Highlights des Alpinismus

… und die Menschen dahinter

Auf der Hochebene, Aufnahme von Eugen Albrecht um 1900

Alpinismus – was ist das überhaupt? Begeisternder Sport am Berg und am Fels; faszinierende Leistungen in den Alpen und den Bergen der Welt; immer aber auch ein Spiegel seiner Zeit, mit Diskussionen um Stil und Ideologien. Wenn wir also hier einige herausragende Protagonisten und Protagonistinnen mit ihren markantesten Aktionen darstellen, dann zeigt sich darin auch vieles, was die Leidenschaft Alpinismus über den rein sportlichen Aspekt hinaus für viele zum Sinnstifter macht. Große Worte? Zumindest große Taten und große Gefühle.

  1. Von den Anfängen bis zum „Goldenen Zeitalter (1336 – 1865)
  2. Führerloses Bergsteigen und „Felsenturnen“ (1865 – WK I)
  3. Der sechste Grad und die großen Nordwände (WK I – WK II)
  4. Achttausender und die Direttissima-Sackgasse (WK II- Ende 1960er)
  5. Der Siebte Grad und „by fair means (1970er – 1980er)
  6. Professionalisierung und Medialisierung (1990er – heute)
  7. Und „sie“?

Von den Anfängen bis zum "Goldenen Zeitalter"

Berge haben die Menschen schon immer fasziniert, in vielen Mythen und Religionen spielen sie wichtige Rollen, vom Olymp bis zum Fuji, vom Ayers Rock zum Berg Sinai. In Japan gab es schon im 8. Jahrhundert eine Kultur ums Bergsteigen, zu der auch ein gewisser Hüttenzauber gehörte. Europa, wo die Alpen liegen, musste sich erst aus dem Dunst des Mittelalters befreien; im Zuge des Humanismus und der Aufklärung gewann das Individuum an Bedeutung und Einzelpersonen durften es sich herausnehmen, nach oben zu schauen und Erlebnisse in den Bergen zu suchen, statt gebückten Hauptes für Kaiser und Kirche zu schuften. Diese ersten alpinen Gipfelbesteigungen geschahen oft auf Geheiß und zum Ruhme der Herrschenden (weltlich oder kirchlich), mit der Aufklärung dann auch unter wissenschaftlichen Zielen (oder Vorwänden?). Im mittleren Drittel des 19. Jahrhunderts, angespornt von Voltaires "Zurück zur Natur" und ähnlichen Motivationen der Romantik, wurden die Alpengipfel zu Zielen um ihrer selbst willen; vor allem wohlhabende Engländer, geführt von starken Einheimischen aus der Schweiz, Frankreich und Italien machten besonders die Westalpen zum "Playground of Europe". Dieses "Goldene Zeitalter" des Alpinismus gipfelte in den Erstbesteigungen der Viertausender um 1850-1865. 

26. April 1336

Aus Liebe zum Berg

Der Dichter Francesco Petrarca besteigt den Mont Ventoux (1909 m) in der Provence – quasi aus Jux und Dollerei, so wie wir heute. Auf den Mont Ventoux allerdings führt heute eine Straße, die vor allem Radler gerne als Folterwerkzeug nutzen. Vorher hatten Mitteleuropäer die Alpen eher als Verkehrshindernis wahrgenommen; Passstraßen legten schon die Römer an. Petrarcas Kollege Dante Alighieri hatte 1311 den Monte Falterone (1654 m) im Apennin bestiegen. 1348 steigt ein Mönch von Benediktbeuern auf die Benediktenwand (1801 m) in Bayern, 1388 bringt Bonifatio Rotario d’Asti ein Votivbild auf den Gipfel des Rocciamelone (3538 m) in den italienischen Alpen.

26. April 1336

Francesco Petrarca, Quelle: Public domain, via Wikimedia Commons

Francesco Petrarca (1304-1374)

... gilt als Vater des Alpinismus. Petrarca unternahm 1336 seine Besteigung des Mont Ventoux (1909 m, Provence) nur um des Bergsteigens willen und schrieb seine Erfahrungen nieder. Der humanistische Gelehrte dachte auf dem Gipfel an ein Zitat von Augustinus: „Und es gehen die Menschen hin, zu bestaunen die Höhen der Berge, die ungeheuren Fluten des Meeres, die breit dahinfließenden Ströme, die Weite des Ozeans und die Bahnen der Gestirne und vergessen darüber sich selbst.“

26. Juni 1492

Mont Aiguille; im Sommer etwas einfacher zu besteigen, Foto: Michel, CC BY-SA 2.0 FR, via Wikimedia Commons

Erobert für den König

Der allseits senkrecht felsig abbrechende Mont Aiguille (2087 m) in der Provence wird auf königliches Geheiß Karls VIII. vom Söldnerführer Antoine de Ville erobert: mit Sturmleitern, Seilen und Eisenstiften.

26. Juni 1492

Antoine de Ville, Quelle: G.Garitan, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Antoine de Ville (1450-1504) 

Erstbesteigung des Mont Aiguille (Provence, 1492) im Auftrag von König Karl VIII - mit Leitern und militärischem Belagerungsmaterial. Die mehr als zehnköpfige Expedition blieb sechs Tage lang auf der geräumigen Gipfelwiese, baute dort eine Hütte und feierte eine Messe.

20. August 1555

Mit Forscherdrang

Der Naturforscher und Arzt Conrad Gesner besteigt mit vier Begleitern den Gnepfstein (1916 m) am Pilatus über Luzern. Er ist zeittypisch als Wissenschaftler unterwegs, allerdings auch mit persönlichen ästhetischen Zielen, denn schon 1541 schrieb er in einem Brief „de admiratione montium“ (über die Bewunderung der Berge), er wolle sie regelmäßig besteigen, wenn „die Bergflora in voller Blüte steht, sowohl um diese zu untersuchen, als auch um meinem Körper eine edle Übung und meinem Geiste eine Freude zu verschaffen“.

20. August 1555

8. August 1786

Der Mont Blanc; die Besteigung forderte einen vollen Tag auf den Gletschern, Foto: Tiia Monto, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

La grande ouverture

Die Erstbesteigung des Mont Blanc (4810 m, höchster Gipfel der Alpen und Westeuropas) gilt allgemein als Geburtsstunde des Alpinismus. Der Genfer Wissenschaftler Horace-Bénédicte de Saussure hatte eine Belohnung für den ausgesetzt, der einen Weg fände; der Arzt Michel-Gabriel Paccard und der Kristallsucher Jacques Balmat erreichten gemeinsam den Gipfel. Danach zerstritten sie sich darüber, wer mehr Anteil am Gelingen des Unternehmens hatte, Balmat jedenfalls profitierte davon: Er führte im Jahr darauf de Saussure auf den Gipfel.

8. August 1786

Michel-Gabriel Paccard, Quelle: DAV Archiv

Michel-Gabriel Paccard (1757-1827)

... bestieg gemeinsam mit Jacques Balmat als Erster den Mont Blanc (4810 m, höchster Alpengipfel, 1786) mit dem Ziel, naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen. Wer dabei der entscheidende Akteur war, ist bis heute umstritten; Paccard jedenfalls studierte lange durchs Fernglas mögliche Aufstiegsrouten.

Jacques Balmat, Quelle: DAV Archiv

Jacques Balmat (1762-1834)

Erstbesteigung des Mont Blanc gemeinsam mit Paccard ohne Seile und Eispickel – eine ungeheure Leistung. Mit einem halb-freiwilligen Biwak auf dem Gletscher hatte Balmat zuvor eine große mentale Hürde durchbrochen. Auf das "Finden eines Weges zum Gipfel" hatte der Genfer Wissenschaftler Horace-Bénédict de Saussure einen Preis ausgesetzt; ihn führte Balmat 1787 zum Gipfel und de Saussure konnte dort Experimente durchführen, unter anderem zur Veränderung des Luftdrucks und des Siedepunktes von Wasser mit der Höhe.

28. Juli 1800

Nationale Ruhmestaten

Der Großglockner (3798 m) wird durch eine 62-köpfige Expedition erstbestiegen. Der Fürstbischof Franz von Salm-Reifferscheid sponsert das Unternehmen mit bester Verpflegung und edlen Weinen. Nach Errichtung von drei Hütten erreichen vier Personen den Gipfel, am nächsten Tag wird ein Kreuz hinaufgetragen und aufgestellt. Der Ortler (3905 m) erleidet seine Erstbesteigung 1804, im Auftrag von Erzherzog Johann von Österreich.

Der Großglockner; die Erstbesteiger folgten dem linken Grat. Foto: magnuss, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

28. Juli 1800

Valentin Stanič, Quelle: DAV Archiv

Valentin Stanič (1774-1847)

Priester, Alpinist und Humanist, beteiligte sich 1800 an der Erstbesteigung des Großglockner und stand alleine als erster auf dem Watzmann (Bayern), später noch auf vielen weiteren Alpengipfeln.

Johann Rudolf Meyer, Foto: Joseph Reinhart, Public domain, via Wikimedia Commons

Johann Rudolf Meyer (1768-1825)

... aus Aarau stand 1811 mit seinem Bruder Hieronymus und zwei Führern auf der Jungfrau (4158 m), die erste Besteigung eines Schweizer Viertausenders. Für den Zustieg aus dem Rhonetal über den langen Aletschgletscher errichteten sie ein schützendes Kabäuschen. Der Fabrikantensohn, Revolutionär, Geologie-Aficionado und Förderer der Pestalozzi-Pädagogik starb nach einem turbulenten Leben als Falschmünzer im Zuchthaus.

27. August 1820

Der Zugspitzgipfel; die Erstbesteigung gelang von der Rückseite (S). Foto: Jörg Bodenbender

Der Höchste Deutschlands

Die Erstbesteigung der Zugspitze (2962 m) ist eine Art Verwaltungsakt: Der Vermessungsoffizier Joseph Naus soll dort oben die Grenzen analysieren.

Mehr zur Erstbesteigung der Zugspitze und zur Geschichte von Deutschlands höchstem Berg: alpenverein.de/zugspitze200

27. August 1820

1838

Selbst ist die Frau!

Henriette d’Angeville ist nicht die erste Frau auf dem Mont Blanc. Aber während Marie Paradis 1809 sich mehr nolens als volens hinaufhelfen ließ, organisierte die wohlhabende Pariserin ihre 15-köpfige Truppe selbständig und kämpfte sich aus eigener Kraft hinauf – wenn auch nicht ohne Zweifel: „Wenn ich sterben sollte, ehe ich den Gipfel erreiche, tragt meine Leiche hinauf und lasst sie oben“.

1838

Henriette d'Angeville, Quelle: DAV Archiv

Henriette d'Angeville (1794-1871)

... organisierte die zweite Frauenbesteigung des Mont Blanc aus eigenem Antrieb und legte die gesamte Strecke aus eigener Kraft zurück. Damit gilt sie als erste große Alpinistin. Anschließend bestieg sie weitere Gipfel, widmete sich der Höhlenforschung und gründete ein Museum für Mineralien.

1843

Leichter zum Gipfel

Friedrich Simony lässt den 1834 erstbestiegenen Hohen Dachstein (2995 m) durch Sprengungen, fixe Seile und Eisentritte massentauglicher herrichten – der erste versicherte hochalpine Weg der Ostalpen.

Der Dachstein; die Normalwege folgen dem zentralen Grat oder vom Gletscher zum Gipfel. Foto: Ewald Gabardi, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

1843

1857

Vereine für die Berge

Der „Alpine Club“ in London ist der erste Alpenverein. 1862 folgt das österreichische Pendant, 1863 in der Schweiz, 1867 in Italien, 1869 in Deutschland, 1874 in Frankreich, 1909 in Liechtenstein, 1911 in Monaco.

Mehr zur Geschichte des DAV

1857

Franz Senn, Quelle: DAV Archiv

Franz Senn (1831-1884)

... ist weniger wegen seiner Erstbesteigungen in den Ötztaler Alpen bedeutend für den Alpinismus, sondern als einer von vier Gründern des Deutschen Alpenvereins 1869. Als Kurat in Vent im hinteren Ötztal bot er Bergsteigern Anlaufstelle und Unterkunft und sah in der Förderung des Bergsteigens eine Art Entwicklungshilfe für die Einheimischen, die in ärmlichen Verhältnissen darbten. So gilt der "Gletscherpfarrer" quasi als Erfinder des Alpentourismus - dessen Entwicklung, gerade im Ötztal, hätte er sich wahrscheinlich nicht vorstellen können.

16. August 1861

Das Weißhorn von Norden, Foto: Björn S…, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Auf die Viertausender!

Das Schreckhorn (4078 m) gilt als einer der schwierigsten Schweizer Viertausender, sein Erstbesteiger Leslie Stephen, Autor des Buchs „The Playground of Europe“ (1871), bringt die Erschließungsphase der Hochgipfel, die in den 1850er Jahren begonnen hatte („Goldenes Zeitalter“), auf ein neues Schwierigkeitslevel. Drei Tage später steht der Physikprofessor John Tyndall als erster auf dem Weißhorn (4505 m), einem der wohl schönsten Alpengipfel.

Hier gibt es weitere Bergbuch-Klassiker.

16. August 1861

Leslie Stephen, Quelle: George Charles Beresford, Public domain, via Wikimedia Commons

Sir Leslie Stephen (1832-1904)

... war einer der prägenden englischen Bergsteiger des "Goldenen Zeitalters", Erstbesteiger unter anderem von Bietschhorn, Schreckhorn und Zinalrothorn, die zu den schwersten Gipfeln der Alpen gehören. Er war Mitgründer des Alpine Club und einige Jahre lang sein Präsident; den Zeitgeist erfasst sein Buchtitel von den Alpen als "Playground of Europe", als Tummel- oder Sportplatz. Der mit selbstironischem Humor gesegnete Philosoph, Historiker und Literat war Vater der Schriftstellerin Virginia Woolf und der Malerin Vanessa Bell.

Paul Grohmann, Quelle: DAV Archiv

Paul Grohmann (1838-1908)

... war für die Dolomiten in etwa das, was die Engländer für die Westalpen waren: ein wesentlicher Erschließer, mit Erstbesteigungen der bedeutendsten Gipfel, darunter Tofana, Marmolada, Langkofel und Große Zinne. Aber auch Hochalmspitze und Hochfeiler waren seine "Beute" in den 1860er Jahren. 1862 gehörte er zu den drei Gründern des Österreichischen Alpenvereins.

14. Juli 1865

Das Matterhorn; der "Hörnligrat" der Erstbegeher verläuft zentral unterm Gipfel. Foto: Andrew Bossi, CC BY-SA 2.5, via Wikimedia Commons

Gewonnen und verloren

Die Erstbesteigung des Matterhorns (4478 m), quasi Finale der Viertausender-Epoche, verknüpft sich mit einem der bekanntesten Alpinunfälle: Edward Whymper und Peter Taugwalder Vater und Sohn, verbinden sich beim Abstieg mit einem dünnen Hilfsseil mit dem Rest des Teams. Als Douglas Hadow ausrutscht, reißt er Francis Douglas, Charles Hudson und Michel Croz mit - das Seil reißt und die vier stürzen tödlich ab.

Der Absturz beim Abstieg vom Matterhorn, Quelle: Gustave Doré, Public domain, via Wikimedia Commons

14. Juli 1865

Edward Whymper, Quelle: DAV Archiv

Edward Whymper (1840-1911)

... ist einer der bekanntesten britischen Bergsteiger der "Goldenen Phase des Alpinismus" (1854-1865), insbesondere durch seine Erstbesteigung des Matterhorns (Schweiz). Aber er stand auch als erster auf vielen anderen bedeutenden Gipfeln, etwa auf der Barre des Ecrins, der Aiguille Verte und dem nach ihm benannten zweithöchsten Gipfel der Grandes Jorasses (in einem Zug vom Aostatal aus, über 2400 Höhenmeter). Beim Abstieg nach der Erstbesteigung des Matterhorns stürzten vier seiner sechs Begleiter tödlich ab - er schrieb dazu: "Ersteige die Hochalpen, wenn Du willst, aber vergiss nie, dass Mut und Kraft ohne Klugheit nichts sind, und dass eine augenblickliche Nachlässigkeit das Glück eines ganzen Lebens zerstören kann".

Führerloses Bergsteigen und "Felsenturnen"

1865, im Jahr der Matterhorn-Erstbesteigung, durchstiegen vier Engländer mit zwei Schweizer Führern die Brenvaflanke, eine 1300 Meter hohe Wand aus Fels und Eis am Mont Blanc. Ein gewaltiger Schritt in eine neue Richtung: Statt der leichtesten Wege auf die Gipfel kamen nun andere, schwierigere Wände und Grate in den Fokus. Denn das Streben nach Verbesserung, nach Exzellenz, steckt im Menschen drin und realisierte sich auch in der Entwicklung des Alpinismus. Vor allem in den Nördlichen Kalkalpen und den Dolomiten fanden sich solche Ziele in zunehmend steilen Felswänden; in den zehn Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurden Routen erklettert, die heute noch als "Extremklassiker" gelten. Immer häufiger waren die Protagonisten selbstständig unterwegs, ohne Bergführer: "Führerlos" wurde zum umstrittenen Leitmotiv für guten Stil. Mochten die Altvorderen auch wettern gegen den "unverantwortlichen Leichtsinn", ohne gebietskundige Profis aufzubrechen zur sportlichen "Felsenturnerei", das Bessere erwies sich als Feind des Guten. Nebeneffekt: Der Entfall des Führerhonorars ermöglichte es auch weniger wohlhabenden Bergfreunden, diese Leidenschaft zu erfahren und auszuleben - zur Breitentauglichkeit trugen auch fixe Seile und Klettersteigausbauten bei, die manche steilen Stellen erleichterten. Am High End entbrannte eine Stildiskussion ("Mauerhakenstreit") um die Verwendung von Seil und Haken zur Fortbewegung, aber auch schon zur Sicherung. Das Freikletterideal in Wiener und englischer Tradition, vertreten durch Paul Preuss, traf auf die "Münchner Schule" um den Wortführer Hans Dülfer und den kreativen Entwickler Otto Herzog, die auch gerne mal technische Tricks nutzten.

15. Juli 1865

Mehr als nur Gipfel

Einen Tag nach dem Matterhorn wird die Brenvaflanke (1300 m, AD/D, 50°, III) am Mont Blanc erstmals durchstiegen, von George S. Matthews, Adolphus W. Moore, Frank und Horace Walker mit Jakob und Melchior Anderegg. Ein neues Kapitel beginnt: Jetzt geht es nicht mehr nur darum, Gipfel zu erreichen, sondern schwierigere Grate und Wände zu durchsteigen – so folgen 1872 die Monte-Rosa-Ostwand (1600 m, D, 55°, IV), 1876 die Pallavicinirinne (600 m, AD, 55°) am Großglockner, 1878 der Biancograt (AD, III+, 50°) am Piz Bernina und 1887 der Bumillerpfeiler (800 m, D+, V, 60°) am Piz Palü.

15. Juli 1865

Eugen Guido Lammer, Quelle: DAV Archiv

Eugen Guido Lammer (1863-1945)

... begeisterte mit seinem Buch "Jungborn" Generationen junger Bergsteiger, radikal und lebenshungrig im Nietzsche-Geist des ausgehenden 19. Jahrhunderts: "Rotglühend lohte in meinem Busen die Sehnsucht nach alpiner Tat, unlöschbar der Durst nach Todesgefahr. Ich war entschlossen, das Höchste zu wagen, das Leben jederzeit hinzuwerfen wie einen zerbrochenen Bergstock." Seine alpinen Taten führten ihn alleine über spaltenreiche Gletscher, auf unbestiegene Gipfel und durch steile Wände; dabei ging es ihm aber nicht um lebensmüdes Draufgängertum, sondern um intensives Erleben, Selbsterfahrung und Bewährung - etwa so, wie es Reinhold Messner später etwas prosaischer formulierte: "Ich gehe dahin, wo ich sterben kann, sterbe aber nicht". Der schon mit 21 Jahren promovierte Doktor der Philosophie erreichte deshalb auch (nicht ohne das nötige Quäntchen Glück) ein hohes Alter.

1870

Allein durchs Gebirge

Hermann von Barth begeht den nach ihm benannten „Barthgrat“ an der Mittleren Jägerkarspitze im Karwendel – wie gewohnt, allein und ohne Sicherung; brüchig, ausgesetzt und für die offizielle Bewertung III ganz schön knackig. Führerlos erkundete er systematisch die Nördlichen Kalkalpen und setzte damit den Maßstab für eigenverantwortliches Bergsteigen.

1870

Hermann von Barth, Quelle: DAV Archiv

Hermann von Barth (1845-1876)

... erforschte führerlos und meist alleine gehend um 1870 die Nördlichen Kalkalpen von Berchtesgaden bis ins Allgäu. 1870 bestieg er alleine im Karwendel 88 Gipfel, darunter 12 erstmals, und kletterte dabei solo durch wildes Gelände: Der "Barthgrat" an der Mittleren Jägerkarspitze ist Legende. Als auf dem Gipfel ein Felsbrocken unter ihm nachgab, er sich mit einem Sprung retten konnte, aber sein Bergstock in den Abgrund rumpelte, rief er ihm hinterher: "Wer mit mir geht, der sei bereit zu sterben!" - nachzulesen in seinem umfassenden Werk "Aus den Nördlichen Kalkalpen". Auf einer Forschungsreise in Afrika erschoss er sich im Fieberwahn.

1876

Coole Ladies

Die erste Winterbesteigung des Mont Blanc ist Frauensache. Meta Brevoort, erster Mensch auf Jungfrau und Wetterhorn, scheitert zwar Anfang Januar 1876. Ende des Monats aber startet Mary Isabella Straton durch und steht, nach Start auf der Grands-Mulets-Hütte, um drei Uhr nachmittags auf dem höchsten Alpengipfel. Die Einwohner von Chamonix feiern die Bergsteigerin und ihre zwei Führer (einen davon, Jean Charlet, heiratete sie später) mit Feuerwerk, der Chronist Charles Durier schrieb: "Frauen sind zu allem fähig." Wie viel Energie nötig war, zeigte sich 140 Jahre später, als ein Filmteam mit Ines Papert die Besteigung wiederholen wollte, mit Wickelrock und Nagelschuhen aus dem Museum, und auf halber Strecke aufgeben musste.

1876

Margaret Claudia "Meta" Brevoort, Quelle: DAV Archiv

Margaret Claudia "Meta" Brevoort (1825-1876)

... in den USA geboren, wurde nicht in den britischen Alpine Club aufgenommen, der bis 1975 für Frauen geschlossen war, nur ihre Beagle-Hündin Tschingel war "honorary member" im weltweit ersten Alpenverein. Die Hündin begleitete Brevoort genauso wie ihr Neffe W.A.B. Coolidge (einer der erfolgreichsten Bergsteiger jener Zeit) auf vielen Bergtouren, unter anderem auf den Mont Blanc. Meta Brevoort begann ihre alpine Karriere erst mit 39, bestieg schon 1865 den Mont Blanc und dann viele der damals schwierigsten Gipfel. Auf Weißhorn, Dent Blanche und Bietschhorn war sie die erste Frau; am Matterhorn kam ihr Lucy Walker zuvor, dafür machte sie als erste Frau die Überschreitung. Mit den überhaupt ersten Winterbesteigungen von Wetterhorn und Jungfrau setzte sie auch absolute Marksteine; 1870 war sie mit Coolidge und den Führern Christian und Ulrich Almer der erste Mensch auf dem Pic Central (3970 m) der Meije. Ihr Tod an einem rheumatischen Fieber in Folge einer Streptokokkeninfektion setzte ihren alpinistischen Plänen - wie der Erstbesteigung des Meije-Hauptgipfels oder einer Expedition zum Everest - ein vorzeitiges Ende. 

Eleonore Noll-Hasenclever, um 1911

Eleonore Noll-Hasenclever (1880-1925)

... kam als junge Tochter aus wohlhabendem Duisburger Haus ins Wallis und erkundigte sich nach dem besten Bergführer. Der 54-jährige Alexander Burgener wurde ihr "Bergvater" und brachte dem "Gamsli" alles bei, was er konnte - das Matterhorn war 1899 ihr erster Viertausender. 1909 schenkte Burgener ihr sein Bergführerabzeichen, weil er sie nichts mehr zu lehren habe. Führerlos und auch als Seilerste war sie mit führenden Bergsteigern ihrer Zeit unterwegs - Welzenbach, Horeschowsky, Pfann -, bestieg 45 Viertausender und machte damalige Toptouren wie Monte-Rosa-Ostwand, Jorasses-Überschreitung oder Teufelsgrat. Der elitäre Österreichische Alpenklub nahm sie als Mitglied auf. "Wer aber je dieses Glück empfunden (das die Berge ihren Getreuen schenken), der ist den Bergen für immer verfallen", schrieb sie. Als sie einen Versuch am Weißhorn-Nordgrat wegen schlechten Wetters abbrechen musste, verschüttete sie knapp unter dem Bishorn eine Lawine; die Zermatter Bergführer trugen ihren Sarg auf den Bergsteigerfriedhof. 

6. Juni 1881

Die Watzmann-Ostwand, Foto: Bernd Haynold, CC BY-SA 2.5, via Wikimedia Commons

Durch "die Ostwand"

Der „Kederbacherweg“ (1800 m, IV-) ist nicht einmal die leichteste Route durch die Watzmann-Ostwand, aber Johann Grill „Kederbacher“ führt seinen Gast Otto Schück sicher über Firnfelder und Felsaufschwünge; zehn Tage später wird das Totenkirchl (2190 m) im Wilden Kaiser erstmals bestiegen, ein damals für „unmöglich“ gehaltener Kletterberg. Die Halbwertszeit des Begriffs „unmöglich“ wird ab jetzt zunehmend kürzer. 1887 setzt Georg Winkler mit der Erstbesteigung des nach ihm benannten Turms (120 m, IV+) in den Dolomiten im Alleingang einen neuen Markstein.

6. Juni 1881

Georg Winkler, Quelle: DAV Archiv

Georg Winkler (1869-1888)

... starb kurz vor seinem 19. Geburtstag in der Westwand des Weißhorns (Wallis) - und ist dennoch, oder gerade deshalb, Legende. Er galt als einer der besten deutschen Kletterer seiner Zeit und entwickelte sich zum Alleingänger, weil er kaum noch ähnlich draufgängerische Begleiter fand. So bestieg er das Totenkirchl als Dritter, den Zwölferkofel auf neuer Route und den nach ihm "Winklerturm" benannten Felsturm in der Vajoletgruppe. Die Route wird heute mit IV+ bewertet, damals state of the art - auch wenn er schon mal Stellen per Wurfanker austrickste. In einem Brief an Eugen Guido Lammer schrieb er: "Ich … erkannte bald, daß es die Gefahr ist, die, aufgesucht und überwunden, dem Manne unendliche Genugtuung und viele Befriedigung gewährt" - anders als der etwas ältere Lammer hatte er in der steinschlaggefährlichen Weißhorn-Westwand Pech.

6. Oktober 1889

Der Höchste Afrikas

Die ersten Menschen auf dem Kibo-Gipfel des Kilimandscharo (5895 m), dem höchsten Gipfel Afrikas, sind Hans Meyer und Ludwig Purtscheller; ob der einheimische Führer Yohani Kinyala Lauwo mit am Gipfel war, ist unklar; Meyers Helfer Muini Amani soll an der Schneegrenze zurückgeblieben sein.

Der Kilimandscharo, Foto: Chris 73, via Wikimedia Commons

6. Oktober 1889

Ludwig Purtscheller, Quelle: DAV Archiv

Ludwig Purtscheller (1849-1900)

... war Turnlehrer und ein Protagonist des "führerlosen" Bergsteigens. Die englischen Erschließer der Westalpen hatten sich ganz selbstverständlich auf die Unterstützung durch einheimische Führer und teils auch Träger verlassen; als in den 1870er Jahren die Bewegung des führerlosen Bergsteigens aufkam, gab es heftige Diskussionen, ob es nicht zu riskant sei, auf die meist weit überlegene Erfahrung der Locals zu verzichten. Dieses Argument traf auf Purtscheller gewiss nicht zu: Er bestieg in den Alpen über 1700 Gipfel, unter anderem gelang ihm mit den Brüdern Emil und Otto Zsigmondy die erste Überschreitung der Meije (3983 m), außerdem überschritten sie das Matterhorn und durchstiegen die Bietschhorn-Südwand und Monte-Rosa-Ostwand. 1889 stand er mit Hans Meyer und Yohani Kinyala Lauwo erstmals auf dem Kilimandscharo (5895 m). 1895 schwächte ihn eine Typhuserkrankung, fünf Jahre später starb er an einer Lungenentzündung.

14. Januar 1897

Der Höchste Amerikas

Der Aconcagua (6959 m), höchster Berg Amerikas, wird erstbestiegen von einer internationalen Expedition; der Schweizer Führer Matthias Zurbriggen erreicht allein den Gipfel, nachdem der Leiter Edward A. Fitzgerald auf 6700 Metern zurückbleibt.

14. Januar 1897

Josef Knubel, Quelle: DAV Archiv

Josef Knubel (1881-1961)

... war einer der vielen Bergführer, die hinter ihren "Herren" in der Geschichte verblassen, aber normalerweise die entscheidende Vorstiegsarbeit leisteten. Zu Knubels vielen hochkarätigen Erstbegehungen gehören der Brouillardgrat (Mont Blanc), der Hirondellesgrat (Grandes Jorasses) und die Lauperführe am Eiger; den berühmten "Knubelriss" in der Ostwand des Grépon (Mont Blanc, V+) erkletterte er mit Hilfe des verklemmten Eispickels, seiner Spezialtechnik - ein früher Vorläufer des heutigen "Dry Tooling".

20. Juli 1900

Der Dent du Géant; der mit Tauen erleichterte Normalweg nutzt die rechte Wand. Foto: Ximonic, Simo Räsänen, GFDL http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html, via Wikimedia Commons

"by fair means"

Heinrich Pfannl, Thomas Maischberger und Franz Zimmer, drei Vertreter der „Wiener Schule“, die ein strenges Freikletterideal propagiert, erreichen den Dent du Géant (4013 m) erstmals ohne die künstlichen Hilfsmittel, die bei der Erstbesteigung 1882 installiert worden waren. Damit widerlegen sie Mummerys Diktum „absolutely inaccessible by fair means“ von dessen Versuch 1880 und setzen ein starkes Zeichen für guten Stil am Berg. Maischberger hatte mit den „Maischberger Fassln“ in der Hochtor-Nordwand (850 m, IV+, Gesäuse) 1896 eine der damals schwersten alpinen Kletterstellen bewältigt.

20. Juli 1900

Albert Mummery, Quelle: DAV Archiv

Albert Mummery (1855-1895)

... ist namentlich verewigt durch den "Mummery-Riss", den er bei der Erstbesteigung der Aiguille du Grépon (Mont Blanc-Massiv) erkletterte. Er war auch der Erste am Zmuttgrat des Matterhorns und auf dem Dychtau im Kaukasus. 1880 deponierte er nach einem Besteigungsversuch am steilen Felszahn des Dent du Géant die Notiz "absolutely inaccessible by fair means" - er war einer der prägenden Vertreter des englischen Stils ohne künstliche Hilfsmittel; in den Alpen wie in den Bergen der Welt: Am Nanga Parbat blieb er verschollen.

Geoffrey Winthrop Young, Foto: Public domain, via Wikimedia Commons

Geoffrey Winthrop Young (1876-1958)

... entwickelte das Bergsteigen weiter, nachdem die großen Gipfel erstbestiegen waren: vor allem mit seinem Bergführer Josef Knubel eröffnete er schwierige Routen über Grate und durch Wände, etwa Grépon-Ostwand, Täschhorn-Südwestwand und mehrere Routen am Walliser Weißhorn (4505 m). Als Kriegsdienstverweigerer organisierte er im Ersten Weltkrieg eine freiwillige Ambulanzeinheit, verlor an der Isonzofront einen Unterschenkel, konnte mit Prothese aber fast wieder das Weißhorn besteigen. Der Pädagoge präsidierte dem Alpine Club, bemühte sich um Schulreformen und schrieb von humanistischem Geist geprägte Bergbücher.

1. Juli 1901

Durch hohe Wände

Beatrice Tomasson begeht die erste Route durch die Südwand (650 m, IV+) der Marmolada (3343 m), geführt von Michele Bettega und Bortolo Zagonel, damals eine der schwierigsten Dolomitenrouten. Vergleichbar schwer und bedeutsam sind die Dachstein-Südwand (700 m, IV, Pichl/Gams/Zimmer, 1901) und die Triglav-Nordwand (1500 m, III, König/Reinl/Domenigg, 1906).

1. Juli 1901

22. Juli 1911

Mit Seil und Haken???

Paul Preuss steigt solo auf neuer Linie durch die Ostwand auf die Guglia di Brenta und über den Normalweg wieder ab – ein weiteres Statement für den Stil freier Kletterei. Auch am „Preussriss“ (200 m, V) an der Kleinsten Zinne steigt er zuerst die Einstiegswand rauf und runter und setzt dann in der ganzen Tour keinen Haken. Die anderen großen Highlights vor dem Ersten Weltkrieg in den Nördlichen Kalkalpen dagegen werden mit mehr oder weniger großzügigem Einsatz von Seil und Haken eröffnet: Laliderer-Nordwand (800 m, V, A0, Guido und Max Mayer, geführt von Angelo Dibona und Luigi Rizzi, 1911), Fleischbank-Ostwand (300 m, V, A0; Hans Dülfer, Werner Schaarschmidt, 1912, erste Benutzung von Karabinern und Seilquergang), Fleischbank-Dülferriss (150 m, V+, A0; Hans Dülfer solo, 1913), Totenkirchl Direkte Westwand (600 m, V+, A0; Hans Dülfer, Willi von Redwitz, 1913), Schüsselkarspitze-Südwand (400 m, V+, A0; Hans Fiechtl, Otto Herzog, 1913). Der „Knubelriss“ in der Ostwand (800 m, D, V/V+) der Aiguille du Grépon (3482 m) ist auch nicht leichter.

Die Südwandflucht der Schüsselkarspitze im Wettersteingebirge, Foto: Andi Dick

22. Juli 1911

Paul Preuss, Quelle: DAV Archiv

Paul Preuss (1886-1913)

... war ein Verfechter des Kletterns ohne technische Hilfsmittel in der Tradition der Engländer und Wiener und ein Sprachführer im "Hakenkrieg" vor dem Ersten Weltkrieg. Typisch ist sein Zitat: „Zu den höchsten Prinzipien gehört das Prinzip der Sicherheit. Doch nicht die krampfhafte, durch künstliche Hilfsmittel erreichte Korrektur eigener Unsicherheit, sondern jene primäre Sicherheit, die bei jedem Kletterer in der richtigen Einschätzung seines Könnens zu seinem Wollen beruhen soll." Diese innere Sicherheit demonstrierte er mit ungesicherten Alleingängen, etwa durch die Totenkirchl-Westwand (Piazroute, V+) oder auf neuer Route an der Guglia di Brenta - im Auf- und Abstieg. Zynischerweise starb er durch das Seil: Im Dachsteingebirge stürzte er bei einem Alleingang; das Seil, das er um die Schulter trug, verfing sich an einem Felszacken und erwürgte ihn.

Rudolf Fehrmann, Quelle: DAV Archiv

Rudolf Fehrmann (1886-1948)

... setzte zwar auch Marksteine wie an der Nordwand der Kleinen Zinne: Die Route im Grad V/V+ war 1908 wohl eine der schwersten der Alpen. Geschichte schrieb er aber vor allem mit seinem Kletterführer fürs Elbsandsteingebirge, in dessen zweiter Auflage 1913 er das Prinzip des freien Kletterns (ohne Haken als Fortbewegungshilfe) definierte und mit seiner Autorität als Gebietspapst zur Norm machte. Damit stand er in der Tradition der Wiener Schule, deren Freikletterideal durch Oscar Schuster in Sachsen verbreitet worden war. Allerdings war es in Sachsen zulässig, Ringhaken in dafür gebohrte Löcher zu platzieren, um sich daran zu sichern; das ursprüngliche, ideale "Freiklettern", bei dem Sicherung an Haken komplett tabu war, wurde im frühen 20. Jahrhundert nur noch in England gepflegt.

Otto Herzog, Quelle: DAV Archiv

Otto Herzog (1888-1964)

..., genannt "Rambo" (Stallone war erst später), war einer der führenden Kletterer vor und nach dem (von ihm mit einer Handverletzung überlebten) Ersten Weltkrieg. Der gelernte Schreiner und Zimmermann entwickelte vor allem auch die technischen Hilfsmittel dazu weiter: er übernahm von der Feuerwehr den Schnappkarabiner (vorher hatte man sich am Haken ausbinden, das Seil durchfädeln und sich wieder einbinden müssen) und den Seilquergang; eine Stahlfeder zum dynamischeren Halten von Stürzen setzte sich nicht durch. 1913 machte er in der Schüsselkar-Südwand einen Seilquergang, den er aber nach Protesten auch frei hin und zurück klettern konnte (ca. VI). Die "Ha-He-Verschneidung" in der Dreizinkenspitze-Nordwand stieß 1921 das Tor zum sechsten Grad auf (auch wenn nicht ganz klar ist, wie sie die Crux im Grad VI/VI+ wirklich kletterten). Seinen Spitznamen Rambo erhielt Herzog, weil er sich beim Bouldern in Buchenhain bei München ständig fast "ramponierte" - ein von ihm dort gekletterter Quergang gilt heute als VIII-. Grundlage seines Kletterns war eine Kindheit auf Bäumen und im Turnverein - doch das Klettern war ihm lieber: "hier wohnte das Abenteuer. Und die Romantik … Was ist das Reck gegen diese Grate, was ein Riesenschwung gegen so eine Kletterei. Dort fliegst du höchstens auf die Matte, in den Bergen hunderte von Metern durch die Luft ins Geröll".

Hans Dülfer, Quelle: DAV Archiv

Hans Dülfer (1892-1915)

... war im "Mauerhakenstreit" ein Widerpart zu Paul Preuss; die Auseinandersetzung wurde hart in der Sache, aber mit Sympathie und Respekt geführt. Dülfer erweiterte die Grenzen des Kletterns eben durch den Einsatz technischer Hilfsmittel, etwa bei den Erstbegehungen von Fleischbank-Ostwand und Totenkirchl-Westwand (Dülferführe), die beide zwei Seilquergänge aufweisen. Den "Dülferriss" an der Fleischbank - eine unangenehm brüchige V+, eröffnete er solo. Als begeisterter Pianist verglich er das Streben nach perfekter Bewegung am Fels mit dem Einüben eines Klavierstücks. In der von ihm vorgeschlagenen fünfgradigen Schwierigkeitsskala verrechnete er noch den sportlich-technischen und den mentalen Aspekt einer Kletterei miteinander - das Risiko war also, wie bei Preuss, für ihn untrennbarer Bestandteil des Kletterns.

7. Juni 1913

Der Kältepol Amerikas

Die ersten Menschen auf dem Denali (6190 m), damals Mt. McKinley genannt, sind Hudson Stuck, Walter Harper, Harry Karstens und Robert Tatum. Der höchste Gipfel Nordamerikas wird auch als „kältester Berg der Erde“ bezeichnet. Wenn man die Antarktis ausblendet, ist da was dran.

Wonder Lake und Mount Denali, Foto: Denali National Park and Preserve, Public domain, via Wikimedia Commons

7. Juni 1913

Der sechste Grad und die großen Nordwände

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Alpinismus endgültig zum Gesellschaftssport, neben dem bürgerlich geprägten Alpenverein führten die "Naturfreunde" auch Arbeiter in die Berge. Erste Fälle von Overtourismus entstanden in den wilden Zwanzigern im Münchner Auszugsbereich, alte Haudegen beklagten zuviel nackte Haut - und zum Schutz der oft büschelweise gepflückten Edelweiße wurde die Bergwacht gegründet. Viele der stärksten Alpinisten aller Nationen waren in den Schützengräben des Weltkrieges gestorben, oft als Freiwillige für "Ehre und Vaterland". Völkische Verblendung wurde durch den Versailler Vertrag nicht gemildert, der DAV trieb nach rechts, schloss Juden aus und sah die "Jungmannschaften" als Schmiede künftiger Fronthelden. Ein gewisser nationaler Ehrgeiz mag beim Wettstreit um neue alpinistische Highlights mitgespielt haben - vor allem bei den nationalen Expeditionen zur "Eroberung" der Achttausender, die in den Zwanzigerjahren starteten. In den Bergen aber waren Deutsche und Italiener, Österreicher und Franzosen als faire sportliche Konkurrenten unterwegs, mit zunehmend besserer Ausrüstung. Der faktische Sieg der "Münchner Schule" mit Seil und Haken ermöglichte den Schritt zum sechsten Grad; durch Eishaken und neu entwickelte Steigeisen mit Frontzacken wurden steilste Eiswände möglich - bis hin zur Eiger-Nordwand 1938, kurz vor der nächsten Weltkriegs-Zäsur. Heinrich Harrer, einer der Erstbegeher und SA-Mann, schrieb: "Wir haben die Wand durchklettert über den Gipfel hinaus bis zu unserem Führer." 

15. Juli 1924

Der erste Eishaken

In der Nordwestwand (400 m, AD, 55°) des Großen Wiesbachhorns (3564 m) setzen Willo Welzenbach und Fritz Rigele erstmals Eishaken an einem damals bestehenden, "nahezu senkrechten" Eisaufschwung. Die Sicherungsmöglichkeit und die Ende der 1920er gleichzeitig von Rudolf Peters und Laurent Grivel erfundenen Steigeisen-Frontalzacken geben dem Begehen steiler Eiswände einen enormen Schub; der „Eispapst“ Welzenbach ist einer der erfolgreichsten Protagonisten (Dent d‘ Hérens, Eiskögele, Großhorn und viele weitere).

15. Juli 1924

Willo Welzenbach, Quelle: summitpost.org, CC0 via Wikimedia Commons

Willo Welzenbach (1899-1934)

... setzte 1924 in der Nordwand des Wiesbachhorns den ersten Eishaken der Geschichte und war Erstbegeher von Dutzenden steiler Eiswände, etwa an der Dent d'Hérens (Wallis) oder in der Berner Gipfelkette vom Gletscherhorn bis zum Gspaltenhorn. Der von Dülfer eingeführten fünfteiligen Schwierigkeitsskala fügte er einen sechsten Grad an, was in den 1920er Jahren die damalige Leistungsexplosion abbildete, motivierte und begleitete. Bei einer der ersten deutschen Expeditionen zum späteren "deutschen Schicksalsberg" Nanga Parbat starb der "Eispapst" mit sieben Gefährten im Schneesturm.

George Mallory, Foto: Public domain, via Wikimedia Commons

George Mallory (1886-1924)

... prägte mit "weil er da ist" einen der griffigsten Slogans des Alpinismus - es war seine Antwort auf die Frage, warum er den Mount Everest besteigen wollte. Der progressiv-partnerschaftliche Lehrer war ein begabter Alpinist, der zusammen mit Geoffrey Winthrop Young kletterte. Bei der ersten britischen Everest-Expedition 1921 entdeckte er den Zugang zur heute üblichen Nordroute, die Expedition von 1922 wurde 1924 mit dem Prix Olympique d'Alpinisme ausgezeichnet. 1924 war er wieder am Everest, zusammen mit Andrew Irvine wurde er zuletzt auf etwa 8500 Meter gesichtet, dann verschwanden sie in Wolken; bis heute wird diskutiert, ob einer oder beide von ihnen vielleicht am Gipfel waren. Dieses Geheimnis konnte auch eine Suchexpedition nicht lüften, die 1999 seine Leiche fand; die Schwierigkeit des Geländes macht es sehr unwahrscheinlich.

4. August 1925

Il sesto grado

Die Nordwestwand der Civetta (1000 m, VI-, A0; Emil Solleder, Gustav Lettenbauer) gilt als erste Kletterei des „sechsten Grades“; drei Tage vorher hatte Solleder mit Fritz Wiessner die nicht viel leichtere Nordwand der Furchetta erstbegangen. Der „sesto grado“ ist ein prägendes alpines Schlagwort der 1920er Jahre.

4. August 1925

Fritz Wiessner, Foto: DAV Archiv

Fritz Wiessner (1900-1988)

... aus Dresden eröffnete 1921 und 1924 im Elbsandstein zwei Routen, die heute noch mit VI+ bewertet wurden, und kletterte wohl ähnlich schwer in der Südostwand der Fleischbank (Wilder Kaiser, 1925) - damals state of the art, genau wie die Erstbegehung der Furchetta-Nordwand vier Tage später. Im Winter 1928/29 emigrierte er aus wirtschaftlichen Gründen in die USA. Dort bestieg er erstmals den schwierigen Viertausender Mount Waddington und legte die erste Freikletterroute auf den Devils Tower. Das Klettergebiet Shawangunks im Staat New York erschloss er im gewohnten Stil ohne künstliche Hilfsmittel. Da er aber nichts über das Ideal des Freikletterns veröffentlichte, entwickelte sich dieses unabhängig von ihm aus den englischen Wurzeln heraus - anders, als oft zu lesen (siehe Alpenvereinsjahrbuch "Berg 2017", S. 156ff). Seine beeindruckendste Leistung ist sicher ein Versuch 1939 am K2 (8611 m), dem zweithöchsten und schwierigsten Achttausender, bei dem er auf 8400 Metern umkehrte, weil sein Begleiter Pasang Dawa Lama die Rache von Dämonen für eine nächtliche Gipfelbesteigung fürchtete; Gerlinde Kaltenbrunner fand später einen offensichtlich von ihm stammenden Haken in "sehr schwierigem Felsgelände".

Leo Maduschka, Foto: DAV Archiv

Leo Maduschka (1908-1932)

... wurde auch durch einen frühen Tod - im Wettersturz und Schneefall in der Civetta-Nordwestwand (erste Wand des 6. Grades) - zur Ikone; vor allem aber durch sein Buch "Junger Mensch im Gebirg". Die mal schwärmerische, mal nietzschehaft intensive, dann wieder sachlich-präzise Sprache des promovierten Germanisten und begabten Kletterers bewegte die Jugend in den "wilden Zwanzigern" und kann heute noch begeistern: "wir müssen wandern, um unsere Sehnsucht zu töten – sonst würde sie uns töten; wir können, da die Sehnsucht unendlich ist, nie aufhören zu wandern … Wandern ist Schicksal, unser Glück – unsere Tragik." Einer seiner Artikel hieß "Bergsteigen als romantische Lebensform"; Maduschka hat dieses Ideal verkörpert.




31. Juli /1. August 1931

Die großen Nordwände

Franz und Toni Schmid fahren mit den Fahrrädern von München nach Zermatt und schaffen die Erstbegehung der Matterhorn-Nordwand (1000 m, TD+). Für das erste der „drei letzten großen Probleme der Alpen“ erhalten sie 1932 die Olympische Goldmedaille; Toni posthum, er ist in der Wiesbachhorn-Nordwestwand abgestürzt. Die großen kombinierten Nordwände sind prägend für die 1930er Jahre: Nach dem Matterhorn folgen Grandes Jorasses (Rudolf Peters, Martin Meier 1935 über Crozpfeiler; Walkerpfeiler (1200 m, ED-, VI-, A1) 1938 durch Riccardo Cassin, Luigi Esposito und Ugo Tizzoni) und Eiger (1800 m, ED, V, A0, 60°: Anderl Heckmair, Ludwig Vörg, Fritz Kasparek, Heinrich Harrer, 1938). In die gleiche Epoche fallen die felsigen Nordwände von Großer Zinne (550 m, V+, A0, Emilio Comici, Angelo und Giovani Dimai, 1933), Westlicher Zinne (450 m, VI-, A1, Riccardo Cassin, Vittorio Ratti, 1935), Petit Dru (800 m, TD, V, A0, Pierre Allain, Raymond Leiniger, 1935) und Piz Badile (800 m, TD, V+, A0, Riccardo Cassin, Vittorio Ratti, Luigi Esposito, 1937).




31. Juli /1. August 1931

Anderl Heckmair, Foto: DAV Archiv

Anderl Heckmair (1906-2005)

Seine bekannteste Leistung ist die Erstdurchsteigung der Eiger Nordwand 1938, bei der er die entscheidende Vorstiegsarbeit leistete und das Viererteam trotz Sauwetter zum Gipfel brachte. Nach dem zweiten Weltkrieg beging er - auf französische Einladung, und von ihnen finanziell unterstützt - den Walkerpfeiler der Grandes Jorasses; dabei nuckelte er im Schneesturm immer wieder an der Schnapsflasche und erkannte: "Alkohol, mäßig genossen, kann auch in größeren Mengen nicht schaden". In der Zwischenkriegszeit trug er dazu bei, die Bergwacht als Rettungsorganisation zu profilieren, 1969 war er maßgeblich beteiligt an der Gründung des Verbands deutscher Berg- und Skiführer, bis ins hohe Alter führte er Blumenwanderungen im Allgäu. Sein Grundsatz: Es kommt nicht auf die Leistung, sondern auf das Erlebnis an. Um coole Sprüche war er nie verlegen: "Man kann vom Bergführerberuf leben, wenn man eine Frau hat, die gut verdient." Seinen 90. Geburtstag feierte er "drei Tage lang", den hundertsten erlebte er knapp nicht mehr.

Emilio Comici, Foto: DAV Archiv

Emilio Comici (1901-1940)

... war einer der Protagonisten des "sesto grado", des neuen Schwierigkeitsgrades, der durch gezielten Einsatz technischer Hilfsmittel in den 1920er Jahren möglich wurde (technische und freie Kletterei wurden damals nicht unterschieden). Seine wohl berühmteste Erstbegehung ist die Nordwand der Großen Zinne (V+, A0, 1933); als Kritik wegen der verwendeten Haken aufkam, beging er die Route 1937 noch einmal - alleine und in dreieinhalb Stunden. Auch in der Civetta-Nordwestwand, der "Gelben Kante" an der Kleinen Zinne und an der "Salami" des Langkofel hinterließ er berühmte Linien. Fotos zeigen ihn häufig weit von der Wand weghängend, den Hintern überm Abgrund - die Ausgesetztheit war für ihn beflügelnd, nicht beängstigend.

Riccardo Cassin, Foto: DAV Archiv

Riccardo Cassin (1909-2009)

... ließ sich nur ungern den Vorstieg abnehmen ("solange ich jung war, bis 60, ging ich nie als Seilzweiter") und eröffnete unter anderem neue Routen an den Nordwänden von Grandes Jorasses (Walkerpfeiler), Piz Badile und Westlicher Zinne. Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete der in Lecco am Comer See alpin sozialisierte "Capo" viele Expeditionen, etwa zur Erstbesteigung des Gasherbrum IV oder der Erstbegehung der "Cassin Ridge", des Südgrats am Denali in Alaska; mit 78 stieg er nochmal durch die Badile-Nordostwand. Der Gründer der Bergsportfirma Cassin sah sich dennoch selbst bescheiden: "Ich war ein ganz normaler Alpinist wie alle anderen. Die einen machen große Touren, andere bleiben auf den Wanderwegen - darin liegt der Unterschied".

1932

Die Grenzen des Möglichen?

Wurde der siebte Grad in den Alpen schon in den 1930er Jahren geklettert? Die damals anspruchsvollsten Routen wurden kaum wiederholt, wegen der Schwierigkeit oder wegen Bruch – und wenn Wiederholer mehr Haken setzten, ist die Original-Leistung nicht mehr nachzuvollziehen. Einige Kandidaten, die auf jeden Fall „hart VI+“ waren, sind Gian Battista Vinatzers Nordwand (800 m, 1932) der Furchetta und Nordwandriss (180 m, 1935) der Stevia (beide Dolomiten) und Hias Rebitschs Goldkappel-Südwand (200 m, 1936, sehr brüchig). In der Dachl-Rosskuppen-Verschneidung (400 m) im Gesäuse soll Raimund Schinko 1936 Stellen des siebten Grades geklettert haben.

1932

Mathias Rebitsch, Foto: DAV Archiv

Mathias "Hias" Rebitsch (1911-1990)

... war einer der besten Kletterer seiner Zeit, basierend auf turnerischem Können und Kraft für einarmige Klimmzüge, im Krieg trainiert mit Steinen als Hantelersatz. Eine direkte Ausstiegsvariante (VI+) zur Rittlerkante am Bauernpredigtstuhl kletterte er free solo, die "Rebitschrisse" (VI+) an der Fleischbank mit marginaler Sicherung, die erste Seillänge der "Rebitsch-Spiegl" an der Fleischbank ohne Hakenhilfe - ein starker Siebener. Seine brüchigen Sechser an Goldkappel und Riepenwand haben bis heute nur einstellige Wiederholungszahlen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg schob er die Latte in den Nordalpen nach oben mit seinen Erstbegehungen "Direkte" und "Nordverschneidung" an den Laliderer Wänden im Karwendel; auch dort kletterte er wahrscheinlich schon im siebten Grad, der damals offiziell noch nicht existierte. Das NSDAP- und SA-Mitglied studierte Chemie und nach dem Krieg noch Vor- und Frühgeschichte und entdeckte in den Anden auf über 6000 Metern Höhe aufsehenerregende Spuren der Nazca- und Inkakulturen. Mit schwindender Gesundheit hielt er immer eine geladene Pistole griffbereit, um "seine private Seelenwanderung in Gang zu setzen".

Paula Wiesinger, Foto: Public domain, via Wikimedia Commons

Paula Wiesinger (1907-2001)

... verlor ihren Vater im Ersten Weltkrieg und hatte dadurch als Mädchen ungewöhnlich viele Freiheiten. Sie war stark (konnte angeblich einarmige Klimmzüge) und sportlich begabt (15 mal italienische Skimeisterin, Weltmeisterin in der Abfahrt) - so war sie mit den besten Kletterern ihrer Zeit (Vinatzer, Soldà) auf Augenhöhe unterwegs und kletterte den damals revolutionären "sechsten Grad" auch im Vorstieg. Mit ihrem Mann Hans Steger eröffnete sie zwei Touren, die im legendären Buch "Im extremen Fels" stehen: die Direkte Ostwand der Rosengartenspitze und den "Weg der Jugend" am Einserkofel; an der Pelmo-Nordwand waren sie die zweiten, am berüchtigten Marmolada-Südpfeiler die vierten. In der Marmolada-Südwand wurde einer ihrer Dreierseilschaft vom Blitz getroffen; mit zwei Biwaks kam das Team auf eine Terrasse, dann stieg Paula Wiesinger durch die vereiste Wand allein zum Gipfelgrat, um Hilfe zu holen; die zwei Begleiter kamen ins Krankenhaus, sie war am nächsten morgen um acht Uhr wieder in der Arbeit. Als "La Paula" war sie in Skikreisen berühmt; sie doubelte Leni Riefenstahl und führte mit ihrem Mann den bergbegeisterten belgischen König Albert I. Mit Hans Steger etablierte sie ein Hotel auf der Seiser Alm; sie hinterließen eine Stiftung, die unter anderem das dortige Naturschutzgebiet erhalten soll. Der "Hans-und-Paula-Steger-Wanderweg" erinnert an die außergewöhnliche Partner- und Seilschaft.

1934

Der Nanga Parbat, oberer Teil der Rakhiotflanke, durch die 1953 die Erstbesteigung gelang. Foto: Guilhem Vellut from Paris, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Der Berg des Schicksals

Bei der deutsch-österreichischen Expedition zum Nanga Parbat (8125 m) sterben drei Bergsteiger (darunter Willo Welzenbach) und sechs Träger im Schneesturm, außerdem ein Teilnehmer am Lungenödem – die Nazis stilisieren den Gipfel zum „Schicksalsberg der Deutschen“. 1937 kommen weitere 16 Menschen im Lager IV unter einer Lawine ums Leben.

1934

Achttausender und die Direttissima-Sackgasse

Nach den Traumata von Weltkrieg, Atombombe, Holocaust und Stalinismus schaffte es zumindest Westeuropa, einen tragfähigen Frieden zu etablieren. Mit der wirtschaftlichen Erholung wurden auch die Berge der Welt erreichbar: 1950 standen Franzosen auf dem ersten Achttausender, der Annapurna, 1953 waren Everest und Nanga Parbat dran, bis 1964 waren die 14 höchsten bestiegen. Der dort verwendete Expeditionsstil mit Hochlagern, Fixseilen, Trägern und Hilfssauerstoff färbte auch aufs Alpenklettern ab: Die Direttissima, die "Linie des fallenden Tropfens", wurde in den Dolomiten zum Schlagwort, mit exzessiver Haken- und Bohrhakenhilfe durch überhängende Wände getrieben. Guido Magnone (Erstbesteiger des Fitz Roy) bezeichnete seine technisch erstbegangene Dru-Westwand gar als "Wende im Alpinismus". Doch es gab auch Statements gegen diese Trends: Österreicher bestiegen in kleinen Teams erstmals die Achttausender Cho Oyu (Tichy, 1954) und (sogar ohne Hochträger) Broad Peak (Schmuck, 1957). Dieter Hasse und Lothar Brandler nutzten in ihrer Direttissima durch die Nordwand der Großen Zinne zwar Dutzende Haken, kletterten aber wahrscheinlich Stellen des siebten Grades frei, wie sie es im Elbsandstein gelernt hatten. Walter Bonatti errichtete der menschlichen Stärke Denkmäler am Petit Dru und in der Matterhorn-Nordwand. Doch die begrenzte Schwierigkeitsskala - der Grad VI+ war definiert als "Grenze des Menschenmöglichen" - behinderte wohl auch freies Denken für einen nächsten dialektischen Sprung; die Wiederaufbaujahre waren für den klassischen Alpinismus Vollendung, Abrundung, Verfeinerung. Kaum bemerkt entwickelte sich allerdings jenseits des großen Teiches die Bigwall- und die Freikletterkunst ungeahnten Höhen entgegen.

3. Juni 1950

Auf die Achttausender!

Die Annapurna (8091 m) ist der erste Achttausender, der erstiegen wird; Maurice Herzog und Louis Lachenal erreichen den Gipfel. Bis 1964 (Shisha Pangma, 8027 m) werden alle 14 Achttausender erreicht, meist durch nationale Großexpeditionen wie am Everest (1953, Edmund Hillary, Tensing Norgay). Hermanns Buhl Alleingang vom letzten Lager zum Nanga Parbat (8125 m, 1953) ragt daraus genauso hervor wie die Erstbesteigungen von Cho Oyu (8188 m, Herbert Tichy, Sepp Jöchler, Pasang Dawa Lama, 1954), und Broad Peak (8051 m, Marcus Schmuck, Fritz Wintersteller, Kurt Diemberger, Hermann Buhl, 1957) durch kleine Teams, die ihr Gepäck zu großen Teilen selbst tragen.

Der Originalfilm zur Erstbesteigung des Nanga Parbat aus dem Jahr 1953:

3. Juni 1950

Edmund Hillary, Foto: Public domain, via Wikimedia Commons

Sir Edmund Hillary (1919-2008)

Der neuseeländische Imker profilierte sich unter anderem mit der Erstbegehung des Südgrates am Mount Cook, dem höchsten Berg seiner Heimatinsel. 1951 war er erstmals im Himalaya, und am 29.5.1953 gelang ihm mit Tensing Norgay die Erstbesteigung des Mount Everest; der steile "Hillary Step" kurz vor dem Gipfel ist nach seinem kühnen Vorstieg benannt. Danach machte er noch mehrere Himalaya Expeditionen, erreichte 1958 als dritte Expedition den Südpol. Zeit seines Lebens blieb er ein kritischer Beobachter des Alpinismus, Ehrenpräsident von Mountain Wilderness und ein Freund der nepalischen Bevölkerung; sein "Himalaya Trust" baute viele Krankenhäuser und Schulen. Sein Credo: „Du brauchst kein fantastischer Held zu sein, bloß ein ganz normaler Kerl mit ausreichend großer Motivation, um anspruchsvolle Ziele zu erreichen.“

Hermann Buhl, Foto: DAV Archiv

Hermann Buhl (1924-1957)

Der Innsbrucker war, so Martin Schließler, "ein Besessener". Wenn er seine Freundin und spätere Frau, "das Generl", im Winter besuchte, knetete er Schneebälle in den Fäusten, um die Finger gegen Kälte abzuhärten. Seine originale Linie in der Westwand der Maukspitze (Wilder Kaiser) wurde erst über 50 Jahre später wiederholt. Legendär ist sein Alleingang in der Nordostwand des Piz Badile, zu der er von Landeck aus radelte; bei der Rückfahrt war er so müde, dass er in den Inn fiel. Zur Vorbereitung auf die Nanga-Parbat-Expedition 1953 durchstieg er in einer Winternacht solo die Watzmann-Ostwand auf der schwersten Route. Geschichte schrieb er, als ihm die Erstbesteigung des Nanga Parbat (8125 m) vom letzten Lager aus im Alleingang gelang; ein Stehbiwak knapp unter dem Gipfel überlebte er, obwohl er das Aufputschmittel Pervitin geschluckt hatte. 1957 gelang ihm als erstem Menschen die Erstbesteigung eines zweiten Achttausenders, des Broad Peak (8051 m); danach starb er am Siebentausender Chogolisa, als eine Wächte unter ihm abbrach.




1.-5. und 16.-18. Juli 1952

Die Dru-Westwand, Foto: chisloup, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Linien des fallenden Tropfens

Als „Wende im Alpinismus“ bezeichnet Guido Magnone die Erstbegehung der Dru-Westwand (1000 m, VI, A2) mit Lucien Bérardini, Adrien Dagory und Marcel Lainé; für die kompakte und steile Granitwand übertragen sie die ostalpine Hakentechnik auf Westalpenwände. Die Begehung erfolgt in zwei Etappen: Nach wetterbedingtem Abbruch erreichen sie ihren Umkehrpunkt auf anderer Route. Schon 1951 hatten Walter Bonatti und Luciano Ghigo in der Grand-Capucin-Ostwand (400 m, VI, A2) ähnlich gearbeitet; Bonattis sechstägige Solo-Erstbegehung des Westpfeilers am Dru (600 m, V+, A2) war 1955 eine Legendentat. Gleichzeitig entspinnen sich Diskussionen um den Stil solcher „Materialschlachten“, die teils als Direttissimas auf der „Linie des fallenden Tropfens“ mit vielen Bohrhaken und Versorgungsseil zum Wandfuß durchgeführt werden. Extreme Wände mit wenig Hakenhilfe zu durchsteigen, bleiben ambitionierte Ausnahmen, wie von Joe Brown und Don Whillans an der Blaitière-Westwand (1954), von Walter Philipp und Dieter Flamm an der Civetta (1957) oder von Dieter Hasse, Lothar Brandler, Jörg Lehne und Siegi Löw an der Großen Zinne (1958, zwar mit vielen Haken, aber dazwischen extrem schwerer Kletterei).




1.-5. und 16.-18. Juli 1952

Lionel Terray, Foto: DAV Archiv

Lionel Terray (1921-1965)

Im Geist des Existenzialismus nannte der französische Alpinist und Bergführer sein Buch "Die Eroberer des Unnützen" - ein bis heute unübertroffenes Schlagwort zum Alpinismus. Zu diesem Unnützen gehören die zweite Durchsteigung der Eiger Nordwand (Heckmairführe), eine frühe Wiederholung des Walkerpfeilers und die Erstbesteigungen von extrem schwierigen Gipfeln in aller Welt wie Fitz Roy (3406 m, Patagonien), Makalu (8485 m), Jannu (7710 m, Himalaya), Chacraraju West (6112 m, Peru) und Mount Huntington (3731 m, Alaska). Er starb durch Absturz im Vercors.

Joe Brown (1930-2020)

... begann zu klettern mit der Wäscheleine seiner Mutter und mit Seilen, die er von Baustellen-Absperrungen geklaut hatte, und wurde, aus der Arbeiterklasse kommend, zu einem der einflussreichsten britischen Kletterer aller Zeiten - ein mit "the human fly, UK" adressierter Brief erreichte ihn. Vor allem zusammen mit dem raubeinigen Don Whillans verschob er die Standards im britischen Klettern, eröffnete anfangs der 1950er Jahre Routen des Grades E1 (ca. VI+/VII-) und trug diese Schwierigkeit auch in die Alpen: Den "Brownriss" in der Westwand der Aiguille de Blaitière stieg er 1954 mit nur einem Klemmblock als Sicherung, bei Schwierigkeiten im siebten Grad. Er gehörte zu den ersten, die Schraubenmuttern als Klemmkeile verwendeten, und lebte von einem Bergsportgeschäft. Sein Kletterkönnen war Grundlage seiner Expeditionserfolge: Bei der Erstbesteigung des Kangchendzönga (8586 m), des dritthöchsten Berges der Erde, kletterte er knapp unter dem Gipfel eine Fünferstelle. Außerdem war er an den Erstbesteigungen des Muztagh Tower (7273 m, 1956) und des Trango Tower (6251 m, 1976) beteiligt. Seine Ernennung zum "Commander of the British Empire" kommentierte er: "seltsam: als ob ich dafür geehrt würde, Spaß gehabt zu haben".

1958

Big (!) Walls

Die „Nose“ (900 m, VI, A2) am El Capitan (2307 m) ist nicht der allererste Bigwall im Yosemite Valley; das war die Half-Dome-Nordwestwand ein Jahr zuvor. Aber Warren Harding, Wayne Merry und George Whitemore eröffnen damit eine der schönsten und berühmtesten Kletterrouten der Welt, die immer eine Benchmark für neue Spitzenleistungen bleibt. Die Erstbegehung erfolgt im Expeditionsstil der Zeit: mit sechs Camps in der Wand und Fixseilen, an 47 Tagen während 17 Monaten, mit 700 Haken und 125 Bohrhaken. Die erste Begehung in einem Tag schaffen 1975 Jim Bridwell, John Long und Billy Westbay, die erste Rotpunkt-Begehung (X+) Lynn Hill 1993. Noch berühmter als die „Nose“ ist wohl nur die benachbarte „Salathé Wall“, erstbegangen 1961 von Royal Robbins, Tom Frost und Chuck Pratt in zwei jeweils fünftägigen Etappen.

Die "Nose" am El Capitan, Foto: Fernando Guachiak, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

1958

Chuck und Ellen Wilts, Foto: Ellen & Charles Wilts Collection, Sierra Club-Angeles Chapter Archives

Charles "Chuck" Wilts (1920-1991)

... erfand das "Rotpunkt"-Klettern lange bevor es diesen Namen bekam. 1944 bestieg er zusammen mit Spencer Austin den Higher Cathedral Spire im Yosemite erstmals frei: Er benutzte die von Vorgängern gesetzten Haken zur Sicherung, kletterte aber nur an den Griffen und Tritten, die der Fels bot, ohne Ausruhen durch - Schwierigkeit 5.9 (ca. VI+). Damit etablierte er unter den verschiedenen existierenden Praktiken des "Freikletterns" (ganz ohne Haken, mit Ruhen an den Haken) die heute allgemein anerkannte und gab dem "amerikanischen Freiklettern einen Schub", wie Royal Robbins urteilte. Sein "Yosemite Decimal System" ist heute noch die in den USA gebräuchliche Schwierigkeitsskala, der Knifebladehaken zählt zu seinen Erfindungen. Campingurlaube mit seinen Eltern hatten in ihm eine "lebenslange Liebe zur Wildnis der Berge" begründet; 26 Jahre lang war er Präsident des American Alpine Club. Und als Professor für Elektrotechnik und angewandte Physik am renommierten Caltech ermunterte er seine Studenten, nachts auf den Unigebäuden herumzuklettern. 

Der American Alpine Club verfasste einen umfangreichen Nachruf auf den Kletterer.

Royal Robbins, Foto: Tom Frost, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Royal Robbins (1935-2017)

... war zusammen mit Warren Harding und dem Patagonia-Gründer Yvon Chouinard einer der wichtigsten Protagonisten des Bigwallkletterns im Yosemite Valley (USA). 1957 eröffnete er die Nordwestwand am Half Dome, 1961 die "Salathé Wall" am El Capitan, eine der berühmtesten Klettereien der Erde, und weitere Klassiker wie "North America Wall" und "Tis-sa-ack". In der britisch-amerikanischen Tradition des freien Kletterns aufgewachsen, legte er Wert darauf, künstliche Hilfsmittel zum Klettern (vor allem Bohrhaken) so sparsam wie möglich einzusetzen. Als er allerdings Hardings "Wall of the early morning light" erstmals wiederholte und die angeblich im Übermaß gesetzten Bohrhaken entfernen wollte, merkte er, dass auch jener mit heißem Wasser kochte: denn er wollte kaum einen der Bohrhaken entbehren. Die im Yosemite entwickelten Bigwalltechniken exportierte Robbins auch in andere Gebirge, etwa an den Mount Proboscis in Kanada oder an den Petit Dru im Mont-Blanc-Gebiet; für einige Jahre arbeitete er im nahegelegenen Leysin in einer Kletterschule. Seinen Erfolge zugrunde lag ein gesteigertes Freikletterkönnen in US-Tradition: Der direkte Ausstieg zur "Harlin"-Route am Tour d'Ai in Leysin (Schweiz) ist ein solider Siebener (6b+); er kletterte ihn ohne Hakenhilfe.

6.-12. März 1961

Die Eiger-Nordwand, Foto: qwesy qwesy, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Wände im Winter

Die erste Winterbegehung der Eiger-Nordwand (Heckmairführe) durch Toni Hiebeler, Walter Almberger, Anderl Mannhardt und Toni Kinshofer ist ein Paukenschlag in einer Zeit, wo es angesagt ist, schwierigste Wände in der kalten Jahreszeit zu bewältigen. Im gleichen Jahr erhält der Bonattipfeiler am Dru seine Winterbegehung, im nächsten die Matterhorn-Nordwand und der Walkerpfeiler. Noch einmal setzt Walter Bonatti ein Fanal: Seinen Abschied vom extremen Bergsteigen nimmt er mit einer Solo-Erstbegehung in der winterlichen Matterhorn-Nordwand (18.-22. Februar 1965), die bis heute nur wenige Wiederholer gefunden hat.

6.-12. März 1961

Walter Bonatti, Foto: Mario De Biasi (Mondadori Publishers), Public domain, via Wikimedia Commons

Walter Bonatti (1930-2011)

... steht wie kaum ein anderer Bergsteiger für Exzellenz, guten Stil und Humanismus: "Vergessen wir nie, dass die eigentliche Bestimmung des Menschen darin läge, humaner zu werden." Nach dem Zweiten Weltkrieg brachte er das Bergsteigen in neue Dimensionen mit herausragenden Erstbegehungen in allen Disziplinen: Die Ostwand (400 m, VI, A2; 1951) des Grand Capucin war steiler als alles, was man in den Westalpen bis dahin geklettert hatte, in der Nordwand des Grand Pilier d'Angle stieg er extrem steiles Eis. Bei der Erstbesteigung des K2 linkten ihn zwei Teamkollegen und er überlebte nur knapp ein Freibiwak auf 8000 Metern mit seinem pakistanischen Begleiter; dieses Trauma verarbeitete er 1955 mit einem siebentägigen Alleingang über den nach ihm benannten Pfeiler (800m, VI, A2) in der Westwand des Petit Dru. 1958 gelang ihm auf einer von Riccardo Cassin geleiteten Expedition die Erstbesteigung des Gasherbrum IV (7932 m) im Karakorum. Beim Versuch der Erstbegehung des zentralen Frêneypfeilers am Mont Blanc 1961 gerieten sein italienisches und ein französisches Team in einen beispiellos schweren und langanhaltenden Wettersturz; der Rückzug unter infernalischen Bedingungen wurde zur alpinen Legende; nur Bonattis Tatkraft ist es zu verdanken, dass zumindest drei der sieben Bergsteiger überlebten. Seinen Abschied vom Extremalpinismus machte er 1965 mit einer mehrtägigen Erstbegehung in der Matterhorn-Nordwand, im Winter und allein, die bis heute kaum wiederholt ist. Anschließend bereiste er als Reporter und Fotograf die wildesten Regionen der Erde.

13. Februar 1962

Der sechste Summit

Heinrich Harrer, Philipp Temple, Russel Kippax und Albert Huizenga erreichen, unterstützt von über 100 Trägern, die Carstensz-Pyramide (Puncak Jaya, 4884 m), den technisch schwierigsten der „Seven Summits“ (höchste Gipfel der Sieben Kontinente) in der verschärften Variante; die Felswand über dichtem Urwald fordert Kletterei im fünften Grad.

13. Februar 1962

Fred Beckey, Foto: Pat Ament, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Fred Beckey (1923-2017)

... war das Idealbild eines "dirtbags", eines "climbing bum", der die Suche nach bergsteigerischen Zielen über einen gesicherten Lebensstil stellt. Mit zwei Jahren emigrierten seine Eltern mit ihm von Düsseldorf nach Seattle, wo Bergsteigen schon immer eine große Szene hatte - und Fred wurde zur lebenden Legende. In seinem geheimen Notizbuch soll er Möglichkeiten für Erstbegehungen auf dem gesamten Kontinent notiert haben; hunderte davon hat er selbst realisiert, unter anderem die Erstbesteigung von Devils Thumb und Mount Hunter in Alaska. Der recht eigenbrötlerische, diplomierte Betriebswirtschaftler lebte von Gelegenheitsjobs und tauchte oft morgens bei Kletterfreunden auf, nachdem er nachts in der Einfahrt gepennt hatte, um sie zu Erstbegehungen zu requirieren. Nur halb selbstironisch dürfte das berühmte Foto gemeint sein, auf der er ein Schild in Händen hält "will belay for food" (ich sichere für Essen). Aus seinem Notizbuch gab er jüngeren Bergsteigern viele Tipps für Neurouten - er selbst ging in späteren Jahren eher nur noch als Begleiter mit, blieb aber bis zu seinen letzten Tagen sportlich aktiv.

18. Dezember 1966

Der letzte "Summit"

Der Mount Vinson (4897 m) gehört als höchster Berg der Antarktis zu den „Seven Summits“ und wurde als letzter von ihnen erstbestiegen: durch Pete Schoening, John Evans, Barry Corbet und Bill Long, später standen auch die sechs weiteren Expeditionsmitglieder auf dem Gipfel. Heute wird der Berg regelmäßig von professionellen Veranstaltern angeboten; die aufwändige Logistik macht die Reise extrem teuer.

18. Dezember 1966

Der Siebte Grad und "by fair means"

"Der siebte Grad" hieß das Buch, in dem Reinhold Messner 1973 konstatierte, dass man wohl kaum vom Grad VI+ als "Grenze des Menschenmöglichen" sprechen dürfe, wenn so bewertete Routen mit weniger Haken, alleine oder im Winter begangen wurden. Das Ideal des freien Kletterns (ohne Hakenhilfe) war in England, den USA und dem Elbsandstein immer gepflegt und auf hohes Niveau gebracht worden - in den Alpen wurde die Öffnung der Schwierigkeitsskala erst in den 1970ern Realität. Das Aufbruchsjahrzehnt nach Vietnamkrieg, Studentenprotesten und Hippiebewegung setzte neue Energien frei, die mageren Nachkriegsjahre waren endgültig vorbei und die Jugend konnte ihre Energien dem Sport widmen. Optimierte Ausrüstung (der 1969 gegründete DAV-Sicherheitskreis testete systematisch Material, aus England und den USA kamen Klemmkeile und Friends zur schnellen mobilen Sicherung) erlaubte verlässliche Sicherung und damit, wie Reinhard Karl feststellte, gezielte Gänge an und über der Sturzgrenze; zunächst in den Klettergärten, dann auch in den Alpen. Gesteigertes Können im Fels, viel Freizeit und bessere Sponsoring-Möglichkeiten trugen auch dazu bei, dass an den Bergen der Welt neue, anspruchsvollere Stilformen entstanden, analog zu den Alpengipfeln nach dem "Goldenen Zeitalter". Reinhold Messner setzte publikumswirksam neue Marksteine, Engländer und Bergsteiger aus dem Ostblock (Jugoslawien, Polen) begingen schwierigste Wände, teils in kleinen Teams, oder stiegen im Winter auf die Achttausender. In den Alpen hatte sich derweil der Tourismus zum Massenbetrieb entwickelt, die Alpenvereine verstärkten ihr Naturschutz-Engagement, und im "Grundsatzprogramm" von 1977 beschloss der DAV, keine neuen Hütten und Wege mehr zu bauen.

7. Juli 1968

Heiligkreuzkofel, Foto: Autodelta85 in der Wikipedia auf Italienisch, Public domain, via Wikimedia Commons

Steiles Geheimnis

Reinhold Messner hinterlässt mit dem „Mittelpfeiler“ (500 m, VI+, A0 oder VIII-) am Heiligkreuzkofel eine der legendärsten Kletterstellen der Alpen, mit einer extrem kleingriffigen, ungesicherten Vier-Meter-Boulderplatte; für die damalige Zeit eine andere Dimension. Sein Können in allen Disziplinen bewies er damals auch in extremen Solos – danach erstürmte er die Berge der Welt.

7. Juli 1968

John Gill, Foto: Silentrunner auf Wikipedia auf Englisch, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

John Gill (*1937)

... wird oft als "Vater des Boulderns" bezeichnet. Das Klettern in Absprunghöhe als Training und Selbstzweck wurde zwar schon um die Jahrhundertwende 19./20. betrieben, etwa in Fontainebleau bei Paris oder in Buchenhain bei München. Und Gill selbst zeigt auf seiner Website Dokumente des Satanisten Aleister Crowley und des Steigeisenpioniers Oskar Eckenstein, die um 1890 einen Boulderblock in England beschrieben haben. Was Gill so prägend machte, vor allem für das Klettern in den USA, war sein sportlich systematischer Zugang: Als Ringeturner und Matheprofessor trainierte er gezielt und nutzte bewusst Schwungformen zur Fortbewegung am Fels - ein Paradigmenwechsel gegenüber der lange beherrschenden "Dreipunktregel" (von zwei Händen und zwei Füßen müssen immer drei sicheren Halt haben). 1961 kletterte er die Route "The Thimble" (IX-), einen über zehn Meter hohen Highball mit einem Eisengeländer im Landebereich. Mit dem Beitrag "the art of bouldering" im American Alpine Journal skizzierte er seine Sichtweise auf das Bouldern, das für ihn ein Weg war, seine eigenen Grenzen zu erforschen. Ein Film auf seiner Website zeigt ihn mit 75 bei Klimmzügen und Hangwaagen.

29.-31. Januar 1973

Senkrecht durchs Eis

Das „Drucouloir“ (700 m, ED, 80°, V, A1) in der Nordwand des Petit Dru ist ein Symbol für die Weiterentwicklung der modernen Eistechnik: Vor allem Eisgeräte mit scharfen Hauen erlaubten es Walter Cecchinel und Claude Jager, auch steilstes Eis frei zu erklettern. Diese Leistung ist heute kaum mehr nachvollziehbar, wo die Ausrüstung noch weiter perfektioniert wurde und zum Beispiel von Hand leicht setzbare Eisschrauben jederzeit Sicherheit versprechen. Das McIntyre-Couloir (1200 m, ED+, 90°, V, A0, M5) an der Grandes Jorasses (4208 m) von Alex McIntyre und Nick Colton setzte 1976 noch eins drauf.

29.-31. Januar 1973

Heini Holzer, Foto: DAV Archiv

Heini Holzer (1945-1977)

... aus Schenna bei Meran war einer der ersten und eifrigsten Steilwandskifahrer; 104 Abfahrten zählt sein Portfolio, die damals teils noch als ernsthafte Eistouren galten - etwa Brenvaflanke, Biancograt oder Liskamm-Nordwand. Auch wenn heute einige seiner Erstbefahrungen wie Tosarinne, Alpspitze-Nordwand oder Pordoi-Holzerrinne als "gehobener Standard" für gute Skifahrer gelten, sollte man nicht vergessen, dass die damaligen Ski in Spurtreue und Kantengriff nicht mit heutigen zu vergleichen waren und die Lederschuhe nur mäßigen Halt boten. Deshalb trainierte Holzer konsequent, etwa auch das Abfangen von Stürzen im Steilgelände, und konnte tagelang ohne Essen volle Leistung bringen. Auch als Kletterer und mit Winterbegehungen war er auf hohem Niveau und mit Topleuten seiner Zeit unterwegs, beispielsweise mit Reinhold Messner. Holzer starb beim Versuch der Erstbefahrung der Nordostwand am Piz Roseg.

Jean-Marc Boivin (1951-1990)

... gehörte zu den französischen Alpinisten wie Patrick Berhault (1957-2004), Christophe Profit (*1961) oder Patrick Edlinger (1960-2012), die in den 1980er-Jahren dem Sportklettern und dem Alpinismus neues Feuer gaben: leistungsstark, kreativ, unermüdlich. Und selbstbewusst: Als ein Journalist die Geschwindigkeitsrekorde und "Enchainements" (Aneinanderreihen mehrerer großer Wände) kritisierte und schimpfte, bald würden die Dru-Westwand und die Aiguille du Fou Südwand an einem Tag geklettert, nahmen er und Berhault die Provokation an und machten das Projekt wahr, mit einem Drachenflug zwischendurch. Kreative Kombination aller Mittel und Disziplinen zeichnete Boivin aus: Am Matterhorn fuhr er 1980 zuerst die Ostwand mit Ski ab, stieg solo die Nordwand und flog mit dem Drachen vom Gipfel - alles für breite Öffentlichkeit gefilmt. Mit Drachen und Gleitschirm verband er 1987 in 21 Stunden die Nordwände von Aiguille Verte, Droites, Courtes und Grandes Jorasses. Einige seiner Erstbegehungen wie die "Ballade au claire de Lune" an der Fou oder "Extreme Dream" an der Jorasses zählen noch heute wenige Wiederholungen. Bei einem Base Jump am Wasserfall "Salto Angel" in Venezuela knallte Boivin in die Wand. Er legte noch den Gurt ab, stieg zum Boden und legte sich einen Druckverband an - doch zu spät. 

10. August 1975

Zu zweit am Achttausender

Reinhold Messner und Peter Habeler durchsteigen als Zweierseilschaft die Nordwestwand des Gasherbrum I (8080 m). Eine schwierige Wand auf einen Achttausender (zweite Besteigung), ohne Träger und Lagerkette – das inspiriert die Szene.

10. August 1975

Wanda Rutkiewicz, Foto: Seweryn Bidziński, Public domain, via Wikimedia Commons

Wanda Rutkiewicz (1942-1993)

... war die "große Achttausenderfrau" der 1980er Jahre - acht der 14 großen Gipfel gelangen ihr. Grundlage dafür war hohes alpinistisches Können - so durchstieg sie die Nordwände von Eiger und Matterhorn im Winter in Frauenseilschaft. Der Gasherbrum III (7952 m) war der höchste Gipfel, der je von einer Frau erstbestiegen wurde; sie leitete die Expedition und gehörte zum Gipfelteam. „Alle Versuche, meine Unabhängigkeit einzugrenzen, betrachte ich als Aggression, auf die ich mit Sturheit reagiere, anstatt mich zu beugen" war ihr Wahlspruch. Entsprechend versuchte Carlos Carsolio, der sie nach seiner Besteigung des Kangchendzönga auf 8300 Metern pausieren sah, gar nicht erst, sie zum Umkehren zu bewegen, schließlich war es schon ihr dritter Versuch am Berg - sie kam nie zurück.

24. September 1975

Der Mount Everest,; die Südwestwand führt von rechts zum Gipfel. Foto: Uwe Gille, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Die Wände der Riesen

Die Südwestwand des Mount Everest (8848 m) wird von einer englischen Expedition unter Chris Bonington erstbegangen. Doug Scott und Dougal Haston erreichen den Gipfel und überstehen beim Abstieg ein Freibiwak auf 8700 Metern, obwohl ihnen der Flaschensauerstoff ausgeht. Auch an den höchsten Gipfeln rücken nun schwierige Wände und lange Grate in den Fokus – und statt großer Expeditionen mit Fixseil- und Lagerketten sind es oft kleine Seilschaften leistungsstarker und risikobereiter Topathleten vor allem aus England, Polen und Slowenien, die sich den Aufgaben stellen.

24. September 1975

Sir Chris Bonington, Foto: thecreativegrid, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Sir Chris Bonington (* 1934)

... ist einer der berühmtesten britischen Bergsteiger. Zu seinen größten Erfolgen gehören die Erstbegehung des Frêneypfeilers 1961 (kurz nach Bonattis Epos) und die Erstbesteigungen der extrem schwierigen Gipfel Central Tower of Paine (Patagonien), Changabang (6284 m, Indien) und Ogre (7285 m, Pakistan). Andere Erfolge machte er als Expeditionsleiter möglich, so die Erstbesteigung des Nuptse (7861 m) und die Erstbegehungen der Annapurna-Südwand (1970) und der Everest-Westwand (1975). Dabei hatte er auch keine Hemmungen, eine Expedition von einem Kondomhersteller sponsern zu lassen. Mit 51 stand er dann auch selbst auf dem Everest, in 15 Büchern und vielen Fernsehauftritten berichtete er über seine Unternehmungen und prägte als cooler "elder statesman" das Image des britischen Bergsteigens.

Doug Scott (1941-2020)

... war oft mit Chris Bonington unterwegs, etwa bei der Erstbesteigung von Changabang 1974 und 1977 am Ogre (7285 m). Nachdem sie die Gipfelwand erklettert hatten (was erst 2001 Thomas Hubers Team wieder gelang), pendelte Scott beim Abseilen an eine Wand und brach sich beide Unterschenkel. Der mehrtägige epische Rückzug (Bonington brach sich in einer kleinen Lawine ein paar Rippen), Scott teilweise auf Knien kriechend, ist eines der ganz großen "Epics" des Alpinismus und ein Beispiel für Scotts Durchhaltewillen. Den hatte er auch 1975 gebraucht, als er mit Dougal Haston die Everest-Westwand fertig durchstiegen hatte (Expeditionsleitung: Bonington) und sie auf 8700 Metern biwakieren mussten - ohne große Ausrüstung und ohne Flaschensauerstoff, der ihnen ausgegangen war. Seine Freude am Bergsteigen lebte er mit innovativen Expeditionskonzepten aus, etwa indem er zunächst einen hohen Sechstausender bestieg, dann einen Siebentausender, bevor er dann gut akklimatisiert sich am Makalu (8481 m) versuchte; auch wenn das letzte Ziel misslang, hatte er vorher schöne Touren gemacht. Bei all seinen Expeditionen (außer an der Everest-Westwand) ging er in kleinen Teams, mit minimalistischer Ausrüstung. Seine Verantwortung für die Menschen Nepals, die er auf den Expeditionen kennengelernt hatte, zeigte er mit Gründung der Hilfsorganisation "Community Action Nepal". Im Dezember 2020 erlag er einem Hirntumor.

2. Juli 1977

Der Siebte Grad

Pumprisse (VII) – eine der wichtigsten Routen der Alpingeschichte. „Weil wir in den Rissen gepumpt haben wie die Maikäfer beim Hochzeitsflug“, war der Name rasch geklärt. Eine Konzept-Tour, die zu dem Zweck erstbegangen wurde, die UIAA-Schwierigkeitsskala, die beim Grad VI+ („äußerst schwierig, obere Grenze“) endete, zu objektivieren und zu erweitern. Helmut Kiene wollte die Linie am Fleischbankpfeiler schon im Herbst 1976 mit Bernd Kullmann erstbegehen, doch schlechtes Wetter vertrieb die zwei aufs Oktoberfest, wo sie mit einem befreundeten Garmischer versumpften und zuletzt mit ihm nachts nach GAP fuhren – samt zwei Amerikanern, die sie in einer Kneipe kennengelernt hatten und die sich beim Aufwachen sehr wunderten… Im Frühling konnte „Kulle“ nicht; der DAV-Schriftleiter Elmar Landes vermittelte Kiene Reinhard Karl als Begleiter und Fotograf und schmuggelte Kienes perfekt argumentierten Beitrag an der internen Zensur vorbei in die „DAV-Mitteilungen“ – der Rest ist Geschichte. Heute reicht die Schwierigkeitsskala bis zum Grad XII; und das ist nicht doppelt so schwierig wie VI, sondern exponentiell schwerer.

2. Juli 1977

Helmut Kiene, Foto: DAV Archiv

Helmut Kiene (* 1952)

... gehörte zu den besten deutschen Alpinisten der 1970er Jahre, mit schnellen Begehungszeiten in den damals schwersten Alpenwänden und einem gewaltigen Solo von den Grands Montets über Aiguille Verte und Grandes Jorasses bis zur Turiner Hütte. Doch vor allem verdankt ihm die Bergsportcommunity die Öffnung der UIAA-Schwierigkeitsskala über den Grad VI+ hinaus. Dieses "äußerst schwierig, obere Grenze" postulierte eine erreichbare Höchstschwierigkeit, die für die besten Kletterer bei optimalen Bedingungen Sturzgrenze sein sollte. Ein offensichtliches Dilemma: Entweder verleugnete das jegliche mögliche Entwicklung, oder es erzwang, wenn eine schwierigere Route geklettert würde, eine Abwertung alles darunter liegenden samt Verschiebung oder Verdichtung in den niedrigeren Graden. 1977 gelang Kiene am Fleischbankpfeiler im Wilden Kaiser die Erstbegehung einer Rissreihe, die in drei Seillängen schwieriger war als alles bis dahin in den Alpen gekletterte; dass man in den USA, England und Sachsen viel weiter war, wusste Kiene. Der Schriftleiter des DAV, Elmar Landes, hatte ihm Reinhard Karl als Fotografen vermittelt und zwei Seiten für einen Beitrag in den "Mitteilungen" des DAV freigehalten. Kienes Argumentation war ebenso überzeugend wie seine sportliche Leistung, die "Pumprisse" wurden - nach längerer und emotionaler Diskussion in der Szene - als erste Tour des Siebten Grades akzeptiert, und die Freikletterbewegung, die damals gerade am Anlaufen war, bekam durch die nach oben geöffnete Schwierigkeitsskala eine objektive Messlatte, um die Leistungsexplosion zu dokumentieren. Kiene hörte bald darauf mit dem extremen Bergsteigen auf, weil er für sein Empfinden zu hart am Wind segelte, und widmete sich seiner Leidenschaft, der anthroposophisch inspirierten, "erkenntnisbasierten Medizin".

Reinhard Karl, Foto: DAV Archiv

Reinhard Karl (1946-1982)

... begleitete zwar Helmut Kiene bei der Erstbegehung der Pumprisse, aber hauptsächlich als Fotograf für den Beitrag in den "DAV-Mitteilungen". Und seine kulturellen Beiträge zum Alpinismus sind zweifellos höher zu werten als die sportlichen. Dabei war er 1978 der erste Deutsche auf dem Mount Everest; die österreichische Expedition hatte ihn eingeladen, um dem Herrligkoffer-Team im Herbst zuvorzukommen. Auch stieg er durch damals schwerste Alpenwände wie Eiger-Nordwand, Dru-Westwand und Droites-Nordwand, stand auf dem Fitz Roy in Patagonien und gehörte zu den Pionieren des achten Grades in der jungen Sportkletterbewegung Ende der 1970er Jahre. Doch schon in seinem Buch "Erlebnis Berg: Zeit zum Atmen" hatte er beschrieben, wie für ihn immer mehr die Motivation Priorität gewann, ein gutes Bild zu machen statt nur eine bestimmte Tour. Mit seinen rotzfrechen, drastischen Texten in der Tradition eines Jack Kerouac und mit eindringlichen Bildern, die neue Perspektiven fanden, erfasste er das Aufbruchsgefühl seiner Zeit und gab ihm Ausdruck. Aus einfachen Verhältnissen stammend, erarbeitete er sich ein Studium; und aus einem nicht immer kameradschaftlichen Enfant terrible, der bei Studentendemos Steine geworfen hatte, wurde spätestens nach der Heirat mit seiner Eva ein Poet, der die Romantik der Pfälzer Sandsteinfelsen in dem Beitrag "Unterwegs nach Hause" ergreifend schilderte. Eine Eislawine begrub ihn in einem Hochlager am Cho Oyu.

1978

Jenseits des siebten Grades

In den USA, wo schon lange die englische Freikletterethik gepflegt wurde, ist der siebte Grad längst überwunden – mit spektakulären Ikonen. Ron Kauk bouldert „Midnight Lightning“ (V8 / Fb 7B+) und bringt Klettern als Bewegungskunst in die internationalen Magazine. Ähnlich schockierend ist sein waagerechtes Sechs-Meter-Rissdach „Separate Reality“ (VIII+) im Yosemite, gesichert an den „Friends“, die der Raumfahrttechniker und Kletterer Ray Jardine entwickelt hat. Und im Jahr darauf klettert Leonard Coyne die gleiche Schwierigkeit bei der ersten freien Begehung der 600 Meter hohen Half-Dome-Nordwestwand.

In den Alpen wird der achte Grad zumindest angekratzt: VIII- gibt es für Reinhard Schiestls und Luggi Riesers „Mephisto“ am Heiligkreuzkofel, für „Supertramp“ (400 m) am Bockmattliturm von Martin Scheel und Gregor Benisowitsch 1980 – ein Jahr später auch für „Locker vom Hocker“ (200 m) an der Schüsselkarspitze-Südwand von Wolfgang Güllich und Kurt Albert (a.f., 1. Rotpunkt: Stefan Glowacz, Peter Gschwendtner) und die „Voyage selon Gulliver“ (400 m) von Michel Piola am Grand Capucin.

1978

Jim Bridwell, Foto: Pat Ament, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Jim "Commander" Bridwell (1944-2018)

... war ein typischer Exponent des "Yosemite way of climbing": Für seine haarsträubend grusligen Aid-Bigwallrouten, die die Schwierigkeiten in technischer Kletterei in neue Höhen trieben, griff der spirituelle Querdenker auch mal zu bewusstseinsoptimierenden Substanzen; zugrunde lag seinen Leistungen ein durch Bouldern verfeinertes Können im damals "state of the art" achten Grad. Die "Nose" am El Capitan kletterte er erstmals an einem Tag, und noch mit 54 Jahren gelangen ihm Erstbegehungen am El Cap wie "Heavy Metal" (900 m, VII, A5); er gehörte aber auch zu den Gründern der Bergrettungseinheit "Yosemite search and rescue" (YOSAR). Am Pumori (7161 m, Nepal) eröffnete er im Winter 1982 eine neue Route durch die Südwand, seine Route "Exocet" am Cerro Standhardt zählt zu den großen Klassikern in Patagonien. Legendär sind die erste Wiederholung der Kompressorroute am Cerro Torre mit wahrscheinlich erster Besteigung des Gipfels und die Nordwand des Moose's Tooth in Alaska mit einer epischen Abseilfahrt durchs Ungewisse. In seinen letzten Lebensjahren schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch und starb an den Folgen einer Hepatitis, die er sich durch eine Tätowierung auf Borneo geholt hatte.

Bernd Arnold, Foto: Andi Dick

Bernd Arnold (* 1947)

... schob gut 20 Jahre lang das Leistungsniveau im Elbsandsteingebirge vor sich her und steigerte die höchsten gekletterten Schwierigkeiten bis zum sächsischen Grad Xc (ca. IX+/X-); sehr häufig kletterte er auch im schwersten Fels barfuß und mit noch kühnerer Absicherung, als es die Regeln und der Geist des Gebietes verlangen. Seit vielen Jahren allerdings setzt er sich auch dafür ein, für weniger starke oder sportlich orientierte Kletterer besser gesicherte Klettermöglichkeiten an den Massiven des Nationalparks zu schaffen - die Diskussion darüber schlägt in der Szene immer wieder Wellen. Sein "Schneckenhaus" Elbsandsteingebirge (so nennt er es in einem Buchtitel) ist ihm wertvolle Heimat, die er gerne mit anderen teilt: Schon vor Öffnung des Eisernen Vorhangs empfing er Kletterer aus aller Welt, die sich von Stil und Schwierigkeit der sächsischen Routen inspirieren ließen. 1988 nahm er sich einen ungenehmigten "Urlaub" und fuhr mit der "DAV-Leistungsexpedition" an die Trangotürme im Karakorum, wo er einen Spaltensturz nur knapp überlebte. Auch nach dem Fall der Mauer blieb er seiner Felsenheimat und seiner Buchdruckerei treu, fuhr aber regelmäßig auf Kletterexpeditionen, vor allem mit Kurt Albert, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband. Routen wie "Riders on the storm" (IX, A2) am Zentralen Paineturm und "Royal Flush" am Fitz Roy (VIII+/IX-, A0) gehören zu den ganz großen Zielen internationaler Topkletterer.

8. Mai 1978

Ohne Flaschen

Ärzte hatten medienwirksam verkündet „ihr werdet verblödet von dort zurückkommen.“ Dennoch wagen Reinhold Messner und Peter Habeler den Aufstieg auf den Everest (8848 m) ohne Hilfssauerstoff – und gewinnen. 1980 steigt Messner völlig alleine auf den Nanga Parbat (8125 m), später im gleichen Jahr ebenso einsam auf den Everest (wieder ohne Flasche): Jede neue Aktion ließ die Szene zusammenzucken. 1986 hatte Messner als erster Mensch alle 14 Achttausender bestiegen, teils auf neuen Routen oder Überschreitungen, und nie das Hilfsmittel Flaschensauerstoff verwendet.

8. Mai 1978

Reinhold Messner, Foto: Jaan Künnap, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Reinhold Messner (* 1944)

... ist ganz gewiss der "Gröbaz" (größte Bergsteiger aller Zeiten), wie es manchmal spöttisch heißt - das aber nicht nur wegen seiner alpinistischen Leistungen, sondern genauso wegen seiner reflektierenden Aufarbeitung und Darstellung des Alpinismus gegenüber der Öffentlichkeit. Der Bergbauernsohn aus dem Villnösstal profilierte sich Ende der 1960er Jahre als einer der begabtesten Kletterer: Solo durch die Philipp-Flamm an der Civetta, solo auf neuer Route durch die Marmolada-Südwand, die Erstbegehung des legendären Mittelpfeilers am Heiligkreuzkofel. Klettern und Eis gehörten damals zusammen: Die schwerste Eiswand der Alpen, die Droites-Nordwand ging er alleine (4. Begehung); mit Peter Habeler brauchte er 10 Stunden für die Eiger-Nordwand. Im Himalaya stieg er 1975 in Zweierseilschaft mit Habeler durch die steile Nordwand auf den Gasherbrum I (8080 m). Der Plan, den Everest ohne Flaschensauerstoff zu besteigen, wurde von Ärzten als lebensgefährlich betrachtet; 1978 gelang es ihm und Peter Habeler. Im gleichen Jahr stieg Messner im Alleingang auf den Nanga Parbat, 1980 ebenfalls solo und ohne Hilfssauerstoff auf den Everest - eine der großartigsten Leistungen des Alpinismus. 1986 hatte er als erster Mensch alle 14 Achttausender bestiegen, natürlich ohne Flaschensauerstoff, danach komplettierte er die "Seven Summits" und durchstreifte Wüsten und Polargebiete. In vielen Artikeln, Büchern und Filmen berichtete er über seine Antriebe und Unternehmungen, in sechs "Messner Mountain Museen" durchleuchtet er die Beziehungen zwischen Menschen und Bergen - vom Bergsport bis zum Spirituellen. Für die Südtiroler Grünen engagierte er sich im Europäischen Parlament für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur; eine Grundhaltung, die auch seinem leidenschaftlichen Eintreten für ein "by fair means" zugrundeliegt. So konnte er der Gesellschaft die humanistischen Werte des Alpinismus nahebringen und dem Zerrbild des draufgängerischen Gipfelstürmers das des verantwortungsvollen "Grenzgängers" entgegensetzen: Wenn wir über uns hinauswachsen, können wir innerlich wachsen.

Jerzy Kukuczka, Foto: Andrzej Heinrich, Public domain, via Wikimedia Commons

Jerzy Kukuczka (1948-1989)

... gehört zu den polnischen Bergsteigern, die in den 1980ern die neuen Dimensionen im Himalayabergsteigen ausbauten. Er war zwar nach Reinhold Messner "nur" der zweite Mensch, der die 14 Achttausender komplettierte (am Everest mit Hilfssauerstoff), aber mit neun Neutouren war sein Portfolio schillernder und er gehörte zu den ersten, die das besonders harte Thema "Winterbesteigung" angingen: Auf vier Achttausendern (Kangchendzönga, Cho Oyu, Dhaulagiri, Annapurna) war er der erste im Winter. 1988 nahm er den Olympischen Orden in Silber an; Messner hatte die Auszeichnung abgelehnt. Bei einem Versuch in der Lhotse-Südwand, damals einem der größten Probleme, stürzte Kukuczka durch den Riss eines Fixseils tödlich ab.

1982

Moderne Zeiten!

„Moderne Zeiten“ an der Marmolada-Südwand bewerten Heinz Mariacher und Luisa Iovane zwar „nur“ mit VII+. Wiederholer finden die erste Seillänge allerdings deutlich „streng bewertet“ – und vor allem setzen die Erstbegeher keinen Bohrhaken, sondern beschränken sich auf Normalhaken und Klemmkeile: ein Statement für Zurückhaltung und sauberen Stil, das bis heute jeden beeindruckt, der sich der Route stellt.

Luisa Iovane und Heinz Mariacher an der Marmolada Südwand, Foto: Archiv Mariacher

1982

Heinz Mariacher, Foto: DAV Archiv

Heinz Mariacher (* 1955)

... erhielt 2020 den Paul-Preuss-Preis für ein Leben, das dem leistungsorientierten Klettern "by fair means" gewidmet war. Der Österreicher war schon mit zwölf Jahren solo im fünften Grad unterwegs, eröffnete an den Laliderer Wänden die heute noch gefürchtete "Charlie Chaplin" (800 m, VI+) in sehr brüchigem Fels und entdeckte dann die Südwand der Marmolada als senkrechte Spielwiese: Mit Klemmkeilen und ganz wenig Normalhaken eröffnete er mit Partnern wie Prem Darshano und Luisa Jovane Neurouten in unglaublich schnellen Zeiten. "Moderne Zeiten" (800 m, VII+, die meisten finden's deutlich schwerer) war sein Statement für hohe Schwierigkeit mit wenig Technikeinsatz; bis heute ein Denkmal für guten Stil (ohne Bohrhaken) und eine auch wegen ihrer Schönheit legendäre Route. Die erste freie Begehung des "Weg durch den Fisch" (800 m, IX-) auch an der Marmolada übertrug sein Sportkletterkönnen auf große Wände - er kletterte die wohl erste Route im Grad X in Italien.

Wer noch tiefer in das Leben des vogelwilden Kletterers eintauchen will, findet hier ein ausführliches Porträt.

1984

Grad neun in den Alpen

Martin Scheel treibt das alpine Sportklettern weiter: In „Amarcord“ (320 m) an der Siebten Kirchlispitze (Rätikon) klettert er 1984 erstmals in den Alpen den Grad IX-; ein Jahr drauf den glatten Grad IX in „Kein Wasser, kein Mond“ (100 m) am Wildhuser Schafberg und 1986 auch in größerer Wand, mit „Hannibals Alptraum“ (220 m) an der Vierten Kirchlispitze, die durch ihre Hakenabstände auch die Psyche fordert.

1984

1986

Eindrucksvoll: die Nordseite des Mount Everest, Foto: Luca Galuzzi, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Vollgas durch die Nacht

Erhard Loretan und Jean Troillet nehmen den Everest im Handstreich: während der Nacht steigen sie auf gut gefrorenem Firn die Nordwand hinauf, ruhen sich bei Sonne aus und rutschen beim Abstieg auf dem Hintern hinunter; nach nur 40 Stunden sind sie zurück, natürlich ohne Hilfssauerstoff. Cleveres Konzept, cool umgesetzt – so geht Inspiration.

1986

Voytek Kurtyka, Foto: privat

Wojciech "Voytek" Kurtyka (* 1947)

... trug mit dem Slogan "the art of suffering" (die Kunst des Leidens) höchsten alpinen Anspruch zu den größten Bergen der Welt. Mit anderen Polen wie Jerzy Kukuczka, aber auch mit internationalen Partnern wie dem Engländer Alex McIntyre oder dem Schweizer Erhard Loretan gelangen ihm im Alpinstil schwierigste Neutouren: an Shisha Pangma Central, am Cho Oyu, die Dhaulagiri-Ostwand, die Überschreitung dreier Gipfel des Broad Peak. Die Schwierigkeiten in der Höhe steigerte er mit dem Südpfeiler (VI, A3) am Changabang (6864 m) und der Ostwand des Nameless Trango Tower (6251 m). Grundlage seiner Erfolge war ein hervorragendes Kletterkönnen - noch mit 56 kletterte er 8a (IX+/X-) - und die Taktik "naked by night" (nackt bei nacht), Nonstopsteigen mit minimaler Ausrüstung. Derart ausgesetzt war er beispielsweise 1985 in der "Shining Wall", der Westwand des Gasherbrum IV (7932 m), die er mit Robert Schauer in acht Tagen durchstieg: Als sie den Gipfelgrat erreichten, gingen sie die letzten Meter zum Gipfel nicht mehr hinauf, weil sie das wohl nicht überlebt hätten. Für sein "Lebenswerk" erhielt er 2016 den piolet d'or; einige Jahre zuvor hatte er die Teilnahme an der Jury abgelehnt mit der Begründung, zwei große Bergtouren zu vergleichen, sei so müßig wie die Frage "was ist besser: Sex oder Weihnachten?".

Erhard Loretan (1959-2011)

... war der dritte Mensch auf allen 14 Achttausendern und der zweite, dem das ohne Hilfssauerstoff gelang. Doch auch bei ihm ist das "Wie" interessanter als das "Was". So bestieg er 1983 zusammen mit Marcel Rüedi drei Achttausender innerhalb von 15 Tagen, 1984 gelang ihm mit Norbert Joos die erste Überschreitung der Annapurna über den 7,3 km langen Ostgrat. Besonders bemerkenswert ist die Speedbesteigung des Everest gemeinsam mit Jean Troillet 1986: Sie stiegen bei Nacht auf hartgefrorenem Schnee durch die Nordwand, ruhten in der Sonne aus und rutschten beim Abstieg teils auf dem Hosenboden die 3000 Höhenmeter in sechs Stunden hinunter; für die gesamte Tour brauchten sie nur 40 Stunden. Seine Kondition und Exzellenz bewies er 1989 mit 13 Nordwänden der Berner Alpen in 13 Tagen. Und gemeinsam mit Voytek Kurtyka eröffnete er 1986 am Nameless Trango Tower dem Bigwallklettern an hohen Gipfeln eine neue Perspektive. Er starb als Bergführer am Grünhorn (Berner Alpen) durch Seilschaftssturz, seine Kundin überlebte.

Professionalisierung und Medialisierung

Der Übergang in die Jetztzeit des Bergsports verläuft fließend. Treibende Kräfte der stetigen Weiterentwicklung sind mehrere Faktoren. Die seit den 1990er Jahren überall entstehenden Kletterhallen bieten optimale Trainingsmöglichkeiten (ein hohes Kletterniveau ist wesentliche Grundlage für alle Disziplinen des Alpinismus) und tragen dazu bei, dass sich Bouldern und Klettern zum Breitensport entwickelt, alternativ zum Fitnesscenter. Damit wächst auch das öffentliche Interesse am Sport, der neben Zeitschriften und Büchern vor allem durch die neuen Möglichkeiten in Internet und Sozialen Medien viel bessere Möglichkeiten zur Dokumentation und Inszenierung bekommt. Die Entwicklung der Digitalfotografie mit Action-Videokameras und Drohnen bringt spektakuläre Perspektiven. In einem boomenden Outdoormarkt (mit perfektioniertem Ausrüstungsangebot für Top-Performance) verbessern sich dadurch auch die Möglichkeiten, vom Bergsport zu leben. Als Vollprofi schaffen das nur die wenigsten, aber viele fretten sich durch mit kleinen Sponsorverträgen und diversen Jobs als Bergführer oder in Bergsportläden - die Bergvagabunden-Tradition des anspruchslosen Lebens in der Natur hält die finanziellen Ansprüche überschaubar. Dafür haben die Akteure mehr Zeit für systematisches Training auf optimierter wissenschaftlicher Basis und finden in Boulderhallen und wintertauglichen Kletterdestinationen (Spanien, Türkei, Griechenland, Thailand) gute Möglichkeiten zur Praxis und eine breite, gut vernetzte, inspirierende Community. Auch die Berge der Welt waren nie so nahe wie heute, die Informationen nie so dicht. Dass das in der Breite zu "overtourismus"-Phänomenen führt, zu Verkehrs- und Parkproblemen, zu Überfüllung und Konflikten mit dem Naturschutz, ist die Kehrseite dieser Medaille. Die Alpenvereine erleben in ihrem angeborenen Spagat zwischen Naturschutz und Naturnutz ein intensives Stretchingtraining - das Satzungsziel "die Bereisung der Alpen erleichtern" bekommt Konkurrenz durch die Aufgabe, diese Alpenreisenden so anzuleiten und zu lenken, dass ihre Destination nicht kaputtgeht. Und auch wenn Klettern für "Tokyo 2020" erstmals auf dem Programm Olympischer Spiele stand: Für die Aktiven ist es im Kern ein Sport geblieben, bei dem es um Gemeinschaft statt um Wettkampf geht und um Exzellenz statt Konkurrenz - wie in allen "Disziplinen" des Bergsports, der für seine Aficionados eine lebenslange, sinnstiftende Leidenschaft ist.

1989

Jetzt schlägt's Grad Zehn

Die „Huberbuam“ Alex und Thomas mischen sich ein – und streifen mit „Scaramouche“ (230 m, IX+/X-) an der Göll-Westwand (Berchtesgaden) erstmals den zehnten Grad. Beat Kammerlander schraubt das Niveau 1991 mit „Unendliche Geschichte“ (320 m, Siebte Kirchlispitze) auf X+.

1989

Alexander und Thomas Huber, Foto: Franz Hinterbrandner/Huberbuam.de, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Alexander (*1968) und Thomas (*1966) Huber

Die "Huberbuam" haben gemeinsam und einzeln im Sportklettern, alpinen Sportklettern und im Klettern und Alpinismus an hohen Bergen Marksteine gesetzt. Thomas erhielt unter anderem den piolet d'or für den direkten Nordpfeiler am Shivling (6543 m), realisierte die Erstbegehung des Südpfeilers am Ogre (7285 m, zweite Besteigung) und eröffnete mit "End of silence" (350 m, X+) 1994 eine der damals schwersten Mehrseillängenrouten. Alexander gehörte in den 1990er Jahren zu den weltbesten Kletterern mit der ersten Route im Grad 9a+ (XI+, "Open Air", 1996) , einem aufsehenerregenden Free Solo der "Hasse-Brandler" (500 m, VIII+) in der Nordwand der Großen Zinne und dem Free Solo der Sportkletterroute "Kommunist" (X+). Gemeinsam mit Thomas kletterte er eine ganze Reihe von Bigwalls am El Capitan erstmals frei, mit Schwierigkeiten bis zum zehnten Grad, damit gaben die Brüder dem "Free Wall Climbing" großen Anschub. An der legendären "Eternal Flame" (IX+/X-) am Nameless Trango Tower gelang den Huberbuam die erste komplette Rotpunktbegehung - und auch mit über 50 liefern sie jedes Jahr alpine Erstbegehungen im zehnten Grad bei bewusst sparsamer Absicherung.

1989

Die Flamme brennt

Schwerer will höher: Die neuen Dimensionen (und Absicherungsmöglichkeiten) des alpinen Kletterns mussten auch in den Bergen der Welt ausgelebt werden. Besondere Aufmerksamkeit wecken Wolfgang Güllich und Kurt Albert mit „Eternal Flame“ (650 m, VIII+/IX-, A2) am Trangoturm (6251 m), gemeinsam mit Christoph Stiegler und Milan Sykora erstbegangen – eine großartige Linie an einem großartigen Berg. Die erste komplett freie Begehung (IX+) schafften dann Alex und Thomas Huber 2009.

Die Trangotürme; der Trango Tower mit "Eternal Flame" steht ganz rechts. Foto: mtzendo, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

1989

Kurt Albert, Foto: Octagon, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Kurt Albert (1954-2010)

... gilt in Deutschland als Erfinder des "Rotpunkts" - das stimmt nur zum Teil. Denn das freie Klettern einer Seillänge in einem Zug ohne Benutzung der Sicherungsmittel als Fortbewegungshilfe oder zum Rasten hatte schon Chuck Wilts 1944 "erfunden" und in den USA als Stil-Leitbild etabliert. "Kurtl" wurde durch Besuche im Elbsandstein zum Freiklettern inspiriert und gab der Bewegung in Deutschland ihr Symbol, indem er den Einstieg von Routen, die er frei klettern konnte, mit einem roten Punkt markierte. Seine WG in seiner Felsheimat Frankenjura wurde zum Treffpunkt für Kletterer aus aller Welt; an den Felsen schob er anfangs der 1980er Jahre die Leistungen bis in den neunten Grad mit heutigen Klassikern wie "Sautanz" (IX-) und "Magnet" (IX); den Sprung in den zehnten Grad erlaubten seine Fingergelenke nicht. Dafür aber zeigte er eine starke Psyche mit Solobegehungen im oberen achten Grad und trug die Freikletterbewegung in die Alpen: "Locker vom Hocker" (VIII-) an der Schüsselkarspitze, 1981 mit Wolfgang Güllich eröffnet, war einer der ersten alpinen Achter, die "Schweizerführe" (IX-) an der Westlichen Zinne kletterte er als erster rotpunkt. Dann ging es in die Berge der Welt: Mit Partnern wie Wolfgang Güllich, später vor allem seinem Freund Bernd Arnold, eröffnete er legendäre Routen wie "Eternal Flame" am Nameless Trango Tower, "Riders on the storm" am Zentralen Paineturm oder "Royal Flush" am Fitz Roy. Auch auf leidensgeprägten Trips in der Arktis oder im Regenwald war er immer für einen Spaß gut; eine Ikone ist das Bild, das ihn free solo in Lederhose am Ausstieg des "Devils Crack" (VII) zeigt, einen gefüllten Bierkrug in der Hand. Er wurde mit dem Silbernen Lorbeerblatt und dem Albert Mountain Award ausgezeichnet - den Tod fand er an einem leichten Klettersteig im Frankenjura durch Fehlbedienung seiner Selbstsicherung.

Im Video wird die Geschichte des Rotpunkt-Kletterns nacherzählt - mit Alex Megos als aktuellem Protagonisten in einer 9b+ (XII-):

Wolfgang Güllich, Foto: Immanuel GielDerivative work MagentaGreen, CC0, via Wikimedia Commons

Wolfgang Güllich (1960-1992)

... ist vielleicht die leuchtendste Figur des frühen Sportkletterns in Deutschland: Er stieg weltweit die jeweils ersten Routen im Schwierigkeitsgrad X ("Kanal im Rücken", 1984), X+ ("Punks in the gym", 1985), XI- ("Wallstreet", 1987) und XI ("Action Directe", 1991). Für diese - so genannt, weil sie ein "Terroranschlag auf die Fingergelenke" war - entwickelte er das heute verbreitete Campusboard; als studierter Sportwissenschaftler übertrug er die Erkenntnisse der Trainingslehre systematisch auf das Klettern - unter der Prämisse "Zuviel Kraft ist ein Zustand, den es beim Klettern nicht gibt". Gleichzeitig galt für ihn aber auch "Kaffeetrinken ist integraler Bestandteil des Kletterns"; stets war er offen für Austausch, zum Beispiel mit den Kletterern aus aller Welt, die oft wochenlang in seiner fränkischen WG (mit Kurt Albert) zu Gast waren: "Klettern ist verbunden mit Reisen, neuen Menschen und anderen Kulturen." Mit "Kurtl" trug er das Sportklettern auch in die Alpen ("Locker vom Hocker", VIII-, 1981) und in die Berge der Welt ("Eternal Flame", "Riders on the storm"). Zur Ikone wurde ein Foto von Heinz Zak, das ihn free solo im 6-Meter-Dachriss "Separate Reality" zeigt; die Begehung erregte weltweit Aufsehen und trug vielleicht dazu bei, dass er Sylvester Stallone im bodenlosen Film "Cliffhanger" doubeln durfte. Am 21. August fuhr er in aller Frühe nach München für ein Interview mit dem Bergsteigerradio des BR; bei der Rückfahrt schlief er wahrscheinlich am Steuer ein und kam von der Autobahn ab.

Malte Roeper und Jochen Schmoll widmeten Güllich einen filmischen Nachruf:

1993

So geht das, Männer!

In einer Welt, die sich vor allem an absoluten Superlativen begeistert, und in einem Sport, dessen Anforderungen es dem „schwachen Geschlecht“ schwerer machen, sind geschichtliche Highlights meist von Männern geleistet. Wie schön, dass eine der großen Ausnahmen ausgerechnet die vielleicht berühmteste Kletterei der Erde ist, die „Nose“ (900 m, X+) am El Capitan. Lynn Hill bewertete ihre erste Rotpunktbegehung „nur“ mit IX+/X-, die wahre Schwierigkeit erkannten erst Wiederholer viele Jahre später. Wie sagte sie so richtig: „It goes, boys!“

1993

Lynn Hill, Foto: Jarle Vines, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Lynn Hill (* 1961)

... war bei den ersten Kletterwettkämpfen die größte Konkurrentin von Catherine Destivelle und hatte meist (bei 26 von 38 Events) die Nase ganz vorn; allein fünfmal gewann sie den Rockmaster, quasi das Wimbledon des Kletterns. Doch ihre Leidenschaft galt und gilt dem Fels: Als erste Frau kletterte sie den Grad 8b+ (X+) rotpunkt und 8a+ (X-) onsight, auch am legendären Boulder "Midnight Lightning" war sie die erste Frau. Als erstem Menschen überhaupt aber gelang ihr einer der bis heute schwierigsten Free Big Walls: Die "Nose" am El Capitan (900 m, X+) konnte sie 1993 erstmals rotpunkt klettern; ein Jahr darauf wiederholte sie die Begehung in nur 24 Stunden. Scott Burke brauchte 261 Tage, bis ihm 1998 die erste Wiederholung gelang (das "great roof" allerdings nur im Toprope). Hills lapidarer Kommentar nach der Freibegehung spiegelt wohl vieles von dem, was sie in den von Machismo geprägten Klettererkreisen ihrer Zeit hatte erdulden müssen: "It goes, boys!"

Catherine Destivelle, Foto: Manfred Kostner

Catherine Destivelle (* 1960)

... erhielt als erste Frau den piolet d'or für ihre Lebensleistung als eine der inspirierendsten Kletterinnen und Bergsteigerinnen der 1980er und 1990er Jahre. Grundlage war ihr hohes Können am Fels: Mit elf Jahren hatte die geborene Algerierin in Fontainebleau bei Paris mit dem Bouldern angefangen, 1988 kletterte sie als erste Frau den Grad 8a+ (X-), in den damals aufkommenden Wettkämpfen stand sie oft ganz oben am Podium. Sie war aber auch schon mit 16 durch bedeutende alpine Wände gestiegen und fand wieder dorthin zurück. Ihre solo eröffnete neue Route (800 m, VIII, A5) durch die Dru-Westwand hatte Weltniveau, die Slowenenroute am Nameless Trango Tower kletterte sie frei. Weltweit Aufsehen erregten ihre winterlichen Solos der drei "großen Nordwände" der Alpen: Eiger (1992), Grandes Jorasses und Matterhorn (1993) - am Matterhorn wählte sie dabei die Bonattiroute, eine der ganz wenigen Wiederholungen dieser ikonischen Route.

Alison Hargreaves (1962-1995)

... zog 1993 mit ihrer Familie von England auf den Kontinent, um die sechs "großen Nordwände" der Alpen in einer einzigen Sommersaison solo zu durchsteigen: Grandes Jorasses ("Leichentuch"), Aiguille du Dru ("Bonattipfeiler"), Matterhorn, Eiger ("Lauper"), Piz Badile, Große Zinne. Bei vier Wänden war das die erste Frauen-Solobegehung, das ganze Programm hatte noch kein Mensch vor ihr geschafft. Ein Vortrag von Doug Scott über die Everest-Südwestwand hatte 1976 ihre Bergleidenschaft geweckt, Heinrich Harrers "Die weiße Spinne" beflügelte ihre Träume. 1995 erreichte sie im besten Stil den Everest von Norden: solo, ohne Unterstützung und ohne Hilfssauerstoff. Mit dem Plan, erstmals in der Geschichte die drei höchsten Gipfel in einer Saison zu besteigen, fuhr sie weiter zum K2, erreichte den Gipfel solo und ohne Hilfssauerstoff, wurde aber im Abstieg von einem katastrophalen Sturm, der weitere fünf Menschen das Leben kostete, vom Berg geweht. Ihr Sohn Tom Ballard (*1988) wiederholte 2014/15 ihr Sechs-Nordwände-Programm, auch solo, aber in einer Wintersaison; er kam beim Versuch einer Winterbesteigung des Nanga Parbat 2019 ums Leben.

1994

Drei härteste Brocken

Was für ein Zusammentreffen! Im gleichen Jahr entstehen drei alpine Toprouten, die bis heute als „alpine Trilogie“ ein Schmuckstück im Portfolio jedes Profis sind. „Silbergeier“ (200 m, X+, Vierte Kirchlispitze, Beat Kammerlander, 15.8.), „End of Silence“ (300 m, X+, Hinteres Feuerhörndl, Thomas Huber, 16.8.) und „Des Kaisers neue Kleider“ (300 m, X+, Fleischbankpfeiler, Stefan Glowacz, 12.9.). Weniger Rampenlicht bekommt „Senkrecht ins Tao / Steps across the border“ (350 m, X-) von Prem Darshano und Ingo Knapp: Zwölf Jahre lang arbeiteten sie, bis die Erstbegehung ohne Bohrhaken gelingt. Eine komplette Wiederholung hat die Route bis heute (2021) nicht – im Gegensatz zur „Trilogie“, die sehr begehrt ist. Auch wenn sich die Maßstäbe geändert haben: 2020 erledigten Sean Villanueva und Sébastien Berthe die Trilogie in nur zwei Wochen, stiegen jede Route von unten durch, radelten die Strecken dazwischen und gaben sich noch „Headless Children“ (260 m, X) im Rätikon und „Odyssee“ (33 SL, X-) am Eiger als Zugabe.

1994

Josune Bereziartu, Foto: Erredakzioa / Kronika.eus, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Josune Bereziartu (*1972)

... kletterte als erste Frau die Schwierigkeitsgrade 8c (X+/XI-, "Honky Tonky", 1998), 8c+ (XI-, "Honky Mix", 2000), 9a (XI, "Bain de Sang", 2002) - und mit "Bimbaluna" (9a/9a+, 2005) sogar noch einen Tick schwerer. 8b+ (X+, "Hydrofobia", 2006) kletterte sie onsight. Dann wandte sie sich längeren Routen zu und kletterte mit ihrem Mann Rikar Otegi etliche Mehrseillängenrouten bis zum zehnten Grad und den klassisch alpinen "Walkerpfeiler" (TD+, VI+) an den Grandes Jorasses. Für ihr inspirierendes Engagement an der Spitze des Frauen-Alpinismus erhielt sie 2006 den allerersten "Salewa Rock Award" in Arco, eine Art Kletter-Oskar, vor Legenden wie Maurizio Zanolla, Daniel Andrada, Yuji Hirayama und Chris Sharma.

Chris Sharma, Foto: Mocco2, Public domain, via Wikimedia Commons

Chris Sharma (*1981)

... verkörperte in den 2000er Jahren den inspirierten Geist des modernen Sportkletterns: Höchste Schwierigkeit war nicht Selbstzweck, sondern logisches Ergebnis absoluter Hingabe, vom Training über den ungebundenen Lebensstil bis zum "a muerte" (Vollgas) bei der Begehung. "Ich muss mit der Route eins werden" schrieb er sinngemäß nach der Wiederholung von "Dreamtime" (Fb 8B+), dem damals weltweit schwersten Boulder. Als Sohn eines Yogi-Ehepaars meditierte er und spielte die japanische Shakuhachiflöte, strahlte aber gleichzeitig die unbekümmerte Lebensfreude eines amerikanischen Sonnyboys aus. Dies und die professionelle Begleitung durch den amerikanischen Kletterfilmer Josh Lowell machten ihn damals zum Medienstar und Leitstern im Sportklettern. Die erste Begehung der Route "Realization / Biographie" (XI+) galt 2001 als erste 9a+ der Welt, bis sich herausstellte, dass Alex Huber wohl schon 1996 mit "Open Air" ähnlich schwer geklettert war. Im Schwierigkeitsgrad 9b (XI+/XII-) war Sharma dann der erste mit gleich mehreren Erstbegehungen, mit "La Dura Dura" (9b+, XII-) gelang ihm 2013 seine schwierigste Tour. Diese Linie hatte er selbst eingebohrt, dann gemeinsam mit Adam Ondra projektiert - als dem Jüngeren Adam zuerst der Durchstieg gelang, sagte er: "Jetzt kann ich den Staffelstab weitergeben".

1994

Zum hängenden Eiszapfen

Wieder einmal zeigt sich, wie bessere Ausrüstung den Sport voranbringt – aber auch, dass ein Kopf, der frei ist für neue Ideen, dabei wichtigstes Gelenk und wichtigster Muskel ist. Jeff Lowe hat die Idee, einen frei hängenden Eiszapfen am Rand eines Felsdachs anzuklettern, indem er seine Eisgeräte an Strukturen am Fels einhängt – mit „Octopussy“ (M8) erfindet er das moderne Mixedklettern und erzwingt neue Sehgewohnheiten. Robert Jasper setzt dem 1998 mit „Flying Circus“ (M10) noch eine fette Portion drauf.

Jeff Lowe in der Route "Octopussy", Foto: Brad Johnson

1994

Jeff Lowe, Foto: facebook.com/jeffloweclimber

Jeff Lowe (1950-2018)

... war einer der bedeutendsten amerikanischen Alpinisten mit entscheidenden Einflüssen auf das Eis- und Mixedklettern und gewaltigen Erfolgen an den Bergen der Welt. 1978 wurde seine Durchsteigung der "Bridalveil Falls" in Colorado vom Fernsehen übertragen, eine Pioniertat im US-Eisklettern. 1994 schockten Bilder seiner Mixedtour "Octopussy" (M8) die Szene: Mit den Eisgeräten hangelte er sich durch ein Felsdach an einen freihängenden Eiszapfen - revolutionär, provokant, inspirierend. Er brachte das Eisklettern in die "Winter X Games" und startete das "Ouray Ice Festival". Am Nordgrat des Latok I (7145 m) erreichten er, Michael Kennedy, George Lowe und Jim Donini 1978 in einem 26-tägigen Epos einen höchsten Punkt, der erst 2018 durch die Erstbegeher der Linie übertroffen wurde - ein Scheitern, das ein Höhepunkt der Alpinismusgeschichte war. Latok nannte er dann auch die Firma, in der er sein kreatives Entwicklertalent für Ausrüstung auslebte. Nach einer kritischen Phase seiner Biographie suchte er "Metanoia", Umkehr, Buße, Reinigung - und fand sie in einem neuntägigen Alleingang auf neuer Linie durch die winterliche Eiger-Nordwand, bei miserablen Verhältnissen und höchsten Schwierigkeiten (VII, A4, M6); die erste Wiederholung gelang erst 25 Jahre später einem Team um Thomas Huber, sie brauchten auch fünf Tage. In seinem letzten Interview sagte Lowe: "Keine Tour ist auch nur den Verlust einer Zehenspitze wert. Wäre ich am Berg gestorben, hätte das all meinen Touren einen Makel verpasst. Viele Bergsteiger benutzen das Wort "objektive Gefahren", um etwas zu bezeichnen, für das sie nicht verantwortlich zu machen seien. Ich halte mich selbst für verantwortlich für alle Fehler, die ich im Lauf der Jahre gemacht habe." Für seine Lebensleistung erhielt Lowe 2017 den piolet d'or; nach langem Kampf mit einer Nervendegenerationskrankheit starb er im Kreis seiner Familie. 

Robert Jasper, Foto: BergsteigerIn, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Robert Jasper (* 1968)

... gab in den 2000er Jahren dem Mixedklettern entscheidende Impulse und eröffnete damit dem großen Alpinismus neue Perspektiven: Wer gelernt hat, mit der Sportkletter-Kraft des oberen zehnten Grades an Eisgeräten zu hängen, die nur auf millimeterbreiten Felskanten hooken, und mit höchster Körperspannung freihängende Eiszapfen anzugrätschen, um diese dann hinaufzupickeln - der hat in großen Wänden eine entscheidend umfangreichere Trickkiste. Solche Passagen prägen seine Route "Flying Circus" (M10) in Kandersteg, mit der er 1998 die Szene schockte und inspirierte, später erreichte er den Mixedgrad M14+ ("Ironman"), oft verzichtete er bei seinen Routen auf Bohrhaken ("Ritter der Kokosnuss", M12). In den Nordwänden von Eiger (Harlinroute), Matterhorn ("Sébastian Gay Memorial") und Grandes Jorasses ("No Siesta") gelangen ihm dann jeweils erste freie Begehungen bestehender Routen, mit Schwierigkeiten bis VIII und M8. In der Eiger-Nordwand, die er schon 16 mal durchstiegen hat, eröffnete er 1999 die "Symphonie de Liberté" (IX+/X-) mit seiner Frau Daniela und 2015 mit "Odyssee" (X-) die bisher schwerste Route. Für "Vom Winde verweht" (IX+, A2, M5) am Cerro Murallon in Patagonien, gemeinsam mit Stefan Glowacz erstbegangen, wurde er 2005 für den piolet d'or nominiert. 

Ines Papert, Foto: Stefan Wiebel

Ines Papert (*1974)

... war viermal Weltmeisterin und mehrfach Weltcupsiegerin in Eiskletter-Wettbewerben; beim Ouray Ice Festival 2005 gewann sie die Gesamt-Konkurrenz, auch vor allen Männern. Sie strebt auch nicht nach "ersten Frauenbegehungen", sondern hinterlässt eigene Spuren im Fels, steilen Eis und Mixed und an den Bergen der Welt. Dazu gehören eine Rotpunktbegehung der "Camilotto Pellissier" (500 m, X) an der Großen Zinne, die Erstbegehung "Schwarze Madonna" (200 m, IX+/X-) am Untersberg oder die erste Wiederholung der 2007 weltschwersten Mixedroute "Law and order" (M13). Ihr Vorstieg bei miserablem Wetter (120 km/h Wind) in "The Hurting" (XI, 11), einer der schwersten schottischen Trad-Mixed-Routen und auch weltweit, beeindruckte die Locals. Bei der Erstbesteigung des Likhu Chuli (6719 m) in Nepal hatte ihr Partner Angst vor Erfrierungen, so ging sie vom letzten Biwak alleine zum Gipfel. Mit Mayan Smith-Gobat kletterte sie 2016 in der legendären "Riders on the storm" (1300 m, IX+, A2) am Paineturm mehr Seillängen frei als alle Vorgänger (5. Begehung); die komplette Rotpunktbegehung gelang wegen des patagonischen Wetters nicht. Papert über sich selbst: "Was mich beim Bergsteigen fasziniert? Neuland zu finden! Was mich stark macht? Körperliche Kraft, für die ich hart trainiere, seelische Sicherheit und Stärke, die mir angeboren sind, Entscheidungsfreudigkeit und viel Neugierde. Aber auch die guten Stunden, die ich mit meinen besten Freunden unterwegs im Team erlebe."

2000

Schlaflos am Denali

Wie klein große Berge werden können, wenn man gut ist und auf Schlaf verzichten kann! Steve House, Mark Twight und Scott Backes klettern die „Slowaken-Direkte“ (2750 m, VI+, M5, WI 6) durch die Südwand des Denali (6190 m) in 60 Stunden nonstop – und geben damit dem extremen Alpinismus eine völlig neue Perspektive.

2000

Marko Prezelj, Foto: Manuel Ferrigato

Marko Prezelj (*1965)

... erhielt als bisher Einziger viermal den piolet d'or, den "Oscar des Bergsteigens": 1991 für eine neue Route durch die Südwand des Kangchendzönga, zusammen mit Andrej Stremfelj, dann 2006, 2014 und 2015 für schwierige Routen an mittelhohen Gipfeln, oft mit jüngeren Bergsteigern. Rund um die Welt kennt er die regionalen Highlights, basierend auf hohem Kletterkönnen (IX+/X-), Erfahrung und Stilbewusstsein. "Ich verstand von Anfang an, welch wichtige Rolle der Stil spielt - im Alpinismus wie im Leben", sagt er und setzt Klettern und Leben gleich: "Dein Fokus und deine Entschlossenheit entscheiden darüber, ob dein Leben gelingt oder nicht". Zu diesem Gelingen trägt auch sein Engagement als Mentor für junge Alpinisten bei, das in Slowenien bestens etabliert ist: "Es sollte normal sein im Leben, dass man von den Älteren lernt und das Wissen an die Jüngeren weitergibt."

Silvia Vidal (* 1970)

... hat Humor: "Je länger das Wetter schlecht ist, umso größer ist die Chance, dass es sich ändert". Dass diese Änderung auch bedeuten kann, dass es noch schlechter wird, hat sie auch schon oft genug erfahren. Kaum ein Mensch hat ähnlich viele Tage alleine bei Erstbegehungen in Bigwalls an den Bergen der Welt verbracht, von Patagonien zum Karakorum, von Baffin Island bis zur Cordillera Blanca. Für die Erstbegehung "Espiadimonis" (1300 m, VII, A4) in Chile verbrachte sie 32 Tage alleine in der Wand, 16 davon mit schlechtem Wetter. "Das Gefühl der Unkontrollierbarkeit ist für mich ein wichtiger Bestandteil des Abenteuers" sagt sie selbst dazu. Normalerweise werden im Sport Männer und Frauen getrennt gewertet, da die Körper-Statistik unterschiedliche Möglichkeiten vorgibt. Vidal ist mit den stärksten Männern auf Augenhöhe unterwegs. Das belegen der erste "piolet de oro" (Goldener Pickel) für eine Frau 1996, Spaniens höchste alpinistische Auszeichnung, und eine Nominierung für den piolet d'or. Doch Preise sind ihr nicht wichtig. "Ich brauche dieses Auweia-Gefühl" sagt sie über ihre Expeditionen - und danach ist sie wieder glücklich beim Sportklettern mit Freunden im Hinterland von Barcelona.

Hier gibt es das ausführliche Porträt der katalanischen Kämpferin aus DAV Panorama.

2001

Geht's noch steiler?

Als Alex Huber im Winter 2000 solo „Bellavista“ (500 m, IX-, A4) an der Nordwand der Westlichen Zinne mit großem technischem Materialaufwand erschlossen hatte, wunderte sich die Szene, was den Sportkletterer zu derart hanebüchenem Alpinismus motiviert haben mochte. Im Jahr darauf lüftet er das Geheimnis und klettert seine Linie durch die Riesendächer frei – mit X+/XI- wohl die schwerste Mehrseillängenroute damals, und ohne gebohrte Zwischenhaken: ein Plädoyer für die Abenteuerkomponente im Bergsport. Wieder ein Jahr später klettert er die „Hasse-Brandler“ (500 m, VIII+) in der Nordwand der Großen Zinne free solo; eine der schwersten Solo-Wände, mit dem berüchtigt brüchigen Zinnenfels.

2001

David Lama, Foto: Detlef Fliegl, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

David Lama (1990-2019)

... wurde vom Everest-Mann Peter Habeler "entdeckt", der das Bewegungstalent des Fünfjährigen erkannte, Sohn eines Nepali und einer Tirolerin. In Innsbruck landete er in der Trainingsgruppe von Reinhold Scherer und ging ab wie eine Rakete: Mit zehn kletterte er 8a (IX+/X-), mit 14 X+/XI- rotpunkt und X- onsight. 2004 und 2005 wurde er Jugendweltmeister im Klettern, 2006 Europameister im Lead, 2007 im Bouldern, acht Weltcups gewann er. Doch die Tiroler Sozialisation trieb ihn auch in größere Wände: So eröffnete er mit Jorg Verhoeven "Brento Centro" (1000 m, X) im Sarcatal und wiederholte "Bellavista" (500 m, X+/XI-) an der Westlichen Zinne. Vor allem aber zog es ihn ins wirklich wilde Gelände. Alpinistisch "erwachsen" wurde er durch das Projekt, die "Kompressorroute" am Cerro Torre frei zu klettern. Beim ersten Versuch brachte das vom Sponsor mitgeschickte Filmteam Bohrhaken am Berg an, ein Sturm der Entrüstung ging durch die Szene. Lama ließ alle Haken entfernen und erreichte im nächsten Jahr zumindest den Gipfel. Im dritten Jahr war das Wetter super - und direkt vor dem Durchstiegsversuch entfernten Amerikaner die meisten der vom Erstbegeher gesetzten Bohrhaken aus der Route. Dennoch gelang David die freie Begehung (IX+/X-); der Kinofilm darüber ist das Dokument eines Marksteins.

Im April 2019 kamen David Lama und seine Bergsteigerkollegen Hansjörg Auer und Jess Roskelley bei einem Lawinenunglück in den kanadischen Rocky Mountains ums Leben. Zum Gedenken an die verstorbenen Spitzenbergsteiger veröffentlichte Bergauf Bergab ein Video:

2005

Zwei Jungs, ein Berg

Wenn ein piolet d’or – für inspirierende alpinistische Leistungen – je berechtigt war, dann hierfür: In sechs Tagen durchsteigen Steve House und Vince Anderson die Rupalflanke des Nanga Parbat (8125 m) auf einer neuen Direktroute (4100 m, VI+, M5X, WI 4). Die Szene schweigt ergriffen vor so viel Kompetenz, Commitment und Teamgeist.

2005

Steve House (links) und Vince Anderson vor der Rupalflanke, Foto: Archiv Steve House

Steve House (* 1970)

... wurde nach der Erstbegehung der direkten Rupalflanke (4100 m, VI+, M5 X, WI4) am Nanga Parbat (8125 m) mit Vince Anderson 2005 von Reinhold Messner als "bester Höhenbergsteiger unserer Zeit" bezeichnet und erhielt dafür den piolet d'or. Superlative sind im Alpinismus meist Ansichtssache; Tatsache ist, dass House diesem Sport um die Jahrtausendwende gewaltigen Schub verliehen hat. Er kam dazu bei einem Schüleraustausch in Slowenien; mit dem Slowenen Marko Prezelj hat er danach viele wilde Routen eröffnet. Von sich reden machte der Bergführer in Alaska mit sehr schnellen Begehungen großer Klassiker, wie des Infinite Spur am Mount Foraker in 45 Stunden oder der Slowakischen Direkte (2750 m, VI+, WI6, M5) am Denali (6190 m) in 60 Stunden nonstop - "Schlaf wird überschätzt" könnte als Slogan herhalten. Für die Solo-Erstbegehung der SW-Wand (VII, A2, M6+, 80°) des K7 (6934 m) 2004 in 41 Stunden wurde er für den piolet d'or nominiert. Seine Grundlagen schuf er durch sportwissenschaftlich optimiertes, konsequentes Training, das er im Buch "Training for the new alpinism" beschrieben hat. "Wenn du alles erreicht hast, was bleibt dir dann zu tun?" schrieb er in einem Vortrag unter das Foto, das ihn am Nanga Parbat-Gipfel zeigt. Seine Antwort fand er nach einem knapp überlebten 25-m-Sturz am Mount Temple in Kanada 2010: Er lernte seine heutige Ehefrau kennen, wurde Vater und gründete das Programm Alpine Mentors, um jungen Alpinisten das risikobewusste Bergsteigen nahezubringen. Damit schließt sich der Kreis zu seinen Anfängen in Slowenien, wo die Weitergabe des Feuers und des Knowhows selbstverständlich ist.

Hier gibt's Steve House im DAV Panorama-Porträt.

Katsutaka Yokoyama, Foto: Patagonia

Katsutaka "Jumbo" Yokoyama (* 1979)

... ist einer der glänzendsten Exponenten der "Giri-Giri-Boys", einer jungen japanischen Bergsteiger-Elite. Deren Wahlspruch "itchi go, itchi e" - "nur hier, nur jetzt" - steht für das Leben im Moment, das Aufgehen im Augenblick, eines der intensivsten Gefühle beim Alpinismus. Jumbo und Kollegen brachten mit hohem technischem Können Drive in den Alpinismus der 2000er Jahre: Ihre Kombination des "Isis Face" mit der "Slowakenroute" am Denali (Mt. McKinley, 6190 m) verblüffte selbst die Locals; noch nie waren zwei Riesenrouten des sechsten Alaskagrades am Stück geklettert worden. Der Name seiner Route "I-TO" (2400 m, ED+, M6, WI 5) am Mount Logan (5959 m, Kanada) steht für "line-thread relationship", die Beziehung zu vorangegangenen Bergsteigergenerationen. Trotz all der Plagerei, die mit Bergsteigen auf diesem Niveau verbunden ist, empfinden die Giri-Giri-Boys das als Vergnügen: Am SO-Grat (58 SL, VIII, A1, M5, 70°) des Badal Peak (ca. 6100 m) in Pakistan spielte "Jumbo" mit seinen Kollegen Stein, Schere, Papier darum, wer vorsteigen dürfe. "Eine Mischung aus Furcht und Euphorie" hatte er bei seiner ersten Tour empfunden; diese Gefühle und die eigene Bedeutungslosigkeit in großartiger Natur treiben ihn bis heute an.

Colin Haley, Foto: Colin Haley, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Colin Haley (* 1984)

... ist einer der profiliertesten Alpinisten der jungen Generation, vor allem in Alaska und Patagonien hat er die Standards verschoben. In Patagonien gelang ihm mit dem "Hausmeister" Rolando Garibotti 2008 die lange versuchte Torre Traverse über alle Gipfel der Cerro-Torre-Gruppe (Aguja Standhardt, Punta Herron, Torre Egger, Cerro Torre); 2015 beging er diese mit Marc-André Leclerc in umgekehrter Richtung. Große Erstbegehungen machte er unter anderem mit Steve House in der "Emperor Face" des Mount Robson (Kanada), mit Björn-Eivind Artun am Mount Foraker ("Dracula", 3100 m, M6R, A0, AI 4+) und mit Leclerc am Cerro Torre ("Directa de la mentira", VII+, A1). Mit Alex Honnold kletterte er 2016 die Torre Traverse in nur 20:40 Stunden, und "The Wave Effect" (1900 m, VII+) über Aguja Desmochada und Aguja de la Silla zum Fitz Roy in nur 17:07 Stunden. Besonders eindrucksvoll sind seine Speed-Solos von drei der berühmtesten Routen der Alaska Range: "Cassin Ridge" (2400 m, VI, AI 4, 70°) am Denali in 8:07 Stunden, "Nordpfeiler" (2000 m, ca. M5, AI 5) am Mount Hunter in 7:47 Std. und "Infinite Spur" (2800 m, VI+. M5, AI 4) am Mount Foraker in 12:29 Std., jeweils vom Einstieg zum Gipfel. Für solche Aktionen reduziert er die Ausrüstung und ihr Gewicht aufs Minimum. Haley unterscheidet im modernen Alpinismus zwischen "Sport" (Speedrekorde am Eiger) und "Abenteuer", der Konfrontation mit dem Unbekannten, Unkalkulierbaren - und vergleicht sie mit seinen umfassenden Drogenerfahrungen: "Sport"-Alpinismus sei wie Partydrogen (Alkohol, Ecstasy, Kokain) mit berechenbarem Ergebnis, "Abenteuer"-Alpinismus wie halluzinogene Trips mit magic mushrooms oder LSD, "in denen du wirklich etwas über dich und die Welt lernst".

2013

Der einsame Gang

Die unbegangene Direktlinie durch die Südwand (2500 m) zum Hauptgipfel der Annapurna (8091 m) scheint ideale Verhältnisse zu haben – doch Ueli Stecks Begleiter kehrt am Einstieg um. So steigt Ueli allein auf; ein Schneerutsch spült ihn fast aus der Wand und reißt die Kamera mit; als sich der eiskalte Wind endlich legt, steigt er weiter, obwohl es Nacht ist; ein teils senkrechter Wandriegel ist dank schmaler Eisstreifen solo kletterbar (WI 6), zum Abseilen fädelt er sein Seil direkt durch Eissanduhren. So blieb eine der begeisterndsten Leistungen des Alpinismus unbeobachtet und undokumentiert – und Ziel der Angriffe von Zweiflern.

2013

Ueli Steck, Foto: Ludovic Péron, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Ueli Steck (1976-2017)

... wurde als "Swiss Machine" bekannt. Der gelernte Zimmermann konnte bald als Vollprofi leben und ein von Universitäts-Wissenschaftlern gecoachtes Training umsetzen; im Alpinismus der 2000er-Jahre war das ein ungewohntes Vorgehen. Mit der dadurch optimierten Kondition gelangen ihm Solo-Speedrekorde an den Nordwänden von Grandes Jorasses (McIntyre-Route, 2:21 Std.), Matterhorn (Schmidroute, 1:56 Std.) und Eiger (Heckmair, 2:47:33 Std., später 2:22:50 Std.). Doch profitierte er auch von einem sehr hohen Sportkletterniveau: Die Route "Golden Gate" (900 m, X) am El Capitan konnte er rotpunkt klettern, bis auf einen Sturz in einem nassen Riss (VIII) gelang ihm sogar alles onsight. Zu seinen vielen großen Erstbegehungen gehören "The young spider" (1800 m, VIII, A2, M7, WI6) am Eiger und die Nordwand des Tengkampoche (6500 m) in Nepal mit Simon Anthamatten, für die er 2009 den piolet d'or erhielt. Eine zentrale Rolle in seinem Leben spielte die Südwand der Annapurna (8091 m): 2007 stürzte er bei einem Soloversuch nach Steinschlag 200 Meter ab und überlebte. Im Jahr darauf brachen er und Simon Anthamatten ihren Versuch ab, um anderen Bergsteigern zu helfen (leider nur teils erfolgreich), wofür sie den Prix Courage der Schweizer Zeitschrift "Beobachter" erhielten. 2013 gelang ihm der Durchstieg (2500 m, ca WI 6) bei genialen Verhältnissen in einem 25-stündigen Alleingang - ein Fanal des modernen Alpinismus. Doch da ihm unterwegs eine kleine Lawine die Kamera aus der Hand gerissen hatte und er bei Nacht (weil windstill) ohne GPS-Logger den Gipfel erreichte, wurde sein Erfolg teilweise angezweifelt. Enge Freunde beschwören seine Ehrlichkeit, seine Erklärungen sind plausibel. Doch die Wahrheit hat er mit ins Grab genommen: Bei einem Akklimatisationstrip für die Everest-Lhotse-Überschreitung stürzte er am Nuptse tödlich ab.

In Erinnerung an die Bergsteigerlegende zeigte der SRF die 1,5-stündige Doku "Ueli Steck - Auf schmalem Grat":

Gerlinde Kaltenbrunner, Foto: Ralf Dujmovits

Gerlinde Kaltenbrunner (* 1970)

... bekam den Spitznamen "Cindarella Caterpillar", als sie bei einer Achttausenderbesteigung mit gleich schwerem Rucksack wie die Männer im tiefen Schnee spurte. Die diplomierte Krankenschwester aus Oberösterreich hatte ihre Kondition durch lange Fahrten per Rad zur Arbeit aufgebaut und war an den Achttausendern auf Augenhöhe mit den Männern unterwegs. Doch sah sie ihre Leidenschaft für die höchsten Gipfel nie als Geschlechterfrage oder als Wettbewerb und blieb ihrer Linie treu, das eigene Gepäck nach oben zu tragen, auch als die Koreanerin Oh Eun-Sun auf dem Weg zur "ersten 14-Achttausender-Frau" an ihr vorbeizog, allerdings mit großen Teams, Fixseilen und Hilfssauerstoff. Kaltenbrunner erreichte ihr Ziel 2011 als dritte Frau, nach der Spanierin Edurne Pasaban (diese hatte bei zwei Abstiegen zur Flasche gegriffen). So war sie die erste, die es ohne das Hilfsmittel schaffte - am letzten Gipfel, dem K2, krönte sie die Begehung des Nordpfeilers mit einer gewaltigen Spurleistung durch tiefen Schnee bis zum Gipfel. Die kostspieligen Expeditionen finanzierte sie als Vollprofi durch Sponsoreinnahmen, ihre Vorbereitungen waren professionell - doch zentral in Vorträgen, Büchern und im Privaten war für sie immer die Faszination dieser großen Landschaften und die Freude am Unterwegssein: "Ganz bei mir" heißt ein Buch über ihr Leben. Die Veganerin und Yoga-Anhängerin gibt ihre Begeisterung heute auch in Seminaren weiter; dabei werden die Emissionen von Flugreisen durch Baumpflanzungen kompensiert. Gerlinde Kaltenbrunner unterstützt die gemeinnützige "Nepalhilfe Beilngries".

2015

Live am Limit

Die „Dawn Wall“ (900 m, XI) am El Capitan ist die schwierigste Freewall-Route der Welt, den Erstbegehern Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson gratuliert der US-Präsident Obama persönlich. Mehrere Jahre hatten die beiden an der Linienführung getüftelt, an den Einzelstellen gearbeitet, dann steigen sie ein – und ihre Livestreams erreichen ein weltweites Publikum. Zuletzt verfolgen über zwanzig Fernsehsender vom Wandfuß ihre Bemühungen. Die dann zum Symbol für Menschlichkeit und Freundschaft werden: Jorgeson ringt tagelang mit der schwierigsten Seillänge 15, die Caldwell schon geschafft hat. Doch obwohl die Spätherbsttage keine sichere Wetterprognose zulassen, wartet Caldwell auf seinen Partner – bis zuletzt beide erfolgreich aussteigen, als Freunde und als Team.

2015

Tommy Caldwell, Foto: Rachel Sapp, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Tommy Caldwell (* 1978)

... übernahm in den 2000er-Jahren die Führung im Free-Bigwall-Klettern am El Capitan von den "Huberbuam": "West Buttress" (X), "Dihedral Wall" (X+) und "Magic Mushroom" (X+) waren die Highlights - als gleich schwer erwies sich die zweite Wiederholung der "Nose" (X+), gemeinsam mit seiner damaligen Frau Beth Rodden, die die Route auch frei kletterte. Kurz darauf kletterte Caldwell die Nose frei in 12 Stunden und direkt anschließend den "Freerider" (IX+) - rund 1800 Meter schwerste Kletterei in 23:23 Stunden. 2015 bekam Caldwell zusammen mit Alex Honnold den piolet d'or für die "Fitz Traverse", die Überschreitung des Fitz-Roy-Massivs in Patagonien mit 4000 Höhenmetern und Schwierigkeiten bis VIII. Spektakulär verlief sein Kampf um die "Dawn Wall" am El Cap: Mehrere Jahre lang arbeiteten er und Kevin Jorgeson an dem Projekt, bis endlich der erste Free Bigwall im glatten elften Grad gelang; Präsident Obama gratulierte. Die Online-Liveberichterstattung aus der Wand bedeutete auch einen Höhepunkt an Medialisierung; der Kinofilm "The Dawn Wall" beschreibt intensiv und einfühlsam die Faszination der Wand und das Auf und Ab in Caldwells Leben. Er beschreibt es auch eindringlich in seiner Autobiographie "Push". Mit 22 wurde sein Team in Kirgisistan von Rebellen gekidnappt und konnte sich nur befreien, indem Caldwell einen der Entführer über eine Felswand stieß (dass der überlebt hatte, erfuhr er erst später). Beim Heimwerken sägte er sich einen Zeigefinger ab, trainierte sich aber wieder zu gewohnter Leistungsfähigkeit heran. Mit 40 Jahren schraubte Caldwell zusammen mit Alex Honnold den Speedrekord an der Nose (900 m, VIII, A0) auf unglaubliche 1:58 Stunden. Im Abspann von "The Dawn Wall" ist sein zweijähriger Sohn zu sehen beim Versuch, einen Steinblock zu erklettern; die Mutter hilft ihm nicht, aber ermuntert ihn ständig, es zu versuchen - als er oben ankommt, strahlt er. So funktionieren Alpinismus, Erziehung - und das Leben.

2017

Neue Dimensionen

„Ihr könnt mir vorwerfen, dass ich einen Physiotherapeuten und einen Ballettlehrer gebraucht habe, um diese Route zu realisieren – aber ohne hätte ich es eben nicht geschafft.“ Adam Ondra ist nicht nur deshalb der derzeit beste Kletterer der Welt, weil er seine Begabung konsequent trainiert: Mit hoher Intelligenz findet er Lösungen, um sich neue Dimensionen zu erschließen. Für „Silence“ (9c), die erste Kletterei im glatten zwölften Grad, musste er Bewegungen lernen, die anatomisch „eigentlich“ gar nicht möglich sind. Als endlich der Durchstieg gelang, blieb der gewohnte Triumphschrei aus – so bewegt war er, das Ende dieser Reise erreicht zu haben.

Im gleichen Jahr klettert Alex Honnold den „Freerider“ (900 m, IX) am El Capitan free solo – eine unfassbare psychische Leistung; der Film darüber („Free Solo“) erhielt als erster Bergfilm einen Oscar.

2017

Alex Honnold, Foto: Bengt Oberger, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Alex Honnold (* 1985)

... erhielt als Ergebnis eines MRT-Hirnscans, dass seine Amygdala (für Angstreaktionen verantwortliche Hirnregion) weniger leicht zu stressen ist als bei normalen Menschen - vielleicht ist das ein Grund für seine unglaublich starke Psyche, die ihn zum profiliertesten Exponenten des modernen Free-Solo-Kletterns gemacht hat. Mit mehreren exponierten Free Solos im oberen achten Grad hatte er schon seit langem auf sich aufmerksam gemacht: "Separate Reality" (4. Beg.), "Moonlight Buttress" (Zion Park, 360 m), Half Dome NW-Wand "Regular" (Yosemite, 600 m), "Sendero Luminoso" (Mexiko, 450 m). Dann kam der Hammer: 2017 stieg er den "Freerider" (900 m, IX+) am El Capitan in diesem kompromisslosen Stil - Tommy Caldwell sprach von der "Mondlandung des Free-Solo-Kletterns". Der Film "Free Solo", der seinen Werdegang, die Vorbereitung und die Begehung dokumentiert, erhielt als erster Bergfilm der Geschichte einen Oscar. Doch Alex Honnold ist auch mit Seil unterwegs. So gelang ihm mit Tommy Caldwell 2014 die "Fitz Traverse" (4000 m, VIII) in Patagonien, für die die beiden einen piolet d'or erhielten, und 2018 schraubten sie den Speedrekord an der "Nose" (900 m, VIII, A0) auf 1:58 Stunden. Ein Drittel seines Einkommens steckt der Vollprofi und Vegetarier Honnold in seine gemeinnützige "Honnold Foundation", die vor allem mit Solarenergie-Projekten die Lebensbedingungen armer Menschen in den USA und Afrika verbessern will.

Angela Eiter, Foto: Manfred Werner / Tsui, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commonss

Angela "Angy" Eiter (*1986)

... gewann vier Weltmeisterschaften im Leadklettern, dreimal den Gesamtweltcup und sechsmal den Rockmaster in Arco, quasi das Wimbledon des Kletterns. Nach dem Ende ihrer Wettkampfkarriere widmete sie sich wieder ihrer Leidenschaft Naturfels und kletterte mehrere Routen im glatten elften Grad (9a). 2017 gelang ihr als erster Frau eine 9b (XI+/XII-), mit "La Planta de Shiva" in Spanien; in der heimatlichen Kletterhalle hatte sie die Route zum Training nachgebaut. Mit "Madame Ching" wiederholte sie 2020 diese Leistung - und setzte noch was drauf: denn als Erstbegeherin weiß man nicht, ob es überhaupt geht, und muss alle Bewegungslösungen selbst entwickeln. In ihrer Kletterschule "K3 Climbing" versucht sie gemeinsam mit ihrem Mann Bernhard Ruech, die Faszination am Klettern und ihre Erfahrungen weiterzugeben. "Alles Klettern ist Problemlösen" heißt der Titel ihrer Autobiografie: "Ich liebe Denksportaufgaben, bastle gerne. Es taugt mir, Bewegungen auszutüfteln, um meine Stärken an die Wand zu bringen, und sie dann hinaufzutanzen." In ihrem Buch schreibt sie aber auch darüber , wie sie als Teenager in die Magersucht rutschte (geringes Gewicht heißt mehr Relativkraft) und wieder herausfand.

Ein ausführliches Porträt über den Kletterprofi erschien in DAV Panorama 3/2020.

Adam Ondra, Foto: DAV/Marco Kost

Adam Ondra (* 1993)

... wird von allen Kletterern neidlos als der derzeit beste anerkannt. Er gewann vier Weltmeistertitel, etliche Gesamtweltcups und fünfmal den Rockmaster in Arco. Entscheidende Impulse aber brachte er vor allem dem Felsklettern. Als "Wunderkind" kletterte er schon mit 13 den Grad 9a (XI), wiederholte systematisch viele Toprouten in Europa, in allen Felsarten und Charakteristika; sein Bewegungsrepertoire ist so umfassend wie das kaum eines anderen. Aufbauend auf diesem Überblick über internationale Standards (regelmäßig korrigierte er Bewertungsvorschläge) setzte er seine eigenen Duftmarken: "The Change" war 2012 die erste Route des Grades 9b+ (XII-), gleich schwer waren "La Dura Dura" und "Vasil Vasil" (beide 2013). Für ein Projekt in der von ihm fürs Klettern entdeckten Hanshelleren-Grotte in Norwegen verbrachte er mehrere Wochen dort, baute vor Ort eine Kletterwand, um die Schlüsselstelle zu simulieren, und arbeitete mit einem Physiotherapeuten und einem Ballettlehrer zusammen, um seinem Körper neue Bewegungspotenziale zu erschließen - "Silence" wurde die erste 9c (XII) der Welt. Außerdem gelangen Ondra das zweite Onsight einer 9a (XI) und der erste Flash einer 9a+ (XI+). Aber er ist auch in Mehrseillängenrouten unterwegs: 2008 gelang ihm die erste freie Begehung von "WoGü" (7 SL, X+/XI-), die Beat Kammerlander im Rätikon erstbegangen und zu Ehren Wolfgang Güllichs benannt hatte. Die legendäre "Dawn Wall" (900 m, XI) am El Capitan, von Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson über Jahre projektiert und in 19 Tagen erstmals durchstiegen, kletterte er "ground up", ohne vorheriges Erkunden, in nur acht Tagen. Prägende Charakterzüge sind hohe Intelligenz, sportliche Fairness und Bescheidenheit, selbst als einer der medienpräsentesten Profis derzeit. In seinen Filmen dokumentiert er Leidenschaft für das Leben als Kletterer und gegenseitige Inspirationen über Generationen hinweg und gibt Tipps für besseres und sicheres Klettern.

2021

Local Heroes

1980 war es ausgerechnet der Mount Everest, der als erster Achttausender im Winter bestiegen wurde; am 16.1.2021 ist der letzte dran: Zehn Sherpas aus drei Teams haben sich zusammengetan und erreichen, die nepalische Nationalhymne singend, gemeinsam den K2 (8611 m), den schwierigsten aller Achttausender im kalten Karakorum. Nimsdai Purja, der 2019 alle 14 Achttausender innerhalb von sechs Monaten und sechs Tagen bestiegen hatte, allerdings mit Unterstützung durch Teams, Helitransfer und Hilfssauerstoff, schafft den Aufstieg ohne Sauerstoffflasche – und geht sogar teilweise voraus. So wie in den Alpen Ende des 19. Jahrhunderts die Bergführer auch mal ihre eigenen Ziele verwirklichten (und die Gäste „führerlos“ gingen), zeigen sich die Himalayabewohner damit als eigenständige Bergsteiger statt als Dienstleister.

2021

???

In Zukunft?

Was bringt die Zukunft? Die Überschreitung Nuptse-Lhotse-Everest im Alpinstil? Den dreizehnten Grad? Im Handstand auf dem Snowboard durch die Eiger-Nordwand? Oder die große Bremsung durch Klimawandel und Pandemien, Overtourismus und Reisebeschränkungen? Werden Ausrüstung und Hilfsmittel Leistung relativieren? Elektronische Hirn-Enhancements eigene Kompetenz obsolet machen oder untergraben? Prognosen sind immer schwierig, die Zukunft betreffend bekanntlich besonders.

Was sich mit Sicherheit sagen lässt: Solange Menschen die Möglichkeit haben werden, sich auf das Spiel mit Schwerkraft und Risiko einzulassen, ihre Grenzen zu ertasten und erweitern, die Natur als Erlebnisraum zu besuchen – so lange kann sie der Alpinismus mit seinen bergsportlichen Spielformen faszinieren. Und immer wieder werden Menschen neue Ziele erfinden und erreichen; die einen an den absoluten (aktuellen) „Grenzen des Menschenmöglichen“, die einen am Rand ihrer persönlichen Fähigkeiten.

Einen Weg zu gehen, der zu reizvollen und realistischen Zielen führt, kann glücklich machen. Und die Erfahrung „es geht – wenn ich mich dafür einsetze“ kann uns auch im gesellschaftlichen Leben motivieren. Dann ist unser Tun keine Flucht vor Alltag und Wirklichkeit, ist es mehr als Zeitvertreib und schönste Nebensache: Dann kann es uns als Menschen weiterbringen.

Vince Anderson auf dem Nanga Parbat nach der Rupalflanke – was bleibt dir jetzt noch zu tun? Foto: Steve House

???

Und "sie"?

"Es gibt nur drei Sportarten: Autorennen, Stierkampf und Klettern. Der Rest sind schiere Spiele", hat Ernest Hemingway geschrieben. Ein solcher Geist des Machismo prägte das Bergsteigen lange: Da wurden Gipfel "bezwungen" oder "erobert" zu Ruhm und Ehre irgendwelcher höheren Ideale, von heldenhaften Recken, die bereitwillig den Bergtod auf diesem Feld starben - gerade in Europas nationalistischer Zeit der großen Kriege waren solche Phrasen reihenweise zu lesen. Für Frauen blieb da wenig Platz. Und so wie der Alpinismus (wie jedes Kulturphänomen) ein Spiegel des Zeitgeistes ist, war die Rolle der "Frau am Berg" ein Abbild ihrer Stellung in der Gesellschaft. Dort waren Frauen meist in dienender, bestenfalls begleitender Funktion gesehen und auch unter Künstlern und Wissenschaftlern unterrepräsentiert. Bei jedem kraft- und ausdauerabhängigen Sport sind Männer durch ihren Körperbau tendenziell leistungsfähiger, so dass die "absolut" größten Leistungen im Alpinismus meist von Männern erbracht wurden und Frauen noch seltener herausragten. Der erste Alpenverein, der britische Alpine Club, nahm jahrzehntelang keine Frauen auf, am Berg waren sie, falls überhaupt geduldet, meist die Nachsteigerinnen. Ob die wenigen Bergsteigerinnen, die wir in unsere Historie aufgenommen haben, als Rollenvorbilder für andere Frauen gewirkt haben und sie motivierten, sich auch auf das Spiel mit Schwerkraft und Risiko einzulassen, ist geschichtlich schwierig zu analysieren. Heute, wo der Gedanke der Emanzipation zumindest so weit in die Gesellschaft gesickert ist, dass sogar manche Paare sich um eine gleichberechtigte Partnerschaft bemühen (aber oft genug in Rollenklischees zurückfallen), ist es normal, dass Frauen selbständig und in Frauenseilschaft unterwegs sind, statt nur hinterherzusteigen. Auch hat sich der Gedanke durchgesetzt, dass ihre Leistungen getrennt "gewertet" werden, wie in jeder anderen Sportart. Frauen müssen nicht mit Männern konkurrieren, um anerkannt zu werden, und "erste Frauenbegehung" bedeutet nicht etwa "nicht schlecht für eine Frau", sondern ist eben die Topleistung in der "Damenwertung", wie 10,49 Sekunden auf 100 Meter (während der beste Mann 9,58 Sekunden braucht). Sportlich nüchtern betrachtet, waren es meist die Männer, die die "Grenzen des Menschenmöglichen" erweitert haben. Frauen haben an den "Grenzen des Frauenmöglichen" gearbeitet und dabei Leistungen erbracht, die genau so faszinierend und inspirierend sind. Mehr dazu gibt es im DAV Bergpodcast zum Thema "Frauenpower - Geschichten über Pionierinnen am Berg".

Foto: DAV Archiv