Er war da auch sehr emotional“, erinnert sich Wucherpfennig. Bei Klenner hört sich das so an: „Der Klimawandel ist etwas, was uns intensiv beschäftigt. Ich sehe mich da an vorderster Front.“

Ein Präsident, der sich nicht wie ein Präsident benimmt

Dabei hält sich Klenner – so erzählen Menschen, die seit vielen Jahren mit ihm zusammenarbeiten – bei vielen Anlässen oft eher im Hintergrund, wie ein Beobachter. Da habe es durchaus den Wunsch gegeben, so die Meinung selbiger Begleiter, dass er mehr Präsenz zeige, ja, einfach „präsidialer“ auftrete. Andererseits ist es gerade für einen 1,4 Millionen-Mitglieder-Verein mit seinen 355 Sektionen und unzähligen Strömungen wohl eine eher positive Erkenntnis, einen Präsidenten zu haben, der sich nicht wie ein Präsident benimmt.

Womöglich ist das in Zeiten, in denen Präsidenten in ihrem Machtbewusstsein und ihrer Selbstdarstellung eher Keil sind als kompromissbereit, sogar ein Zukunftsmodell: Anderen den Vortritt lassen, statt selbst glänzen zu wollen. Integrieren statt isolieren. Ruhig zuhören können. Ganz sicher ist es eine der größeren Leistungen Klenners, dass es in den vergangenen Jahren doch relativ ruhig geblieben ist rund um den DAV. Noch ein letzter Klenner-Satz: „Ich sehe es nicht als primäre Aufgabe an, vorne prominent zu stehen, um Dinge zu verkünden.“ Er wolle, dass das Team funktioniert.

Das "letzte" Präsidium Josef Klenners im Juli 2022: Manfred Sailer, Jürgen Epple, Roland Stierle, Melanie Grimm, Burgi Beste, Simon Keller und Josef Klenner. Foto: DAV/Tobias Hase

Wie es weitergeht? Klenner sagt, er sei nicht amtsmüde, habe aber kein Problem damit, als Präsident aufzuhören. Man müsse als Ruheständler ohnehin aufpassen, ein solches Ehrenamt nicht vollberuflich auszuüben. „Das Amt als solches muss ja auch für berufstätige Personen leistbar sein.“ Womöglich wird er häufiger selbst in die Berge gehen, er mache noch immer besonders gerne lange Touren. Er meint: „Ausdauer war immer schon etwas, das mich interessiert hat.“

prantl.jpg Dominik Prantl

Dominik Prantl schreibt als Journalist vor allem, aber nicht immer für die Süddeutsche Zeitung, am liebsten über Reisen, Berge und den Kulturraum Alpen. Mit Josef Klenner verbindet ihn unter anderem, dass er viel mehr Zeit in seinem Büro verbringt als viele Außenstehende denken.

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