Hio-Hop-Trio
Sprachforscher und Soundtüftler: Chrisfader, Testa und Yo!Zepp (v.l.) sind „Von Seiten der Gemeinde“. Foto: Alexia Fin
Hörgenuss mit Augenzwinkern

Mundart-Rap im Alpenland

Mit ihrem Album „Almen aus Plastik“ verpackt das Tiroler Hip-Hop-Trio „Von Seiten der Gemeinde“ ein kritisches Thema auf humorvolle und satirische Art und Weise, das auch die Alpenvereine beschäftigt. Die Band mischt Wortschnipsel aus regionalen Fernsehbeiträgen mit Beats, Scratches und eigenen Texten. Damit hat sie auch über Tirol hinaus Erfolg.

Österreichs Spektrum an Dialekten ist riesig. Die Wienerin versteht den Steirer kaum, der Vorarlberger nicht die Kärntnerin, und innerhalb Tirols reden alle gefühlt aneinander vorbei. Rapper Yo!Zepp sowie die beiden DJs und Produzenten Chrisfader und Testa der Formation „Von Seiten der Gemeinde“ singen davon nicht nur ein Lied: Ihr markanter Dialekt ist angesiedelt von Imst bis Landeck, und sie spielen in ihrer Musik mit allen sprachlichen und inhaltlichen Delikatessen, die der Talkessel zu bieten hat.

Sprachschnipsel

Vor über zehn Jahren als Spaßprojekt gestartet, hat sich das Trio inzwischen österreichweit einen Namen gemacht. 2014 erschien das Debütalbum „Von Seiten der Gemeinde“ – und die satirische Betrachtung des ländlichen Lebens in Tirol stieg in die FM-Charts ein. Dass es nicht bei einem Album bleiben würde, war schnell klar. Zu groß war der Spaß, die Archive der lokalen TV-Sender zu durchforsten und sich inspirieren zu lassen. „Wir haben inzwischen eine riesige Sammlung an Dialektschnipseln angehäuft“, erklärt Rapper Yo!Zepp. Meist dauert es nicht lange, bis ein „Sager“ heraussticht, der als Aufhänger für einen Song dienen kann. Testa und Chrisfader bringen ihn dann in eine rhythmische, harmonische Form, während Yo!Zepp sich eine passende Story überlegt und den Songtext schreibt.

Der markante Dialekt der Hip-Hopper ist von Imst bis Landeck angesiedelt. Foto: Alexia Fin

Für die Hip-Hop-Band sind der Dialekt und die Wortschnipsel nicht nur im musikalischen Sinn ein Instrument. Sie nutzen sie auch, um tiefer ins „heilige Land Tirol“, in die Täler, Dörfer, Wirtshäuser und Kirchen hineinzuschauen und Urtirolerisches wie Absurdes aufzudecken – immer mit einem Augenzwinkern: „Wir sind keine Meinungsbildner. Eher sehen wir uns als Berichterstatter mit satirischem Blick“, sagt Yo!Zepp. „Die Themen, die wir aufgreifen, sind meist politisch behaftet. Wir stellen sie überspitzt dar, um die Leute zum Denken anzuregen und sich ihre eigene Meinung bilden zu lassen.“ Speziell der Tourismus als größte Einnahmequelle in Tirol wird immer wieder thematisiert und auf die Schippe genommen. Womit wir bei den „Almen aus Plastik“ angekommen wären.

Die Videos des Hip-Hop-Trios „Von Seiten der Gemeinde“ zeigen eine Plastik-Zukunft Tirols. Oder bereits die Realität? Foto: Valentin Zelger

Wolffreie Zone

Das Album tastet sich vermehrt an ernstere Themen heran: vermüllte Pisten, Après-Ski-Gelage, überarbeitete Kellner* innen, Betrunkene, böse Wölfe – und vereint Humor, Lokalkolorit und musikalisches Können. Wo früher alles besser war, geht jetzt der Tod um („Toad“), die eigene Selbstverherrlichung lenkt von eigentlichen Defiziten ab („I“), Massentourismus, Engstirnigkeit, Nostalgie und die Coronapandemie („Killerpfeifa“) kommen zur Sprache. Gekonnt werden die Widersprüche zwischen dörflichem Paradies und brodelnden Konflikten, zwischen Realität und Täuschung abgebildet.

Der Titel „Almen aus Plastik“ ist eine Hommage: an das erfolgreiche Rap-Album „Palmen aus Plastik“ (Bonez MC & RAF Camora) wie an den vierten Teil der „Piefke-Saga“ von Felix Mitterer aus den 1990ern, in der die wiederhergestellte Idylle der Tiroler Tourismusdestination Lahnenberg zu bröckeln beginnt, als aufkommt, dass alles auf Müll gebaut wurde und Tiere und Bäume aus Plastik bestehen. Erstmals lassen Yo!Zepp und Co. auch Mitschnitte aus Radiobeiträgen, einer Messe und der „Piefke- Saga“ selbst über den Plattenteller mitspielen. Dazu untermalen unterschiedlichste Melodien und Klänge den Wortgesang: Schafblöken wird zum Beat umfunktioniert, Marimbaklänge lassen eine ferne Urlaubswelt erahnen, der „Toad“ spielt das Lied vom Untergang der Scheinheiligkeit auf der Mundharmonika. Das alles bildet einen hochspannenden, durchgängigen Hörgenuss.

Als erste Single des Albums schaffte es „Wolffreie Zone“ in die Medien. Im Stop-Motion-Video dazu – eines der aufwendigsten Musikvideos, die die österreichische Hip-Hop-Welt je gesehen hat – reißen Schafe das Kommando an sich, um den bösen Wolf zu vertreiben. Hier zeigen Yo!Zepp, Testa und Chrisfader eindrücklich, wie man aus einem regionalen Thema eine Metapher zur Flüchtlingskrise stricken kann.

Palmen aus Plastik

„Jeder der 14 Tracks des Albums hat seinen Platz im Spannungsbogen“, so Yo!Zepp. Während am Anfang scheinbar noch alles gut ist, brennen am Schluss die Schneekanonen in einer utopischen posttouristischen Welt, die auf den Trümmern von Scheinheiligkeit und Gier aufgebaut ist. Das Cover der Platte verstärkt den Eindruck des Künstlichen mit knalligen Farben, Miniaturfiguren, Plastikbäumen, einer aufwendig gestalteten Almkulisse. Alles Heuchelei, oder? Und das Booklet mit dem klingenden Titel „Palmen aus Plastik“ kombiniert die Songtexte mit detailreichen Fotos einer idyllischen (Kunst-)Welt. Ist wirklich alles konstruiert? Und gibt es trotz allem noch Hoffnung? Da ist sich Yo!Zepp sicher: „Ja. Es findet ein Umdenken statt, besonders bei den jüngeren Generationen. Die wollen keine Almen aus Plastik.“ Für die gesamte Bevölkerung sei die Zeit reif, umzudenken, und das spüre man auch, so der Optimist. Auch wenn von touristischer Seite immer wieder bizarre Ideen wie Roboter als Skilehrer für Kinder aufgebracht werden: „Das ist dann höchstens Stoff für ein neues Album, mehr nicht.“

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