Spaltenbergungsübung am Gletscher
Für eine reibungslos ablaufende Spaltenbergung hilft nur eines: regelmäßiges Üben. Foto: DAV/Silvan Metz
Spaltenbergung leicht gemacht

Raus aus dem Loch

Stürzt ein Seilschaftsmitglied in eine Gletscherspalte, kann das schnell zu lebensgefährlichen Situationen führen – im schlimmsten Fall ist die ganze Seilschaft gefährdet. Neben dem Vermeiden von Spaltenstürzen ist das sichere Beherrschen der Kamerad*innenrettung unerlässliches Handwerkszeug auf Hochtour. Moderne Hilfsmittel machen das Ganze deutlich leichter.

In Folge ist der Ablauf einer Spaltenbergung mittels loser Rolle in der Dreierseilschaft von Anton (Erster in der Seilschaft), Beate (Zweite) & Chris (Dritter) skizziert. Fällt Anton in eine Spalte, müssen Beate und Chris den Sturz halten – dank angemessen großer Seilschaftsabstände (ca. 10 Meter bei Dreierseilschaft), Bremsknoten, diszipliniertem Gehen (kein Schlappseil) und der richtigen Taktik (der schwere Anton geht im Aufstieg voran, im Abstieg hinten) gelingt das Beate und Chris problemlos. Die beiden stemmen sich mit den Füßen gegen den Zug, drücken die Fersen in den Schnee und können den Sturz ihres Kameraden schnell stoppen.

Direkt zur Selbstrettung.

Als Fixpunkt dient der T-Anker

Nun muss möglichst schnell die Last auf einen Fixpunkt übertragen werden. Diese Aufgabe hat Beate, die der Spalte am nächsten ist. Bei geringer Schneeauflage kann sie das Gletschereis freilegen und eine Eisschraube setzen, in der Regel ist jedoch das Graben eines T-Ankers nötig. Um dazu genügend Bewegungsspielraum zu haben, legt Beate eine lange Reepschnur mittels Prusik um das belastete Seil, knotet diese knapp hinter dem Prusikknoten ab, fädelt einen der beiden Stränge durch die Anseilschlaufe des Gurtes und verknotet die beiden Enden mit doppeltem Sackstich. Beate ist somit zusätzlich zu ihrem Anseilknoten mit der Prusik am Seil selbstgesichert. Sie nimmt Kontakt zu Chris auf und klärt, ob er Anton auch allein halten kann, damit sie sich aus der Anseilschlaufe aushängen kann. Sie hat nun deutlich mehr Spielraum zum Graben und ist durch die Prusik weiterhin mit dem Seil verbunden. Sollte Chris Anton nicht mehr allein halten können, kann Beate jederzeit Last übernehmen.

Nach dem Spaltensturz übernimmt Chris die Hauptlast, während Beate einen T-Anker als Fixpunkt vorbereitet. Illustration: Georg Sojer

Beate gräbt die beiden T-Anker-Schächte im Winkel von 90 Grad zueinander in den Firn, positioniert ihren Pickel mit langer Bandschlinge im Querschacht. Dann führt sie die Bandschlinge entlang des Längsschachts in möglichst flachem Winkel nach vorne und füllt beide Schächte mit Schnee. Wichtig: Das gezielte Verdichten des Schnees unterhalb des Ankers ist absolut sinnvoll und bei weichem oder durchfeuchtetem Schnee sogar nötig. Den fertigen T-Anker verbindet Beate mittels Verschlusskarabiner mit dem kurz abgeknoteten Teil ihrer Prusik und schiebt diese anschließend möglichst weit nach vorne. Beate stellt sich auf den T-Anker und gibt Kommando an Chris, die Last langsam auf den Anker zu übertragen. Hält der Anker, geht Chris noch zwei weitere Schritte nach vorne, so dass Beate ihren ursprünglichen Anseilknoten in den Verschlusskarabiner des Ankers einhängen kann.

Der Aufbau des Flaschenzugs

Nun wird Chris aktiv. Während Beate den T-Anker gegraben hat, hat er bereits das verstaute Restseil aus dem Rucksack geholt, die Seilpuppe aufgelöst und seine lange Prusik um das Lastseil gelegt und mit seinem Anseilpunkt (max. armlang) verbunden. Sobald Antons Gewicht komplett auf den T-Anker übergeben ist, hängt sich Chris aus seinem Anseilknoten aus und löst diesen auf (!). Nun kann er mit Prusik gesichert am Seil in Richtung Spalten gehen: Dabei schiebt Chris die Prusik vor sich her, solange er zum T-Anker geht, vorhandene Bremsknoten muss er auflösen. Erreicht Chris den T-Anker, übergibt er Beate das freie Seilende, dadurch kann sie ihn später beim Hochziehen unterstützen. Chris geht nun vom T-Anker zum Spaltenrand. Er zieht dabei seine Prusik hinter sich her. An der Spalte lässt er die Prusik klemmen und geht leicht auf Zug, so kann er sich gefahrlos zum Spaltenrand lehnen und Kontakt zu Anton aufnehmen. Ist Anton unverletzt und bei Bewusstsein, beginnt Chris sofort mit dem Herrichten der losen Rolle.

An der Prusik gesichert geht Chris vor bis zum Spaltenrand. Illustration: Georg Sojer

Tipps

  • Als Gletscherseilschaft diszipliniert gehen: Kein Schlappseil zwischen den Seilschaftsmitgliedern, nicht aufs Seil steigen, ausreichend Abstand

  • Bremsknoten erleichtern das Halten eines Spaltensturzes

  • Aufbau der losen Rolle regelmäßig üben

  • Rollen mit Rücklaufsperre erleichtern Aufbau und Bergung

Der Aufbau ist dank Rollen mit Rücklaufsperren wie dem Spoc von Edelrid und der Micro oder Nano Traxion von Petzl sehr schnell und einfach: Chris nimmt das freie Seil, legt das Micro Traxion (oder Spoc) ein und hängt einen Verschlusskarabiner in die Rolle. Das richtige Einlegen der Rolle erfordert etwas (Trocken-)Übung und es empfiehlt sich ein kurzer Testzug.

Rollen mit Rücklaufsperre sind bei der Spaltenbergung eine große Hilfe. Immer checken, ob das Seil richtig eingelegt ist! Illustration: Georg Sojer

Der Trick: die Rolle mit Rücklaufsperre

Danach öffnet Chris die Rücklaufsperre (= Verzahnung) und lässt sie zu Anton in die Gletscherspalte hinunter, der sich den Schraubkarabiner einhängt, verschließt und die Rücklaufsperre schließt. Anton achtet dabei darauf, dass die beiden Seilstränge nicht verdreht sind, und gibt Bescheid, wenn er bereit ist. Nun können Chris und Beate mit der Spaltenbergung beginnen. Die lose Rolle erzeugt eine Lasthalbierung (Reibungsverlust unbeachtet). Nach dem ersten Einziehen halten Chris und Beate kurz inne und testen, ob die Rücklaufsperre der Rolle auch wirklich greift. Nun können die beiden die Bergung fortsetzen – Chris koordiniert dabei Geschwindigkeit und Ablauf des Ziehens. Wichtig: Sobald sich Anton dem Spaltenrand nähert, verlangsamt oder stoppt Chris das Hochziehen. Durch die doppelte Power und Lasthalbierung könnten die beiden ihren Kameraden so stark gegen den überhängenden Spaltenrand ziehen, dass lebensgefährliche Verletzungen möglich sind. Am besten wird in dieser Phase nur noch minimal gezogen und Chris hilft Anton das letzte Stück mit Handreichung aus der Spalte.

Dank der Bergung mit der "losen Rolle" reduziert sich der Kraftaufwand für das Herausziehen erheblich. Illustration: Georg Sojer

Ist Anton schließlich aus der Spalte gerettet, bewegen sich alle über Prusik und lose Rolle gesichert zum T-Anker. Dort können sie sich dann neu als Gletscherseilschaft einrichten und ihre Tour fortsetzen. Der gesamte Aufbau der losen Rolle und die eigentliche Bergung lassen sich sich übrigens auch fern aller Gletscher gut an kleinen Geländeböschungen trainieren.

Selbstrettung aus der Spalte

Aus unterschiedlichen Gründen kann es den Bergkameraden nicht möglich sein ihren Kameraden mittels loser Rolle aus der Spalte zu befreien. In folgendem Szenario ist Anton in die Spalte gefallen, Bernd und Claudia haben den Sturz gehalten, wissen aber nicht wie sie ihren Kollegen befreien können. Gut, wer sich wie Anton selbst zu helfen weiß.

Die Rettung: das klassische Prusiken

Anton legt rasch eine moderne Klemme (z.B. Petzl Basic, Wild Country Rope Man, o.ä.) um das Seil, an dem er frei baumelt, und verbindet diese mittels Bandschlinge oder Reepschnur armlang mit seinem Anseilpunkt. Hat er keine dieser Klemmen kann Anton auch eine Prusikschlinge um das Seil knoten, diese kurz abbinden und anschließend mit seinem Anseilpunkt verbinden. Entweder per Verschlusskarabiner oder in dem er ein Ende durch den Anseilring fädelt und anschließend beide Enden der Reepschnur per doppelten Sackstich verknotet. Anton macht also genau das gleiche, was zuvor Bernd und Claudia gemacht haben (=modulares System). Gleich ob Klemme oder Prusik verwendet wird, entscheidend ist die Länge der Schlinge. Deswegen testet Anton diese, indem er die Klemme (oder Prusik) maximal hochschiebt, er hat immer noch eine kleine Beugung im Arm und kann die Klemme gut erreichen – die ideale Länge.

Nun befestigt Anton eine Rolle mit Rücklaufsperre (in seinem Fall eine Micro Traxion) am Seil unterhalb seiner Klemme. In die Micro Traxion hängt er eine lange Reepschnur, die im als Trittschlinge dient. Die Schlinge knotet Anton so ab, dass er mit all seiner Beweglichkeit gerade noch seinen Fuß reinbringt, wenn sich die Beinschlinge direkt unterhalb seiner Körperschlinge befindet. Jetzt kann Anton am Seil aufsteigen: er richtet sich in der Fußschlinge auf, streckt sein Bein und umfasst zur Stabilisierung des Gleichgewichts mit den Händen das Seil. Gleichzeitig schiebt er die obere Klemme bis Anschlag nach oben, so dass er sich nun voll in diese hängen kann. Die nun entlastete Micro Traxion mit Beinschlinge schiebt Anton wieder oben, tritt rein, richtet sich auf, schiebt die Klemme mit der Körperschlinge nach oben, belastet diese, Fußschlinge nach oben, aufrichten, usw...Durch diese Methode, das klassische Prusiken, kommt Anton schnell seiner Rettung näher.

Die letzte Hürde: der Spaltenrand

Eine letzte Hürde stellt sich ihm am Spaltenrand in den Weg: das Seil ist fast einen halben Meter in die Schneelippe des Spaltenrands eingeschnitten, ein weiterer Aufstieg an dem Seil scheint nicht möglich. Doch Anton kennt den Trick: der Selbstflaschenzug. Er löst die Beinschlaufe von der Micro Traxion, öffnet die Verzahnung und kann sie so am Seil zu seiner Anseilschlaufe rutschen, an der er sie mit Verschlusskarabiner befestigt und die Verzahnung wieder schließt. In die oben befindliche Klemme hängt er einen zusätzlichen Karabiner ein, durch diesen führt er das Seil, das aus der Micro Traxion nach unten geht. Das Seil ist somit nach oben umgelenkt. Nun stemmt Anton seine Füße waagrecht gegen die Spaltenwand und zieht gleichzeitig an dem umgelenkten Seil nach unten. Während dieser Zugbewegung, schiebt Anton seine Hüfte nach oben. Durch diese Bewegung kann er das Seil aus der Schneelippe anheben und die nun unbelastete obere Klemme Stück für Stück nach oben schieben. Einige Durchgänge später ist Anton glücklich der Gletscherspalte entronnen – sehr zur Freude von Bernd und Claudia.