Mann neben Gipfelkreuz
Einer der unzähligen Gipfel auf der Österreich-Durchquerung: die Hohe Geige. Foto: Markus Paule
Quer durch Österreich: Vom Wienerwald zum Bregenzerwald

Froh zu sein, bedarf es wenig ...

Die Idee: es müsste mal länger sein, als immer nur ein paar Tage in den Bergen. Von unzähligen Besuchen kannte ich den Bregenzerwald. Doch all die anderen Gipfel da hinten am Horizont …?

Von: Markus Paule

Lange Story kurz: nach x Stunden und Nächten der Planung, Routenchecks, Berichte lesen und an den überfüllten Ecken und Skigebieten vorbeiplanen stand sie, die Tour: Wienerwald – Bregenzerwald 2022. Oder auch "Zum Ländle ist kein Weg zu weit ".

Mit einem Lied auf den Lippen

Am 2. Juli 2022 stand ich nach einer Nacht in Sulz im Wienerwald am Gartentor der kleinen Pension und vor mir warteten 75 Tage zu Fuß von Ost nach West durch Österreich. So zog ich los und hatte nach kurzem das Ortsschild hinter mir und verlor mich in Wald und Feld, wusste schnell nicht mehr welcher Tag eigentlich war.

"Froh zu sein, bedarf es wenig und wer froh ist, ist ein König …", war das erste Lied, was mir in den Sinn kam, als meine Füße mich davontrugen. Das Wetter war ein Traum, strahlend blauer Himmel und bis zu 30 Grad. Mein Glück waren die schattigen Bäume des Wiener Waldes. Die sternenklaren Nächte, die ich draußen verbrachte, nahmen mir endgültig jegliches Gefühl von Raum und Zeit. Aber dass das Ganze nicht nur mit blauem Himmel stattfinden würde, lernte ich am Tag Vier, als ich glücklicherweise bei heftigen Gewittern im Öhler-Schutzhaus Unterschlupf fand. Und so musste ich am nächsten Tag meinen ersten 2000er Gipfel streichen: Der Hochschneeberg versteckte sich hinter Sturm, Wolken und Regen. So blieb mir nur, mich in der Edelweißhütte zu trocknen und weiter nach Westen zu ziehen. Zumindest war jetzt klar, dass mein Regenequipment mäßig bis OK funktionierte.

Bei 30 Grad spendet der Wald angenehmen Schatten. Foto: Markus Paule

Entschädigung für das schlechte Wetter gab’s am nächsten Tag beim Start in die Rax: Tolle Steige, Edelweiß, Gämsen, Murmeltiere und mit der Heukuppe dann doch der erste 2000er ließen mich im Karl-Ludwig-Haus wunderbar schlafen. Der nächste Morgen grüßte mit einem wunderschönen Sonnenaufgang. Eine Hummel im Lager hatte mich extra geweckt morgens um fünf und wollte aus dem Fenster raus.

Dann endlich mal ein bisschen Klettern im Zahmen Gamseck. Der Lurgbauer auf der Schneealpe bot Schutz vor Regenschauern und servierte eine tolle Kaspressknödel-Suppe. Die Suppe begleitete mich übrigens bis zum Ende der Tour, je einsamer und kleiner die Hütte umso besser die Suppe. Die nächste richtig Gute gab´s ein paar Tage später mit Ausblick auf den Leobner.

Highlights aus 75 Tagen

In dem Detail weitererzählt, wird es wohl ein Buch, also mal im Schnellvorlauf auf einige der Highlights gespult: Der kleine und große Bösenstein waren wunderschön exponierte Gipfel auf dem Zentralalpenweg Richtung Westen. Auf der hüttenlosen Etappe erlaubte mir das wolkenlos heiße Wetter mehrfach unter der Milchstraße zu schlafen. Außerdem durfte ich auf der tagelangen Gratwanderung bis ins Sölktal erfahren, dass Wasser ein sehr wichtiges Element ist. Findet man doch dort oben keine Quelle, sondern eben nur mit extra Touren bergab. Und die Wege da oben werden einsam und entsprechend weniger gepflegt, also war in der Tat Wassersuchen angesagt. Die Hitze trieb mich am dritten Tag ins Tal, wo der wunderschöne Siebenhüttenbach zischte als ich reinsprang. Durchs Donnersbachtal gings dann wieder hinauf in die Einsamkeit und Ruhe unterm Sternenhimmel.

Seilversichert am Zahmen Gamseck. Foto: Markus Paule

... Und nochmal Vorspulen ...Nächstes Highlight ein paar Tage später das Dachsteingebirge mit dem Hallstätter Gletscher. Übernachtet auf jeden Fall mal in der Ritzinger Hütte! Und wandert von dort Richtung Dachstein. Abseits von Trubel und Klettersteighype ein Traum. Der Weg vorher durchs Schladminger Tal lief zum Glück auf dem Hänger eines Bauern recht zügig und entspannt.

Über das Gutenberghaus Richtung Dachstein, eine steile Wand hinauf, durch den Tunnel und 40 Meter die Leiter wieder runter, steht man schwupps auf dem Gletscher und findet sich zwischen hunderten Touristen wieder. Der Weg über den Gletscher zur Simonyhütte war auch nicht ohne, und man erlebt dort das massive Abschmelzen hautnah. Ein Zeichen "Sommer 88" gute zwei Kilometer weg vom Gletscher machte es nochmal deutlicher: es wird zu warm bei uns.

Von Gipfeln und vom Klimawandel

Von der Simonyhütte dann Richtung Hallstatt – interessant, wieviel Wasser ein Berg verschlucken kann. Unterm Gletscher kein Tropfen, und mitten im Wald sprudelt es aus dem Berg. Sehenswert. Über die Theodor-Körner-Hütte ging es weiter durchs Tal ins Tennengebirge. Ihr sucht Einsamkeit ... dort findet ihr sie und mit der Laufener Hütte auch eine tolle DAV Hütte, nach einer wunderschönen Nacht vorab auf der Gsengalmhütte.

Weiter durchs Tennengebirge und die Einsamkeit, die man mit Gämsen, Murmeltieren und Richtung Salzachtal hinterm Leopold-Happisch-Haus dann auch mit vielen Schafen teilt.

Ich spul nochmal vor ... Nach ein paar Tagen ging es im Pinzgau weiter. Die hohen Tauern aus der Distanz zu sehen, und Gewitter rund ums Kitzsteinhorn und Großglockner zu beobachten, statt selbst drin zu sein, war das Erlebnis der nächsten Etappe. Leider für die Anwohner nicht so schön, gab es doch in den engen Tälern einige Murenabgänge und temporäre Hochwasser, die einigen Schaden angerichtet haben. Durch den Touristenrummel in Krimml ging es dann hoch in die Tauern, über Tauernhaus, Zittauer- und Richter-Hütte ging es weiter. Wer in Bergseen schwimmen will, sollte diese Runde mal gehen!

Dort gab es dann endlich auch meinen ersten 3000-er seit einigen Jahren: Die Richterspitze ... Von der Hütte aus ohne Gepäck wunderschön zu laufen mit tollen Blicken auf die traurigen Eisreste der Keese. Letze Höhenmeter dann mit spannender Kletterei und der Frage „Wer hat die Steine so hingestapelt und halten die jetzt, wenn ich drüber klettere?“

Und weiter gings von Joch zu Joch, vorbei an den Resten der einst stolzen Gletscher unterhalb des Hauptkamms, hinein ins Zillertal mit imposanten Stauseen. Vor Mayrhofen dann links wieder hoch, hab da bestimmt ein Pfund Heidelbeeren gepflückt und vertilgt, auf die Edelhütte. Start oder Ende des "Berliner Höhenweges", dem ich dann auch bis zur Berliner Hütte gefolgt bin. Die Berliner Hütte ist trotz oder wohl wegen ihrer Größe einen Besuch wert, leider aber auch hier vom Gletscher nicht mehr viel zu sehen. Da mir und den Begleitern, die man so auf der Runde ganz automatisch kennenlernt, das Wetter nicht ganz hold war, mussten wir das Schönbichler Horn als höchsten Punkt der Runde in Wolken und Regen zurücklassen.

Die Geschichten von draußen

Immer wieder schicken uns DAV-Mitglieder und andere Bergbegeisterte E-Mails mit tollen Geschichten und Erlebnissen von draußen in die Redaktion. Es sind Geschichten aus den Bergen oder anderswo in der Natur. Mit der Online-Rubrik "Geschichten von draußen" schaffen wir eine Möglichkeit, all diese Geschichten und Erlebnisse zu teilen. Und alle, die lieber lesen als schreiben, finden hier Unterhaltung, Inspiration und vielleicht schon Planungsgrundlagen für die eigene nächste Tour. Die Geschichten ersetzen keine individuelle und sorgfältige Tourenplanung.

Du hast auch eine Geschichte? Dann schick sie gerne an dav-panorama@alpenverein.de.

Gegen Ende jedes Jahres wird über die besten Geschichten abgestimmt – die Autor*innen der Gewinner-Storys dürfen sich über einen tollen Gutschein freuen.

Kurz ins Tal und wieder hinauf

Nach fast zwei Wochen auf über 2000 Metern Höhe Tag und Nacht war ein Abstieg ins Tal aber eben auch mal wieder ganz nett. Gibt es doch "da unten" so viel schönes Grün und jede Menge blühende Blumen auch noch im August.

Aber der Höhen noch nicht genug zog es mich wieder hinauf zur Grenze nach Südtirol. Der Grenzkamm und seine Gipfel Richtung Brenner waren auch ein Erlebnis der besonderen Art. Haben doch die Soldaten Italiens im letzten Jahrhundert dort schwer geschuftet und breite Wege angelegt, die es erlaubten, dass zwei bepackte Mulis aneinander vorbeikamen ... Ohne strömenden Regen bestimmt noch schöner da oben.

Und die Landshuter Europahütte mit Besuch des Versorgungshubschraubers war definitiv ein Highlight und entschädigte für den Regen vorher. Halb in Italien und halb in Österreich steht die Hütte auf 2700 Höhenmetern an einer traumhaften Stelle. Auch der Hausgipfel, der Kraxentrager mit 2998 Meter, also die Haarspitzen auf 3000, ist erklimmenswert. Ein toller Gipfel – leider komplett in den Wolken … wieder ein Grund zurückzukehren.

Von da über die Grenzkette teils geklettert, teils auf den Muliwegen runter zum Brenner, und immer weiter westwärts. Tolle Blicke hatte ich auf "Piz X, Y und Z". Muss dann wohl auch mal nach Italien zum Bergwandern ...

Erinnerungen an einen ganz besonderen Sonnenaufgang. Foto: Markus Paule

Plan B

Und nochmal vorspulen: Hauerseehütte ... Da muss man gewesen sein! – Danke an die Hüttencrew für jede Menge heißen Tee. Eine Selbstversorgerhüttchen mit saukaltem See und dem Luibiskogel (3110 m), leider auch nur in den Wolken, bin aber total dankbar dafür; alles Ziele, wo ich eben nochmal hin kann bei blauem Himmel, auch um dann doch noch in den See zu springen.

Ab da gabs Plan B. Statt Richtung Kaunergrathütte hat´s mich zur Rüsselsheimer Hütte verschlagen (unter denTop-3 meiner DAV-Hütten) und von da mein bisher höchster Gipfel rein zu Fuß: die Hohe Geige (3394 m). Eine faszinierende Kletterei über den Westgrat, anstregend und jeden Schweißtropfen bei strahlend blauem Himmel wert.

Es ging weiter westwärts: Pitztal, Kaunertal, mit Blick auf die hohen Ötztaler Alpen und über Nauders ins Hinterengadin: "Allegra". Dort mit Steinadlern über die Hänge geglitten. Habt ihr schon mal zehn Meter neben euch Adler gleiten gesehen? Ich durfte das mehr als eine Stunde erleben! War wohl zum Glück zu groß fürs Beuteschema. Von da gings Richtung Silvretta bis zum Jamtalferner, dort hab ich mich dann vom ewigen Eis des Alpenhauptkamms verabschiedet.

Vorher an der Grenze Schweiz – Österreich den wohl einfachsten 3000-er, die Breite Krone, mitgenommen, karges schönes Land dort oben ... Weiter ins Verwall: Tja, und da, beim Blick Richtung Norden, kamen zum ersten Mal die mir bekannten Bergspitzen ins Blickfeld: Rote Wand, Zitterklapfen & Co. Ich war wohl langsam am Ende der Tour.

Aber das Verwall zeigte sich von der spannenden Seite: Anfang September puderten die abendlichen Gewitter die Gipfel wie den Patteriol weiß. Es gurgelte und plätscherte überall, der Weg rund um den Patteriol von Neuer Heilbronner zu Konstanzer Hütte war noch mal ein echtes Highlight. Kleiner Tipp: nach einem Gewitter besser den Weg nehmen, der eine Brücke über den

Bach hat, sonst muss man halt barfuß durch, wenn man die Schuhe trocken halten will.

Abermals ein himmlisches Farbspektakel. Foto: Markus Paule

Finale & große Emotionen

Tja, und dann war ich wohl angekommen ... Ravensburger Hütte, diesmal im Regen und trotzdem ein Favorit unter den DAV-Hütten. Ab jetzt … nur noch wenige Wege nicht schon mal gegangen, alle Hütten schon mal gesehen, was aber dem Spaß keinen Abbruch machte.

Auf der Göppinger Hütte gab es dann noch einen tollen Mondaufgang ohne Wolken. Und ein letzter Blick der Sonne hinterher. So empfing mich die "Heimat", der Bregenzerwald, also zum Finale dann doch noch mit strahlend blauem Himmel. Man muß eben mit jedem Wetter rechnen dort oben, auch mit Gutem.

Die Hochkünzelspitze mit Blick aufs Ziel war der wohl emotionalste Gipfel der Tour, ich saß da oben gute zwei Stunden und hab geheult. Was für Emotionen ...

Große Emotionen gabs auf der Hochkünzelspitze. Foto: Markus Paule

... 1100 Kilometer und 68.000 Höhenmeter lagen hinter mir, eine unglaubliche Tour. Natur ohne Limits, uralte Bäume, blühende Wiesen, karge Steinwüsten, viele faszinierende Weitblicke, tolle Tiere wie die Steinböcke, die keine zwanzig Meter vor mir im Rudel den Weg kreuzten; die Steinadler, Murmeltiere ohne Ende und hunderte glückliche Kühe und Schafe auf den Almen, und nicht zu vergessen, die vielen tollen Bekanntschaften, die alle mit mir einig waren: Berge machen glücklich.

Die finale Etappe bis Damüls ins Ländle bin ich dann "geflogen". Hab dort die Familie getroffen und zum Finale den Berg, wo die Idee geboren wurde, im ersten Neuschnee bestiegen: Ragazer Blanken.

Es war die Reise meines Lebens, und ich weiß, nicht die letzte! Mein Rat: Nicht träumen, sondern machen, denn "Froh zu sein bedarf es wenig ...“

PS: Ich werde weiter wandern

Über den Autor

Markus Paule ist am Niederrhein aufgewachsen und seit 20 Jahren an der Obermosel seßhaft. In seiner Kindheit verbrachte er jede Ferien mit der Familie in Egg im Bregenzerwald auf einem Bauernhof; hatte dann aber lange die Berge fast vergessen. Bis er nach mehr als 15 Jahren wieder hinfuhr … und das Gefühl hatte, "nach Hause" zu kommen. Seitdem verspürt er immer wieder Bergsehnsucht. Seine Erlebnisse hält er auf seinem Blog fest.

Im Sommer 2021 verlegte er sein Home Office kurzerhand in den Bregenzerwald, um nach Feierabend Bergluft zu schnuppern. Dort, in einer Nacht auf dem Ragazer Blanken, entstand dann auch die Idee zur beschriebenen Tour.

Danke Philipp, Dominik, Andy&Marie, Michael, Renate, Susanne, Chris&Lana, Christoph, Julinde, Lisa, Patrick, und alle, die mich sonst noch so ein Stück des Weges begleitet haben, ihr seid jetzt Teil meines Glücks, und Danke an Claudia und die ganze Familie, ihr wisst warum ;-)

Der Autor: Markus Paule. Foto: Markus Paule

Fotostrecke: Vom Wienerwald zum Bregenzerwald

Auf alpenvereinaktiv findet ihr die detaillierte Planung der Strecke.

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