Labrador in karger Berglandschaft vor Gletscher
David vor Dufourspitze. Foto: Shawnee Catori
Mit vier Pfoten auf sieben Viertausender

Der Bergsteiger-Labrador

Zweihundertfünfzig Dreitausender, sieben Viertausender und über tausend weitere Gipfel im Alpenraum – das ist die Bilanz von zehn gemeinsamen Jahren Bergsteigen mit Labrador David. Durch sein Dasein, sein Können und seine Freude zeigt er uns, was wahre Liebe zu den Bergen und zum Bergsteigen ist. Wir lernen, eigene große Expeditionen zu starten, und die verborgenen Schätze und Schönheiten, Weisheiten und Erkenntnisse der Natur und der Berge zu erkennen.

Von: Shawnee Catori

Mein Herz schlug schon mein Leben lang für die Berge, für die Gletscher. Es gab für mich nichts Schöneres als die majestätischen Gipfel, die mich jedes Mal wieder ins endlose Bewusstsein des "Hier und Jetzt" versetzen konnten. Sie waren die Antworten auf all mein Suchen, sie belegten mich mit ihrem Zauber. Jeder Schritt auf dem Weg zu einem Gipfel gab mir Antworten auf meine Fragen. Die Berge waren und sind meine Leidenschaft, meine Passion, mein Leben.

Shawnee und David am Matterhorn. Foto: Shawnee Catori

Der Ruf der Berge

Und dann traf mich im Jahr 2000 das Leben an der empfindlichsten Stelle, während ich in der Blüte meines Schaffens war, und forderte mich zum Kampf heraus. Einen Kampf, den ich eigentlich hätte verlieren sollen. Eigentlich. Ich erkrankte schwer. Es folgten etliche Chemotherapien und unendlich lange Klinikaufenthalte. Mein Körper wurde immer schwächer, meine Knochen bröckelten auseinander und schließlich verlor ich auch mein Gehör. Schließlich führte es so weit, dass mir alle Ärzte schweren Herzens beteuerten, dass das Bergsteigen für mich vorbei wäre. Doch ich wäre nicht "Shawnee", die "Kämpferin", eine Künstlerin mit einer tiefen ausgeprägten Liebe und Leidenschaft zu den Bergen, wenn ich meine Passion einfach kampflos aufgegeben hätte. Meine Liebe zu den Bergen gibt mir bis heute so viel Kraft, dass ich trotz gegenteiliger Aussage der Ärzte aufstehe und beginne weiterhin dem Ruf der Berge zu folgen.

Diesen Schatz, der da in mir liegt, wollte ich weitergeben. Meinem Labrador, den ich 2009 als kleinen fünf Wochen alten Welpen zu mir holte und ihn auf den Namen "David" taufte. Seine Liebe, Loyalität und sein Vertrauen mir gegenüber war so groß, dass er mir sein ganzes Leben anvertraute. Also zeigte ich ihm alles, was meines Erachtens wichtig war, damit wir uns später gemeinsam im alpinen und hochalpinen Raum sicher bewegen können. Die nötige Ausrüstung, wie Daunenjacken und gefütterte Schuhe, ein spezielles Klettergeschirr sowie sein eigenes LVS-Gerät, durfte nicht fehlen. Davids immense Begeisterung und Liebe zu den Bergen wie auch seine schier unendliche Freude in Eis, Schnee, Gletscher und schwierigem Fels ließen ihn mit den Jahren zu einem alten, weisen erfahrenen und einzigartigen Bergsteiger auf vier Pfoten werden.

Die Geschichten von draußen

Immer wieder schicken uns DAV-Mitglieder und andere Bergbegeisterte E-Mails mit tollen Geschichten und Erlebnissen von draußen in die Redaktion. Es sind Geschichten aus den Bergen oder anderswo in der Natur. Mit der Online-Rubrik "Geschichten von draußen" schaffen wir eine Möglichkeit, all diese Geschichten und Erlebnisse zu teilen. Und alle, die lieber lesen als schreiben, finden hier Unterhaltung, Inspiration und vielleicht schon Planungsgrundlagen für die eigene nächste Tour. Die Geschichten ersetzen keine individuelle und sorgfältige Tourenplanung.

Du hast auch eine Geschichte? Dann schick sie gerne an dav-panorama@alpenverein.de.

Gegen Ende jedes Jahres wird über die besten Geschichten abgestimmt – die Autor*innen der Gewinner-Storys dürfen sich über einen tollen Gutschein freuen.

Gemeinsam auf die höchsten Gipfel

Unsere Passion, die wir, mein Partner Paul, David und ich, als "Herde" gemeinsam teilten, ließen meinen kranken und zerbrechlichen Körper zwar bei jeder einzelnen Tour bis ans Äußerste gehen, doch ich merkte auch, was diese tiefe Liebe und eisiger Wille bewirken konnten. Es war mir gleich, was die Ärzte sagten: Eine Hüftprothese? Ja klar! Eine Knieprothese? Natürlich! Es ist diese unerklärliche Liebe zu den Bergen, der ich folge, auch wenn mich die Erkrankung immer wieder in die Knie zwingt. Die Zeit steht dann für einen kurzen stummen Moment still, die nächste Chemotherapie tropft leise in Form einer Infusion in mein Blut.

Doch genau dann höre ich ihn wieder, den ewigen Ruf der Berge, der wie ein sanfter und leiser Glücksschrei in meinem Herzen erhallt. Ich folge ihm und genau das formte mich, formte uns drei zu etwas besonderem. Davids Existenz führte dazu, dass wir umdenken mussten, um unsere bergsteigerischen Ziele erreichen zu können. Mut zum Umdenken, die Ausdauer an etwas zu glauben und es auch umzusetzen, auch wenn es aussichtslos scheint, ließ uns zusammenwachsen und die Grenzen des Machbaren öffnen. Die Freundschaft zwischen David und mir wurde immer stärker und war geprägt durch Liebe und blindes Vertrauen, die mit jeder Tour, die wir gemeinsam gingen, stetig heranwuchs. Es folgten etliche Touren zu dritt als ungewöhnliches „Menschen-Hund-Team“ über Fels, Schnee, Eis und Gletscher, und wir begannen die Grenzen des Machbaren zu öffnen. Um die ersehnten Bergziele und hohen Gipfel gemeinsam mit David erreichen zu können, lernten wir umzudenken und mit Hundeaugen zu sehen, um für David unpassierbare Stellen überwinden zu können – bis wir gemeinsam sogar auf Gipfeln weit über 4000 Metern standen. Unser Glaube, unsere Liebe und unsere Hoffnung wuchsen mit den Jahren zu etwas außergewöhnlichem, und so standen wir 2018 zusammen als eine andere und ungewöhnliche Seilschaft auf Davids siebtem Viertausender.

Beim Aufstieg zum Allalinhorn (4027 m). Foto: Shawnee Catori

Lebendige Erinnerungen

13 Jahre, die wir gemeinsam als ungewöhnliches Team gingen, drängen danach erzählt zu werden. Alle großen Höhenpunkte, wie auch die dazugehörigen Niederlagen und heftige Naturgewalten, eisige und immens steile Flanken, fragwürdige Kletterkünste und Abseilmanöver, die uns nicht nur einmal fast das Leben gekostet hätten. Heute ist David 13,5 Jahre. Auch an seinem Körper hat die Zeit Spuren hinterlassen, und wir gehen nun mit unserem alten, weisen und erfahrenen Bergsteiger-Labrador gemeinsam in die Zeit des Altwerdens, während die Erinnerungen lebendig bleiben.

Davids bergsteigerische Höhepunkte:

  • 2010-2012: Die technischen Herausforderungen der Touren steigen, schwieriges Gelände und Naturgewalten schweißen uns zu einem starken Team zusammen, und David bewältigt mit einer unendlichen Leichtigkeit Felsklettereien im II. Schwierigkeitsgrad. (z.B. Wörner Nordwand mit 2474 m)

  • 2013: Davids Fähigkeiten in Fels, Schnee und Eis sowie seine herausragende Auffassungsfähigkeit, seine Disziplin und sein Verständnis schwierigem Gelände gegenüber im Sommer wie auch im Winter auf unseren Skitouren steigen dermaßen an, dass wir uns entscheiden, ihn in die Welt der Viertausender einzuführen. Ausschlaggebend war die Tour auf den 3606 Meter hohen Similaun, bei der David während der Abfahrt am Gletscher eine grandiose Disziplin zeigte. Viele Dreitausender folgen, wie Wildspitze mit 3770 m (vom Tal aus), K2 in den Ötztaler Alpen mit 3252 m, Zuckerhütl mit 3507 m, Rostizkogel mit 3394 m, Großvenediger mit 3666 m, Walcherhorn mit 3703 m und viele mehr...

  • 2013: Davids Viertausender-Debut im April mit Allalinhorn (4027 m), Strahlhorn (4190 m) und Alphubel (4206 m), die wir alle drei in einer Woche zusammen von Saas Fee aus bestiegen hatten. Großes Lob sogar von einem Schweizer Bergführer, der all dies mitverfolgt hatte, von Einheimischen wurde David als "4000-er Champ" gefeiert.

  • 2015: weitere Viertausender wie Vincent-Pyramide (4215 m) und Breithorn (4164 m)

  • 2017: Gran Paradiso (4028 m) (David mussten wir direkt an der Schlüsselstelle beim Gipfel sitzen lassen)

  • 2018: Bishorn (4153 m), David siebter und zugleich letzter Viertausender. Die Besteigung meistern wir als selbstständig geplante, eigenständige Expedition. Um 1 Uhr in der Früh beginnen wir am 6. August unseren Aufstieg von unserem Basislager aus und erreichen um 7:50 Uhr als erste Seilschaft nach 2500 Höhenmeter den Gipfel. David schien zu wissen, dass dies sein letzter Viertausender sein wird und bedankte sich mit einem wunderbaren, fast schon königlichen Gebell.

Ausgeblasene Gletscherspalte am Cevedale (3769 m). Foto: Shawnee Catori

Über die Autorin

Shawnee Catori, geb. 1979, ist Fotografin, Bergsteigerin und Autorin und in den Ammergauer Alpen daheim. Seit Labrador "David" 2009 in ihr Leben kam, sind beiden gemeinsam zahlreiche technisch schwere Touren sowie große Gletscherbegehungen und 4000-er Gipfel gelungen. Als Fotografin hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, wertvolle Eindrücke, Augenblicke und Schätze der Tiere festzuhalten. Davids komplette Geschichte hat sie in der Biografie „Mit den Augen eines Labradors“ festgehalten.

Shawnee und David. Foto: Shawnee Catori