Der Nadelgrat vor dem Gipfel des Dom
Der Nadelgrat vor dem Gipfel des Dom (4545 m). Foto: Jörg Bodenbender
Traumgrat aus Gneis und Firn

Klassiker: Nadelgrat

Es gibt nicht viele Berge in den Alpen jenseits der viertausend Meter, die sich so perfekt aneinanderreihen und durch einen derart idealen alpinen Grat vereint werden. Eingebettet zwischen Mattertal und Saastal wirken die mächtigen Gipfel der Mischabelgruppe von Norden aus betrachtet wie ein eigenes großes Gebirge.

Der Aufstieg ist mühsam und anstrengend, der Zustiegsweg durch die dunkle Nacht wirkt wie so häufig bei den hohen Walliser Bergen unendlich lang. Doch hat man es erst einmal bis zum Gipfel des Dirruhorns geschafft und spürt die ersten warmen Strahlen der aufgehenden Sonne im Gesicht und den rauen Fels unter den Fingern, dann schaltet sich der alpine Autopilot ein.

Scheinbar mühelos gleiten Hände und Füße über feinsten Gneis, der Fokus richtet sich nur auf den Moment und die folgenden Stunden schwebt man förmlich von Gipfel zu Gipfel und von Scharte zu Scharte. An keiner Stelle ist die Tour so richtig schwer (max. III im Fels und 50° im Firn/Eis) doch die permanente klaffende Leere unter einem verlangt zu jeder Zeit ein Höchstmaß an Konzentration und Trittsicherheit, vor allem dann, wenn der Blick immer wieder von den umliegenden Bergriesen in den Bann gezogen wird: Der Nachbargipfel Dom ist zum Greifen nah, das Weisshorn thront gleich dahinter und am Horizont recken sich Matterhorn und Grand Combin majestätisch in die Höhe. Es sind unvergleichliche Momente, wahre Highlights des Bergsteigens, die bleibende Eindrücke hinterlassen.

Der Nadelgrat links neben dem Gipfel des Doms (4545 m). Foto: Jörg Bodenbender
Höhenprofil des Nadelgrats. Quelle: DAV
Nadelgrat: Tourenverlauf. Foto: Jörg Bodenbender

Nadelgrat – Stück für Stück

1. Aufstieg von Gasenried zur Bordierhütte

3,5 Std. – 4 Std., 1226 Hm ↗

Von Gasenried (1660 m) führt ein markierter Weg durch einen lichten Lärchenwald und ein Meer von Alpenrosen hinauf zur Alpja, einem lieblichen Almboden, eingebettet in eine beeindruckende und wilde Gletscherlandschaft. Reste von alten Steinhäusern, eine Viehtränke und ein Brunnen zeugen von der Almwirtschaft vergangener Tage. Schon früh kommt der Riedgletscher in Sicht, dessen Zunge wir über die Moräne auf der rechten Seite des Tals erreichen, um ihn dann nach links zu queren. Reflektierende Stangen im Eis helfen bei der Orientierung (nur während der Hüttensaison). Ein stellenweise gesicherter Steig leitet durch das glattpolierte Gletscherbett hinauf zur Bordierhütte (2886 m).

Aufstieg von Gasenried zur Bombardier-Hütte mit Blick auf den Riedgletscher. Foto: Sven Schmid

2. Bordierhütte – Dirruhorn

6 Std., 1366 Hm ↗, 217 Hm ↘

Auf dem Zustiegsweg des Vortages geht es anfangs wieder hinab auf den Riedgletscher und noch ein Stück darüber hinaus, bis sich ein von links herabziehender Felsriegel bei etwa 2800 m abflacht und wir bei 2700 m zu einer Wegverzweigung gelangen. Der rechte Weg führt nach Gasenried zurück, geradeaus gelangt man zum Mittelberg, wir nehmen den Weg links nach oben in südwestliche Richtung durch eine steile Flanke. Der Pfad ist nicht an jeder Stelle eindeutig und insbesondere bei Dunkelheit verliert man schnell die Orientierung. Hier und da weisen Steinmännchen den Weg. Auf etwa 3300 m erreicht man dann am Galenjoch den Grat zwischen der Gugla (3377 m) und dem Chli Dirruhorn (3889 m), wo die ersten schönen Klettermeter warten. Im sanften Bergauf-bergab geht es den Grat entlang, über das Chli Dirruhorn, die Kletterschwierigkeit bewegt sich zwischen I und II. Nach der Selle (3858 m), dem Joch zwischen dem Chli Dirruhorn und dem Dirruhorn (4035 m) wartet die Schlüsselstelle des Nadelgrats, eine mit III bewertete Platte.

Beim Aufstieg zum Dirruhorn hat man beste Sicht auf das Matterhorn. Foto: Sven Schmid

3. Dirruhorn – Nadelhorn

3,5 Std., 519 Hm ↗, 227 Hm ↘

Nach dem Dirruhorn geht es für etwa 30 Minuten den Grat entlang hinab zum Dirrujoch (3911 m), einen kleinen Gratturm umgehen wir dabei auf der linken Seite. Die Kletterschwierigkeiten bewegen sich zwischen I und II. Vom Dirrujoch aus geht es etwa eine Stunde über Fels und Firn hinauf zum Gipfel des Hobärghorns (4218 m). In wenigen Minuten erreichen wir danach das Hobärgjoch (4144 m), von wo aus ein scharfer Felsgrat mit Kletterstellen im Schwierigkeitsbereich II-III nach etwa 45 weiteren Minuten auf den Gipfel des Stecknadelhorns (4241 m) führt. Am Gipfelanstieg weichen wir in die rechte (westliche) Flanke des Grates aus, der Weg ist durch Steigeisenspuren im Fels markiert. Vom Gipfel des Stecknadelhorns führt ein Firngrat in etwa 15 Minuten hinab zum Stecknadeljoch (4212 m), wo der letzte Anstieg zum Gipfel des Nadelhorns (4327 m) startet (etwa 45 Minuten). An einem kleinen plattigen Turm mit einzelnen Stellen im Schwierigkeitsgrad III ist nochmals Handanlegen gefordert, bevor wir dann über die Ostflanke den Gipfel erreichen.

Firngrat vom Stecknadelhorn zum Nadelhorn. Foto: Sven Schmid

4. Nadelhorn – Bordierhütte

2,5 Std., 77 Hm ↗, 1518 Hm ↘

Vom Gipfel des Nadelhorns folgen wir dem Nordostgrat hinab zum Windjoch (3847 m), zuerst im Fels, danach im Firn. Ein kurzer Gegenanstieg bringt uns hinauf zum Ulrichshorn (3924 m). Von dort gehen wir in nördlicher Richtung über den Riedgletscher zurück zur Bordierhütte. Die spaltenreiche Steilstufe auf etwa 3400 m wird rechts umgangen.

Hinweis: Aufgrund der meist fortgeschrittenen Tageszeit besteht beim Abstieg auf dem Riedgletscher gegebenenfalls eine erhöhte Spaltensturzgefahr.

Stärkung in der Bordierhütte. Foto: Sven Schmid

5. Bordierhütte – Gasenried

3 Std., 1226 Hm ↘ Der Abstieg von der Bordierhütte zum Ausgangspunkt Gasenried erfolgt auf dem Aufstiegsweg.

Varianten: Statt des Abstiegs zur Bordierhutte bietet sich die Moglichkeit, vom Nadelhorn uber das Windjoch uber den Hohbalmgletscher zur Mischabelhutte abzusteigen (3 . Std., 991 Hm ↘). Von der Mischabelhutte aus bietet sich die Besteigung der Lenzspitze (4293 m) uber den Ostgrat (AD+) oder die Nordostwand (55°/ III) an.

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