Über den Hintergrat auf den Ortler (3905 m)
Über den Hintergrat auf den Ortler (3905 m) Foto: Michael Pröttel
Auf den höchsten Berg Südtirols

Klassiker: Ortler-Überschreitung

Wer den Schaden hat, braucht sich um den Spott meist nicht weiter zu kümmern. Als der Riese Ortler der Sage nach von einem Stilfser Zwerg bezwungen wurde, verhöhnte dieser ihn auch noch: „Ach, Riese Ortler, wie bist du noch so klein.“ Worauf der Riese zu einem gewaltigen Berg aus Eis und Schnee erstarrte. Sein 3905 Meter hoher Scheitel ist seitdem der höchste Punkt Südtirols und ein äußerst reizvolles Gipfelziel.

Insbesondere die Ortler-Überschreitung über den Hintergrat in Kombination mit dem Abstieg über den Normalweg ist eine der großartigsten Grat- und Hochtouren der gesamten Ostalpen. Sie gehört einfach ins Tourenbuch ambitionierter Bergsteiger*innen!

Geschenkt bekommt man den Hintergrat freilich nicht: Einem anstrengenden, teils unübersichtlichen und brüchigen Zustieg von der Hintergrathütte folgen drei Stunden Gratgenuss mit überwältigender Aussicht. Allerdings ist die Schlüsselstelle im vierten Schwierigkeitsgrad ziemlich abdrängend und abgespeckt. Der Abstieg führt dann durch eine gewaltige Gletscherlandschaft und hält zudem noch die eine oder andere Kletterstelle parat. Die Länge dieser gewaltigen Hochtour darf man jedenfalls nicht unterschätzen, was natürlich auch bedeutet, dass für diesen ganz großen Ostalpen-Klassiker absolut sichere Wetterverhältnisse herrschen müssen.

Ortler-Überschreitung: die Route Foto: Jörg Bodenbender

Ortler über Hintergrat und Normalweg: Höhenprofil Quelle: DAV

Ortler Überschreitung – Stück für Stück

1. Teilstück: Sulden (1845 m) – Hintergrathütte (2661 m)

T2, 2 ½ std., 760 Hm ↗

In Sulden rechts an der Bergsteigerschule vorbei und am Waldrand der Beschilderung „Langenstein“ bzw. Weg Nr. 3. folgen. Bei einer Gabelung rechts Richtung „Langenstein“, später rechts in den „Wurzelweg“ zur Bergstation des Langenstein Sessellifts. Weiter auf einem Fußweg nach S, um die Seitenmoräne zu einer Geländeverflachung. Der Weg quert unterhalb von Felsen und führt in einen breiten Osthang nach S zu einem Absatz, von dem aus man die Hütte sieht.

Hintergrathütte oberhalb von Sulden Foto: Michael Pröttel

2. Teilstück: Hintergrathütte – Einstieg Hintergrat T5

2-3 Std., ca. 750 Hm ↗

Auf Wegspuren nach W zur (im Aufstiegssinne) rechten Moräne des Suldenferners. Auf dieser empor, bis sich rechts eine breite, steile Schotterrinne öffnet. Durch diese in Serpentinen bergan in ein großes Kar. Zunächst in der Mitte des Kares, dann leicht rechtshaltend zum oberen Ende des Kares und ins unübersichtliche Felsgelände (auf Begehungsspuren und Steinmänner achten). Passagen im zweiten Grad und schottriges Gehgelände (keinen Steinschlag auslösen!) wechseln sich ab. Spätestens an einer Gedächtnistafel links halten und über eine kurze Verschneidung (II) am Ende einer breiten Rinne zum Grat.

3. Teilstück: Einstieg Hintergrat – Ortler (3905 m

ZS, IV UIAA, Eis bis 40°, 3-4 Std., ca. 500 Hm ↗

Auf dem Grat über leichtes Klettergelände zum ersten Eisfeld. Über diesen breiten Firnrücken erst flach, dann steiler wieder zum Hintergrat hinauf und in Gehgelände zum Signalkopf (3725 m), diesen links absteigend umklettern (III). Unten erreicht man ein ausgesetztes Band (II), das wieder zum eigentlichen Grat führt. Auf dem Grat bis zu einem Stand (Felsköpfl). Es folgt ein Steilaufschwung mit der ersten Schlüsselstelle (IV, abdrängend/abgeschmiert; ein Normalhaken und oben ein Drahtseil zum Einklinken). Wer vorsteigt, folgt dem schmalen Grataufschwung am besten noch weiter (III) zu einem weiteren Felsköpfl (Stand). Danach ein paar Meter rechts des Grates weiter, später wieder links aufwärts zum Grat. Auf diesem ausgesetzt zum zweiten Firnfeld (ca. 40°). Man steigt in diesem leicht nach links empor und quert flacher nach rechts zum Felsgrat (Stand an Felsköpfl). Es folgt eine recht feste Felsstufe (III), danach Stand unterhalb eines Überhangs. Hier quert man leicht nach links oben zur zweiten IVer-Stelle (zwei Haken). Sie wird leicht rechtshaltend zum letzten Stand (Felsköpfl) erklettert. Ab hier auf dem leichteren, teils ausgesetzten Grat bis zum Ortlergipfel.

Taktiktipp: Signalkopf möglichst seilfrei, die beiden Schlüsselstellen besser gesichert begehen.

Erstes Eisfeld auf dem Hintergrat beim Aufstieg zum Ortler Foto: Michael Pröttel

4. Teilstück: Ortler-Normalweg – Payerhütte (3029 m)

ZS-, III, 900 Hm ↘

Auf dem weiten Gipfeleisfeld (Spalten, angeseilt gehen), erst nach SW, dann nach NW flach bergab (meist Spuren vorhanden). Ein großer Gletscherbruch wird in einem Bogen links umgangen (je nach Verhältnissen muss man die eine oder andere Spalte überspringen), bevor es über einen steileren Firnhang (ca. 40°) zum Lombardi-Biwak hinabgeht.

Vor diesem entweder links über einen steilen Firnhang ins Bärenloch oder direkt zum Lombardi-Biwak (3350 m) und über Steigspuren zu einer Abseilstelle (Kette mit Abseilhaken, 50-Meter-Seil reicht) und hinunter ins Bärenloch (dort Eisschlaggefahr, zügig weitergehen). Dort erst direkt absteigen, dann nach rechts queren, zu einem Felssattel des von der Tabarettaspitze heraufziehenden Grates. Ab hier wird keine Gletscherausrüstung mehr benötigt. Entlang des ausgesetzten Grates (II) zu einem Abbruch mit Abseilstand.

Die etwas heikle IIIer-Stelle abklettern oder abseilen. Der nächste Abbruch wird mit Hilfe einer langen Kette bis in eine Scharte abgeklettert. Gegenüber bergan und dem Grat folgend (IIer Stellen) nach N, bis die Tabarettaspitze leicht ansteigend umgangen wird. Man erreicht eine letzte Scharte und sieht die Payerhütte vor sich.

Taktiktipp: Wer souverän im dritten Grad unterwegs ist, kann in den IIIer-Passagen seilfrei viel Zeit sparen.

5. Teilstück: Payerhütte – Tabarettahütte (2556 m) – Sulden

Bergwandern T3, 1100 Hm ↘

Auf Bergweg (Beschilderung „Tabarettahütte“, bzw. „Sulden“) über Bärenkopfscharte und Tabarettahütte zurück nach Sulden.

Taktiktipp: Pause an der Payerhütte einplanen, der Abstieg nach Sulden zieht sich.