Zwei Radfahrer fahren aus dem Bild, im Hintergrund stehen Berge mit schneebedeckten Gipfeln
Bei der Ortsausfahrt aus Nauders leuchten uns die schneebedeckten Gipfel entgegen. Foto: Verena Stitzinger
Mit dem Gravelbike am Reschensee

Auf schmalen Reifen ins Hochgebirge

Radfahren im Hochgebirge macht nicht nur mit dem Mountainbike Spaß. Verena Stitzinger hat mit dem Gravelbike rund um den Reschenpass vier Touren bis auf 2000 Meter ausprobiert. Dass Nauders mit dem Tiroler Postbus samt Fahrradtransport auch öffentlich gut erreichbar ist, macht es zum optimalen Ausgangspunkt.

sGravel. Gefühlt reden gerade alle darüber: Entweder, weil sie einen unnützen, von der Industrie erdachten Trend vermuten. Oder, weil sie den Reiz erkannt haben. Denn “graveln” ist wie Rennradfahren, aber flexibler, weil es auch auf Schotterwegen möglich ist. Und es ist wie Mountainbiken, aber mit größerer Reichweite. Klingt nach Flachland, Hügelland, vielleicht auch nach Mittelgebirge. Aber auch nach Hochgebirge?

Ich kenne jemanden, der sagt, genau dort wäre es am schönsten. Und der Mann kennt sich aus: Harry Ploner ist ein Urgestein der Bike-Szene. Er hat sich schon für den Radtourismus eingesetzt, als Hardtails noch Starrgabeln hatten. Zusammen mit einer Handvoll anderer Vorreiter hat er damals die Dreiländertour erdacht und so den Grundstein für diesen bekannten Klassiker zwischen Scuol, Livigno und dem Vinschgau gelegt. Seit Jahrzehnten beherbergt und berät Harry die Radfahrer in seinem Hotel Central in Nauders. Die Vorteile vom Graveln liegen für ihn auf der Hand: Ausgedehnte, abwechslungsreiche Touren bis auf 2000 Meter sind mit viel Vortrieb und nahezu ohne Straßenverkehr möglich. Und so lasse ich mich, gemeinsam mit meiner Freundin Andrea, zu „einem Frühlingswochenende im Angesicht der Gletscher“ an den Reschenpass locken.

Der gekieste Uferweg am Haidersee, mit dem Ortlermassiv im Hintergrund, ist eine ideale Gravelstrecke. Foto: Verena Stitzinger

Schon bei unserer Anreise nach Nauders freunde ich mich mit dem neuen Rad an. Auf Asphalt machen wir schnell Strecke, nutzen aber auch immer wieder Feld- und Forstwege und vermeiden so große Straßen. Auf einigen Passagen, wie den vielbefahrenen Fernpass, nehmen wir einfach den Bus. Die Tiroler Postbusse besitzen spezielle Fahrradträger und befördern unsere Räder teilweise sogar gratis.

Bergauf geht es sonnig durch duftenden Lerchenwald. Foto: Verena Stitzinger

Als wir am nächsten Morgen Nauders verlassen, leuchten uns die schneebedeckten Berge entgegen. Was für ein Panorama! Die Tour führt anfangs sanft hinauf zur Passhöhe und am Reschensee entlang und gibt uns so Zeit zum Aufwärmen. Ein kurzer Stopp am versunkenen Turm ist natürlich Pflicht. Harry erzählt uns, dass die Kirche von Altgraun aus dem 14. Jahrhundert stammt. 1950 wurden dann über 600 Hektar rund um den Grauner- und Reschensee geflutet und der große Stausee zur Stromerzeugung errichtet. 150 Familien verloren damals ihre Heimat. In Gedanken bin ich noch bei den alten Zeiten als wir wenig später ins Langtauferer Tal abbiegen. Auf den ersten Höhenmetern folgen wir noch der Straße, dann wählt Harry einen breiten Kiesweg durch wunderschönen Lärchenwald.

Frische Triebe an den Bäumen. Foto: Verena Stitzinger

Mit guter Laune und ins Gespräch vertieft kommt uns die Steigung zur Melager Alm gar nicht so lang vor. Oben angekommen ist es aber amtlich: Wir sind bis auf eine Meereshöhe von 1970 Metern geklettert. Nicht ungewöhnlich für die Jahreszeit, haben wir auf dem Weg hinauf sogar noch ein paar Schneefelder überquert. Hinab rollen wir dann aber weitestgehend auf Asphalt. Und noch während wir die Runde um den See genießen, schmieden wir bereits neue Pläne.

Eine willkommene Pause vor dem Kloster Marienberg. Foto: Verena Stitzinger

„Das ist die Königsetappe“, erklärt Harry am nächsten Tag. Gute 1600 Höhenmeter und fast 70 Kilometer misst die Runde über die Schliniger Alm zu Füßen der Sesvennahütte. Die Tour führt uns zuerst nach Burgeis, hinab ins Vinschgau, dann einen ersten, steilen Anstieg hinauf zum Kloster Marienberg. Das alte Bauwerk stammt aus dem zwölften Jahrhundert und bietet eine stimmungsvolle Umgebung für eine erste willkommene Pause. Kurz hinter dem Kloster biegen wir auf den Stundenweg ein. Einst angelegt, um die Benediktinerabtei mit dem Kloster Son Jon im schweizerischen Münstertal zu verbinden, schmiegt er sich spektakulär an den steilen, felsigen Hang. Und auch der Blick hinab ins Vinschgau ist beeindruckend. Der Ortler überragt die weiten Obstplantagen mit seinem leuchtend weißen Gletscher.

Der Ortler überragt die weiten Obstplantagen mit seinem leuchtend weißen Gletscher. Foto: Verena Stitzinger

Bevor wir nach Schlinig kommen, wird es noch einmal steil. Zur Alm rollen wir dann aber wieder über den recht angenehm zu fahrenden Schotter. Der Fahrweg ist in der Nebensaison kaum befahren. Und so genießen wir den Blick auf die Felsen der „Schwarzen Wand“ und den hohen Wasserfall. Erfüllt von vielen neuen Eindrücken sausen wir anschließend hinab nach Burgeis und gönnen uns am historischen Dorfplatz einen Espresso mit einer Kugel Eis. „Gravel ist meine neue Leidenschaft“, sagt Harry. Und damit ist er nicht allein.

Tour zur Melager Alm

Was für ein Start! Als wir morgens in Nauders losstrampeln, leuchten uns schon am Ortschild die schneebedeckten Berge entgegen. Was für ein Panorama!

Zum Aufwärmen geht es sanft hinauf zur Passhöhe und am Reschensee entlang. Ein kurzer Stopp am versunkenen Turm ist Pflicht. 1950 wurde der große Stausee zur Stromerzeugung errichtet. Nicht nur die Kirche aus dem 14. Jahrhundert wurde damals geflutet, auch 150 Familien verloren ihre Heimat. Diese Gedanken begleiten uns, als wir ins Langtauferer Tal abbiegen. Nur die ersten Höhenmeter bewältigen wir auf der Straße, dann führt uns die idyllische Strecke auf einem breiten Kiesweg durch wunderschönen Lärchenwald. Bergauf geht es trotzdem, doch immerhin weitab vom Autoverkehr. Sogar ein paar Schneefelder überqueren wir. Das ist eine spannende Herausforderung, dabei das Gleichgewicht zu halten. An der Melager Alm ist es dann amtlich: Bis auf 1970 Meter überm Meer sind wir gestrampelt. Weil wir zu früh im Jahr unterwegs sind, ist die Alm noch nicht bewirtschaftet und wir müssen die Einkehr auf später verschieben. Dafür genießen wir die Fahrt durch die Krokus-übersäten Wiesen. Alles blüht in weiß und violett! Auch danach bleiben wir im Genießer-Modus und rollen mühelos auf der asphaltierten Talstraße hinab. Nach einem Kaffee am Stausee umrunden wir diesen noch, schließlich wollen wir die imposante Staumauer nicht nur sehen, sondern auch befahren. Das letzte Stück nach Nauders geht es ohnehin wieder hinab: Ausrollen im wahrsten Sinn des Wortes also.

Info

Nauders - Reschensee - Langtauferer Tal - Melager Alm (2072 m) mit Gletscherblick - Reschensee Umrundung - Nauders

  • Toureninfo: 970 Hm, 60 km, Schwierigkeit: mittel

  • Wegbeschaffenheit: Breite Schotterwege und Asphalt

  • Einkehrmöglichkeit: Melager Alm oder Gasthöfe/Hotels im Langtauferer Tal

  • Übernachtung: Hotel Central, Nauders

  • Tipps: warme Bekleidung und Wetterschutz mitnehmen

Tour zur Schliniger Alm

Die Königsetappe bietet 1600 Höhenmeter und fast 70 Kilometer und führt zur Schliniger Alm zu Füßen der Sesvennahütte. Doch der Reihe nach: Nach dem Prolog zum Reschenpass geht es erstmal sanft durch Lärchenwald ins Vinschgau, genauer ins malerische Burgeis mit den engen Gassen und massiven Häusern. Dann aber wird es steil, die Straße führt zum Kloster Marienberg. Das imposante Bauwerk aus dem 12. Jahrhundert bietet eine willkommene und stimmungsvolle Pause. Wer genug Zeit einplant, kann das Kloster sogar besichtigen.

Danach wird es richtig spannend: Knapp oberhalb des Klosters zweigt der Stundenweg ab. Er wurde einst angelegt, um die Benediktinerabtei mit dem Kloster Son Jon im schweizerischen Münstertal zu verbinden. Der Hang ist extrem steil und felsig – kunstfertig wurde der Weg angelegt und windet sich auf annähernd gleicher Höhe entlang. Allerdings ist der Untergrund hier grob, wer auf den Pedalen bleiben will, muss sich anstrengen und gut balancieren. Die Blicke hinab auf die Obstplantagen des Vinschgau sind spektakulär. Hinter und über allem steht der Ortler mit seinem leuchtend weißen Gletscher.

Auf der Tour zur Schliniger Alm werden die Wege auch mal schmaler. Foto: Verena Stitzinger

Bald erreichen wir wieder grüne Wiesen. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Weg flacher wird! In direkter Linie führt der Fahrweg hinauf, wir brauchen den ersten Gang und werden immer langsamer. Dann aber haben wir es geschafft und erreichen das Dorf Schlinig. Tatsächlich wird es nun angenehmer: Auf dem gekiesten Fahrweg rollen wir zur Alm und genießen die Ruhe der Nebensaison. Wer später im Jahr kommt, kann hier auch einkehren. Wir bewundern die hohen Felsen der „Schwarzen Wand“ mit dem Wasserfall beim Picknick. Erfüllt mit neuen Eindrücken rollen wir danach auf Asphalt hinab und lassen uns in Burgeis am historischen Dorfplatz ein Eis mit Espresso schmecken. Das letzte Stück zum Reschenpass und nach Nauders gelingt uns so gestärkt auch noch.

Info

Nauders - Reschenpass - Burgeis - Marienkloster - Schlinig - Schliniger Alm (1900 m) - Haidersee - St. Valentin – Nauders

  • Toureninfo: 1600 Hm, 74 km, Schwierigkeit: schwierig

  • Wegbeschaffenheit: Breite Schotterwege, Passage auf schmalem, grobem Wanderweg und Asphalt

  • Einkehrmöglichkeit: Schliniger Alm und Gasthöfe/Hotels in Burgeis

  • Übernachtung: Hotel Central, Nauders

  • Tipps: warme Bekleidung und Wetterschutz mitnehmen

Tour nach Sclamischot

Diesmal soll es eine kurze Runde sein – und trotzdem Landschaftsgenuss, Kulturerlebnis und Höhenmeter bieten? Kein Problem. Im Dreiländereck ist innerhalb weniger Stunden ein Fahrrad-Ausflug in die Schweiz möglich.

Wir radeln aus dem Dorf zum urigen Sessellift am Kleinmutzkopf hinab. Dann kommen sie schon, die ersten Höhenmeter. Auf dem kleinen Asphaltsträsschen geht es hinauf zur Norbertshöhe. Vor der Errichtung der Reschenstraße in den 1840er Jahren war dies die einzige Verbindung nach Tirol. Auf 1464 Metern Höhe stehen wir zwar bei weitem tiefer als bei anderen Graveltouren rund um Nauders – die Aussicht jedoch ist grandios. Die Norbertshöhe ist ein Logenplatz überm wilden Inntal. Mühelos rollen wir dann ein Dutzend weite Kehren auf Asphalt hinab nach Martinsbruck. Hier überqueren wir die Grenze zur Schweiz und befinden uns sogleich im Unterengadin – und der Ort heißt Martina. Nur etwas mehr als hundert Menschen wohnen hier in den urigen Engadinerhäusern mit den dicken Mauern und der schönen Bemalung. Sgraffito nennt sich diese Dekorationstechnik. Das Wort ist abgeleitet vom italienischen Verb sgraffiare, also „kratzen“. Denn dabei werden verschiedene Putzschichten aufgelegt und anschließend tieferliegende wieder freigekratzt. Durch den Farbkontrast entstehen die Bilder an den Hausmauern. Wir bewundern die schönen Häuser und machen uns wieder auf den Weg. Nun nämlich wartet der eigentliche Anstieg. In Sclamischot zweigt die Forststraße links ab und windet sich durch den alten Bergwald den Hang hinauf. In einer weiten Schleife sind die gut 500 Höhenmeter gut machbar und so erreichen wir die Norbertshöhe diesmal von oben. Erfüllt von neuen Eindrücken rollen wir hinab nach Nauders.

Info

Nauders – Norbertshöhe – Martinsbruck/Martina – Sclamischot – Martawald - Nauders

  • Toureninfo: 600 Hm, 22 km, Schwierigkeit: einfach

  • Wegbeschaffenheit: Breite Schotterwege und Asphaltstraße

  • Einkehrmöglichkeit: Alpengasthof Norbertshöhe, Gasthöfe/Hotels in Nauders

  • Übernachtung: Hotel Central, Nauders

  • Tipps: warme Bekleidung und Wetterschutz mitnehmen

Dreiländertour

Zugegeben, das ist keine kleine Runde. Dafür befahren wir auf den 86 Kilometern aber auch gleich drei verschiedene Länder: Österreich, Italien und die Schweiz. Wo gibt es so etwas schon?

Beliebtes Motiv am Reschensee: der versunkene Kirchturm. Foto: Verena Stitzinger

Das Aufwärmen erledigen wir von Nauders aus auf österreichischer Seite - hinauf zum Reschenpass. Hinab geht es dann nach Südtirol. Schon am Ortsschild leuchten uns die schneebedeckten Berge entgegen, weiter oben dann die Gletscher des Ortlermassivs. Eine schöne Szenerie bietet sich natürlich auch am Westufer des Reschensees. Das nächste landschaftliche Highlight wartet aber schon: Fernab der Straße strampeln wir durch den wunderschönen Lärchenwald oberhalb von St. Valentin. Die alten Gassen und urtümlichen Häuser in Burgeis verlocken zu einer Pause – doch auch Strecke will irgendwann gemacht werden auf dieser Runde. Und so geht es weiter über Schleis, Laatsch und Taufers zur Schweizer Grenze. Nun sind wir im Münstertal oder Val Müstair unterwegs. Im Hauptort lohnt es sich, das Benediktinerinnenkloster St. Johann Baptist zu besuchen. Auf rätoromanisch heißt es Claustra Son Jon. Das mittelalterliche Kloster ist sehr gut erhalten und steht seit 1983 auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes. Unser Ausflug in die Schweiz ist damit aber noch nicht vorbei: Wir radeln noch bis nach Sta Maria, wo die Straße zum Umbrailpass abzweigt. Das ist uns für heute aber eindeutig eine Hausnummer zu groß: Uns reicht es vollkommen, die Strecke zurück nach Nauders zu meistern – natürlich nicht auf gleichem Weg sondern in einer Runde durch Glurns, Mals und am Haidersee entlang.

Info

Nauders – Reschen – St. Valentin – Burgeis – Schleis - Laatsch – Taufers - Sta Maria - Müstair – Taufers – Glurns – Mals – Burgeis – Reschen - Nauders

  • Toureninfo: 1360 Hm, 86 km, Schwierigkeit: schwierig

  • Wegbeschaffenheit: Breite Schotterwege und Asphaltstraße

  • Einkehrmöglichkeit: zahlreiche Gasthöfe in den Ortschaften auf der Strecke

  • Übernachtung: Hotel Central, Nauders

  • Tipps: warme Bekleidung und Wetterschutz mitnehmen

GPX Dateien der Touren

Name Größe
Sclamischot Tour 65.31 KB
Zur Melager Alm 197.35 KB
Zur Schliniger Alm 177.53 KB
Die Dreiländertour 220.01 KB

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