Rita Christen seitlich im Porträt fotografiert.
Rita Christen steht aktuell an der Spitze des Bergführerverbands in der Schweiz. Foto: Samuel Trümpy
Maltes Gespräche

Rita Christen - An der Spitze der Schweiz

Mit Rita Christen steht die erste Frau an der Spitze des Schweizer Bergführerverbands. Zu ihrem Amt ist sie über berufliche Umwege gekommen. Malte Roeper spricht mit ihr über Quoten, Loslassen und Prioritäten.

Malte Roeper: Du hast dich als erste weibliche Präsidentin des Schweizer Bergführerverbands gegen Frauenförderung in der Bergführerausbildung ausgesprochen - in Deutschland hätten sie dich dafür wahrscheinlich geteert und gefedert. Wie ging es dir damit in der Schweiz?

 Rita Christen: Das Feedback war überwiegend positiv. Ich erkläre meine Position ja damit, dass ich finde, wir Frauen brauchen keine spezielle Unterstützung, weil wir von allein stark genug sind. Spezifische Frauenförderung ginge davon aus, dass Frauen Unterstützung brauchen, um Bergführerin zu werden. Das entspricht nicht meiner Erfahrung und nicht meinem Frauenbild. Ich war schockiert, als ich hörte, dass die Franzosen überlegen, in der Bergführerausbildung für die Frauen eine tiefere Eintrittsschwelle zu setzen. Das fände ich total falsch, das würde die Frauen zu Bergführern zweiter Klasse degradieren. Und ich finde es für die Gesellschaft auch nicht so entscheidend, wie hoch jetzt der Anteil an Frauen in diesem speziellen Beruf ist. Es ist wichtig, dass der Zugang frei ist und dass keine Schikane stattfindet. Beides ist meiner Meinung nach in der Schweizer Bergführerausbildung seit langem erfüllt. Und unbedingt mehr Frauen, das wäre so, als ob wir als Gesellschaft sagen würden, oh, es braucht mehr männliche Kindergärtner und dann drängen wir das den Leuten auf... Nein, ich muss mich korrigieren: Bei den Kindergärtnern hätte es eine gewisse Berechtigung, denn solche Erfahrungen prägen das Rollenbild der kleinen Kinder.

 

Frauenquoten für den Berg?

Bist du nur in deinem Verband gegen Frauenförderung oder auch sonst?

Es kommt drauf an. Dass Mädchen und junge Frauen animiert werden, ihr Potenzial zu entfalten und mutig den ganz eigenen Weg zu gehen, finde ich wichtig. Geringere Anforderungen und Quoten für Frauen finde ich hingegen überall falsch. Der Preis dafür ist, dass die Entwicklung ein bisschen langsamer läuft. Es stört mich schon, dass das so langsam geht. Aber die Quote birgt die Gefahr, dass nicht die individuellen Kompetenzen entscheidend sind. Wenn eine Frau oder ein Angehöriger einer Minderheit aufgrund der Quote irgendwo reinkommt und nicht wirklich gut qualifiziert ist, macht er oder sie schlechte Arbeit. Das wirft uns eher zurück.

 

Wenn die Bergführerausbildung für Frauen leichter wäre, dann heißt es, nehme ich mir eine Frau als Führerin oder lieber einen "richtigen" Bergführer?

 Das wäre für uns Frauen ein schlimmer Bumerang. Das würde ich nie unterstützen.

 

Was ich in Deutschland von Bergführerinnen höre, ist, dass sie sich eben überhaupt nicht diskriminiert fühlen. Die Ausbilder sagen, jawoll, endlich mehr Frauen und wenn sie fertig sind, haben sie oft mehr Arbeitsangebote als Männer. Weil es viele Anfragen gibt, wo spezifisch eine Bergführerin gewünscht wird.

 Das habe ich selbst genau so erlebt, und das höre ich auch von den jungen Bergführerinnen. Ich komme aber noch aus einer Frauengeneration, die sich ihren Platz in den klassischen Männerdomänen zum Teil mühsam erobern musste.

 

Auch die Kinder sind bergbegeistert! Rita Christen mit Sohn Armon. Foto: Martin Kreiliger

Du hast mal in einem Interview gesagt, du betrachtest deine Wahl zur ersten weiblichen Präsidentin des Schweizer Bergführerverbands nicht als besonderen Erfolg - aber auf den Fotos schaust du schon ziemlich stolz und zufrieden aus.

 Stolz und zufrieden bin ich ja auch. Ich bin schon stolz darauf, dass ich überhaupt Bergführerin bin. Und diesen Schritt an die Verbandsspitze, den genieße ich auch. Aber es hat meinerseits sehr wenig Engagement gebraucht. Es war kein Ziel, das ich angestrebt hätte, ich wurde angefragt und die Wahl ist locker durchgegangen.

 

Bist du da Vollzeit angestellt oder Teilzeit, wie ist das organisiert?

 Das ist ein kleines Pensum von etwa 20 Prozent.

 

Du arbeitest etwa dreißig Tage pro Jahr als Bergführerin, reicht das, dass du sagen kannst: "Ich weiß, wie es läuft?"

 Die Frage ist berechtigt. Aber ich qualifiziere mich für den Job ja nicht durch eine besondere Fähigkeit als Führerin, sondern als Funktionärin, die das Führen kennt. Und da ist der Punkt, dass ich Juristin bin, einfach wertvoller, als dass ich noch mehr in den Bergen unterwegs wäre. 

Die Frage nach dem Warum

Warum gehen eigentlich immer mehr Leute in die Berge, warum ist das so? Es sind ja so viele, dass das, was die Leute dort anzieht, irgendwas sein muss, was eigentlich alle Menschen betrifft. Scheint mir.

 Ich denke, es ist ein tiefes Sehnen nach intensiven Erlebnissen. Wir leben in einer immer komplexer werdenden Welt. Und das Bergsteigen stellt uns vor unmittelbare Probleme, die aber in sich unkompliziert sind und die wir lösen können. Und ich muss ehrlich sagen, als Bergsteigerin bedaure ich manchmal, dass so viele andere mir manchmal im Weg stehen und dass das nicht mehr so exklusiv ist wie früher. Aber für die Gesellschaft ist das ein guter Prozess, dass mehr Menschen diese Schönheit der Natur spüren. Und das sind ja auch potenzielle Kunden für unsere Mitglieder. Es ist deshalb aufs Ganze gesehen für mich eine gute Entwicklung.

 

Ist es nicht auch eine Suche nach spirituellen Erfahrungen? In dem Sinne, dass wir in den Bergen dieses Gefühl suchen, irgendwas ist größer als wir und das ist gut so?

Zuerst ist es meines Erachtens ein emotionales Bedürfnis, die Suche nach Intensität. Aber ein Sehnen nach spirituellen Erlebnissen kann schon auch eine Rolle spielen, wobei man sagen muss: Die letzten Fragen beantwortet das Bergsteigen natürlich nicht. Was ist der Sinn des Lebens, was kommt nach dem Tod? Das sind Fragen, die offen bleiben, wenn man die Antworten der Religionen unbefriedigend findet. Das Bergsteigen ist wunderschön, aber mehr auch nicht, oder?

 

Ein anderes Phänomen, was wir beobachten, ist die Einsamkeit. Die Menschen werden immer einsamer und in den Bergen haben wir funktionierende Beziehungen für einen Tag. Die Aufgabenstellung der jeweiligen Tour mag schwierig sein, aber beziehungstechnisch und in emotionaler Hinsicht ist das unkompliziert. Kompensieren wir da draußen nicht auch unsere Beziehungsunfähigkeit?

Ich würde jetzt nicht von Beziehungsunfähigkeit reden. Wir dürften ähnlich gut sein wie vorangegangene Generationen. Aber indem wir vieles viel offener leben, WIRKT es vielleicht schwieriger. Im Endeffekt ist doch vieles eher besser als früher. Finde ich.

 

Obwohl so viele Menschen in Einpersonenhaushalten leben?

Lieber so als in erzwungenen Gemeinschaften. Wenn ich mir überlege, wie viel Freiheit da dazu gekommen ist, wie wir alle unsere Beziehungen viel, viel freier gestalten können, da finde ich es eigentlich allein schon deswegen besser heute. Früher war doch einfach immer viel Zwang dabei.

 

Man hat bei den kleinen Kindern nicht so hingeschaut, was in der Kirche alles falsch lief, man hat nicht sehen wollen, wenn die Frauen geschlagen wurden von ihren Männern. Das ist natürlich eine enorme Verbesserung, homosexuelle Menschen brauchen sich nicht mehr zu verstecken, das kommt auf der positiven Seite auch noch dazu. Aber ich fürchte, dass die Einsamkeit als Backlash kommt, als Preis, den wir zahlen. Und vor allem das Internet macht einsam.

 Internet ist eine Herausforderung, sicher. Das ist so billig abholbare Unterhaltung, man muss sich nicht mit echten Beziehungen auseinandersetzen, man kann sich zudröhnen. Und diese Suche nach der Intensität in den Bergen hat vielleicht damit zu tun, oder? Dass man merkt, es befriedigt eben nur oberflächlich, wenn man nur konsumiert.

 

Im Klettergarten Luterseeplatten, ob Oberalppass. Rita Christen, Präsidentin Schweizer Bergführerverband. Foto Bernard van Dierendonck © Bernard van Dierendonck, all rights reserved

Bergführen und Politik in der Schweiz

Trotzdem habt ihr als Bergführer in der Schweiz ein ähnliches Problem wie in Deutschland, nämlich zu wenig Nachwuchs. Wie kann es sein, dass die ganze Outdoor- und Alpinbranche so wahnsinnig boomt und dann beim Führen der Nachwuchs fehlt?

 Das muss ich korrigieren, in der Schweiz haben wir seit drei Jahren eine Trendwende. Und für den nächsten Ausbildungsjahrgang fast einen Rekord an Interessierten. Kann sein, dass unsere Nachwuchsförderungsmaßnahmen greifen, kann auch sein, dass der Beruf durch den Boom wieder attraktiver wirkt. Aber eine gewisse Problematik bleibt. Natürlich bekommst du einen hohen Tagessatz, aber wenn du es über das Jahr rechnest, ist das einfach kein Beruf, mit dem du reich wirst. Das Engagement ist hoch, man ist häufig weg - das zu kombinieren mit einem Familienleben ist anspruchsvoll. Wir beobachten jetzt bei uns, dass wieder mehr junge Leute diesen Schritt wagen und sagen, ich bastle mir eine Kombination. Ich habe einen ersten Beruf, da behalte ich ein Bein drinnen und mit dem Bergführen verwirkliche ich mir ein bisschen so den Traum. Das ist nach meiner Auffassung ein gesundes Modell. Und Bergsteigen hat ein hohes Ansehen bei uns, da haben wir es in der Schweiz eigentlich gut, uns zu präsentieren.

 

Stimmt, in der Schweiz ist das Ansehen vermutlich besser als sonst irgendwo.

Und in unserer Geschichte spielt der Alpinismus eine wichtige Rolle, weil er so eng mit der Entwicklung des Tourismus in den Alpen verknüpft ist. Wenn ich sehe, wie leicht ich Zugang zu relativ hochkarätigen Politikern finde, dann staune ich. Ich bin die Präsidentin von einem Verband mit nicht einmal zweitausend Mitgliedern, aber ich bekomme Zugang in hohe politische Kreise.

 

"Hohe politische Kreise"? Schieß los, mit wem warst du beim Golfen?

Wenn ich mit Golfen netzwerken müsste, käme ich nicht weit.... Ich durfte letztes Jahr mit der Bundesrätin, in deren Departement das Bergführerwesen fällt, eine Statue enthüllen und nachher beim Apero plaudern. Die Bundesrätin, ein Mitglied unserer siebenköpfigen Regierung.

 

Ist eine Bundesrätin so etwas wie eine Ministerin in Deutschland?

 Eher noch etwas mehr, wir haben in der Schweiz ja keinen Kanzler. Bei uns haben die sieben Bundesräte als Kollegialbehörde die oberste Regierungsgewalt.

Der Traum von mehr Gerechtigkeit: Rita Christens Jurastudium

Du hast Jura studiert, um dich für eine gerechtere Welt einzusetzen. Kam das aus einer 68er-Tradition deiner Familie?

Nein, meine Eltern haben mir zwar allen Raum gelassen, solche Ideale zu entwickeln, aber sie selbst standen in der konservativen Mitte. Ich habe einfach als junge Frau so ein tiefes Gefühl entwickelt, etwas sei grundlegend falsch in der Gesellschaft, in der Art, wie wir miteinander und mit der Natur umgehen. Und habe recht radikal nach Alternativen gesucht.

 

Zuhause in Disentis Acletta. Rita Christen, Präsidentin Schweizer Bergführerverband © Bernard van Dierendonck, all rights reserved

Das Gefühl, wieso geht’s anderen Leuten nicht so gut wie mir? Dein Vater war Chef bei einer Seilbahn, arm wart ihr vermutlich nicht.

Stimmt, ich war doppelt privilegiert, einerseits durch meine Familie und dann natürlich auch als Schweizerin. Ich hatte immer so eine internationale Dimension im Blick und diese globale Ungerechtigkeit.

 

Du bist in eine Art First-Nations-Siedlung in Vermont gezogen und wolltest darüber promovieren.

Ja, das war eine spannende Zeit. Es begann als wissenschaftliche Arbeit in Rechtsphilosophie und entwickelte sich zu einer Suche nach einer alternativen Lebensweise in einer interessanten, aber auch schrägen Gemeinschaft von Indigenen, Hippies und Aussteigern. Das wurde mir dann zu esoterisch. Ich habe dieses Village verlassen und die Dissertation aufgegeben.

 

Dann hattest du Ethnologie studiert?

Nein, Jura. Ethnologie lief so ein bisschen nebenher.

Du hast nur diese Doktorarbeit nicht abgeschlossen, Jura aber schon?

Ja, ich wollte damals in die Entwicklungszusammenarbeit oder in die Diplomatie, da hätte ich es schwer gehabt, wenn ich das Studium nicht abgeschlossen hätte. Es ist dann anders gelaufen und statt in der weiten Welt bin ich an einem Gericht in Graubünden gelandet. Hier habe ich mir als Juristin eine bequeme Basis schaffen können. Als Freelance-Gerichtsschreiberin kann ich genauso viel arbeiten, wie ich will und wann ich will. So habe ich viel Luft für alles andere, Führen, Familie, Funktionarstätigkeit.

 

Gerichtsschreiberin als Freelance? In der Schweiz?!

Da habe ich Glück gehabt, das gibt’s anscheinend nur in Graubünden.

 

Rita Christen beim Führen am Piz Palü. Foto: Caroline Fink

Der Weg zum Bergsteigen

Du hast mit dem Bergsteigen relativ spät begonnen und zwei Jahre intensiv für die Bergführerausbildung trainiert. Wie wichtig war dir das Bergsteigen, bevor die Idee mit dem Führen kam?

Ich habe immer schon einen Bezug zu den Bergen gehabt. Aber Bergsteigen war lange ein völlig nebensächlicher Teil in meinem Leben. Und als ich dann meine beruflichen Pläne nicht realisieren konnte oder wollte - wegen meiner Beziehung -, erst da ist das Bergsteigen in den Vordergrund gerückt. Ich habe einen Mann kennengelernt, der in den Bergen leben wollte und nirgends sonst. Ich wollte das nicht unbedingt, aber ich habe diesen Schritt mit ihm gemacht und dann musste ich mich beruflich neu arrangieren. Im Graubündner Oberland gab es für mich als Juristin keine wirklich interessanten Optionen, also musste ich was anderes machen. Und dann war das mit dem Führen irgendwie ein Thema. Mein damaliger Partner und jetziger Mann hat das genau so gesehen, dann haben wir gesagt, machen wir das zusammen. Zwei, drei Jahre viel Bergsteigen und nachher diese Ausbildung.

 

Du warst in der Defensive mit deinen beruflichen Perspektiven, indem du gesagt hast, ich entscheide mich für den Mann und gehe mit ihm in die Provinz. Dann hast du den Spieß umgedreht und bist in die Offensive.

Man darf sich das nicht so vorstellen, als hätte ich da die glasklare Vision gehabt. Ich bin ein flatterhafter Typ, ich bin auch zuvor in meinen beruflichen Plänen herumgehüpft, von Physikerin bis Ethnologin bis was weiß ich. Es war für mich nicht so tragisch.

 

Wenn du dich dem Bergsteigen erst als Erwachsene zugewendet hast, war das vermutlich eine reflektiertere Entscheidung, als wenn jemand seit der Kindheit dabei ist?

Ich denke schon, ja. Dass ich mich den Bergen zugewandt habe, hatte mit einem gewissen Überdruss an der Welt der Gedanken zu tun. Das war immer die Welt, die mich interessiert hat. Dann habe ich gemerkt, das ist spannend und wunderbar, aber ich will auch etwas anderes, das mich direkt berührt: als ganzen Menschen, mit meinem Körper, meinen Emotionen, meinem Intellekt. Und das erlebt man in den Bergen auf perfekte Art und Weise - ich bin ja viel mehr Tage privat beim Bergsteigen, als dass ich führe. Wir machen da etwas, wo wir uns exponieren, wo wir gewisse Risiken eingehen, und das steigert das Erlebnis. Ganz sicher.

Religion bietet keine Antworten

Wenn man irgendwann stirbt - am Berg oder sonst -, kommt dann noch was oder ist einfach Schluss?

Ich bin aus der Kirche ausgetreten, ich habe keine Antwort auf diese Frage und das ist auch ok so für mich. Das einzige Mal, als ich gerne auf eine religiöse Erklärung zurückgegriffen hätte, war mit den Kindern. Als sie früh einen Großvater verloren haben - meinen Schwiegervater -, da habe ich gemerkt, wie einfach und entlastend es gewesen wäre, einfach zu sagen: Jetzt ist er im Himmel und schaut auf euch runter und alles ist gut.

 

Religion ist für dich eine Erfindung?

Meiner Meinung nach schon. Klar, auf existenzielle Fragen, die sich allen Menschen stellen, bieten die Religionen beruhigende Antworten. Für mich funktionieren diese Antworten halt einfach nicht. Es gibt aber schon so ein Sehnen nach einem Eingebundensein in einen größeren Zusammenhang. Das fehlt mir.

Abhängen! Rita Christen beim Sportklettern in Finale. Foto: Martin Kreiliger

Familie, Arbeit und Bergsteigen unter einen Hut bekommen

Wie alt sind eure Kinder?

19 und 18.

 

Zwei Jungs so nahe beieinander, die haben sich öfter mal gekloppt?

Im Gegenteil, das war der Hit. Es heißt ja immer, man soll mindestens zwei Jahre Abstand halten, sonst gäbe es zu viel Konkurrenz. Und die sind nur 13 Monate auseinander und waren sich immer die besten Spielkameraden. Sie sind bis heute wirklich Freunde, machen viel Zeug zusammen.

 

Auch die Kinder sind bergbegeistert! Rita Christen mit Sohn Armon. Foto: Martin Kreiliger

Als du die Bergführerausbildung gemacht hast und dann mit dem Führen anfingst, habt ihr ein Kindermädchen eingestellt, damit du führen gehen kannst. Erfordert das von dir als Mutter ein großes Selbstvertrauen, dass du sagst, ich hole mir mein Selbstwertgefühl auch aus anderen Sachen, ich fühle mich komplett gut als Mutter und Frau, obwohl ich nicht jeden Tag zuhause bin. Ist das eine Sache, die andere Frauen vielleicht zu wenig riskieren, zu wenig mutig sind?

 Für mich geht es nicht um Mut, sondern ums Loslassen. Man muss darauf vertrauen, dass jemand anders die Kinder genauso gut betreuen kann. Man darf sich als Mutter nicht von der Vorstellung einschränken lassen, man sei die einzige Person, die vernünftig mit diesen Kindern umgehen kann. Wir haben dieses Modell gewählt, weil mein Mann seine Vollzeitanstellung behalten wollte und weil auch ich unbedingt weiterarbeiten wollte, in den Bergen und am Gericht. Es war einfach eine praktische Lösung und ich hatte überhaupt kein Problem damit, ein unkonventionelles Modell zu leben. Das hat mir so viel Freiheit gegeben, das hat so viel Druck weggenommen aus der Beziehung mit meinem Mann, das hat für die Kinder eine große Ruhe reingebracht, unsere Angestellte hat ja nicht nur die Kinder betreut, sie macht auch unseren Haushalt bis heute. Für uns ist das einfach ein super Modell.

 

Vielleicht muss man aber auch in der Schweiz sein Geld verdienen, damit man sich so jemanden leisten kann.

Okay, wir verdienen nicht schlecht, mein Mann und ich zusammen. Aber wenn wir jetzt auch noch ein super Haus mit Pool hätten bauen wollen und ein dickes Auto fahren, das hätte nicht gereicht. Wir haben einfach die Prioritäten so gesetzt. Bei uns war diese Betreuung eine Bereicherung für alle. Sie ist wie ein Familienmitglied, das hat über all die Jahre gehalten und die Kinder haben eine enge Beziehung zu ihr, nach wie vor. Klar war auch Glück, dass das eine gute Person war, aber es war auch deshalb gut, weil ich ihr immer viel Vertrauen gegeben habe. Ich habe ihr meine Kreditkarte gegeben und gesagt, kauf ein, was du willst und mach mit den Kindern, was du richtig findest. Dann hat sie das gemacht. Sie ist aus Bosnien, da gelten kulturell ein bisschen andere Regeln, so haben die Kinder eine gewisse Relativität erlebt, ich finde das wichtig als Erfahrung. Dass man den Kindern nicht vorlebt, das hier ist die einzig richtige Art zu leben. Sondern wir leben in einer freien Welt, es gibt verschiedene Werte.

 

Sind eure Söhne auch an Bergen interessiert oder machen sie das nicht?

 Doch, sind sie, und für meinen Mann und mich ist es natürlich das Größte, mit ihnen zusammen in den Bergen unterwegs zu sein. Früher fanden sie es aber zum Teil schon mühsam. Der Jüngere hat mal auf einer Tour gesagt, "Mama, das ist wie in der Hölle hier." Das war so ein Couloir, es war wirklich ein bisschen düster.

 

Wie sieht deine eigene Zukunft aus? Hast du einen Fahrplan oder lässt du es alles auf dich zukommen?

Ich lasse es auf mich zukommen. Ich habe wenig konkrete Pläne. Dieses Amt jetzt beim Bergführerverband, das wird meine nächste Zeit prägen. Das sind vier Jahre. Eines habe ich schon hinter mir, also noch drei. Ich habe vorhin gesagt, das ist etwa ein Arbeitspensum von 20 Prozent. Das stimmt von der Entschädigung her, aber vom Engagement her mache ich deutlich mehr. Weil ich ja auch was bewegen will in dem Amt. Ausbildung und Nachwuchs sind wichtige Themen, ein weiteres der Zugang zu den Bergen. Wir sind ein kleines Land mit ganz vielen konkurrierenden Interessen, was sich in vielen Nutzungskonflikten äußert.

 

Auf der Delegiertenversammlung 2021. Foto: Georg Epp

Blick in die Zukunft: Bergsteigen und Naturschutz

Lass mich raten, es geht um Jagd und Naturschutz versus Bergsteiger?

Genau. Das ist ein interessantes Spannungsfeld für mich, ich bin politisch recht grün und links eingestellt und in meiner Rolle als Präsidentin muss ich für einen möglichst freien Zugang zu den Bergen einstehen.

 

Der ist aber lang schon limitiert. Wenn du heute auf das Matterhorn willst, darfst du nicht mehr unterhalb der Hörnlihütte biwakieren, das sehe ich schon als ziemlichen Einschnitt.

Für die Einschränkung von Campieren und Biwakieren an besonders vielbesuchten Orten habe ich Verständnis. Problematisch finde ich aber die vielen Zugangsbeschränkungen durch Wildruhezonen und Jagdbanngebiete. Das sind bereits jetzt relativ große Flächen in der Schweiz und in den kommenden Jahren werden sie wahrscheinlich noch ausgedehnt werden. Da heißt es für uns mitzuwirken, dass gute Touren möglich bleiben, aber dass man auch dringende Schutzbedürfnisse in Sachen Natur und Umwelt respektiert in unserer Szene...

 

Wird der Naturschutz nicht auch instrumentalisiert von den Jägern, wenn es darum geht, dass die ihre Gämsen schießen können? Gämsen gibt’s doch genug, oder?

Ich bin keine Wildbiologin und habe mich ins Thema Wildtierschutz noch nicht genügend einarbeiten können. Ein bisschen Ahnung habe ich aber. Bei den Gämsen würde ich sagen, ein gewisser Schutz ist gerechtfertigt. Aber Hirsche und Rehe, die müssen wir meiner Ansicht nach nicht schützen, sondern reduzieren. An vielen Orten in der Schweiz sind die Hirsch- und Rehpopulationen ein Problem, sie sind zu groß und  machen durch den Verbiss der jungen Bäume den Wald kaputt. Zugangsbeschränkungen zum Schutz von Hirschen und Rehen finde ich deshalb falsch. Solche Sachen werden meine nächsten drei Jahre prägen. Und nachher weiß ich nicht.

 

Die Amtszeit ist auf vier Jahre begrenzt?

Ich bin nach vier Jahren definitiv wieder weg. Das ist so festgelegt bei uns.

 

Der amerikanische Präsident hat maximal acht Jahre, dann muss er weg, du hast nur vier.

 Ja, genau. Da müsste ich mir schon wie so ein Diktator selbst die Amtszeit verlängern. Aber ich denke, nach vier Jahren ist es ok für mich, zu gehen.

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