Über den Wolken von Grönland.
Über den Wolken von Grönland. Foto: Rosa Windelband
Abschlussexpedition Expedkader Frauen

Rundum erfolgreich in Grönland

Sie sind zurück, die Frauen vom DAV-Expedkader, von ihrer Abschlussexpedition in Grönland: gesund, als noch bessere Freundinnen als vorher – und mit einigen tollen Touren im Gepäck, darunter einer schwierigen Erstbegehung.

So etwas kannte ich aus den Alpen bisher noch nicht, dass man nur als Team durchkommt, und nur wenn jede da hilft, wo sie helfen kann.“
- Luisa Deubzer

Luisa Deubzer bringt auf den Punkt, was jede ihrer Kolleginnen aus dem Expedkader-Frauenteam als wichtigste Erfahrung der Abschlussexpedition mitnimmt: Als Team losfahren, als Gemeinschaft von Freundinnen zusammenarbeiten – und zur Belohnung schöne Erlebnisse und erfolgreiche Begehungen ernten.

Die Abschlussexpedition nach vier erfüllten Kaderjahren war kein klassischer Trip ins Ungewisse; das letztliche Ziel hatte schon etliche Besuche gesehen. Doch stellte sie viele Anforderungen, die typisch sind für Fahrten in Gebiete außerhalb der Komfortzone: Man muss viel Energie in die Vorbereitung stecken, mit Widrigkeiten umgehen, immer noch einen nächsten Alternativplan in petto haben – und das Beste aus der Situation machen.

TV-Tipp

Das ZDF hat den Expedkader eineinhalb Jahre lang bis zur Abschlussexpedition begleitet. Herausgekommen ist die sehenswerte Reportage "Zwischen Höhenrausch und Absturzangst".

 

Das begann mit dem in vorletzter Minute gescheiterten Plan, per Segelboot nach Grönland anzureisen. Dadurch wurde ein anderes Zielgebiet nötig – das dann wegen ungewöhnlich viel Wintereis doch nicht erreichbar war. Erst ein paar Tage vor Abflug entschied sich das Team dann für das finale Ziel: Den Fox Jaw Cirque im Tasiilaq-Fjord an Grönlands Ostküste, wo eine Reihe von Granitzähnen wie der zahnbesetzte Kiefer eines Fuchses aufragt. Und zog damit letztlich einen Hauptgewinn.

Expeditionstypisch war schon die Anreise voller Eindrücke: die grönländische Kultur, das Schießtraining (wegen Eisbären), die Motorbootfahrt im Eismeer, umgeben von Walen.

Es war magisch: die Sonne ging unter, der Mond spiegelte sich im Wasser, komplette Stille und dann aus dem Nichts das kräftige Ausatmen der Wale …
- Lea Luithle

Geborgen in der Wildnis

Mit dem Basislager hatten die Mädels Glück: „Es lag megaschön in einer Wiese mit rosa Weidenröschen, Sträuchern und Moos, im Bach konnten wir uns waschen und Wasser holen“, schwärmt Caro Neukam, „rundum Gletscher, zackige wilde Gipfel, draußen im Fjord Eisberge.“ Der Nachteil: Sie mussten ihr ganzes Gepäck gut zehn Kilometer weit hintragen – zwar eben und auf einem passablen Trampelpfad (sobald der mal gefunden war), doch insgesamt kamen für die acht Frauen 800 Kilometer und 800 Kilogramm Trage-Arbeit zusammen.

Einiges blieb zunächst an der Küste deponiert – zwei Boxen mit Verpflegung, die Batterie zum Laden der Bohrmaschinen-Akkus, Portaledge und Statikseile – und wurde nach Bedarf durch weitere Trageeinsätze ins Basecamp geholt. Dort hatten sie allerdings die optimale Basis für Ruhe- und die sechs Regentage, an denen es der Gruppe nie langweilig wurde. Ein Riesenblock, wo es auch bei Regen trocken zum Trainieren war, fand sich ein paar Minuten entfernt. Hier fanden sich auch Notizen und Topos früherer Expeditionen. Und die für Grönland notorischen und von Vorgängerteams lebhaft verfluchten Mücken ließen sie die meiste Zeit in Ruhe. „Ich fand es richtig cool, wie normal sich alles angefühlt hat, ich hab eigentlich nichts vermisst außer vielleicht Gemüse“, erinnert sich Janina Reichenstein. Und der Fuchs, nach dem die Fox Jaw Gipfel benannt sind, kam auch gelegentlich vorbei und versuchte, Essen oder auch mal eine Seife abzustauben.

Vorsichtig an den Fels

Aber man war ja nicht zum Wohlfühlen da, sondern zum Klettern. In drei Seilschaften machten sich die acht Frauen daran, zunächst in leichteren Wiederholungen ein Gefühl für den Gneis zu bekommen – wobei mit Zu- und Abstieg selbst die kürzeren Touren 15 Stunden dauerten. „Die Einklettertouren waren cool: gut abzusichern wo es gebraucht wurde, schöne Risse für Placements, guter Fels“, erzählt Lea. Doch mit den etwas schwierigeren Versuchen kam die Ernüchterung.

Die Risse waren dünn, eher nur Quarzadern, die man höchstens mit Peckern absichern konnte und die Platten hatten eine feine Krümelschicht; bei jedem Trittwechsel musstest du schnell den Fuß an der Hose abputzen.
- Amelie Kühne

Ein motivierendes Highlight gab es gleich zu Beginn, als Caro und Amelie zusammen mit der Trainerin Dörte Pietron die Route „Stonecircle“ (450 m, IX), von Robert Jasper 2018 solo erstbegangen, „eigentlich nur mal anschauen“ wollten. Als Dörte dann die Cruxlänge direkt onsight stieg, starteten sie durch und waren nach 24 Stunden – die Mitternachtssonne macht’s möglich – erfolgreich zurück.

Dennoch war die Stimmung nach der ersten Woche und einigen Fehlversuchen „leicht eingeschüchtert: alles ist scary, wir kommen nichts hoch“, erinnert sich Dörte. Auf sandigen Platten zehn Meter über dubiosen Klemmgeräten heikle Züge zu machen, das war nicht das athletische Handrissklettern, das sie sich erträumt hatten.

Glücklich am Gipfel Foto: Caro Neukam

Gemeinsam für das Ziel

Nun: Expedition heißt auch dranbleiben und sich wieder aufraffen, auch wenn die Karten schlecht gemischt scheinen. In vielen Stunden „Wandwatching“ (Amelie) mit Fernglas und Erkundungsgängen entstand die Idee einer Route am Molar, dem zweiten Gipfel der Zähnekette. Eine beeindruckende Linie: „Drunterstehend konnte ich mir gar nicht vorstellen, da raufzukommen“, sagt Luisa – aber jeder Kletterversuch beginnt mit dem ersten Move. Und es wurde wahr: Immer wieder fand sich eine Lösung, gelegentlich mal ein gut zu kletternder und abzusichernder Riss, meistens aber steile, strukturierte Plattenkletterei, in denen die Mädels froh waren um die fünfzig mitgebrachten Bohrhaken, die in den zehn Seillängen und an den Ständen auch fast vollständig gebraucht wurden.

Die Motivation war wieder auf Höchststand; Schlag auf Schlag, Tag um Tag wechselten sich die Seilschaften ab mit Klettern, Haulen, Materialnachschub. Während die einen im Portaledge biwakierten, um am nächsten Tag die Route fortzusetzen, erholten sich andere im Basecamp für ihren Einsatz oder brachten Essen vom Strand ins Lager. „Unser Respekt gegenüber der Wand und der Routenfindung verwandelte sich je höher wir kamen in reine Freude, Spaß und Zuversichtlichkeit. So oft hatten wir Stellen, an denen wir dachten: Jetzt ist’s unmöglich weiterzukommen ohne technisch zu klettern; dann tat sich wieder ein Riss auf“, schwärmt Amelie. Und am fünften Tag tanzte sie mit Caro und Rosa Windelband auf dem Gipfel.

Nun fehlte noch die komplett freie Begehung. Aber das Wetter drohte bald zu kippen. Wieder war eine Teamlösung der Schlüssel zum Erfolg. Dank Fixseilen konnten sich Luisa, Janina, Dörte, Lea und die Ärztin Laura Tiefenthaler in zwei Seilschaften auf die Wand verteilen, so dass jede Seillänge der Reihe nach von mindestens einer Frau frei vorgestiegen wurde. Nach einem Portaledgebiwak und den letzten drei Seillängen tanzten dann auch sie auf dem Gipfel den „Disco Fox“ zu Smartphoneklängen – die geteilte Musikbegeisterung und der Basislager-Fuchs gaben der Route den Namen.

Es war einfach perfekt, dass wir ein Projekt gefunden haben, an dem wir alle gemeinsam arbeiten konnten! Wo man sich dann auch vor allem für andere freuen kann und es nicht so wichtig ist, wie man selbst performt.
- Janina Reichstein

Rosa und Amelie gönnten sich noch eine Zugabe: Nach einem Ruhetag und während die anderen die „team free“ Begehung vollendeten, starteten sie am Nachbargipfel Incisor in die Route „Beers in paradise“ (600 m, VII+), „wurden durch langersehnte handbreite Risssysteme geleitet“ und standen nach zwölf Stunden am Gipfel. Das Abseilen wurde dann jedoch, so Amelie, „ein riesiger Heckmeck: Die 60-Meter-Seile hingen als Fixseile in unserer Erstbegehung, wir hatten also nur 50-Meter-Seile, die Stände aber waren auf 60 Meter eingerichtet.“ Nun: Vier Jahre Kadertraining wären nicht viel wert gewesen, wenn die beiden dieses Problem nicht kompetent und kreativ gelöst hätten…

Gerne immer wieder

Nach dem gemeinsamen Freudentanz, wohlbehalten im Basislager vereint, stand nach weiteren Tragetagen der Abschied an: von Grönland, von den Freundinnen, von der Kaderzeit.

„Ich fand die Zeit wahnsinnig toll und glaube, viele von uns hätten noch länger bleiben können“, sagt Luisa, und Rosa erinnert sich: „voll im Moment leben zu können und nur das Klettern im Kopf zu haben: Das war ein schönes Gefühl von Freiheit und Ruhe. Irgendwie verging die Zeit dadurch langsamer, fernab von allem und ohne die alltägliche Hektik des Stadtlebens“. Auch die Trainerin Dörte Pietron ist rundum zufrieden: „Wir haben alle Probleme vorab und unterwegs als Team bewältigen können – und als wir nach den ersten Klettererfahrungen etwas gedämpft waren, war es umso cooler, dass es dann doch noch geklappt hat, und mit so einer Wahnsinnstour!“

Im nächsten Jahr wird das Erfolgsprojekt DAV-Expedkader-Frauenteam in die nächste Runde gehen. Wie gut das aktuelle Team harmoniert hat, bringt Lea zum Ausdruck: „Jetzt nach Hause zu kommen, wird seltsam, weil die anderen nicht mehr da sind, mit denen man vier Wochen den Alltag geteilt hat. Wir sind noch viel mehr zusammengewachsen durch die gemeinsame Zeit."

Und das ist ja eigentlich fast wichtiger als noch so großartige Touren.

Ein Topo der besonderen Art. Zeichnung: Luisa Deubzer

Vielen Dank an die Partner

Ohne die Unterstützung durch die Partner des DAV-Expedkaders hätte die Expedition in diesem Rahmen nicht stattfinden können. 

Mit der Bekleidung, den Schlafsäcken und Kletter-Rucksäcken von Mountain Equipment waren die Athleten bestens ausgerüstet, um den rauen Bedingungen in Grönland standzuhalten. 

Edelrid sorgte dafür, dass das Team zusätzlich mit hochwertiger Kletter-Hardware ausgestattet sind. Und dank Katadyn waren Mahlzeiten und Trinkwasser auch abseits der Zivilisation gesichert.

Danke, dass ihr dazu beitragt die jungen Alpinisten zu fördern und für alle Herausforderungen in den Bergen vorzubereiten! 

 

Ohne die Unterstützung unserer Partner wäre eine solche Expedition niemals möglich Darstellung: DAV

DAV Expedkader Frauenteam 2023

Abschluss-Expedition nach Grönland: 11.07. - 09.08.2023

Teilnehmerinnen

  • Luisa Deubzer (Sektion München-Oberland)

  • Amelie Kühne (Sektion Heilbronn)

  • Lea Luithle (Sektion Ludwigsburg)

  • Carolin Neukam (Sektion München-Oberland)

  • Janina Reichstein (Sektion Erlangen und Nürnberg)

  • Rosa Windelband (Sächsischer Bergsteigerbund)

  • Laura Tiefenthaler (Ärztin)

  • Dörte Pietron (Trainerin)

Gekletterte Touren

  • Milk Tooth: „Tooth Fairy“ (330 m, III, 5c)

  • Milk Tooth: „Doublemint Direct“ (ca. 800 m, III, 5c)

  • Incisor: „Beers in Paradise“ (ca. 600 m, V, 6b+, 14 SL)

  • Molar: „Stonecircle“ (450 m, IX, DP Rotpunkt, CN im Nachstieg mit 1 Griffausbruch)

  • Erstbegehung Molar Südwand: „Disco Fox“ (445 m, 10 SL, IX, Team-Free-Begehung, alle am Gipfel. 5c | 6b | 6c | 7a+ | 7c | 6b | 6c | 7b | 6b | 6a+)

Ein bisschen Statistik (von Lea)

  • Klettern: 6-8 Tage pro Person, 10.500 Klettermeter

  • Tragen: 820 km und 800 kg als Team

  • Essen: u.a. 6,5 L Olivenöl, 23 Gläser Nussmus à 340 g

  • Lesen: 8640 E-Book-Seiten

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