Wandergruppe erreicht die Dortmunder Hütte im Kühtai
Die Dortmunder Hütte im Kühtai ist barrierefrei zugänglich. Foto: Hauke Bendt
Inklusion auf Hütten

Barrierefreie Alpenvereinshütten?

Integrative Hüttentrekking- oder Kletterkurse bietet die Jugend des Deutschen Alpenvereins bereits seit Jahren an. Mittlerweile ist nahe Rosenheim auch die erste Inklusionskletterhalle entstanden. Wie aber schaut es aus bei Berghütten? Wir haben bei den vier deutschsprachigen Alpenvereinen nachgefragt.

Solveig Meier ist seit April 2022 für Inklusion bei der Alpenvereinsjugend des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV) zuständig. Ihre Stelle ist erst einmal für drei Jahre mit Fördergeldern von „Licht ins Dunkel“ finanziert, soll aber weitergeführt werden. Solveig hat lange bei der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung gearbeitet. Sie leitete zudem ein Projekt zu „Inklusion im Vereinssport“. Beim ÖAV absolvierte sie eine Alpinpädagogik-Ausbildung mit Schwerpunkt Inklusion und ist im Netzwerk Inklusion tätig.

Rollstuhltaugliche Jugendherberge

Ein spannendes Projekt in Sachen Inklusion bei Unterkünften des Alpenvereins ist für Solveig die Fraganter Jugendherberge. Bei deren Neubau wurde 2022/23 soweit wie möglich auf Barrierefreiheit des Erdgeschosses geachtet (barrierefreies Bad, Rampen zum Außenbereich, schwellenlose Türen); dazu gibt es ein ebenerdiges Schlaflager im Mehrzweckraum. „Gesamtheitlich sollte man die Jugendherberge als bedingt barrierefreien Standort bezeichnen. Wir müssen erst schauen, wie die Umsetzung im Kursbetrieb funktioniert und optimiert wird“, heißt es aus der Sektion.

Die Ferienwiese Weißbach ist ein barrierefreier Jugend- und Familienzeltplatz der Alpenvereinsjugend Österreich im Saalachtal. Foto: Anna Repple / ÖAV

Ein weiteres richtungsweisendes Beispiel beim Österreichischen Alpenverein ist die Ferienwiese Weißbach der Alpenvereinsjugend in Weißbach bei Lofer. Dort wurde ein barrierefreier Anbau geschaffen. Zudem sind gemeinsame Räume, die Küche und das gesamte Freizeitgelände für Rollstuhlfahrende erreichbar. Seit 2022 sind auch die Sanitäranlagen barrierefrei. Und es gibt ebenerdige Holzzelte, die Kinder und Jugendliche spannend finden. Die Ferienwiese ist mit Linienbussen erreichbar, die Kinder können aber auch vom Bahnhof abgeholt werden. Neben vielen anderen Camps gibt es auch inklusive Sommercamps der Alpenvereinsjugend, bei denen interessante und neue Möglichkeiten der gemeinsamen Freizeitgestaltung ausprobiert werden können.

Mit Aktivitäten wie Klettern, Mountainbiken oder Wildwasserpaddeln in der Umgebung des Zeltplatzes begeistert die "Wiese" Jung und Alt. Foto: Anna Repple / ÖAV

Ganz anders sieht die Zugänglichkeit auf alpinen Berghütten aus. Solveig hat für die kommenden drei Jahre ein Budget an Fördergeldern für kleinere Umbauten auf Hütten, beispielsweise für Leitsysteme am Boden, Handgriffe auf Toiletten oder auch Rollstuhlrampen. Die Abteilung Hütten und Wege hilft, die Sektionen zu motivieren, ihre Hütten barriereärmer zu gestalten. Ein wichtiges Thema ist für Solveig auch der möglichst einfache digitale Zugang zu den Hütten.

„Auch wenn das meiste noch nicht barrierefrei ist, ist das Wichtigste, erst einmal damit anzufangen.“

Über den Alpenverein Hüttenfinder und über das Tourenportal alpenvereinaktiv.com kann man nach barrierefreien oder bedingt barrierefreien Hütten und Touren des ÖAV, DAV und AVS suchen. Hilfreich ist es immer, wenn es konkrete Ansprechpersonen bei der jeweiligen Hütte für Fragen zur Barrierefreiheit gibt. „Ich denke, es baut viele Barrieren ab, wenn es Menschen gibt, die sich auskennen und hilfsbereit sind“, so Solveig.

Mit ins Boot gehört auch die Sektionsarbeit von meist ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen. Dafür baut Solveig gerade ein Expert*innen-Team auf, das die Sektionen beim Thema Barrierefreiheit und inklusiven Angeboten unterstützt. Sie sollen einerseits beraten, andererseits die Umsetzung unterstützen. „Manche Sektionen sind in dem Thema schon jahrelang drin, für andere ist es noch ganz neu und es müssen Barrieren in Form von Berührungsängsten abgebaut werden.“

Gemeinsam Lösungen finden

Die Haltung der Menschen und nicht die baulichen Maßnahmen sind für Solveig entscheidend: „Wenn man eine offene Haltung hat, dann ist das erst einmal das Wichtigste. Ich war mit Lebenshilfe-Gruppen öfter auf Alpenvereinshütten. Und manchmal haben wir gemerkt, oh weh, da gibt's Barrieren. Und im Kontakt mit den Hüttenwirten haben wir gemeinsam Lösungen gefunden. Da wurde improvisiert und auch gelacht, wenn was nicht gleich funktionierte. Aufeinander zugehen und Berührungspunkte schaffen, finde ich das Wichtigste. Ich will nicht als erstes mit einem riesigen Katalog, was alles vorbereitet werden muss, daherkommen.“

Größter Bedarf: Inklusionsklettern

Beim Deutschen Alpenverein ist Stefan Winter für das Ressort Sportentwicklung zuständig und beschäftigt sich auch mit dem Thema Inklusion. Dabei spielt der Hüttenumbau seiner Meinung nach noch kaum eine Rolle: „Ich vernehme keine Fragen von Sektionen, von Menschen mit Behinderung oder Hüttenwirtsleuten. Wenn, dann bekomme ich eher Anfragen zu behindertengerechten Wanderwegen. Wir von der Sportentwicklung müssen auf unsere Ressourcen achten und fokussieren uns darauf, wo am meisten Bedarf besteht. Hier steht eindeutig das Thema Klettern im Vordergrund“, so Winter. In diesem Bereich bieten der DAV und JDAV die Ausbildung zum „Trainer C - Klettern mit Menschen mit Behinderung“ an. Solche Trainer*innen organisieren und leiten Kletterveranstaltungen, zum Beispiel offene Gruppen oder Kooperationsangebote zwischen Alpenvereinssektionen und Vereinen des Behindertensports. „Mein Gedanke ist, das Thema Inklusion durch solche Projekte im Verein tiefer zu verankern. Generell haben wir festgestellt, dass Menschen mit Behinderung großes Interesse am Bergsport haben, dass es aber auch viele Fragen oder Sorgen gibt. Entsprechend der jeweiligen Aktivität und Behinderung muss man nach sehr individuellen Lösungen suchen.“

Die Dortmunder Hütte in den Stubaier Alpen hat seit 2021 rollstuhlgerechte Zimmer, einen Aufzug und eine Rampe zur Terrasse. Foto: Pröttel / DAV

Best Practice: Dortmunder Hütte

Bei den Hütten sollte man Winters Meinung nach zuerst über Umbauten an Unterkünften nachdenken, die mit dem Auto oder mit der Seilbahn zu erreichen sind. Hier hat es die Dortmunder Hütte leichter als andere Hütten und geht mit gutem Beispiel voran: Seit ihrem umfangreichen Umbau gibt es dort Aufzug, Rampe, behindertengerechte Toilette und ein behindertengerechtes Dreibettzimmer. Und bei der Jugendbildungsstätte in Bad Hindelang ist seit 2020 das gesamte Außengelände barrierefrei.

Im Trekkingrollstuhl auf die Hütte

„Inklusion auf Berghütten ist bei uns noch kein Thema“, gibt auch Bruno Lüthi vom Schweizer Alpenclub (SAC) zu. Der Hauptgrund liegt nach Meinung des Fachleiters für Hüttenbetrieb darin, dass der SAC keine Unterkünfte im Tal wie der DAV oder ÖAV hat, die über eine Straße oder mit dem Auto erreichbar sind. Allerdings beteiligt sich der SAC bereits seit zwanzig Jahren am Projekt "Der Berg ruft", bei dem Hüttentrekking für Menschen mit Behinderung angeboten wird. Bei Bedarf kann ein spezieller Trekkingrollstuhl genutzt werden. So können Bergfans auch auf aussichtsreiche Hütten rauf und dort übernachten. Viele SAC-Mitglieder helfen dabei gerne. „Ich habe vor acht Jahren eine Frau mit Schwerbehinderung bei einer solchen Tour begleitet. Und als wir oben ankamen und ich den Gesichtsausdruck der Frau sah - sie konnte nicht sprechen - war das schon ein wunderbares Gefühl“, erinnert sich Bruno warmen Herzens. „Eine wesentliche Rolle spielt die Einstellung der Hüttenwirtsleute. Ich erinnere mich besonders an eine Hüttenwirtin, die immer wieder Jugendliche mit geistiger Behinderung auf ihrer Hütte beschäftigte.“

Nach über zwei Jahren Umbau wurde Ende September die Jugendherberge Fragant feierlich eröffnet. Zum Zeitpunkt des Fotos befand sich die Hütte noch in der Bauphase. Foto: Leopold Fuchs

Lüthi erwähnt, dass verschiedene SAC Sektionen schon Angebote haben, die einen inklusiven Bergsport fördern. Der Hauptverein unterstützt die Sektionen darin, diese Angebote noch bekannter zu machen. Der SAC arbeitet auch aktiv mit PluSport zusammen, dem Dachverband und der Kompetenzstelle für Behindertensport in der Schweiz.

„Im Hüttenbereich haben wir bislang zum Thema noch recht wenig anzubieten.“

Was den Alpenverein Südtirol betrifft, stellt Martin Niedrist vom Referat für Schutzhütten fest: „Im Hüttenbereich haben wir bislang zum Thema noch recht wenig anzubieten.“ Zwei der insgesamt elf AVS-Hütten sind für Lieferungen mit dem Auto zu erreichen. Pro Jahr nutzen 50 bis 100 Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, mit einer Sondergenehmigung zur Dreischusterhütte raufzufahren. Die anderen neun Hütten sind eher hochalpin und schwer zu erreichen. „Dort wird die Ansicht vertreten, dass die Leute, die hier heraufkommen, sich auch so zurechtfinden“, sagt Martin.

Problem: Schlafräume im Obergeschoss

Die AVS-Selbstversorgerhütten sind nur teilweise mit dem Auto/Bus direkt erreichbar. Die Küche, der Aufenthaltsraum und die Toiletten und Waschräume befinden sich größtenteils im Erdgeschoss der Hütten. Sie sind zum Teil barrierefrei zugänglich. Die Schlafräume liegen aber meistens in den oberen Etagen, die nur über eine Treppe erreichbar sind. Die sanitären Anlagen sind nicht rollstuhlgerecht umgebaut. Vereinzelt gibt es Anfragen von Gruppen mit Teilnehmenden, die eine körperliche Behinderung haben. In diesen Fällen wurde gemeinsam mit der Gruppenleitung und den Hüttenverantwortlichen eine Lösung gesucht (z.B. provisorisches Schlaflager im Aufenthaltsraum eingerichtet), damit sich die Gruppe wohlfühlt und gemeinsam übernachtet werden kann.

Das Fazit: Inklusion auf Berghütten ist bisher kaum vorhanden.

Das Fazit: Inklusion auf Berghütten ist bisher kaum vorhanden. Der Österreichische Alpenverein geht mit gutem Beispiel voran, dem DAV, SAC und AVS hoffentlich folgen werden. Egal welche Umbauten und Projekte von Inklusionsbeauftragten oder Hüttenreferaten geplant sind – sie müssen zusammen mit den Referent*innen für Hütten und den Hüttenwirtsleuten erarbeitet werden.

Unterschied Integration – Inklusion

Durch Integration sollen behinderte Menschen zwar in die Gesellschaft eingegliedert werden. Die Betroffenen müssen sich aber an vorgegebene Rahmenbedingungen anpassen. Bei der darüber hinaus gehenden Inklusion wird nicht erwartet, dass sich der einzelne Mensch anpasst, sondern dass die Rahmenbedingungen auf die unterschiedlichen Bedürfnisse abgestimmt werden. Sprich: In der Schule passen sich die Strukturen und die Unterrichtsform den Schüler*innen an, nicht umgekehrt. Durch Inklusion wird Vielfalt stärker ausgelebt. Es geht darum, gemeinsam anders zu sein und Strukturen zu schaffen, die Diversität mehr Raum geben.

Wie finde ich barrierefreie Hütten?

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