Wegweiser in Wiesengelände mit Wandergruppe
Unbekannte Ortsnamen – der SPP führt durch touristische Niemandsländer, die kennenzulernen sich lohnt. Foto: Gerhard Fitzthum
Weitwandern in Slowenien

Einmal durch das ganze Land

Bereits 1953 eröffnet, gilt der Slovenska Planinska Pot (SPP) von Maribor an die Adria als erster Bergwanderweg Europas, der ein Land komplett durchquert. Weil lange nur slowenischsprachige Führer im Handel waren, ist er das geblieben, was man einen Geheimtipp nennt.

Die letzten beiden Stunden waren erholsam, wenn auch etwas monoton. Auf breiter Schotterpiste ging es durch eine waldreiche Kulturlandschaft mit kleinen Weilern und Einzelhöfen, zum Schluss sogar ein ganzes Stück über Asphalt. Doch dann wird es plötzlich spannend: Die Markierung zeigt in ein von Felsen durchsetztes Waldstück, das wohl seit Jahren keine Forstarbeiter mehr gesehen hat. Abgestorbene Baumriesen liegen kreuz und quer, von Flechten, Moosen und Pilzen bevölkert. Der Weg, auf dem man eben noch bequem nebeneinander gehen konnte, ist zu einem schmalen Steig geworden, der einem einige Aufmerksamkeit abverlangt. Der Untergrund besteht nämlich aus CaCO³, aus erodiertem Kalkgestein, das die eine oder andere Stolperfalle bereithält. Ein ruppiges Karstplateau folgt nun dem nächsten, hin und wieder müssen sogar die Hände zu Hilfe genommen werden. Aus der beschaulichen Wanderung ist ein handfestes Abenteuer geworden.

Phänomenale Aussicht auf zahmer Hügelgruppe

Unterwegs auf dem südlichen Teil des Trails sind wir in den Golaki, einer aus der Ferne zahm wirkenden Hügelgruppe, die hierzulande kaum jemand kennen dürfte. Gerade mal 1200 bis 1500 Meter hoch, bildet sie den Südrand des slowenischen Alpenraums. Dass Höhe eine relative Größe ist, zeigt sich nicht nur an den windzerzausten Krüppelkiefern, die die Gipfelbereiche bevölkern. Es zeigt sich auch an der phänomenalen Aussicht: Am fernen Horizont glitzert die Adria – die Frachtschiffe, die im Golf von Triest vor Anker liegen, sind mit bloßem Auge zu erkennen. Ein Vorgeschmack auf die vielen Rundumsichten, die wir in den nächsten Tagen noch genießen werden, bis wir dann tatsächlich ins Meer springen können – in der Bucht von Koper, die vom italienischen Triest nur durch eine kleine Landzunge getrennt ist. Die Passage durch die wilden Golaki gehört zum 617 Kilometer langen Slovenska Planinska Pot (SPP), dem mit der Ziffer „1“ markierten Klassiker der slowenischen Alpenvereinsszene. Auf der über insgesamt 60 Gipfel führenden Route trifft man fast ausschließlich slowenische Bergfreund*innen. Die Wirtin der Iztokava-Hütte sagt am Abend, wir seien die erste deutsche Wandergruppe, die jemals bei ihr übernachtet habe. Unglaublich! Dem SPP zu folgen, heißt nahezu alle Regionen des einstigen jugoslawischen Teilstaats kennenzulernen. Mehr als rund fünf Wochen benötigt man dafür aber nicht, denn das Land ist klein, etwa so groß wie Hessen, halb so groß wie die Schweiz. Unter den Jüngeren der zwei Millionen Slowen*innen sprechen alle gut Englisch, was die Verständigung auf den Hütten und in den Dörfern leicht macht. Dazu gibt es eine Herzlichkeit, die man in den bekannteren Alpenregionen schmerzlich vermisst. Ein kleines Völkchen, das seine Natur liebt und bei dem man sich willkommen fühlt.

Stille Welten hoch über dem im Gebirge versteckten Städtchen Cerkno. Foto: Gerhard Fitzthum

Natürlich lässt der SPP auch die bekannteren Berggebiete nicht aus. Nach dem langen Anfangsteil in der Terra incognita zwischen Maribor und Kranjska Gora geht es für einige Tage durch die Julischen Alpen, mit dem Höhepunkt der Besteigung des Triglav. Der „Dreiköpfige“ ist der mythische Gipfel der slowenischen Bevölkerung, der sogar auf dem Staatswappen Platz gefunden hat. Wer nicht geübt und schwindelfrei ist, tut freilich gut daran, außen herum zu gehen – und auch ein paar der sich anschließenden Gipfel auszulassen. Südlich des fast dreitausend Meter hohen Nationalheiligtums passiert man das berühmte Siebenseental, das wegen seiner überwältigend schönen Karstformationen schon 1924 unter Naturschutz gestellt wurde. Mit dem Bohinjsko Jezero, dem Wocheiner See, umrundet man dann einen der schönsten Gletscherseen im Alpenraum, den südlichsten touristischen Hotspot in den Juliern.

Die Bergzüge südlich des Bohinjsko Jezero, des Wocheiner Sees, bieten spektakuläre Weitblicke – und viel Einsamkeit. Foto: Gerhard Fitzthum
Blick auf den – unter Wolken liegenden – Bohinjsko Jezero, den größten und schönsten See der Julischen Alpen. Foto: Gerhard Fitzthum

Nun schließt sich ein weiträumiges Berggebiet an, das in den meisten Köpfen nicht mehr den Alpen zugeordnet wird. Wer sich in die Slowenischen Voralpen vorwagt, findet überall zuverlässige Markierungen vor, muss aber Einsamkeit ertragen können. Und das, obwohl es hier fantastische Aussichtsgipfel wie den Porezen gibt – einen freistehenden Berg, der trotz seiner geringen Höhe von 1630 Metern ein überwältigendes Alpenpanorama bietet. Gute Fernsicht vorausgesetzt, sieht man nicht nur die spektakulären Gipfel der Julischen Alpen und die Pyramide des Krn, des südlichsten Zweitausenders der Ostalpen, sondern auch den Großglockner und manchen friulanischen Kalkriesen. Und nach Süden einmal mehr Istrien, das Tiefland von Udine und die Adria.

Widerstandsgeschichte Sloweniens

Am Ende der langen Abstiegsetappe kommt man aus dem Staunen nicht heraus: Der gut gepflegte Weg schlängelt sich in eine unwegsame Schlucht, wo man plötzlich vor einer Ansammlung von Holzbaracken steht. Sie scheinen wie eingewachsen in die senkrechten Felswände, eine ist sogar direkt über den Wildbach gebaut. Wir sind an der einstigen Wirkungsstätte der Ärztin Franja Bojc-Bidovec angekommen, die hier vom Januar 1944 bis zum Kriegsende das größte Partisanenlazarett Sloweniens geleitet hatte. Der Südwesten des Landes war nach dem Ersten Weltkrieg Italien zugesprochen worden, wo bald die Faschisten an die Macht kamen und mit aller Gewalt versuchten, die Bevölkerung zu italienisieren. Als Mussolini im September 1943 kapitulierte und die Deutschen das Land besetzten, bildeten sich sofort zahlreiche Partisanenverbände, die sich auf die Unterstützung der Einheimischen verlassen konnten. Das bizarre Hospital ist aber auch deshalb nie entdeckt worden, weil man die Verletzten durch das Bachbett aufwärts getragen und so keinerlei Spuren hinterlassen hatte. Insgesamt wurden hier fast 600 Patienten gepflegt, 80 davon waren Angehörige anderer Nationen, auch ein deutscher Wehrmachtssoldat soll dabei gewesen sein. Nicht weniger sensationell ist die Partisanendruckerei, zu der man drei Tage später einen kleinen Abstecher machen sollte. Sie versteckt sich im dicht bewaldeten Hinterland des Bergwerksstädtchens Idrija, wo ein Drittel der Kumpels nach dem deutschen Einmarsch vom geologischen in den politischen Untergrund gegangen war.

Zwischendurch glauben wir gar nicht mehr, dass wir diesen versteckten Ort finden können.

Irgendwann weist aber ein unscheinbares Holztäfelchen mit der Aufschrift „partizanska tiskarna“ in den steil aufsteigenden Bergwald. Vorbei an moosbewachsenen Felsen schlängelt sich der Pfad in die Wildnis. Endlich entdecken wir die erste von drei verwitterten Baracken. Albin Skok, der Verwalter des einzigartigen Freiluftmuseums, wartet schon auf uns. Zunächst führt er uns in die Setzerei, in der alles genauso aussieht wie in den letzten Kriegsjahren. Damals arbeiteten hier bis zu 40 Widerstandskämpfer an der einzigen freien Tageszeitung im besetzten Europa und riskierten damit Kopf und Kragen. Die Bretterwände wurden komplett mit Zeitungen tapeziert – als Wärmedämmung, aber auch, damit nachts kein verräterischer Lichtstrahl ins Freie drang. In dem kleineren Gebäude steht die aus Mailand stammende elektrische Druckmaschine und man fragt sich, wie ein solches Monstrum unbemerkt durch die Berge transportiert werden konnte. Noch erstaunlicher ist freilich, dass sie nach wie vor funktioniert. Albin Skok setzt ein vielsagendes Grinsen auf und druckt uns in wenigen Minuten die gut lesbare Titelseite des „Partizanski Dnevik“ vom 18. September 1944 nach, den Strom liefert nach wie vor das Minikraftwerk am Bergbach. Die Seite der Partisanen-Postille ist ein Souvenir, das man zu Hause nicht einfach zu den Akten legen wird.

Neben der Widerstandsgeschichte Sloweniens findet auch ländliches Idyll seinen Platz. Foto: Gerhard Fitzthum

Tief bewegt und gedankenverloren stolpern wir wenig später den Hang hinauf. Nach weiteren zwei Wandertagen kommen wir an, wo es langweilig zu werden verspricht – im Karst. Dass die Sorge unberechtigt ist, wird uns jedoch schnell klar. Der Karst ist keineswegs die trostlos karge Steppenlandschaft, von der Reiseschriftsteller aus dem 19. Jahrhundert berichtet hatten. Damals war das sanft gewellte Hügelland zwischen Ljubljana und dem Meer durch Schafherden überweidet, was den Eindruck einer endlosen Steinwüste befördert hatte. Heute wandert man durch eine abwechslungsreiche Mittelgebirgslandschaft, die in einer unglaublichen Blumenpracht erstrahlt. Selbst an Aussichtsbergen fehlt es nicht. Sie sind – wie der Slavnik oder die Vremscica – lediglich 800 bis 1000 Meter hoch. Mehr braucht es hier aber auch nicht, um übers weite Land und auf Koper hinunter schauen zu können, den slowenischen Hafen, der dem kroatischen Rijeka längst den Rang abgelaufen hat. Sehenswert sind auch die im Schatten der weltberühmten „Adelsberger Grotten“ liegenden St.-Kanzians-Höhlen. Ihr Eingang befindet sich neben der spektakulärsten Doline Sloweniens – einem mehr als hundert Meter tiefen Einbruchstrichter, der einen Einblick in die geheimnisvolle Unterwelt des Karstes eröffnet. In der ersten Höhle folgt man dem unterirdischen Lauf der Reka, in der zweiten verschwindet der Fluss im Nichts, um erst 30 Kilometer später wieder aufzutauchen. Auf steilen Treppen steigen wir ans Tageslicht zurück und freuen uns auf die drei noch verbliebenen Tagesetappen. Und auf das glänzende Ziel dieser unvergesslichen Wanderreise – die Adria.

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