Zum Ende der Amtszeit

"Es hat sich wirklich gelohnt" – Josef Klenner über 25 Jahre Präsidentschaft

Vor 30 Jahren, 1992, wurde Josef Klenner zum ersten Mal an die Spitze des Deutschen Alpenvereins gewählt. Mit einer Unterbrechung bringt er es zum Ende seiner Amtszeit im November 2022 auf 25 Jahre als Präsident.

Wie hat sich der DAV in dieser Zeit entwickelt? Welche Erfolge hatte der DAV zu feiern, was ist weniger gut gelaufen? Und wer ist eigentlich Josef Klenner – wo ist er in den Bergen unterwegs, welchen Beruf hatte er und wie findet es seine Familie, dass er so viel Zeit und Energie in den Verein steckt?

Georg Bayerle, Journalist beim Bayerischen Rundfunk, war mit Josef Klenner beim Wandern und hat nachgefragt.

Transkript zur Folge

Angela Kreß: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge des Bergpodcasts. Schön, dass ihr wieder mit dabei seid.

Wusstet ihr, dass ungefähr 30 Prozent der DAV-Mitglieder unter 30 Jahre alt sind? Vielleicht gehörst du auch dazu? Dann warst du noch nicht geboren, als Josef Klenner das erste Mal an der Spitze des DAV stand. 1992 wurde er gewählt, damals noch zum Ersten Vorsitzenden, später wurde die Struktur im DAV geändert und das Amt des Ersten Vorsitzenden wurde zum Amt des Präsidenten. Bis 2005 war Josef Klenner dann Präsident und ab 2010 wieder. Bis heute. Insgesamt also gut 25 Jahre. Auf der Hauptversammlung 2022 am 18. und 19. November endet seine Amtszeit. Um ein Vierteljahrhundert an der Spitze des weltgrößten Bergsportverbands geht es in dieser Folge. Georg Bayerle, Journalist beim Bayerischen Rundfunk, war mit Josef Klenner beim Wandern und spricht mit ihm über die Berge und das Bergsteigen, den Alpenverein, Erfolge und Kritik, und wie es ist, aus einem lebensfüllenden Ehrenamt auszuscheiden.

Georg Bayerle: Für dieses Gespräch über eine lebenslange Beziehung zu den Bergen, sozusagen, und ein Vierteljahrhundert als Erster Vorsitzender und Präsident des Deutschen Alpenvereins, habe ich mich mit Josef Klenner verabredet, an der Talstation der Hörnle Bahn in Bad Kohlgrub. Wir gehen natürlich bergauf für unseren Podcast, denn mit dem Deutschen Alpenverein ging es ja auch eigentlich immer bergauf, oder, Josef Klenner?

Josef Klenner: Das stimmt tatsächlich, so lange ich mich erinnern kann, hat es im Deutschen Alpenverein immer positive Entwicklungen gegeben. Immer neue Dinge, die entstanden sind, ich erinnere mich, in den 80er Jahren Sportklettern, war etwas ganz Neues, mit dem Symposium in Brixen. Wenn man sieht, was heute daraus entstanden ist, dann kann man in etwa ahnen, was insgesamt dahinter steckt.

GB: Über solche Stationen und Marksteine auch in deinem Leben – wir sind am Berg, deswegen Duzen wir uns natürlich – wollen wir jetzt reden. Du warst noch nie hier in Bad Kohlgrub an der Hörnlebahn?

JK: Nein, an der Hörnlebahn noch nicht, ich bin mal in Bad Kohlgrub gewesen, als der Summit Club hier mal ein Trekking-Treffen veranstaltet hat. Das ist auch schon sehr lange her, ja.

GB: Dann wird es nämlich jetzt gleich spannend, weil hier ist ein Lift, den es weltweit meines Wissens nur noch ein zweites Mal gibt. Lass dich überraschen.

JK: Okay. Bin gespannt!

JK: Servus!

Servicepersonal Hörnlebahn: Servus.

GB: Wichtig ist hier was?

Servicepersonal Hörnlebahn: Dass Sie sich jetzt auf die Steine drauf stellen, nach links umschauen, mit links festhalten am Sessel, Sie nach rechts umschauen, mit rechts am Sessel festhalten.

GB: Das ist hier der freundliche Aufsichtsmann an dem Sessellift der Hörnlebahn. Und dann schwankt das so ein bisschen wie eine Hollywood Schaukel.

JK: Ja, wie die alten Sessellifte beim Alpinen Skifahren. Die Zeiten sind lang vorbei. Damals war das noch eine Errungenschaft, Sessellifte dieser Art. Heutzutage mit Sitzheizung und geschützter Kabine auch im Sessel, Sechser-, Achter-Sessel, ist das natürlich was anderes.

GB: Die Bahn stammt aus dem Jahr 1954. Um gleich ein Geheimnis zu lüften – älter oder jünger als du?

JK: Jünger. Ich bin Jahrgang ‘49. Aber damals noch nicht Skifahrer gewesen.

GB: Diese rasante technische Entwicklung, kann man schon sagen, hin zu der heutigen Konfektionierung mit flächendeckenden Beschneiungsanlagen, eben diesen Liften mit Sitzheizung usw., hat immer wieder für heftige Diskussionen auch im DAV gesorgt.

JK: Ja natürlich, denn der Komfort dominiert an vielen Stellen einfach zu viel. Und die Diskussion haben wir bei uns im Verein immer wieder gehabt, wenn es darum ging, vor allen Dingen Skigebiete zu vergrößern, riesen Investitionen zu tätigen und da dann die Frage der Nachhaltigkeit offensichtlich überhaupt keine Rolle spielte.

GB: Der DAV hat ein paar Mal ganz prominent Stellung bezogen. Also das eine war das ganz große Speicherbecken am Sudelfeld – hat sehr viel Ärger verursacht damals.

JK: Ja, es hat sehr viel Ärger verursacht, wir haben ja auch den Weg einer Klage vor Gericht begonnen, sind nicht erfolgreich damit gewesen, mit den anderen Naturschutzverbänden zusammen. Das ist, ja, eine Erfahrung, die nicht gut war, im Ergebnis zumindest. Obwohl sie aber auch aufgezeigt hat, dass es notwendig ist, sich um solche Dinge intensiv zu kümmern und da dann auch die Meinung öffentlich zu vertreten.

GB: Wir benutzen jetzt natürlich selber so einen Lift, auch wenn er eben zu diesem halben Dutzend Nostalgiebahnen, kann man schon sagen, in Bayern zählt, also die Fahrt dauert eine gute Viertelstunde, glaube ich, also auch das ist schonmal unüblich. Wir bewegen uns hier in einem Tempo, das man beschaulich nennen kann.

JK: Ja, das ist so, aber warum nicht? Man kann das ja auch genießen. Heute ist schönes Wetter – perfekt!

"Da sind ein paar Dinge weggefallen bis heute, die ich auch nicht mehr nachholen kann, aber deswegen bin ich nicht traurig."

GB: Normalerweise wären wir aber lieber gelaufen, oder wo stehst du da?

JK: Ja, ich gehe gerne zu Fuß. Vor allem bergauf, bergab ist ein bisschen schwieriger mit den älteren Kniegelenken, die machen nicht mehr alles mit heutzutage.

GB: Dieser Gedanke “by fair means” wie die Engländer ja sagen, also mit eigenen physischen Mitteln sozusagen – welche Rolle hat er für dich gespielt?

JK: Schon eine sehr wichtige Rolle, denn ich habe lieber auf das eine oder andere verzichtet; auch auf den einen oder anderen Gipfel, weil ich mir gesagt habe, ich muss das aus eigener Kraft und ich will das aus eigener Kraft und mit eigenem Können erreichen und nicht zu viele Hilfsmittel nutzen. Das hat sich im Laufe der Jahre so ergeben. Da sind ein paar Dinge weggefallen bis heute, die ich auch nicht mehr nachholen kann, aber deswegen bin ich nicht traurig.

Auf großen und kleinen Bergen unterwegs. Hier im Einsatz für den Naturschutz am Riedberger Horn. Foto: DAV/Andrea Händel

GB: Was fehlt denn der Alpinen Vita in der Hinsicht?

JK: Ja gut, ich bin nie im Himalaya gewesen. In Südamerika war ich beruflich unterwegs, habe einen kleinen Ausflug in die Anden unternommen, aber die beiden Gebirge habe ich nicht wirklich kennengelernt. Hätte ich gerne gemacht, aber irgendwie war mir der Aufwand dann, der technische Aufwand auch, zu groß. Der zeitliche Aufwand nebenbei auch noch; als alter Vereinsfunktionär bin ich immer gut ausgelastet gewesen über die letzten 30 Jahre – also so gesehen hat das nicht stattgefunden, aber ich halte das nicht für einen Beinbruch.

GB: Stichwort zur beruflichen Laufbahn: was hast du da gemacht?

JK: Ich war als Ingenieur für eine Firma tätig, die zum Thyssen Krupp Konzern gehört. Wir haben Zement-Werke gebaut weltweit. Und da haben wir vor allen Dingen in Kontinenten außerhalb von Europa unsere Geschäfte gehabt: Südostasien, Asien, China und Südamerika, Nordamerika, Afrika zum Teil auch, und da waren große Projekte, wo ich anfangs als Projektleiter dann oft vor Ort war, manchmal auch für einen ganzen Monat oder sechs Wochen. Oder hinterher als verantwortlicher Bereichsleiter, dann eben viele Projekte mitbetreut und demzufolge viel unterwegs war.

GB: Das ist jetzt eine berufliche Laufbahn, die nicht unbedingt nahe legt, sich eng mit dem Alpenverein und den Alpen zu verbinden. Wie es trotzdem dazu gekommen ist, das besprechen wir dann, wenn wir oben stehen und den Blick über das gesamte Alpenvorland haben. Bevor wir jetzt aber einen Blick dahin werfen, wie ein Nordlicht, ist jetzt ein bisschen viel gesagt, aber ein Westfale, also selber würde sich wahrscheinlich in der Mitte Deutschlands verorten, Josef Klenner, von uns aus dem Süden aus hat man eher den Eindruck, das ist sehr weit oben im Norden, sehr weit weg von den Bergen. Bevor wir da einen Blick hinwerfen können, kommt jetzt die eigentlich spannende Sache dieses alten Lifts am Hörnle, nämlich der Ausstieg. Das ist jetzt eine kleine Mutprobe.

Servicepersonal Hörnlebahn: Schön vorrutschen. Vorrutschen. Nur stehen bleiben auf den Platten. Aufstehen und Stehenbleiben!

JK: Ahh – das hätte ich jetzt nicht erwartet, der Sitz teilt sich!

GB: Ja, was ist passiert?

JK: Nichts ist passiert. Überraschungs-Effekte! Normalerweise bin ich es gewohnt, dass man beim Sessellift seitwärts rausgeht und nicht in der Mitte stehen bleibt. Das kostet ein bisschen Überwindung im ersten Augenblick.

GB: Man braucht ein gutes Vertrauen zu dem Bedienungspersonal.

JK: Ja stimmt, ja. Aber war ja alles in Ordnung.

GB: Der Clou dieses Sessellifts – deswegen ist es das einzigartige in der Welt – ist eben tatsächlich: man bleibt stehen und die Sitze klappen links und rechts seitlich weg. Wer also nicht stehen bleibt, sondern dem üblichen Sessellift-Reflex folgt, der wird gnadenlos vom seitlich wegschwingenden Sessel umgemäht. Da ist ein Wanderer.

Wanderer: Das hab ich auch schon ausprobiert, das mit dem Sessel habe ich auch schon ausprobiert. Das ist also durchaus effektvoll.

GB: Die Nase auf dem Pflaster, oder wie?

Wanderer: Nein, ganz so schlimm war es nicht. Also ich bin dann schon noch durch einen kleinen Satz habe ich mich gerettet.

GB: Sehr schön! Ihr wart unterwegs, heute am Hörnle?

Wanderer: Genau, wir sind zu Fuß raufgegangen und fahren jetzt mit der Seilbahn wieder runter.

GB: Wie war es?

Wanderer: War sehr schön. Es ist ein wirklich schöner, angenehmer Herbsttag, an dem man sehr gut wandern kann.

GB: Viel Spaß! Und Stehenbleiben nicht vergessen unten!

GB: Ja, Josef Klenner, der Blick von hier oben vom Hörnle?

JK: Super! Man hat das flache Land vor sich. Der Ausblick, den ich sonst normalerweise von zu Hause gewohnt bin, den habe ich jetzt hier aus erhöhter Position auch. Erweitert den Horizont.

GB: Spielt so der Ausblick eine Rolle für die Bergleidenschaft?

JK: Auch, ja, natürlich! Man sitzt oben, man steht oben, und ja, das ist schon ein erhabenes Gefühl. Ich glaube, das geht fast allen Bergsteigern so, man hat ja auch Mühen bis dahin gehabt, um dorthin zu kommen im Regelfall, und dann der Ausblick, und auch der Moment, den man genießen möchte.

Ausblick vom Hörnle. Foto: Adobe Stock/ARochau

Von Naturschutz ...

GB: Unsere Mühen halten sich in Grenzen heute, aber Josef Klenner hat es sich nicht nehmen lassen, wenigstens einen der Hörnle Gipfel zu erkunden. Also sind wir jetzt auf dem Weg zum Vorderen Hörnle. Für uns in Bayern, wo die Berge vor der Nase liegen, ist ja irgendwie klar, dass man da rauf will, aber wer jetzt so mitten aus diesem westfälischen Flachland im Prinzip kommt, zwischen Dortmund, Paderborn und Münster, wie entsteht das da - dieses Berge gehen oder Bergsteigen? Bist du überhaupt ein Bergsteiger?

JK: Doch schon, da zähle mich auf jeden Fall da zu. Ich hab angefangen als Jugendlicher. Wir waren mit einer katholischen Jugendgruppe zu einem Zeltlager, in der Nähe von Ehrwald in Tirol, als ich 18 Jahre alt war. Und das war der Beginn des Bergsteigens für mich. Seitdem bin ich immer wieder in den Bergen unterwegs gewesen. Auch geklettert - nicht so extrem – Dolomiten, schöne Touren gemacht, im Laufe der Jahre ist einiges zusammengekommen.

GB: Was ist da passiert bei diesem Jugendlager?

JK: Ja, wir waren im Tal. Und haben natürlich Beschäftigung gesucht für die Jugendgruppe. Ich war damals Jugendgruppenleiter und dann sind wir mal auf den ersten Hügel rauf. Und dann hat es einigen gefallen und dann wollten sie auf den nächsten und so haben wir uns dann während des Lagers, ja selbst auf den Berg – der war ungefähr 2200 Meter hoch, oder zweitausenddreihundert sogar, so genau kann ichs im Moment nicht sagen – getraut. Viele sind nicht mehr in die Berge gegangen von unserer Gruppe, die überwiegende Anzahl. Aber andere – seitdem sind’s Bergsteiger geworden, wenn man so sagen kann.

GB: Kam da schon der Alpenverein dann ins Spiel?

JK: Nein, da noch nicht. Ich bin dann später im Gebirge unterwegs gewesen und habe dann mal einen Ausbildungskurs bei einer privaten Bergsteigerschule in Ramsau am Dachstein belegt und besucht und von da weg kam dann der Alpenverein ins Spiel. Weil ich dann geschaut habe, wo ich meine Ausbildung weiter fortsetzen kann und da war die Sektion natürlich die Alternative, wo ich nicht allzu weit von zu Hause entfernt dann Ausbildungskurse nochmal belegen konnte, wo wir dann noch Touren von da aus gemacht haben. Das war 1974/75, die Zeit ging’s los.

GB: Die Sektion, das ist die Sektion Beckum, das ist im Prinzip eine Kleinstadt in Westfalen, und es gibt dort aber die Beckumer Berge.

JK: Ja gut, es gibt auch die Stromberger Schweiz bei uns in der Nachbarschaft. Das sind kleine Hügel, die haben irgendwann diesen Namen bekommen, weil sie, selbst wenn sie nur 170 Meter hoch sind, doch ein bisschen aus der Landschaft hervorstechen und zumindest ein bisschen mühsam sind, wenn man sie mit einem Fahrrad befährt, um es mal so zu sagen.

GB: Aber sagen wir mal im nahen Umkreis – Gelände für alpinsportliche Betätigung – eher wenig.

JK: Gut, es gibt im Sauerland Klettermöglichkeiten: Hönnetal, auch Eifel, Harz, das sind Mittelgebirge mit Felsen, wo wir klettern konnten. Ich sage ausdrücklich konnten. Denn mittlerweile sind 80-90 Prozent der Felsen gesperrt worden im Laufe der Jahrzehnte. Ja, das war dann die Gelegenheit, außerhalb vom Bergurlaub zu klettern.

GB: Alpinski?

JK: Auch, aber nicht sehr stark. Mein skifahrerisches Können reicht für Pistenbetrieb aus, aber für anspruchsvolle Skitouren nicht.

GB: Dieses Thema der Sperrungen der Kletterfelsen, gerade in Mittelgebirgen, das ist ja auch eines, das sich durch die Jahrzehnte durchzieht. Örtlich auch mit Modellprojekten wie im Altmühltal beispielsweise, “Klettern und Naturschutz” ist ein ähnliches Projekt eigentlich wie “Skibergsteigen umweltfreundlich”, wie es in der Anfangsphase geheißen hat. Wie beurteilst du da die Entwicklung?

JK: Also ich erinnere mich noch sehr gut an die heißen Gefechte, die wir in Nordrhein-Westfalen beispielsweise hatten in den 80er Jahren. Da wurden seitens des behördlichen Naturschutzes, aber auch von den Naturschutzverbänden, ich sag jetzt mal, eine echte Ausgrenzungspolitik betrieben. Da reichte es aus, irgendeine Fledermausart, oder eine seltene Flechte zu finden, dann wurde gleich eine ganze Felsgruppe gesperrt. Wanderfalke und Uhu war auch Thema, obwohl die Kletterer damals schon die Tradition hatten, während der Brutzeit bestimmte Routen oder bestimmte Felsen nicht zu beklettern. Das alles hat nicht gereicht. Auch die Nachweise, die wir da geführt haben, um uns da rauszubekommen aus diesen Gebieten und das hat sich fortgesetzt im gesamten norddeutschen Raum, bis, naja heute ist nicht mehr so kontrovers, weil auch die Naturschutzverbände mittlerweile mit dem Alpenverein, auch mit den Landesverbänden, Kooperationen pflegen und festgestellt haben, dass die Alpenvereine auch die Natur schützen wollen. Nicht nur – sie sind ja auch Bergsportler, aber dass Naturschutz eben ein ganz wichtiger Bestandteil der Alpenvereinsaktivitäten ist – und das wird mittlerweile respektiert. Die Entwicklung hat dazu geführt, dass mittlerweile in Nordrhein-Westfalen, der Landesverband oder auch einzelne Sektionen, stillgelegte Steinbrüche gekauft haben oder gepachtet haben, um dort Kletterrouten einzurichten. Da gibt es Wandhöhen bis 50 Meter ungefähr, also anderthalb Seillängen ungefähr. Ja, das ist eine echte Alternative geworden und wird sehr gut angenommen von den Kletterern.

GB: Aber? Ich sehe ein “aber” im Blick.

JK: Das Ganze ist natürlich mit Aufwand verbunden, vor allen Dingen auch mit finanziellem Aufwand, denn der Kauf oder die Pacht kostet ansehnliche Beträge - wie nachvollziehbar ist. Aber die Sektionen sind bereit, diese Investition zu leisten und das führt auch dazu, dass da jährliche Beiträge zu leisten sind, pro A-Mitglied, pro B-Mitglied in der Alpenvereins-Sektion, das hat sich so eingebürgert. Aber ich glaube, das ist eine Alternative, die Zukunft hat und ja – es sieht sehr positiv aus in der Richtung. Wir hoffen natürlich nicht, dass die dann auch noch irgendwann wegen Naturschutz die Steinbrüche dann stilllegen, was wir schon mal gehabt haben in den 80er Jahren.

GB: Eines der vielen, dauernd diskutierten Gebiete, in denen sich der Alpenverein bewegt. Also wir hatten dieses Thema Erschließungen. Wir haben jetzt dieses Thema Nutzung von Natur. Woher kommt diese Begeisterung der nördlichen Bevölkerung auch für die Alpen, die so weit weg sind? Und hat sich da was verändert? Also da ist jetzt Sportklettern auch so zur Nummer 1 bei der Jugend geworden?

JK: Also die Sportkletter-Entwicklung hat sich über das ganze Land ausgebreitet. Man muss ja nur mal schauen, wo Kletterhallen stehen – das geht bis nach Flensburg rauf. Ich komme dann aus der Nähe vom Ruhrgebiet, also im Ruhrgebiet gibt es viele Kletterhallen. Nordrhein-Westfalen hat einen Landeskader, macht Landesmeisterschaften. Hannah Meul beispielsweise kommt aus Köln oder trainiert in Köln. Wir haben das Leistungszentrum West Wuppertal-Köln, wo also der Wettkampfsport auch intensiv gefördert wird. Das ist vergleichbar mit anderen Bereichen auch im Süden der Republik. Was das Bergsteigen betrifft, jetzt im ursprünglichen Sinne, ja, Berge sind irgendwo schon – ich will jetzt nicht sentimental werden – aber ein Sehnsuchtsort auch gewesen. Man hat Bilder gesehen, man hat im Fernsehen die alten Trenker-Filme gesehen. Das war natürlich schon für den ein oder anderen echte Motivation, das sich mal persönlich ansehen zu wollen und viele von denen, die sich dann auf den Weg gemacht haben, die haben die Leidenschaft für sich entdeckt.

GB: Und auch eine kleine Sektion wie Beckum hat sich ihre alpinen Arbeitsgebiete gesucht. In der ersten großen Erschließungsphase, 1870 folgende kann man sagen, bis 1900 – da haben ja die großen Sektionen, Berlin, Köln usw., ihre Hütten gebaut an erlesenen Alpenplätzen. Die Kleinen, die kamen dann oft ein bisschen später, also Beckum gehört dazu.

JK: Ja, 1925 gegründet, sehr stark mit Skilauf verbunden – damals konnte man auch im Mittelgebirge noch gut Alpinskilauf betreiben. Ab den 60er Jahren dann, als der Alpine Skilauf in den Sektionen in Nordrhein-Westfalen nicht mehr vom Westdeutschen Skiverband anerkannt wurde, sind die gesamten Skifahrer ausgetreten, in den westdeutschen Skiverband abgewandert und die Bergsteiger blieben allein zurück. Das waren nur 50 Prozent der Mitglieder ungefähr und von da weg ging es dann, sag ich mal, um die Motivation beim Bergsteigen. Und die Entwicklung, die wir genommen haben, wenn man sieht, dass eine Sektion - ich bin damals Jugend Referent gewesen, da waren wir glaub 180-190 Mitglieder – heute haben wir 2100 Mitglieder. Das ist ein klares Zeichen dafür, wie die Dinge sich entwickelt haben im Laufe der Jahrzehnte.

GB: Und der Alpenverein auf heute 1,4 Millionen von –?

JK: Wie viele es damals waren, kann ich nicht sagen. Aber wir hatten, als ich 1992 zum Ersten Vorsitzenden gewählt wurde, ungefähr glaub ich 400.000 Mitglieder. Seitdem ist eine Million dazugekommen.

GB: Und ihr habt auch ein Arbeitsgebiet in den Alpen?

JK: Wir haben ein Arbeitsgebiet zur Wegeinstandhaltung im südlichen Wettersteingebirge, also von der Talsohle Leutasch rauf bis zum Kamm des Wettersteingebirges. Wir haben aber auch eine Mittelgebirgshütte in Thüringen mittlerweile. Wir haben eine Kletteranlage, eine Freiluft-Kletteranlage, keine Halle, die sehr beliebt ist, auch in der Umgebung wunderbar funktioniert und wo viel los ist. Ja, alles was dazu gehört, was man heutzutage so als Sektion haben sollte.

GB: Und die Mitglieder beteiligen sich auch am Wegebau?

JK: Ja! Das ist, ich würde nicht sagen im Voraus ausgebucht, aber es gibt da eine kleinen harten Kern, der fährt jedes Jahr eine Woche mit ein oder zwei Autos, also vier oder sechs, acht Personen zur Wegeinstandhaltung, eine Woche lang und dann wird da intensiv gearbeitet.

GB: Wohin?

JK: Ja, nach Leutasch eben. Und übernachten auf der Hütte oder im Tal und richten die Wege her, was halt so zur Wegeinstandhaltung gehört. Angefangen von Stufen, die neu gemacht werden müssen, bis zum Ausschneiden von Latschen oder anderem Bewuchs, Wasserrinnen anlegen, Reinigen – alles, was man tun muss, um alpine Wege instand zu halten. Nicht die Talwege, aber die alpinen.

GB: Ein bisschen ins Schnaufen sind wir gekommen, weil es ist zwar nicht viel auf dieses hintere Hörndl, das wir erklommen haben, aber steil in der in der Herbstsonne.

JK: Wenn die Sonne in den Nacken scheint und es steil bergauf geht, dann braucht man nicht frieren.

... bis Leistungssport

GB: Auf dieser Erfolgsspur, über die wir gerade gesprochen haben, spielt das Klettern für den Deutschen Alpenverein eine ganz zentrale Rolle, weil letzten Endes war das ja auch der Grund, sich mit dem Deutschen Olympischen Sportbund näher zu befassen.

JK: Ja, das war eine Diskussion, die sich über fast ein Jahrzehnt hingezogen hat. Bin mir nicht ganz sicher, aber ich meine mich erinnern zu können, dass wir ziemlich bald nach dem Symposium in Brixen die ersten Diskussionen im Verein hatten darüber, dass das eine Sportart ist, die ja unter Sportkriterien oder -gesichtspunkten entwickelt werden sollte. Das traf natürlich damals auf die vehemente Gegenwehr von denjenigen, die Bergsteigen als, ja, zumindest nicht als Sport, gesehen haben, sondern als eine intensive Tätigkeit, die mehr ist als nur die reine sportliche Leistung und deswegen nicht auf, wie sie damals sagten, auf sportliche Dinge herabgemindert werden dürfte.

GB: Wer waren denn so prominente Gegner dieser Orientierung zu Alpinsport als, ja, im Endeffekt dann heute auch olympischen Sport.

JK: Die Dimension Olympia war ja seinerzeit noch nicht erkennbar, aber es waren schon Sektionsvorsitzende der großen Sektionen, hier aus dem bayerischen Alpenraum oder auch aus München, die Skepsis hatten, und die teilweise auch offen dagegen argumentiert haben. Und dann wurde beispielsweise der damalige Generalsekretär des Deutschen Sportbundes – so hieß der Sportbund damals – zur Hauptversammlung eingeladen, und da ist er relativ ausgepfiffen worden. Ich war damals als Sektionsvertreter in der Hauptversammlung, das war eine etwas seltsame Erfahrung oder Situation, die sich da ergab. Das war, ich glaube ‘88, ’89, um die Zeit herum.

GB: Heute ist es natürlich noch extremer geworden, also die allgemeine Kritik an dieser Kommerzialisierung der Olympischen Spiele, auch am IOC-Vorsitzenden selber, ist vehement oft in allen Medien und in allen Bereichen. Das bringt auch den Deutschen Alpenverein natürlich in schwierige Konfliktsituationen.

JK: Ja, vor allen Dingen, wenn es darum geht, wie über die Ausrichtung von Olympischen Spielen diskutiert wird, oder ob es eine Bewerbung geben soll. Der Deutsche Alpenverein hat ja in einer Hauptversammlung die Bewerbung der Stadt München für die Winterspiele, die jetzt in Peking stattgefunden haben, die hätten dann auch in München stattfinden können oder sollen seinerzeit, massiv bekämpft. Ich glaube, die Mehrheit war ungefähr 75 Prozent der Stimmen in der Hauptversammlung, wenige Tage vor der Bürgerbefragung in München. Das hat dem Alpenverein seinerzeit sehr viel Kritik aus den Sportverbänden eingebracht, aber mittlerweile hat sich die Diskussion versachlicht und damit auch beruhigt. Ich glaube, andere Sportverbände haben auch Probleme damit, wenn es um den Gigantismus geht, der mit den Olympischen Spielen heutzutage praktiziert wird, und da sind wir nicht alleine im DOSB. So gesehen haben wir da Partner, Kooperationen und wir stützen ja den Leistungssport, entwickeln ihnen auch, und ich glaube, das ist auch etwas, was im Alpenverein Platz hat und berechtigt ist. Denn Breitensport generiert Spitzensport. Selbst wenn man das nicht fördern würde, gäbe es Talente, wie es sie früher auch gegeben hat, die extreme Routen geklettert sind, die Erstbegehung gemacht haben, ganz in früheren Zeiten – es hat immer schon Leistungsabstände gegeben und jetzt hat sich das eben darauf fokussiert, dass der Wettkampfsport in der Halle stattfindet, was absolut richtig ist, und nicht in der Natur. Und ja, damit die gesamte Bergsteiger-Klettersport-Bewegung insgesamt schlüssig ist.

GB: Du giltst ja selber als Befürworter dieses Leistungssportgedankens im DAV, hast du jetzt auch ungefragt im Prinzip schon vorgetragen. Trotzdem gibt es natürlich diese Gegenmeinungen, die sagen, der Alpenverein sollte sich eher auf dieses Thema Natursport konzentrieren, Alpen, Naturschutz und steckt sehr viel Energie und natürlich auch Mittel in diese Entwicklung der Leistungssportsparte mit Trainern, mit Ausbildungszentren, Wettkampfstätten und solchen Dingen. Der ÖAV hat sich ja für einen anderen Weg entschlossen, der hat ja im Prinzip diese Leistungssport-Abteilung ausgegliedert aus dem Hauptverein.

Klettern an einer Außenanlage, Foto: DAV/Frank Kretschmann

JK: Ja, man muss das, glaube ich – wie soll ich sagen – in bestimmte Bereiche unterteilen. Wenn man den Breitensport sieht, den die Sektionen betreiben, mit ihren Kletterhallen betreiben, dann gibt es von den Sektionen, die eine Halle betreiben, nicht eine, die sagt, sie hätten eine falsche Entscheidung getroffen, indem sie die Halle gebaut haben, weil sie sehen, dass dort eben sehr viel Sektionsleben auch stattfindet. Da trifft sich die Jugend, da treffen sich auch die Älteren bis ganz Alten, auch im Winter oder um nach Feierabend zu klettern, weil das eine Bewegung ist, eine Sportart ist, die der Mensch von Kind auf irgendwo erfahren hat und sich dafür begeistern kann. Da gehört ein breites Ausbildungsprogramm dazu, da beteiligt sich der Bundesverband mit den Fachübungsleitern, Ausbildungen, Fortbildungen dafür, das ist der große Bereich. Wenn man dann den Bereich Wettkampfsport sieht, der sich ja, was die Bundesebene betrifft, inklusive des Expeditionsbergsteigens, das wir auch mit da reinbringen, inklusive der Skiwettkämpfe – dann sind das, ich kann die genaue Zahl nicht sagen, zwischen drei und vier Prozent der Haushaltsmittel, die wir insgesamt jedes Jahr für die unterschiedlichsten Dinge investieren, die in diesen Bereich hinein gehen. Das halte ich für absolut vertretbar, weil der Bereich Hütten und Wege das Zehnfache beispielsweise bekommt, Ausbildung auch in einer ähnlichen Größenordnung. Ich glaube, wir haben da einen sehr guten Mittelweg gefunden, der einerseits vorzeigbaren Spitzensport bietet und auf der anderen Seite aber den Breitensport absolut im Vordergrund hat.

GB: Bei so einem vielschichtigen und dynamischen Thema haben wir völlig vergessen, erstmal die Aussicht zu würdigen, wegen der wir ja in die Berge gehen. Josef Klenner, hier auf dem vorderen Hörnle, also eine Erstbesteigung für dich.

JK: Ja, ich war noch nie hier vorher.

GB: Deswegen ist die Frage jetzt natürlich schon ein bisschen gemein: Welche Gipfel kennst du? Wir schauen nach Süden.

JK: Ja, die Zugspitze ist unverwechselbar. Aber sonst? Von dem von dem Vorgebirge sind mir nur wenig Gipfel bekannt, weil ich bei meinen Bergtouren eigentlich immer am Hauptkamm oder in Tirol und in der Schweiz unterwegs gewesen bin – also hier quasi durchgerauscht bin.

Das Ehrenamt ist das Entscheidende im DAV

GB: Mit so Kleckerles-Zeug wie den bayerischen Alpen hier hast du dich nie abgegeben.

JK: Das hat damit nichts zu tun. Aber was reizt beim Bergsteigen? Das sind doch immer die besonderen Dinge.

GB: Was war denn, ja, die vielleicht ergreifendste Tour, oder das, was dir auch in Erinnerung als erstes einfällt – “Mensch, also da war so ein gewisser Höhepunkt erreicht für mich”?

JK: Ich bin einige Jahre mit einem Bekannten in Zweier-Seilschaft oft Klettern gegangen. Wir haben mal Pordoispitze Westwand eine Tour gemacht. Das war eine sagenhaft schöne Tour und das war eigentlich klettertechnisch war die Schwierigkeit vierter, leichter fünfter, also was ich gut bewältigen konnte, und sehr lang, weil von hinten weg bis oben hin über 1000 Höhenmeter. Was man unterwegs dort gesehen hat – da muss man hinter einem Pfeiler durch, da habe ich gedacht, da passe ich nie durch, weil der Helm klemmte, aber im Endeffekt haben wir es doch geschafft, weil man musste hinter dem Pfeiler durch und nicht außen herum. Das war eine sehr einprägsame Tour, ja, das hat sehr viel Spaß gemacht, sehr schön.

GB: Die Dolomiten sind das Lieblingsgebiet, oder?

JK: Nicht unbedingt, ich bin auch genauso gerne auf den Viertausendern in der Schweiz unterwegs gewesen, oder auch im Tauern-Hauptkamm. Ich hab eigentlich immer versucht, in neue Berggruppen zu gehen, um die auch kennenzulernen. Ich bin zwei, drei mal im Zillertal unterwegs gewesen, in den Stubaiern, aber an und für sich, immer wieder in andere Gebiete, weil mich das einfach gereizt hat.

GB: Und typischerweise dann immer so für eine Woche, oder? Die Tagestouren bieten sich ja aus Beckum nicht an.

JK: Das war eine Woche bis zwei Wochen, je nachdem, was wir so auch beruflich an Zeiten neben dem Familienurlaub, der ja auch sein musste, und der ganz wichtig ist. Man kann ja nicht sein eigenes Hobby zulasten der Familie übertreiben. War es meist eine Woche oder 10 Tage, die ich dann unterwegs war, einmal oder zweimal im Jahr.

GB: Was hat denn die Familie gesagt, als du nach 12 Jahren und einer kurzen Zwischenzeit 2010 wieder Präsident des DAV werden wolltest?

JK: Ja, gute Frage. Sie hat nicht “Hurra” geschrieben, aber sie haben mich auch nicht davon abhalten wollen. Sondern meine Frau hat gesagt, wenn ich mir das zutrauen würde und ich das für richtig empfinden würde, würde sie das mittragen – was ich ihr immer noch sehr hoch anrechne.

GB: Wir haben vorhin drüber gesprochen, berufstätig in der Industrie, viel im Ausland – wie viel muss man reinstecken, um DAV-Präsident zu sein und das Amt auch wirklich erfüllen zu können?

JK: Das ist mittlerweile sehr viel, wir sprechen schon darüber, dass ich, ich würde mal sagen 50–60 Tage reinstecke, in denen ich unterwegs bin oder komplett zu Hause für den Alpenverein arbeite. Mein erster Gang morgens ist eigentlich der in mein Büro zu Hause, um die E-Mails mir anzuschauen, die zwischenzeitlich gekommen sind, da gibt es nur wenige Tage, wo nichts gekommen ist. Also es ist schon sehr anspruchsvoll und das haben meine Präsidiums-Kollegen im Prinzip auch. Gut, der Präsident etwas mehr, weil er ja auch mehr allgemeine und Repräsentationspflichten hat, aber wir haben eine sehr gute Arbeitsteilung im Präsidium, die funktioniert perfekt und nur so ist das leistbar.

GB: Es gibt keinerlei Aufwandsentschädigung?

JK: Nein, wir bekommen unsere Auslagen erstattet: Wenn ich irgendwo hinfahre, bekomme ich die Reisekosten, Übernachtungskosten erstattet, Bewirtungskosten auch. Aber das ist vollkommen ehrenamtlich, ja.

GB: Das Ehrenamt wird immer noch im Deutschen Alpenverein sehr hochgehalten.

JK: Ja, das ist das ganz Entscheidende. Vor allen Dingen, wenn wir an die Sektionsebene denken, denn wenn man Gehälter oder Aufwände, pauschale Aufwände, zahlen sollte, dann bekommt man auch ein ganz anderes Umfeld. Dann weiß ich nicht, ob das wirklich im Sinne der Sache ist und mit der Identifikation, um die es hier auch geht, mit den Dingen, die wir tun und leisten wollen, dann noch alles so stimmt. Im Regelfall ja, aber es wird auch Situationen geben, wo es Probleme geben wird.

GB: Was kann ich tun, um diese Tradition lebendig zu halten, aufrecht zu erhalten?

JK: Wir werden uns sowohl auf Sektionsebene als auch Landes-, Bundesebene noch was die Arbeitsaufteilung betrifft, unterhalten müssen. Vielleicht muss man mehr auf die hauptberufliche Ebene verlagern, das heißt nicht die entscheidenden Dinge, aber die administrativen Dinge mehr auf die hauptberufliche, auch bei Sektionen mit Teilzeitkräften, bei kleineren, bei uns in der Sektion auch jetzt mit einer Teilzeitkraft – ganz einfach, um den Vorstand von den Routinedingen zu entlasten und dann bleibt genügend Platz für Ehrenamt, für verantwortungsvolles Ehrenamt. Da müssen wir nachjustieren, das steht in nächster Zeit an.

GB: Ja, das betrifft jetzt vor allem eben die Vorstandsebene in den Sektionen selber, also auch das sind ja ganz einmalig schöne Prinzipien, dass erfahrene Bergsteigerinnen und Bergsteiger, oder Mountainbikerinnen, oder egal, auch Kajakfahrerinnen und -fahrer, ihr Wissen, ihre Kenntnisse weitergeben. Sie haben einen Trainerschein und verlangen eigentlich nix dafür, also diese Möglichkeit, also wirklich Knowhow für besondere Sportaktivitäten zu lernen, auf Selbstkostenpreis praktisch, das ist ja auch eine ganz große Stärke des Deutschen Alpenvereins. Auch der Naturschutz natürlich, der ja komplett ehrenamtlich stattfindet.

JK: Ja, das sieht man vor Ort in den Sektionen sehr schön. Dort finden sich interessanterweise immer wieder junge Leute, die sich für bestimmte Themen, für bestimmte Aktivitäten engagieren, vielleicht nicht mehr so mit dem Blick auf unbegrenzte Zeit, sondern eher projektmäßig, sag ich mal überschaubar ein Jahr, zwei, drei, vier, fünf Jahre, vielleicht auch, aber nicht 20 Jahre Erster Vorsitzender in der Sektion oder Hüttenwart der Sektion zu sein. Wenn man das bieten kann, ich glaub dann gibt es genügend Interessenten – natürlich muss man dafür werben – aber mit den Unterstützungsmaßnahmen, die die Sektionen haben, kostenlose Ausbildung oder fast kostenlos, Einsatz vor Ort, also im nahen Wohnumfeld und so weiter und so fort – das sind Dinge, die sind nach wie vor da und vorhanden, und die sind auch erfolgreich.

GB: Hütten, die jedermann im Alpenverein gehören. Jeder kann auf diese Alpenvereinshütten gehen. Es gibt einen AV-Schlüssel, den sich jedes Mitglied ausleihen kann. Das sind ja echte soziale Errungenschaften, kann man schon sagen.

JK: Gut, das ist für den Winter gedacht – für die Skitourengeher, die auf den Hütten übernachten wollen – das ist etwas, was andere nicht bieten können, das stimmt, und das nutzen auch viele.

GB: Auf die Hütten kommen wir natürlich auch noch zu sprechen, aber jetzt gibt es natürlich einen kurzen Blick nochmal auf die Gipfel. Wir sehen das Zugspitzmassiv, das von hier aus ziemlich genau im Süden, also ganz breit da liegt, rechts von der Zugspitze ist ein etwas zersägter Kamm mit einem breiteren Gipfel, der in der Mitte so einen kleinen Höcker hat, das ist der Grünstein in den Mieminger Bergen.

JK: Mieminger hätt ich jetzt auch gesagt, ja, ohne dass ich den Gipfel hätte bezeichnen können. Aber von der Lage, weil in der Gegend bin ich mit der Jugendgruppe gewesen, seinerzeit, von der ich vorhin gesprochen habe.

GB: Wir sehen im Prinzip den Jubiläumsgrat fast komplett, also vom Zugspitzgipfel zieht er links rüber, der Hochblassen ist gut erkennbar und dann so als kleine schwarze Pyramide die Alpspitze. Dann würde das Mittenwalder Becken da liegen und das Karwendel aber da steht uns tatsächlich das Mittlere Hörnle im Weg.

JK: Ja, das ist ein wunderbares Panorama von hier, obwohl die Wolken im Hintergrund jetzt doch einige Berge mittlerweile verdecken.

GB: Dann läuft es weiter Richtung Ostallgäu und dann sieht man schon so ein bisschen was von den Allgäuer Bergen. Recht auffällig wegen seiner zerfurchten Gipfelgestalt ist der Aggenstein. Ja, also für so einen 1500 Meter Gupf –

JK: – ist das ein wunderbarer Panorama-Blick von hier. Hier kann man länger rasten, nicht nur für ein paar Minuten.

GB: Wie ist zu einer Bergwanderung gehört, sind wir jetzt eingekehrt. Wir sitzen wunderschön auf der Terrasse der Hörnle Hütte. Die gehört der DAV-Sektion Starnberg, 1390 Meter hoch. Es ist jetzt keine der ganz großen Alpenvereinshütten, aber ein beliebtes Ziel. Also es sind schon ein paar Dutzend Besucher da heute, die das genießen. Du auch?

JK: Ja, selbst nach einer kleinen Wanderung – von Tour will ich gar nicht reden heute – ist es immer gut, wenn man hinterher irgendwo einkehren kann, ein kühles Getränk bekommt und ja, es sich ein bisschen gut gehen lassen kann.

GB: Circa 320 Hütten hat der Deutsche Alpenverein. Das ist natürlich, kann man jetzt schon sagen, das größte Pfund, entstanden in dieser Geschichte des Alpenvereins, als es darum ging, die Alpen zu erschließen für Wandernde, Bergsteigende, dass die eine Unterkunft hatten, zunächst vor allem eben in denen Gebirgsgruppen, wo man unbedingt eine Übernachtung brauchte, oder?

Einkehren in der Hörnlehütte. Foto: Adobe Stock/Ernst August

Spartanisch oder luxuriös - die unterschiedlichen Anforderungen der DAV-Mitglieder

JK: Ja, das war der ursprüngliche Charakter, einen Schutz zu bekommen, also eine Schutzhütte, für die, die damals zuerst in die Berge gingen. Deswegen wurde auch gleich mit dem Beginn des Bergsteigens mit dem Hüttenbau begonnen, also das lag dicht beieinander, rein zeitlich gesehen.

GB: Und auch das hat sich entwickelt, und auch hier gibt es immer wieder Diskussionen. Das eine ist: “wie finanzieren wir es?”, das andere ist: “werden die Hütten zu komfortabel?”, also Stichwort Duschen auf Hütten. Was macht der Präsident Einkehren in der Hörnlehütte – duscht er, oder duscht er nicht?

JK: Manchmal duscht er, nicht immer. Es ist eine Frage, die in Zukunft, glaube ich, noch mehr an Bedeutung bekommen wird, denn wenn wir heute sehen, wie es mit der Wasserversorgung um die Hütten bestellt ist – es gibt immer mehr Hütten, die nicht mehr genügend Wasser zur Verfügung haben. Und dann stellt sich natürlich die Frage einer Dusche erst recht. Neben dem Komfort-Gedanken dann auch der Versorgungs-Gedanke, und ich glaube, wir werden Hütten bekommen, die ihre Duschen demnächst absperren werden, weil es nicht mehr tragbar ist.

GB: Nächstes Jahr, 2023, gibt's den runden Geburtstag einer in der Alpenvereinsgeschichte auch recht wichtigen Programmschrift, kann man sagen, das sind die Tölzer Richtlinien. In Bad Tölz war damals die Hauptversammlung, deswegen heißen sie so, und da geht es unter anderem eben darum, dass Hütten nicht Berghotels werden sollen, sondern “Wolldecken statt Federbetten” – das ist nochmal so ein schönes Stichwort.

JK: Ja, die haben die damalige Diskussion in ähnlicher Weise geführt wie heute auch. Der Hintergrund war etwas anders, aber im Endeffekt stellt sich immer wieder die Frage: “wieviel braucht der normale Bergsteiger an Unterkunft, an Verpflegung, an Service auf den Hütten, und wieviel ist Luxus”? Und in einigen Fällen hat der Luxus überhandgenommen, es gibt solche Hütten. Aber im Großen und Ganzen, glaube ich, vor allen Dingen bei den Hütten, die nicht so stark frequentiert sind, ist der bergsteigerische Gedanke, die Unterkunft für den Bergsteiger, immer noch im Vordergrund.

GB: Damals auch schon diskutiert wurde die Magnetwirkung von Hütten – je komfortabler sie dann auch sind – die dann immer mehr Leute in die Berge locken, sozusagen. Einer der großen Impresarios der technischen Skiorte in Tirol, in Lech am Arlberg, der bezeichnet immer den Deutschen und Österreichischen Alpenverein als den größten Hotelbetrieb Tirols, um diesen Punkt so etwas pointiert auf die Spitze zu bringen. Hat der Alpenverein hier eine für die Landschaft, für die Natur, negative Rolle also, dass er so viele Anziehungspunkte schafft, die noch mehr und noch mehr Menschen in die Berge locken, sodass die Natur Schaden nimmt?

JK: Es gibt örtlich begrenzte Bereiche, wo wir uns in Grenzsituationen befinden, was den Besucherandrang betrifft, und wo weniger Besucher mehr wäre. Aber im Großen und Ganzen bin ich nicht davon überzeugt, denn wir haben durch die Hütten das Übernachtungsangebot in den letzten Jahrzehnten nicht mehr erhöht. Wir haben Grundsatzbeschlüsse von der Hauptversammlung, wo drinsteht, dass der Alpenverein die Alpen als erschlossen betrachtet und auch keine Hüttenerweiterungen stattfinden dürfen – die gelten heute noch und danach richten wir uns auch. So gesehen ist das Übernachtungsangebot nicht größer geworden. Was die Tagesgäste betrifft, hat sich natürlich einiges geändert und gerade nochmal durch die Pandemie, da gibt es Hütten und Standorte, die sind einfach überlaufen und da habe ich im Moment auch noch keine Patentlösung, wie man damit umgehen kann.

GB: Was geschieht denn im Alpenverein in punkto dieser Diskussion um Tragfähigkeit von Natur oder von bestimmten, alpinen Gebieten oder Belastungsgrenzen? Das ist ja auch jetzt hier vor den Toren Münchens natürlich sehr kritisch geworden in den vergangenen zwei Jahren mit sogar Demos auf den Straßen vor Ort. Was tut der Alpenverein?

JK: Wir versuchen, unsere Angebote an die Bergsteiger zu richten, weniger an sag mal den reinen Tagestouristen. Das ist natürlich schwierig umzusetzen, weil eben die große Masse, die auch als Tagestouristen kommt, eben nicht Mitglied im Alpenverein sind. Wir versuchen, unseren Leuten zu sagen, dass sie möglichst in Fahrgemeinschaften unterwegs sein sollen, Parkplatzprobleme dadurch vermindert werden können oder besser gelöst werden können, dass dadurch auch die Umwelt weniger belastet wird. Dass man eher auf den Tagesausflug verzichtet, Mehrtagestouren oder -ausflüge unternimmt, was unter der Woche dann auch für mehr Auslastung oder auch mehr Entzerrung sorgt und eben natürlich auch die Umwelt schont im Endeffekt.

"Wir können nur appellieren, an Vernunft, an Rücksichtnahme"

Bedienung: Hüttennudeln mit Speck?

GB: Wunderbar, vielen Dank! Jetzt sind wir charmant unterbrochen worden. Guten Appetit!

JK: Danke, gleichfalls!

GB: Josef Klenner und ich, wir haben uns jetzt bei Hüttennudeln etwas gestärkt und können jetzt noch mal so ein heikles Thema angehen. Du hast erzählt, als du 1992 zum ersten Mal – damals hieß es noch Erster Vorsitzender des Deutschen Alpenvereins – wurdest: Circa 400.000 Mitglieder, heute 1,4 Millionen Mitglieder – mehr Mitglieder, viel mehr Sportarten, viel mehr Bewegung im Alpinen Raum – der Alpenverein muss alles irgendwie unter einen Hut bringen. Da darf man niemandem wehtun. Also es gab immer wieder diese markige Kritik des Alpen-ADAC, einer Lobby für Bergsport, Hauptsache möglichst viele sind dabei und alle bewegen sich da draußen.

JK: Ja, das war eine Diskussion, die war wirklich unerfreulich, weil das immer als Totschlagargument in die Diskussion irgendwann eingebracht wurde, wenn es mal etwas kritisch wurde oder wenn man etwas tiefer hätte hinterfragen sollen. Ich glaube, der Alpenverein ist nicht konturlos und er ist auch nicht kritiklos, was seine eigenen Aktivitäten betrifft, denn wir haben durchaus im Laufe der Jahre an verschiedenen Stellen nachsteuern müssen oder teilweise Dinge auch vollkommen anders lenken müssen. Wenn wir an die die Erschließung der Alpen denken: Wir haben in den 80er Jahren, dann noch in den 90er Jahren, Beschlüsse gefasst, wonach Hüttenkapazitäten nicht erweitert werden sollten, wo keine neuen Hüttenstandorte gebaut werden sollen, wo das Wegenetz als abgeschlossen betrachtet wurde. Das waren so die ersten Entscheidungen, wo wir gesagt haben: “Wir haben genug! Darüber hinaus soll man nicht gehen”. Dann ist es natürlich auch mit der Erschließung von Skigebieten so, dass es in den letzten Jahren immer kritischer und differenzierter gesehen wurde. Wir sind nicht grundsätzlich gegen Skigebiete oder Erneuerung von Liftanlagen in bestehenden Gebieten, aber dieses immer mehr und immer rücksichtsloser in Bereiche rein, wo, in Anführungszeichen, die unverfügten Geländekammern waren – das sind Dinge, die wir nicht tolerieren und gegen die wir nach wie vor intensiv argumentieren werden.

GB: Die E-Bikes, die E-Mountainbikes genau gesagt, sind noch so ein heikles Thema.

JK: Ja, das ist ein sehr kontroverses Thema. Auch, weil so lange maßvoll mit solchen Dingen umgegangen wird, damit meine ich jetzt ältere Personen, Personen mit körperlichen Einschränkungen, beispielsweise, um auf normalen Wegen im Gebirge unterwegs zu sein – dann ist das für mich absolut, oder für den DAV, absolut in Ordnung. Wenn das aber dazu benutzt wird, mit immer stärkeren Elektromotoren, stärkeren Akkus, immer weiter, schneller rauf in die Höhen zu kommen, auf reinen Wanderwegen, dann tun sich da Grenzen auf – denn es kann nicht dahin gehen, dass der Wanderer dann verdrängt wird von solchen Wegen.

GB: Wie definierst du solche Grenzen? Also wie regulierst du das?

JK: Das ist in Deutschland ganz schwierig zu regulieren, weil jedes Bundesland seine eigenen Regeln hat mittlerweile, was die Benutzung von Wegen betrifft, durch Fahrräder ganz allgemein, auch die ohne elektrischen Antrieb. Die Zwei-Meter-Regel in Baden-Württemberg halte ich für vollkommen fehl am Platze, weil dann sind es eigentlich nur Forststraßen, die befahren werden dürfen, aber es gibt darüber hinaus andere Wege, die durchaus den Raum und den Platz bieten würden für Wanderer und Radfahrer. Also wir können nur appellieren, an Vernunft, an Rücksichtnahme – vielmehr bleibt uns glaube ich nicht.

GB: Ja, lässt einen dann aber auch ein bisschen ratlos zurück.

JK: Ja, das ist nicht befriedigend. Ich bin damit nicht zufrieden, aber es gibt dann immer wieder auch Diskussionsbeiträge, die wir auch in den eigenen Gesprächsrunden hören. Die sagen, ja, wir müssen da rigoroser einschreiten, wir müssen dann Wege sperren – da fehlt mir dann das Verständnis dafür. Welche Kriterien sind es, die wir anwenden wollen? Die müssen ja nachvollziehbar für alle sein, müssen auch anwendbar sein, nicht nur an einem Ort, sondern im gesamten Bayerischen Alpenraum. Wir haben das Mittel noch nicht und es zeigt sich mir auch nicht ad hoc.

GB: Man könnte ja auch so sagen, man muss der Nachfolgerin oder dem Nachfolger ordentliche Aufgaben hinterlassen, oder?

JK: So gesehen könnte man das delegieren, an den Nachfolger oder die Nachfolgerin. Nein, wir sind mittendrin in der Diskussion, haben drei Jahre, vier Jahre intensivste, auch interne Diskussionen geführt, die teilweise schon sehr emotional waren und haben da ein Grundsatzpapier verabschiedet zum Verhalten, zur Rücksichtnahme, und das ist die Basis, auf der wir im Moment arbeiten.

Foto: DAV/Chris Pfanzelt

GB: Noch eine Entwicklung in diesen Jahrzehnten, die sich gerade in diesem Hitzesommer dramatisch beschleunigt hat: der Klimawandel. Gerade wir, die in den Bergen unterwegs sind, sehen ihn natürlich buchstäblich immer vor unseren Augen, wenn wir im Hochgebirge zumindest unterwegs sind.

JK: Ja, das ist unübersehbar und wenn man mal ins Hochgebirge kommt und die Augen wirklich aufmacht und mal einen Moment innehält und zuschaut, was sich alles verändert hat und was so momentan um einen herum dann passiert, dann muss einem teilweise schon Angst werden. Denn wenn man in 3000 Meter Höhe morgens um 7 oder 8 Uhr schon die Steine poltern hört, die den Gletscher runter oder aus der Wand auf den Gletscher runter poltern; die Gipfel, die früher Firnanstiege waren und man jetzt über Block und Schutt geht –

In den Alpen macht sich der Klimawandel besonders stark bemerkbar. Foto: DAV/Marco Kost

GB: Du redest wovon?

JK: Beispielsweise Zuckerhütl, Ötztaler Alpen. Und wenn man dann die Seilbahnen daneben ansieht für die Skigebiete, dann graut es mir. Da werden, wie soll ich sagen, mit meinen Augen stümperhafte Versuche gemacht, die Stützen der Seilbahn mit Folien im Umkreis von 50 Metern abzudecken, damit dort der Permafrost erhalten bleibt. Das sind Dinge, ich glaube, die lassen sich nicht aufhalten. Und das führt uns aber auch zu der Überlegung, dass wir für uns selbst nachdenken müssen, denn wenn wir sehen, dass im Alpenraum die ersten Hüttenstandorte gefährdet sind wegen des fehlenden Permafrosts – eine Hütte ist schon seit drei Jahren geschlossen, weil das Fundament instabil ist, das Hochwildehaus – das wird mehr vorkommen, und ich habe vor ein paar Tagen mit dem Präsident vom Schweizer Alpen Club telefoniert, der mir auch von zwei Hütten berichtete, die sie jetzt stillgelegt haben, aus den gleichen Gründen heraus. Also auch in den großen Höhen in den Schweizer Alpen ist das ein Thema, was immer gegenwärtiger wird. Natürlich auch die Wege, die durch Steinschlag gefährdet sind, oder Gletscherquerungen, die nicht mehr möglich sind. Wie jetzt – wird eine Hängebrücke gebaut am Taschachferner – ich halte das für fragwürdig, weil wenn wir jedes Mal, wenn wir jetzt Gletscherrückgang haben, Hängebrücken bauen wollen, dann haben wir demnächst überall Hängebrücken im Alpenraum. Ich glaube, das ist etwas, was mit den ethischen Grundsätzen des Deutschen Alpenvereins nicht vereinbar ist.

GB: Klimawandel, Klimaschutz das war auch, man kann sagen, das letzte ganz große Thema, das dich als Präsident umgetrieben hat.

JK: Ja. Der Klimaschutz wurde viel zu lange in unserer Gesellschaft kaum wahrgenommen, oder man hat es einfach verdrängt, weil es zu unbequem war, zu persönlichen Beeinträchtigungen führen würde usw. Wir haben das im DAV jetzt, beginnend mit dem Jubiläum 2019, konsequent vorangetrieben, mit den Beschlüssen, auch mit den internen Umlagen, mit den Projekten, die wir jetzt haben – da sind wir schon sehr weit, obwohl die eigentlichen Herausforderungen jetzt in der Umsetzung der Beschlüsse liegen. Denn da geht es an die Detailarbeit und da stellen wir fest, dass der Aufwand an Personen, die sich damit befassen, die sich hauptberuflich oder ehrenamtlich dort einbringen, wirklich sehr groß ist – größer, als wir uns das glaube ich vorher gedacht haben.

GB: Könnte der Alpenverein da nicht noch mehr auf einzelne Initiativen in einzelnen Sektionen setzen? Es gab schon als der Alpenverein zum ersten Mal einen Klimabeauftragten hatte, finanziert durch das bayerische Umweltministerium, 2014 war das ungefähr, so eine Best-Practice-Sammlung. Also könnte man da nicht noch Schwung reinbringen? Wie ist der Schwung überhaupt? Wie gut ziehen denn die 1,4 Millionen Mitglieder mit bei der Bemühung?

JK: Es könnte besser sein, um es ganz deutlich zu sagen. Aber ich glaube, so ungewöhnlich ist es nicht, dass nicht alle gleich auf den Zug aufspringen. Viele möchten erst mal sehen, was passiert. Das ist ja eine ganz normale Haltung, die jeder Mensch irgendwo mit sich bringt. Es gibt viele Sektionen, die jetzt intensiv angefangen haben, mit der Bilanzierung beispielsweise, die ja eine Grundlage ist, um solche konkreten Projekte dann aufzusetzen, damit man weiß, wo ist das Sparpotential?, wo kann ich CO2-Emissionen reduzieren? Das ist jetzt im Anlaufen, die ersten Sektionen haben bilanziert, die Ergebnisse liegen jetzt Ende des Sommers oder Ende des Jahres vor. Dann werden wir ab dem nächsten Jahr weitere Klimaprojekte haben, die wir aus der Umlage des Bundesverbandes mitfinanzieren. Wir werden eine Klimaschutzplattform auf der DAV Homepage haben, wo Sektionen genau ihre Beispiele, ihre Aktivitäten vorstellen und präsentieren sollen und können. Damit andere das sehen und davon lernen und profitieren können. Das setzt natürlich wieder voraus, dass wir, unsere IT, die entsprechenden Programmierarbeiten leistet, die Voraussetzungen dafür schafft. Das alles ist in Arbeit, ist in Gang, braucht seine Zeit von ein, zwei Jahren, aber das geht zügig und wie geplant voran.

Was den DAV – und Josef Klenner – in Zukunft beschäftigen wird.

Servicepersonal Hörnlebahn: Nur stehen bleiben auf den Platten. Auf, stehen bleiben. Aufsitzen. Links hinter schauen.

GB: Jetzt sind wir wieder in der Station dieses vorsintflutlichen Sessellifts.

Servicepersonal Hörnlebahn: 1953; und der Öffnung ‘54.

GB: Und da seid ihr schon stolz drauf?

Servicepersonal Hörnlebahn: Und Aufsitzen.

GB: Dankeschön. Jetzt in der Abfahrt natürlich ganz besonders schön, wie das Alpenvorland 180 Grad im Halbrund vor uns liegt, mit dem Peißenberg und der ältesten Wetterstation direkt vor uns, Ammersee, Starnberger See, hinten, München. Fein, oder?

JK: Super, ja! Ein Flachland-Panorama, wie man es kaum besser haben kann.

GB: Es gibt jetzt für Josef Klenner nicht mehr so viele Gelegenheiten in diese schöne Gegend zu kommen bald, oder?

JK: Doch, die Anzahl der Gelegenheiten wird sich nicht ändern. 90 Prozent meiner Aufenthalte in München beschränken sich auf das Stadtgebiet, weil dort die Geschäftsstelle ist und wir dort Dinge zu erledigen haben. Also ich sehe das eher positiv, weil ich werde mehr Gelegenheit haben, ins Gebirge zu fahren als bisher.

GB: Aber wie ist es? Es sind nicht ganz 25 Jahre, aber eine lange Zeit, oder?

JK: Es sind sogar ein bisschen mehr als 25 Jahre, weil damals waren die Jahreshauptversammlung im Juni. Jetzt sind sie im November. Ich habe jetzt von 1992 bis 2015 13 Jahre, 13,5 bis November war das, oder Ende Oktober, und jetzt sind es wieder von 2010 bis 2022 nochmal zwölf – also wenn man ganz genau zählt, komm ich knapp über 25,5 oder so etwas – aber das ist nicht das Entscheidende.

GB: Wie wird es werden auf der Hauptversammlung? Traurig?

JK: Mhm es wird schon ein bisschen emotional werden. Ich glaube, jeder, der mich kennt, der weiß, dass ich da nicht emotionslos da vorne stehen werde. Traurig nicht, weil es ist ein großer Abschnitt für mich persönlich, der damit zu Ende geht. Aber so ist das Leben nunmal, jede Zeit hat ihre besonderen Dinge, ja, ich bleibe dem Alpenverein verbunden, ich bin für den Alpenverein auch anschließend noch international unterwegs in UIAA und in der EUMA, beim CAA, vertrete ihn da, das ist.

GB: Club Arc Alpin ist CAA?

JK: Ja, und EUMA ist die European Mountaineering Association, wo der DAV die Geschäftsstellen beherbergt in München und wo wir uns intensiv bisher beteiligt haben – und da ist vorgesehen, dass ich das ein oder andere noch gelegentlich für den DAV tun werde.

GB: Und es hat sich gelohnt?

Das DAV-Präsidium im Sommer 2022. Foto: DAV/Tobias Hase

JK: Ja, es hat sich wirklich gelohnt. Ich habe unheimlich viel mit meinen Leuten erreicht und das möchte ich nochmal ganz besonders betonen: Der DAV-Präsident steht zwar da als Präsident, aber er alleine ist nicht in der Lage, oder sollte es auch gar nicht versuchen, den Verein zu lenken, zu dominieren. Weil das einfach unrealistisch ist und an der Sache vorbeigeht, das dient dann vielleicht seinem persönlichen Ego. Ich habe es immer als meine erste Aufgabe angesehen, für die Mannschaft da zu sein, mit der Mannschaft zusammen zu agieren, zu spielen, und das hat allen Beteiligten die Arbeit leicht gemacht, mir persönlich, dem Präsidenten, genauso wie den anderen Präsidiums-Mitgliedern, denn wenn man Teamplayer ist und jeder sich auf jeden verlassen kann, dann funktionieren die Dinge auf Zuruf. Da muss man nicht allzu viele Regularien oder Richtlinien oder Satzungen oder sonst was zu Rate ziehen, um Dinge voranzubringen.

GB: Fassen wir noch mal kurz zusammen: Die größten Erfolge, positiven Erlebnisse?

JK: Ja, es fing an mit dem Beitritt zum Deutschen Sportbund 1995. Ich glaube, das war eine, dort hat die die Sportkletter-Entwicklung im DAV noch einmal einen Anschub bekommen und man sieht heute, wie die Dinge sich entwickelt haben, wie die Sektionen davon profitieren, wie breit die Bewegung des Kletterns auch in der Halle geworden ist. Eine weitere große Errungenschaft ist die Anerkennung als Naturschutzverband nach Bundesnaturschutzgesetz 2005. Es gehört auch mit dazu, dass wir uns jetzt im Klima so stark engagieren. Das ist, glaub ich, auch eine ganz wichtige und positive Sache, die wir erreicht haben. Gut, es gibt auf dem Wege dahin immer noch verschiedene kleinere Sachen, wie die neue Bundesgeschäftsstelle, die jetzt da steht, so wie sie da steht, die unter Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten konzipiert worden ist, wo wir ja auch ein Beispiel geben für andere. Ein ganz wichtiges Thema ist die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte gewesen, das ist mir auch ein persönliches Anliegen, dass wir uns zu den Dingen bekennen und uns damit auseinandersetzen, was der Deutsche und Österreichische Alpenverein seinerzeit zum Antisemitismus beigetragen hat und wie aktiv er da gewesen ist. Das war wichtig, dass wir dieses Kapitel unserer Geschichte sehr stark analysiert haben und das auch bewertet und auch in der Öffentlichkeit dazu uns bekannt haben.

GB: Kommen wir zur Seite der Dinge, die vielleicht nicht gut gelaufen sind – wo bleibt was offen?

JK: Wir hätten im Naturschutz an der einen oder anderen Stelle mehr, glaube ich, erzielen können. Wenn wir noch intensiver uns damit auseinandergesetzt hätten und mehr insistiert hätten. Da war dann mal die Rede von Gerichtsverfahren, davon halte ich persönlich nicht viel. Ich glaube, die Lobbyarbeit ist auch in dem Bereich ganz entscheidend und da haben wir an der einen oder anderen Stelle was verpasst in der Vergangenheit. Es hat, ja, an der einen oder anderen Stelle auch mal Querelen gegeben im Verein mit Personen, die, ja, dann im Endeffekt sich auch nicht mehr beteiligt haben anschließend. Ich denke nicht an spezielle Dinge, dass auch in Hauptversammlungen Dinge gelaufen sind, gut, das war teilweise in den 80er Jahren, aber auch in den 90er Jahren, wo einfach die Gräben zu tief geworden sind. Wo man dann hinterher Jahre gebraucht hat, um das wieder ausräumen zu können. Da haben wir uns manchmal das Leben selbst ein bisschen schwer gemacht.

GB: Für die Zukunft? Was gibst du deiner Nachfolgerin, deinem Nachfolger, dem neuen Präsidium dann mit auf den Weg? Was dem Verein? Was glaubst du, was ist wichtig für die Zukunft?

JK: Wichtig ist, dass wir im Bergsteigen weitermachen – mit allen Dingen, die dazu gehören, vor allem auch Bergsteigen in der Natur draußen, nicht nur in der Halle. Das ist unser Kern, da kommen wir her, und das müssen wir intensiv weiter pflegen. Beim Thema Hütten und Wege sehe ich das ähnlich, obwohl ich dort die Befürchtung habe, dass wir aufgrund der Klimaschäden, die wir jetzt schon haben, Standorte aufgeben müssen zukünftig. Ich sehe das auch für gewisse, ich sag jetzt mal Berge, unter Umständen, dass die Begehbarkeit auf den normalen Wegen nicht mehr möglich sein wird. Und ich bin nicht der Meinung, dass man alles mit technischen Mitteln dann irgendwie einebnen oder befestigen muss, damit das erhalten bleibt. Dann muss man eher schauen, ob man andere Zugänge findet, die naturschonend sind, also jetzt nicht in Beton gebaut – oder eben durch Verzicht und sagt die Ostwand des Berges XY, die ist tabu. Da gehen wir nicht mehr, weil der Klimawandel so stark ist, dass dort niemand mehr unter normalen Bedingungen und unter einigermaßen akzeptablen Gefahren bergsteigen kann.

GB: Dieses Thema, dass neue Wildnis entstehen könnte, neues Ödland – wie das früher mal hieß, Ödlanddebatte – während wir hier über eine Schafherde mit bimmelnden Schellen drübergefahren sind. Schäfchen, Wölkchen am Himmel, also ein geradezu alpin-idyllisches Szenario für dieses Gespräch heute. Vielen Dank, Josef Klenner, viel Glück in den Bergen und auch überhaupt in der Zukunft – dass noch lang was geht, notfalls auch mal mit so einem alten Sessellift.

JK: Ich glaube, wenn man seine Ansprüche an seinen Möglichkeiten orientiert, dann geht noch einiges und ich fühle mich körperlich und mental total fit. Die nächsten Jahre, glaube ich, werden noch sehr schön werden und etwas weniger stressig, aber mit mehr Genuss, nehme ich an. Ich bin da sehr positiv gestimmt. Danke für das Gespräch!

Stehen bleiben, nicht zur Seite weggehen.

Servicepersonal Hörnlebahn: Wir brauchen auf der Platte nur stehenbleiben, jetzt stehen wir auf und stehenbleiben. Nach links gehts da bitte, sehr gut. Pfia Gott! Servus.

Angela Kreß: Mit einem Ausblick in die Zukunft endet der Rückblick auf 25 Jahre Präsidentschaft, in denen im Verein so einiges passiert ist. Wer noch tiefer in die Geschichte eintauchen will, kann beim Bergpodcast in die Vergangenheit schweifen: In drei Episoden haben wir die Geschichte des DAV zum 150-jährigen Jubiläum aufbereitet. Hört doch mal rein in die Folgen 18 bis 20.

Und wie geht es jetzt beim DAV weiter? Am kommenden Wochenende auf der Hauptversammlung wird ein neuer Präsident oder eine neue Präsidentin gewählt. Alle Infos zur neuen Person an der Spitze des DAV gibt es dann im Anschluss auf alpenverein.de.

Und hier beim Bergpodcast begleiten wir in der nächsten Folge die Jury des Umweltgütesiegels bei ihrer Prüfung auf der Greizer Hütte. Wir freuen uns, wenn ihr dann wieder mit dabei seid! Bis dahin, Tschüss und auf Wiederhören!

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