Bild von historischem Essensgeschirr und -besteck für unterwegs
Kochen und Essen unterwegs. Foto: DAV/Bettina Warnecke

Objekte aus dem Alpinen Museum

Lieblingsstücke

Noch bis Frühjahr 2024 wird das Alpine Museum umgebaut und bleibt deshalb leider geschlossen. Wir wollen trotzdem für euch da sein: Damit ihr während der Zeit des Umbaus nicht auf die Schätze des Museums verzichten müsst, kommen diese zu euch.

Klettern verboten!

„Der Naturschutz frisst seine Kinder“ - Die Aktionstage gegen die Kletterverbote im unteren Donautal 1993

Betrachtet man die Bilder von Demonstrationen und Menschenketten auf der Schwäbischen Alb, denkt man sofort an die Proteste der Friedensbewegung gegen die atomare Aufrüstung zu Beginn der achtziger Jahre und nicht an den Deutschen Alpenverein. Transparente mit der Aufschrift „No Öko-Terror“, oder „Wehret den Ökoextremisten“ wirken aus heutiger Sicht für einen anerkannten Naturschutzverband ziemlich verstörend.

oben: Seilschaftskette Donauland unten: Demo Sigmaringen Fotos: DAV Archiv/1. Peter Klein und 2. Andi Dick

Klettern hatte sich seit den siebziger Jahren immer mehr zu einer Trendsportart entwickelt. Viele Menschen entdeckten ihre Leidenschaft für die nahgelegen Klettergebiete der deutschen Mittelgebirge. Gleichzeitig wurde der Umwelt- und Naturschutz von einem Randthema zu einem gesellschaftspolitischen Ziel. 1977 verabschiedete der DAV sein Grundsatzprogramm zum Schutz der Alpenwelt und wurde 1984 in Bayern als Naturschutzverband anerkannt. Ökologen erkannten die Bedeutung der Felsen als wichtige Biotope und Rückzugsorte für brütende Vögel. Diese sollten unter Schutz gestellt werden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Interessen von Klettern und Naturschutz aufeinanderprallten. 

Seit Ende der achtziger Jahre wurden immer mehr Klettergebiete in den Mittelgebirgen durch örtliche Behörden gesperrt. Die Kletterszene fühlte sich durch den DAV zunächst nur unzureichend repräsentiert, da die Mittelgebirge traditionell nicht im Zentrum seiner Aufmerksamkeit lagen. Daher gründeten sie eigene lokale Interessensgemeinschaften (IG-Klettern), die mit den Behörden vor Ort Kompromisse aushandeln sollten.

Auch der DAV sah Handlungsbedarf. Auf der Hauptversammlung in Heilbronn 1991 wurde ein Aktionsprogramm für den Erhalt der außeralpinen Klettergebiete verabschiedet und dazu eine hauptamtliche Stelle geschaffen. Im Herbst 1991 wurde zusammen mit dem Naturschutzreferat des DAV, der JDAV und dem Bundesverband der IG-Klettern der Bundesausschuss Klettern- und Naturschutz gegründet, der eine bundesweite ökologisch orientierte klettersportliche Raumplanung konzipieren, die Kletterer informieren und schulen, sowie die Klettergebiete pflegen sollte.

Während mit den meisten Behörden Lösungen gefunden werden konnten, eskalierte die Situation 1992 in Baden-Württemberg. Dort sollte ein neues Biotopschutzgesetz verabschiedet werden. Das Ländle drohte zu einem fast weitgehend kletterfreien Bundesland zu werden. Das Landratsamt Sigmaringen plante zudem, zwei Drittel der 45 Kletterfelsen im Oberen Donautal mit einem Kletterverbot zu belegen. Eine von der IG-Klettern und dem DAV erarbeitete Kletterkonzeption fand kein Gehör. Um den Status des Klettergebiets zu erhalten, organisierte der DAV zusammen mit der IG-Klettern die erste Protestaktion von Natursportlern auf deutschem Boden. Im Mai 1993 demonstrierten in Sigmaringen über 3.000 Menschen mit Informationsveranstaltungen, Lärmschlange und einer Seilschaftskette durch das Donautal gegen die drohenden Verbote. Unterstützung erhielten sie unter anderem von Stefan Glowacz und Heiner Geißler, dem Vorsitzenden des 1992 gegründeten Kuratoriums für Sport und Natur, dem Dachverband der Natursportverbände. Von der Ladefläche eines Pickups aus sprach Heiner Geißler zu rund 1.000 Demonstranten: „Wir sind Naturschützer! (…) Wir wollen das Donautal vor einseitigen Auslegungen dieser Gesetze, vor Alternativ Radikalismus schützen!“ Zudem erinnerte er an die freiwillige Selbstbeschränkung, welche die Kletterer bereits geübt hatten.

Im Rahmen der DAV-Hauptversammlung 1994 wurde auf dem Schlossplatz in Stuttgart eine weitere Kundgebung organisiert. Zwar blieben die Kletterverbote im Oberen Donautal bestehen, aber die Politik wurde für das Thema Natur und Sport sensibilisiert. Das 2002 verabschiedete Gesetz zur Neuregelung des Landschafts- und Naturschutzes betonte, dass die natur- und landschaftsverträgliche sportliche Betätigung in der freien Natur zur Erholung gehörte. 2004 konnte schließlich nach der Ausarbeitung einer neuen Kletterregelung ein tragfähiger Kompromiss für das Donautal gefunden werden, der sowohl die Interessen von Naturschutz und Natursport verbindet. Es ist kein Zufall, dass etwa im gleichen Zeitraum der DAV sowohl ein bundesweit anerkannter Sportverband (1995) als auch ein Naturschutzverband (2005) wurde. Klettern und Naturschutz bilden im DAV eine selbstverständliche Einheit.

Text: Stefan Ritter, Archiv des DAV

Frohe Ostern

Gämseneier und der moderne Alpinismus

Gämsennest, um 1925. Postkarte von: Alpiner Kunstverlag Hans Huber, Archiv des DAV München Foto: Archiv des DAV

Seit dem Mittelalter war die Gamsjagd ein Privileg des Hochadels. Darunter fielen auch das Einsammeln und die Verwendung der Eier der Gams. Der Eierdiebstahl wurde wie Wilderei schwer bestraft. Den Gämseneiern wurde eine ganz besondere Kraft zugeschrieben: Der Verzehr sollte für kräftige, männliche Nachkommen sorgen. Um die eigenwilligen, fast strengen Aromen (mineralisch, Noten von Pilzen, Flechten, Almblumen und Wild) zu übertünchen, wurden die Eier meist weiterverarbeitet. Am kaiserlichen Hof in Wien wurde aus Mehl, Milch, den Gamseiern und etwas Zucker und Salz eine ganz besondere Süßspeise, der sogenannte Kaiserschmarrn zubereitet. Die Untertanen in Tirol wandelten das kaiserliche Rezept leicht ab und verwendeten stattdessen die ortsüblichen Hühnereier. Die fehlenden Aromen wurden durch den Zusatz von Mandeln, Rum und Rosinen ausgeglichen.

Am Ende des 19 Jahrhunderts wurde die Süßspeise auch bei den Touristen immer beliebter, der Siegeszug des Kaiserschmarrns begann. Auf den Hütten des Alpenvereins im Hochgebirge konnte die beliebte Süßspeise jedoch nicht zubereitet werden. Beim Transport mit Lastenträgern und Mauleseln zerbrachen die meisten Hühnereier. Nach der Revolution von 1918 - der Adel hatte seine Jagdprivilegien verloren - konnte auf den Hütten des Alpenvereins jetzt sogar der originale Kaiserschmarrn aus Gamseiern angeboten werden. Man bediente sich direkt aus den umliegenden Nestern. Die Alpenvereinshütten wurden in den 20er Jahren förmlich überrollt. Innerhalb weniger Jahre ging der Bestand an Gämsen zurück.

Die Gämse wurden unter Schutz gestellt und das Einsammeln der Gämseneier wurde verboten. 1923 ächtete der Alpenverein in den Tölzer Richtlinien die Verwendung von Gamseiern für den Kaiserschmarrn. Man wollte zur ursprünglichen, schlichten Versorgung zurückkehren. Die Bergwacht kontrollierte die Selbstversorgerhütten und überwachte die Nester der Gämse. Gelegentlich musste die Bergwacht Eierdiebe aus der Bergnot retten. Daraus entwickelte sich die organisierte Bergrettung. 1927 nahm der Alpenverein den Naturschutz in seine Satzung auf. Seit 2005 ist der DAV auch eine bundesweit anerkannte Naturschutzorganisation. Durch den Bau von Materialseilbahnen und die Versorgungsflüge durch Hubschrauber ab den 50er Jahren konnte die Versorgung der Schutzhütten mit Hühnereiern sichergestellt werden. Seitdem haben sich die Bestände der Gämse spürbar erholt.

In den zwanziger Jahren entstand daher auch ein neues Genre der Bergfotografie: Die Gamsnester. Erfahrene Bergfotografen benötigten jedoch eine Menge Geduld und Ausdauer, um den richtigen Augenblick für eine Foto wie dieses zu finden. Sie müssen sich für einen Abschuss lange, auf felsigen Grund auf die Lauer legen. Daher zeigten die meisten Aufnahmen und Postkarten lediglich brütende Gämse, Gamsküken, die von ihren Eltern gefüttert werden oder Jungtiere beim ersten Eisprung über ihre Geschwister. Die Postkarte zeigt eine der raren Aufnahmen, die ein frisch geschlüpftes Gamsküken mit einem stolzen Elternteil in ihrem Nest zeigt.

Wir wünschen Frohe Ostern.

Text: Stefan Ritter, Archiv des DAV

Stilfrage mal anders

Alfons Waldes "Im Aufstieg"

Das Alpine Museum schätzt sich glücklich, eines der bekanntesten Gemälde des Tiroler Schnee- und Wintersportmalers Alfons Walde (1891 - 1958) zu besitzen: Im Aufstieg, 1930

Alfons Walde "Im Aufstieg", 1930 Foto: Alpines Museum des DAV/Wolfgang Pulfer

Der aus Oberndorf stammende und in Kitzbühel ansässige Alfons Walde erwies sich als ein bravouröser Interpret von Tiroler Alltags- und Milieuszenen, die oft nur skizzenhaft angedeutet und mit starkem Pinselduktus mit wenigen Farben akzentuiert waren. Auch seine Wintersportbilder folgen diesen Gestaltungsprinzipien. Seine für ihn charakteristischen monumental wirkenden Schneelandschaften wurden zu seinem Markenzeichen. Mehrmals schuf er Vorlagen für werbewirksame Plakate für den Wintersport und Kitzbühel. Bis heute ist die Begeisterung für seine Gemälde ungebrochen, in Auktionen und in Ausstellungen erzielen sie Höchstpreise.

 Bei aller Begeisterung für das Gemälde fragen wir uns heute aber auch, welches Körperbild Waldes „Im Aufstieg“ widerspiegelt. Wie wirkt das Bild auf heutige Skifahrer*innen?

So beliebt seine Gemälde auch waren (und sind), so sehr kann Waldes Stil – besonders eben jene skizzenhafte Andeutung oder jener starke Pinselduktus – bei heutiger Betrachtung Befremden auslösen. Besonders „Im Aufstieg“ ist dafür ein ausgezeichnetes Beispiel.

 Das Gemälde zeigt einen sehr weit an die untere Bildkante und damit dicht vor die Betrachter*innen gerückten Skifahrer gefolgt von einem zweiten. Sie erklimmen mit gleichen Bewegungen einen Berghang, was dem Bewegungsablauf eine besondere Dynamik verleiht. Weiter oben auf einem Schneefeld vier winzige Skifahrerfiguren.

 Knallig im Zentrum, aufgeknöpftes oder tief ausgeschnittenes Hemd, die Schultern breit, die Brust nahezu exakt in der Bildmitte. Sein Ebenbild folgt ihm im unteren linken Bildrand: derselbe Stil, derselbe Ausdruck.

 Die Schneelandschaft ist reduziert auf Blau und Weiß und ohne Perspektive, die Skifahrer zeichnen sich durch wuchtige Körper aus, die rechtwinklig abgespreizten Arme vermitteln den Eindruck von Kraft und gebündelter Energie. Die Gesichter der Figuren besitzen weder Augen, Münder oder andere persönliche Merkmale. Dadurch bekommen sie etwas Formelhaftes. Dies um 1930 entstandene Gemälde diente dem österreichischen Bundesland Tirol als Vorlage für sein erstes offizielles Werbeplakat als perfekter mondäner Wintersportort.

 Formkörper, Wucht, Kraft, Energie, Gesichtslosigkeit: Der Verzicht auf Persönliches, auf jegliche Regung und jegliche Emotion reduziert die beiden Skifahrer nicht nur auf ihre Körper, sondern setzt diese Körper zugleich als Ideal.

Was sagt uns dieser Körper außer einem Schönheitsideal? In gewisser Weise artikuliert er einen Zwang, so aussehen zu müssen, um bestimmte Touren machen und damit bestimmte Erlebnisse in den Bergen haben zu können. Interessant ist daran auch, wie sich eine Linie dieser Körpersprache bis heute ziehen lässt: über Gemälde, Plakate und Magazine bis zu den heutigen Social-Media-Posts. Die Kontinuität der Bildersprache ist verblüffend – und schockierend, auch wenn die Realität am Berg eine andere ist (und war) und Körperbilder zunehmend kritisch betrachtet werden.

Text: Stephanie Kleidt, freie Ausstellungskuratorin

Text kursiv: Max Wagner, Alpines Museum des DAV

Versorgt!

Dr. Dessauer's "Touring Taschen-Apotheke"

Besser eine kleine Apotheke immer dabei, als eine große zu Hause oder auf der Hütte

Dr. Dessauer's "Touring Taschen-Apotheke" Foto: Museum des DAV/Johannes Erichsen

Eine noch so gut geplante Tour in die Berge kann schnell zum Scheitern verurteilt werden, wenn sich ein Teilnehmer bei einem Sturz verletzt oder gar ein Bein oder einen Arm bricht. Aber auch die ungewohnte Ernährung auf den Hütten, plötzliche Kreislaufprobleme, Überanstrengung oder ein schlimmer Sonnenbrand können zum Abbrechen der Bergfahrt führen. Schon vor über hundert Jahren überlegten sich Bergsteiger*innen, wie man sich dagegen schützen konnte.

Um 1909 hatte der Münchner jüdische Arzt Dr. Alfred Dessauer (1875 – 1914) eine kleine handliche Taschenapotheke entwickelt, die im Wandergepäck mitgenommen werden konnte. Sie enthielt in einer Blechschachtel eine Mindestausrüstung an Verbandsstoffen für die Versorgung kleiner Verletzungen, Medikamente gegen Magen- und Darmbeschwerden, Kreislaufprobleme und Schmerzen. Beigelegt war eine kleine Handreichung mit der Beschreibung möglicher gesundheitlicher Probleme und deren Versorgung durch einen medizinischen Laien. Auch eine Adresse zur Wiederbeschaffung aufgebrauchter Materialien und Medikamente der Taschenapotheke war zu finden.

Die Apotheke wurde hergestellt in der Chemisch-Pharmazeutischen Fabrik Wilhelm Natterer, München. Der Lithograf Karl Kunst entwarf zur Werbung ein Plakat, Werbepostkarten und eine Reklamemarke. Noch 1938 wird in den Mitteilungen des DAV Dessauers Touring-Apotheke in einem Artikel über Tourenapotheken lobend erwähnt. Sie kostete 1938 7.80 RM. Dessauer hatte 1908 eine eigene Praxis als Allgemeinarzt in der Dachauer Straße in München mit einem Schwerpunkt für Haut- und Geschlechtsleiden eröffnet. Unter anderem publizierte er 1914 das Heftchen "Die mangelhafte Funktion und der Misserfolg im Geschlechtsleben des Mannes. Ein Trostwort für die Zaghaften und Schwachen von Dr. med. A. Dessauer, München.".

Dessauer war jedoch auch ein erfahrener Bergsteiger, unter anderem Erstbesteiger der Lamsenspitzen-Ostwand gemeinsam mit Paul Hübel. In den Mitteilungen des DOeAV 1908 wird über eine Notbahre berichtet, die Dessauer bei einem Unfall am Totenkichl hergestellt hatte und seine Empfehlungen für notwendige Medikamente, die bergsteigende Ärzte bei sich tragen sollten, zum Beispiel ein Morphiumpräparat. Dessauer regte auch an, dass auf allen Hütten der von Hübel entwickelte Proviantsack mit einer Mindestausstattung an kalorienreichen Lebensmitteln für Bergsteiger vorhanden sein sollte.

Dessauer selbst war ein Tausendsassa. Nicht nur die Berge begeisterten ihn, sondern auch der Wassersport. So war er 1. Vorsitzender der 1909 gegründeten Wassersportabteilung des Deutschen Touring-Clubs. Auch mit der Schreibfeder wusste er umzugehen. Ein von ihm entworfener „Ärzteabreißkalender“ verband kommerzielle und berufliche Interessen. Daneben verfasste Dessauer fachliche Artikel zum Segeln und Bergsteigen aber auch zahlreiche bäuerliche Theaterstücke, Bergromane und zum Teil satirische Erzählungen. Zu den damals bekanntesten zählt der 1905 erschienene Band „Mit krummer Feder auf grünem Hut“.

Als Kriegsfreiwilliger zog Alfred Dessauer in den Ersten Weltkrieg. Er starb am 23. September 1914 an einer Lungenentzündung in Le Cateau-Cambrésis (Flandern).

Text: Stephanie Kleidt, freie Ausstellungskuratorin

Mit dem Kocher unterwegs

Wer nicht in Mitteleuropa Bergsteigen und Wandern geht, muss fast zwangsläufig einen Kocher dabei haben - und Alpentouren bekommen eine besondere Qualität

Kocher v. l. n. r.: Enders Benzin Baby Nr. 9063, ab 1950 im Handel; Primus Kocher Nr. 71, ab 1931 im Handel; Esbit-Taschenkocher Modell 9, ab 1939 im Handel. Rechts vorne: Borde Kocher, im Handel von 1950 bis 2010. Foto: Alpines Museum des DAV/Johannes Erichsen

„Kaffee vom Benzinkocher schmeckt einfach nach weiter Welt“ (H. Barth, 2017)

Was kann es schöneres geben als die Vorstellung, nach einem anstrengenden langen Wandertag oder nach einer anspruchsvollen Bergtour, etwas Warmes trinken oder essen zu können? Doch wie und womit kocht man im Freien, am Berg oder im Zelt? Schaut man sich im Sachgutdepot des Alpinen Museums um, findet man diverse Kochgeräte, die helfen sollen, dies Problem zu lösen.

1892 stellte die schwedische Firma Primus, gegründet von F. W. Lindquist und J. V. Svenson erstmals einen Kocher für Kerosin her, der sogleich zur notwendigen Ausrüstung von Bergsteigern und Expeditionsteilnehmern wurde. Der Kocher wurde ständig weiterentwickelt für den Gebrauch unterschiedlicher Brennstoffe. Der Primus Kocher No 71 konnte mit Benzin, Benzol, Naphta (Rohbenzin) und Petroleum betrieben werden.

Bisher wurde aufgrund von Nachrichten davon ausgegangen, dass der Kocher, der aus dem Nachlass von Dr. Eugen Allwein (1900 – 1982), Münchner Höhenbergsteiger, an das Museum kam, von ihm 1928 während seiner Erstbesteigung des Pik Lenin im Pamir benutzt wurde. Neuerliche Recherchen haben ergeben, dass der Primus Kocher No 71 erst 1931 in den Handel kam. Daher kann Allwein den Kocher frühestens für seine Teilnahme an der Deutschen Kangchendzönga Expedition 1931 oder zu einem späteren Zeitpunkt erworben haben.

Der Transport von Flaschen und Behältern mit flüssigen oder gasförmigen Brennstoffen war umständlich und auch gefährlich. 1933 gelang es Erich Schumm, eine trockene Brennstofftablette aus Methenamin, auch „Trockenspiritus“ genannt, zu entwickeln, die er ab 1939 unter dem Namen „Esbit“ (Erich Schumm Brennstoff in Tablettenform) in den Handel brachte. Die Tabletten sind kaum größer als ein Stück Würfelzucker. Auf einem kleinen faltbaren Kocher aus Stahlblech im Hosentaschenformat, dem Modell 9 (auf dem Bild rechts hinten), kann in etwa 5 Minuten eine kleine Menge von Speisen oder Wasser für eine Tasse Tee (0,25l) erhitzt werden.

Möglichst handlich und klein sollten die Kochgeräte sein. Der Schweizer Uhrmacher, Alpinist und Erfinder von Bergausrüstungsgegenständen Josef Borde (1904 – 1978) entwickelte um 1950 den „Borde-Kocher“ (im Bild rechts vorne). Der mit Benzin betriebene Kocher in Form einer Stabtaschenlampe konnte einen Liter Wasser in etwa 6,5 Minuten zum Kochen bringen. Eine Benzinfüllung reichte für 18 Minuten Brenndauer. In den Mitteilungen des DAV 1950 wird der Borde-Kocher in der Rubrik „Verbesserte Bergsteiger–Ausrüstung“ lobend erwähnt. Erst seit 2010 wird der Kocher nicht mehr hergestellt.

Anfang der 1950er Jahre entwickelte die auf die Herstellung von Grill- und Kochgeräten spezialisierte Firma Enders Colsman AG, gegründet 1883, das sogenannte Enders-Benzin Baby No 9063 (im Bild links). Ein kleiner handlicher Benzinkocher, dessen Einzelteile in eine Blechdose eingepasst sind. Fritz März (1927 – 2003), von 1980 – 92 Erster Vorsitzender des DAV und Spender des Kochers, benutzte das Benzin Baby 1953 auf seinen Andenexpeditionen. Er schätzte den Kocher wegen seiner Leichtigkeit, hielt ihn aber für weniger zuverlässig als die Primus Kocher. Enders stellt inzwischen nur noch gasbetriebene Geräte her.

In den schriftlichen Gebrauchsanweisungen zu allen Kochgeräten wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sinnvoll und notwendig sei, die Geräte vor dem ersten Einsatz auszuprobieren und ihren Gebrauch zu erlernen. Und das bitte nicht im häuslichen Wohnzimmer sondern im Freien. Berichte von in Flammen aufgegangenen Zelten und trockenem Gras oder Brandblasen an den Händen veranschaulichen unliebsame Zwischenfälle. Oder es kann noch schlimmer kommen wie der warnende Bericht eines Benutzers von Kochgeräten zeigt:

„Etwas Erfahrung in Sachen Feuer sollte man schon mitbringen, sonst verzweifelt man bei schlechtem Wetter und muß die Nudeln trocken essen.“

Die vielfältigen Gebrauchsspuren zeigen, dass die vorgestellten Kocher häufig im Einsatz waren.

Text: Stephanie Kleidt, freie Ausstellungskuratorin

Frühe Überlieferung eines Welthits

Stille Nacht, heilige Nacht

Alle Jahre wieder, meistens schon ab dem Spätherbst, laufen im Radio die bekannten Weihnachtslieder in Dauerschleife. Auch wenn der deutschsprachige Kanon der Weihnachtslieder heute den meisten Menschen nicht mehr automatisch durch Familie, Schule oder Kirche vermittelt wird, kennen doch fast alle die Klassiker wie "O du fröhliche", "O Tannenbaum" oder "Leise rieselt der Schnee"

Seite aus "Vier ächte Tyroler Lieder". Bibliothek des Deutschen Alpenvereins, sig. 55 C 1801 Archiv/Bibliothek des DAV

Weltweit das bekannteste aller dieser Weihnachtslieder ist „Stille Nacht, heilige Nacht“. Im deutschen Sprachraum ist es der Inbegriff des feierlichen, getragenen Weihnachtslieds, weltweit in viele Sprachen übersetzt und 2011 von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe Österreichs anerkannt. 

Uraufgeführt wurde das Stück 1818 in einer Dorfkirche in der Nähe von Salzburg. Idee und Text zum Lied stammen vom Pfarrer Joseph Mohr, die Melodie komponierte der Lehrer Franz Gruber.

 Die Geschichte der Noten von „Stille Nacht, heilige Nacht“ ist ein wenig unübersichtlich. Es gibt mehrere eigenhändige Niederschriften, sogenannte „Autographen“, sowohl aus der Hand des Textschreibers Mohr als auch des Komponisten Gruber. Nicht alle diese Autographen lassen sich gesichert zuordnen, nicht alle sind überliefert. Auch das Original von 1818 ist verschollen. Frühe Versionen und Abdrucke von Noten und Text finden sich jedoch in verschiedenen Kompilationen und Liederheften der Zeit.

Die Bibliothek des Deutschen Alpenvereins ist im Besitz eines frühen Drucks des Notenblatts mit Text zu „Stille Nacht, heilige Nacht“ aus den 1830er Jahren. In der Liedersammlung mit dem schönen Titel „Vier ächte Tyroler Lieder für Sopran-Solo oder für vier Stimmen mit willkührlicher Begleitung des Piano-Forte. Gesungen von den Geschwistern Strasser aus dem Zillerthale. Treu diesen trefflichen Natursängern nachgeschrieben“ ist das später so berühmte Weihnachtslied in früher Fassung neben drei weiteren Volksliedern abgedruckt. Die Sammlung erschien bei A. R. Friese in Dresden. Wie die Notenblätter in den Besitz der Bibliothek des DAV gekommen sind, ist ungeklärt. Wahrscheinlich wurden sie als „Beifang“ bei der Übernahme eines Sammler-Nachlasses übernommen, vielleicht sind die Noten aber auch Zeugnis für das volkskundliche Interesse unserer Bibliotheksvorgänger*innen am Alpenraum.

Die im Titel des Notenblatts aufgeführten Geschwister Strasser waren eine Zillertaler Händler- und Sängerfamilie, die wie andere Familien aus den Alpentälern im 19. Jahrhundert auf großen Handelsmessen wie dem Leipziger Markt, Waren anboten; in ihrem Fall vor allem Handschuhe. Daneben aber gaben sie in Leipzig und anderen deutschen Städten Konzerte, auf denen sie neben „Tiroler Nationalliedern“ auch das besagte „Stille Nacht, heilige Nacht“ sangen und spielten. So trugen sie in den 1830er Jahren zur Verbreitung des Weihnachtslieds bei, das in kürzester Zeit so populär im deutschsprachigen Raum wurde, dass es in der Frieseschen und anderen Liedersammlungen gedruckt wurde. Auch viele andere säkulare Weihnachtsbräuche haben ihren Ursprung in der Biedermeierzeit und prägen die westliche Weihnachtskultur bis heute.

Sicherlich spielen alpine Weihnachtslieder und Bräuche in der Bibliothek des Deutschen Alpenvereins heute keine ganz große Rolle mehr. Falls sich jedoch jemand für das Lied interessiert, kann er es in Bibliothek im Original oder digital in der Datenbank einsehen.

Text: Andreas Kaiser, Archiv/Bibliothek des DAV

Achtung Alltag!

Tipps für den Weg durch die Stadt

Raus aus dem Alltag, Mikroabenteuer vor der Haustür, etc. - die Sprüche sind uns vertraut

Sohmscher Zeltmantel Foto: Alpines Museum des DAV/Adriano Coppola

Noch ehe diese Slogans allgegenwärtig wurden, vertrieb das Sporthaus Schuster ab den 1920er Jahren einen Sack aus Mosetig-Batist, den nach Victor Sohm benannten Sohmschen Zeltmantel. Das Material war ein wasserdichter Verbundstoff aus feinem Baumwollgewebe mit einer Zellwollbeimischung, beidseitig überzogen mit vulkanisiertem Kautschuk. Der Sack selbst konnte als Mantel oder Zelt genutzt werden und war ein Meilenstein zum Überstehen von Notsituationen in den Bergen. Zugleich war er ein Upgrade zu seinem Vorgänger, dem Zdarskysack (nach seinem Erfinder Mathias Zdarsky), beides Vorläufer der heutigen Biwaksäcke und über Jahrzehnte hin Standard.

Heute ist das Bedürfnis nach Ausbrüchen und abenteuerlichen Erlebnissen omnipräsent. Doch schon seit über 150 Jahren finden Menschen im Gebirge einen Gegenpol zu einer monoton empfundenen Arbeitswelt, zu einem vermeintlich sicheren, durchstrukturierten Alltag. Und seit über 150 Jahren werden die Berge auch als genau das beworben.

Das Gebirge ist eine Landschaft, die in den meisten Fällen allein aufgrund ihrer Topografie etwas Außeralltägliches ist: ein Ort, der rasch gefährlich werden kann, sei es durch Wetterumschwünge, Wegbeschaffenheit oder – wie im Zuge der Klimakrise immer häufiger festzustellen – Abbrüche von Felsen oder Gletschern. Ein Ort, der in den Höhenlagen wenig bebaut und erschlossen ist, der Raum lässt und dafür sorgen kann, dass man auf sich allein gestellt ist. Ein Ort eben, an dem ein Rest Unsicherheit bleibt. Für all dieses „Außeralltägliche“ rüsten sich die Menschen seit jeher aus, wie die Sammlung des Alpinen Museums zeigt. Und das mal mehr, mal weniger gut, nach der neuesten Mode, einfallsreich oder auch nach heutigen Maßstäben überraschend.

Seit „Outdoor“ zum Lifestyle geworden ist, ist Outdoorausrüstung, vornehmlich in Form von Bekleidung, im Alltag angekommen. Darüber hinaus sind es viele gewohnt, Gegenstände zum Bergsport zu sehen und sie entsprechend einzuordnen. Die Außeralltäglichkeit dieser Gegenstände lässt sich erst wieder über den direkten Kontrast herstellen, was am Beispiel des hier gezeigten Zeltmantels sehr gut verdeutlicht werden kann, wenn wir ihn in den Alltag integrieren:

Stellen wir uns vor, ein Regenguss oder – eine Eskalationsstufe höher – ein kurzes Gewitter überrascht uns in der Fußgänger*innenzone und wir können beobachten, wie jemand diesen Sack aus Batist (heute Polyester oder Polyamid) aus dem Rucksack hervorholt und sich darin verkriecht, bis das Unwetter vorbei ist.

Eine eher irritierende Vorstellung und selbst in der „Bergsteigerstadt“ München (vorerst) nicht zu erwarten. 

Text: Max Wagner, Alpines Museum des DAV

Erste Hochgebirgsdarstellung

Die Zugspitze vom Platt aus gesehen

Die hohen Gipfel der Alpen waren und sind bis heute zentral für Bergsteiger*innen und Bergsportler*innen. Die erste Darstellung in unserer Sammlung, die das Hochgebirge nicht nur "von unten" zeigt, illustriert eine frühe Besteigung der Zugspitze

Bleistiftzeichnung Einsele Foto: DAV Sammlung/Bettina Warnecke

„Die Zugspitze vom Platt aus gesehen“ so lautet der Titel einer mit zarten Farben aquarellierten Bleistiftzeichnung in den Sammlungen des Alpinen Museums. Vor der Mitte des 19. Jahrhunderts führte nur der Weg über das Platt auf die Zugspitze, deren nach Norden gerichtete Bergflanke hier tief verschattet ist. Am Fuß des zum Gipfel führenden Grates sind winzige Bergsteigerfiguren auszumachen. Bezeichnet und datiert ist die Zeichnung mit „Dr. Einsele 1845“.

Noch bevor der 1869 gegründete Alpenverein gemäß seiner Satzung mit der Erforschung und Erkundung der Alpen begann, gab es immer wieder Männer, die oft schwierige und weite Bergtouren unternahmen, um wissenschaftliche Fragen der Alpen zu klären. Vordringlich ging es um die genaue Vermessung und Ermittlung der Höhe einzelner Gipfel, der Ausdehnung der Gletscher, der Flora und Fauna der Alpen sowie um die Bestimmung von Gesteinen und Felsformationen. Einer dieser Pioniere war Dr. August Max Einsele (1803 – 1870), der Zeichner unseres Blattes. Nachdem 1820 die Zugspitze erstmals von Leutnant Josef Naus bestiegen worden war, erreichte Einsele mit einer Gruppe Bergsteiger den Gipfel am 21. August 1835. Er gehört somit zu den ersten Besteigern der Zugspitze.

Doch wer war August Max Einsele? 1803 in München als Sohn eines Landarztes geboren, studierte er u.a. in Landshut Medizin und wurde 1825 zum Doktor der Medizin und Chirurgie promoviert. 1842 übernahm er nach verschiedenen anderen Stationen als Arzt und Chirurg die Leitung des Krankenhauses in Landshut, seinem Lieblingsort. Einsele galt als stiller, verschlossener, ja fast gehemmter Mensch, der sich am liebsten alleine auf stundenlangen Wanderungen und Bergbesteigungen aufhielt. Seine ganz große Leidenschaft, die er aber nie zu seinem Beruf machen konnte, war die Botanik. Er galt in Fachkreisen als anerkannter Experte auf dem Gebiet der Alpenflora. Umfangreiche Herbarien, Beschreibungen und exakte Zeichnungen von Pflanzen gehören zu seinem Nachlass. Eine von ihm erstmals im Wimbachgries bei Berchtesgaden entdeckte und beschriebene kleinblütige Akelei (Aquilegia einseleana) wurde nach ihm benannt.

Einsele selbst machte seine Touren nicht bekannt. Doch Guido Görres veröffentlichte 1846 in seinem Deutschen Hausbuch Einseles Bericht in Briefform über seine Besteigung der Zugspitze. Vielleicht hat Einsele seine Zeichnung in diesem Zusammenhang angefertigt, auch wenn sie nicht im Hausbuch abgedruckt wurde. Den Bericht illustrieren Karikaturen von besonderer Situationskomik, die in der neuen Dauerausstellung des Alpinen Museums zu sehen sein werden.

Text: Stephanie Kleidt, Ausstellungskuratorin

Ordnung muss sein!

Die Büchse der Pandora. Die Hausordnung der Payer-Hütte, 1877

Existiert heute noch eine Alpenvereinshütte ohne Hüttenordnung? Wahrscheinlich nicht. - In der Frühzeit des Alpenvereins jedoch gab es auf den Hütten eine kurze Zeit der Anarchie

Hausordnung der Payer-Hütte, 1877 Foto: DAV Archiv

Wer schon mal auf einer Berghütte genächtigt hat, kennt die elementaren Hüttenregeln, die in den ausgehängten Hüttenordnungen veröffentlicht sind. Sie regeln das nicht immer einfache Zusammenleben auf engstem Raum. Das Betreten der Schlafräume in Bergstiefeln ist verboten, dort darf weder gekocht noch gegessen werden. Die Hüttenruhe mit den Schlafenszeiten ist auf 22 bis 6 Uhr festgelegt und seit einigen Jahren gilt ein absolutes Rauchverbot. Für die Gäste müssen die Hüttenwirtsleute ein „Bergsteigeressen“ sowie den ganzen Tag über mindestens eine warme Mahlzeit anbieten. Neben der Hüttenordnung gibt es viele weitere Gebots- und Verbotsschilder, die Besucher*innen zumeist überall in der Hütte finden können.

Viele der Regeln gehen auf Johann Stüdl zurück, Mitglied der Sektion Prag und Mitbegründer des DAV 1869, der seinerzeit maßgeblich an allen Hüttenfragen des Alpenvereins beteiligt gewesen war. Seine 1868 errichtete Stüdl-Hütte am Großglockner gilt als „Mutter“ aller Vereinshütten. Zwei Jahre nach dem Bau übertrug er die Hütte dem Bergführer Thomas Groder und gab ihm gleichzeitig zahlreiche Hinweise mit, auf was er zu achten habe, unter anderem mit einer Mausefalle „die ungebetenen Gäste fangen (aber nicht tödten)“ oder das Stroh zu erneuern.[1] Daraus entwickelten sich die ersten Regeln.

Marterinstrumente

Damenstiefel aus dem Museumsdepot

Schon die Bergstiefel sorgten dafür, dass für Frauen das Bergsteigen in den ersten Jahrzehnten eine besondere Herausforderung war

Damen-Bergstiefel um 1920. Foto: Alpines Museum

Links: Damenbergstiefel mit leichtem Absatz, Ledersohlen und Benagelung am Absatz, um 1920

Mitte: Damenbergstiefel mit hohem Knöchelschutz, Absätzen und Beschlag mit Rundnägeln sowie Durchzugflügelnägeln, um 1920

Rechts: Damenbergstiefel mit Ösenschnürung, doppelter Ledersohle und Beschlag, um 1920

Betrachtet man die Damenbergstiefel auf dem Foto, überkommt einen als heutige Frau ein leichter Schauder. Unwillkürlich frage ich mich: „Wie wäre ich mit solchen Stiefeln auf einen Berg gekommen und wie wäre es meinen Füßen in diesem Schuhwerk ergangen?“

Ein Blick in das Depot des Alpinen Museums zeigt, dass die Anzahl der von Damen getragenen Bergstiefel nicht sehr groß ist und sie, die ältesten mit dem Entstehungsdatum um 1920, deutlich jünger sind als Bergstiefel für die Herren. Dass sich Frauen schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts an Bergtouren beteiligten und schwierige Aufstiege bewältigten, steht jedoch inzwischen außer Frage.

Sind Absätze bergtauglich?

Wie aber sah es mit der Bekleidung der Frauen, insbesondere ihren Schuhen, aus? Bevor sich die Hose auch für Damen durchsetzte, trugen sie lange weite Röcke und geschnürte, zum Teil weit über die Knöchel reichende Stiefel. Diese unterschieden sich offenbar kaum von den im täglichen Gebrauch befindlichen Stiefeletten. Die Reihen dekorativer Lochverzierung lassen das auf dem Foto linke und mittlere Paar als sogenannte „Budapester oder Karlsbader“ Stiefel erkennen. Die wenige Zentimeter hohen Absätze an den Damenstiefeln verwundern, waren so ausgestattete Stiefel doch sicher den Anforderungen von Fels, Geröll, Eis und Schnee nicht unbedingt gewachsen. Bergtauglich machte man die mit Leder besohlten Stiefel, indem man sie mit Nägeln und, nach ihrer Erfindung, mit Durchzugflügelnägeln (die Montage ging durch die Sohle durch) ausrüstete.

Dass solche Stiefel eine Bergtour zu einem wahren Leidensweg machen konnten, beschreibt die österreichische Bergsteigerin Hermine Groß-Kmoch in ihren Reiseberichten: “Wir schleuderten unsre Marterinstrumente, die Stiefel, weit von uns und stärkten uns sodann mit Suppe u Omelette.“ [Hermine Groß-Kmoch, Reisebericht 1871/72, S.20 Unveröffentlichtes Manuskript, Archiv des OeAV Innsbruck] Wurden die Stiefel von einem Schuster eigens angefertigt, konnten sie trotzdem bisweilen schwer und klobig ausfallen, wohl auch wenig angepasst an die Anatomie eines weiblichen Fußes. Erst allmählich wurde die Benagelung durch Gummiprofilsohlen abgelöst und die Ausstattung der Stiefel angepasst an die Anforderungen der geplanten Tour. Heute kann jede Bergsteigerin die für sie, ihre Ansprüche und die Besonderheiten ihrer Füße passenden Bergstiefel finden.

Text: Stephanie Kleidt, freie Ausstellungskuratorin

Gemeinsamkeit macht stark

Das Damenkomitee der Sektion Prag

Frauen spielten in den Publikationen rund um Alpenverein, Bergsteigen und Alpinismus meist eine untergeordnete Rolle. Doch sie waren dabei und übernahmen Verantwortung. Das zeigt beispielhaft dieses Gedenkbild an den Einsatz des Damenkomitees der Sektion Prag

Gedenkbild Foto: DAV Alpines Museum/WEST Fotostudio Wörgl

Die lange Bauzeit der Hütte und Verzögerungen hatten ihre Ursache nicht nur im schlechten Wetter der Jahre 1902 und 1903, sondern in einem empfindlichen finanziellen Engpass, in den die Sektion geraten war. 1903 stand fest, dass die Mittel für die Innenausstattung der Hütte nicht aufzubringen sein würden. In dieser Situation bewährte sich der für den Alpenverein charakteristische Gemeinschaftssinn. Doch nicht die Herren, die normalerweise im Licht der Öffentlichkeit standen, nahmen sich der Sache an, sondern ein aus 14 Mitgliedern bestehendes „Damenkomitee“. Innerhalb kürzester Zeit gelang es den rührigen Frauen unter ihrer Präsidentin Natalie Umrath nicht nur Bargeld, sondern auch Sachspenden aller Art zur Ausstattung der Hüttenräume zusammen zu bringen. Besonders hilfreich waren Spenden, die es ermöglichten, eine ganze Zimmereinrichtung zu finanzieren. Ebenso konnte die Küche eingerichtet und ausgestattet werden. Insgesamt hatte das Komitee in wenigen Monaten die stattliche Summe von 5129 Kronen und 40 Heller eingeworben.

Die Sektion ehrte die Damen mit ihren Porträtfotos auf dunkelgrünem Samt in einem kunstvoll getriebenen Kupferrahmen, entworfen von Rudolf Schwarz, dem Architekt der Hütte. Der Bericht über die Einweihungsfeierlichkeiten stellt abschließend fest: „Mit vereinten Kräften hat die Sektion Prag nicht nur ein Werk geschaffen, auf welches dieselbe mit Stolz blicken kann, sondern auch dem Touristenverkehre unsrer Alpen einen wesentlichen Dienst erwiesen, zur eigenen Freude und zur Ehre des Gesamtvereins.“ [2]

Text: Stephanie Kleidt, freie Ausstellungskuratorin

[1] Jahresbericht Sektion Prag 1904, S.6

[2] Jahresbericht Sektion Prag 1904, S.23

Frühlingsskitour anno 1920

Eine Farbskizze von Otto Bauriedl

Im Frühjahr auf Skitouren gehen, die Sonne genießen. Heute genauso wie vor hundert Jahren

Farbskizze Bauriedl Foto: DAV Alpines Museum/Bettina Warnecke

Ein junges Mädchen ist mit ihren beiden Freunden am Ziel ihres Ausflugs angekommen. Auf Skiern haben sie einen hohen Bergsporn erreicht. Während die jungen Männer schon im Schnee lagern und sich ausruhen, wendet das Mädchen, noch auf seinen Skiern stehend, dem Betrachter den Rücken zu und schaut über das tief unten liegende Tal in die Ferne. Ihr kurzer grünlicher Rock umspielt in vom Wind bewegten Falten ihre Knie, die Beine wärmen beige-braune geringelte Strümpfe, ihr Pullover hat kurze Ärmel. Ihre Hände stützt sie auf die Skistöcke aus Bambus. Die Szene ist überspannt von einem strahlend blauen Himmel und vermittelt die pure Freude der jungen Leute an Sonne und Schnee, dem ungezwungenen Miteinander, der grandiosen Aussicht und der Fortbewegung auf ihren modischen Sportgeräten.

Der Münchner Maler Otto Bauriedl (1881-1961) hatte in seinem um 1920 entstandenen Bild ein Thema aufgegriffen, das aktueller nicht sein konnte. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts begeisterten sich immer mehr Menschen für das Skifahren, in den 1920iger und 1930iger Jahren wurde es fast zu einem Massensport, wer konnte, fuhr Ski. Der Ausbau der Eisenbahnstrecken ermöglichte die leichte Anreise in die Skigebiete, die Sektionen des Alpenvereins richteten „Winterräume“ in ihren Hütten ein und bauten zusätzliche Unterkünfte in den Wintersportgebieten.

Von Anfang an gehörten auch Frauen zu den Skifahrenden. Schon 1896 hatte der bekannte Skipionier Mathias Zdarsky in seiner Anleitung zum richtigen Skifahren in den Alpen die Frauen angesprochen und ausdrücklich ermutigt, mit dabei zu sein. „Es ist also keineswegs schwierig, weder für Erwachsene, noch für Kinder, weder für Herren, noch für Damen, das Skilaufen in kurzer Zeit zu beherrschen.“[1]

Natürlich schlug den skifahrenden Frauen zunächst Ablehnung entgegen, man belächelte sie als „Mannsweiber“ und wieder - wie auch die Bergsteigerinnen - mussten sie um das Tragen von Hosen als angemessene Bekleidung zum Skifahren kämpfen. 1917 stellte Zdarsky auf die Frage, wie die Skidamen ausgerüstet sein sollten, entschieden fest: „Wie ein Herr. Je weniger Unterschied in der Kleidung, desto vorteilhafter für die Ausübung des Sportes und desto ästhetischer.“[2] Der Siegeszug der Skihose für Damen war nicht mehr aufzuhalten, auch wenn Bauriedls Skimädchen noch im kurzen Rock zur Skitour aufgebrochen war.

Text: Stephanie Kleidt, freie Ausstellungskuratorin

[1] Mathias Zdarsky, Lilienfelder Skilauf-Technik , Hamburg 1897, S.49

[2] Mathias Zdarsky, Lilienfelder Skilauf-Technik, 10. Aufl., Berlin 1917,S.98

Gefährliche Wissenschaft

Ansicht einer Karawanenhaltestelle in Kaschgar, 1856/1860

Ödnis, Gefahr und Tod im Nirgendwo. Forscher im Himalaya vor über 150 Jahren

Ölbild Foto: DAV Alpines Museum/Wolfgang Pulfer

Details zum Bild:

Búllu, Halteplatz auf der rechten Seite des Yárkand Flusses mit Pferdeskelett

Fritz Bamberger nach zwei Skizzen von Hermann Schlagintweit, 1856 bzw. um 1860

Öl auf Papier auf Karton aufgezogen (Generalregister Schlagintweit 564)

Schenkung Erbengemeinschaft Schlagintweit 2013

Nachdem die Münchener Brüder Hermann, Adolph und Robert Schlagintweit ihr Studium der Geografie beziehungsweise Geologie abgeschlossen hatten, erprobten sie ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten in den Alpen und im Monte Rosa-Gebiet. Unter anderem gehörten sie zu den ersten Wissenschaftlern, die die annähernd exakte Höhe der Zugspitze ermittelten. 1854 schlug für die Brüder die große Stunde. Der Berliner Universalgelehrte Alexander von Humboldt vermittelte die jungen, ehrgeizigen Gelehrten nach England, wo sie für die Ostindische Handelskompanie eine Expedition nach Indien und Hochasien übernehmen sollten.

Ihr besonderes Augenmerk richteten die Brüder auf die Erforschung der Gebirgsregionen des Himalayas. Dort mussten sie auch erfahren, dass eine Expedition dieser Größe ein nicht ungefährliches Abenteuer sein konnte. Davon zeugt Hermanns und Roberts Bericht von ihrem Vordringen 1856 in eine unbekannte, karge, nahezu menschenleere Region Turkistans in einer Höhe von etwa 5.000 Metern. Um nicht als Fremde erkannt zu werden, verkleideten sie sich. Auch Waffen gehörten zu ihrer Ausrüstung. Wie lebensbedrohend die Überschreitung des Karakorum-Passes sein konnte, beschrieb Hermann in seinem Bericht von der Reise: 

„Hier war es zum ersten male uns bemerkbar geworden, dass das Vorkommen von Pferdeskeletten zugleich die Richtung des Überganges [über den Pass] bezeichnete. Und nur zu rasch mehrten sich nun die Reste der gefallenen Tiere.“ [1]

Nicht nur Tierskelette, sondern auch Sättel, Handelsware und Futter für Tiere säumten ihren Weg. Sogar provisorische Gräber von verstorbenen Karawanenteilnehmern deuteten ihnen die Gefahr an, in der sie sich befanden. Hermann hielt diese Beobachtungen in ursprünglich zwei Aquarellen fest, die nach ihrer Rückkehr von dem Münchner Landschaftsmaler Fritz Bamberger in dem hier gezeigten großformatigen Ölbild zusammenfasst wurden.

Text: Stephanie Kleidt, freie Ausstellungskuratorin

 [1]Hermann Schlagintweit, Reisen in Indien und Hochasien. [….], Bd. 4, S.28, Jena 1880

Haue, Spitze, Holzschaft

Ein Neuzugang in unserer Sammlung

Worüber kann mir ein alter Eispickel heute noch Auskunft geben? Und brauchen wir den eigentlich für unsere Sammlung?

Eispickel Zametzer Foto: DAV Alpines Museum/Tino Ludwig

Im Frühjahr 2021 bekamen wir einen Eispickel angeboten. Er soll dem Bergsteiger Heinrich Zametzer gehört haben, Erstbegeher der Zugspitze im Winter. Ein Eispickel, der das stolze Alter von 140 Jahren besitzt und zudem auf einer alpinistisch bedeutenden Tour eingesetzt wurde? Das klingt gut. Doch was ist dran an der Geschichte? Lohnt es sich, den Pickel in unsere Sammlung aufzunehmen? Begleiten Sie mich bei meiner Recherche!

Verrostet und ein bisschen unscheinbar: Ein Pickel, der aussieht wie viele in unserer Sammlung - Haue, Spitze, Holzschaft. Auffällig höchstens seine Länge von 120 Zentimetern. Na ja. Aber die Geschichte in den Alpenvereinsmitteilungen: Heinrich Zametzer bestieg zusammen mit seinem Bruder Josef, Heinrich Schwaiger und Alois Zott am 7. Januar 1882 erstmals die Zugspitze im Winter. Am Tag zuvor waren die Vier in Partenkirchen aufgebrochen, übernachteten auf der Knorrhütte und erreichten über den Schneeferner, Felsrinnen und Schneefelder am nächsten Tag um 15.40 Uhr den Gipfel. Einen Tag später kehrten sie nach Partenkirchen zurück. Die Männer waren jung, Heinrich Zametzer, Student, 19 Jahre alt, Heinrich Schwaiger und Alois Zott ein paar Jahre älter. Sie hatten die Tour führerlos gemacht, das heißt ohne Unterstützung durch einen Bergführer, damals unüblich, heftig umstritten und erst im Kommen.

Der Schenker des Pickels, Urenkel von Heinrich Zametzer, berichtete mir mehr. 1862 war Zametzer geboren. Er arbeitete unter anderem als Amtsgerichtsdirektor in Weiden und in Kiefersfelden. 1931 starb er in Murnau, wo er, entsprechend familiärer Legende, so bestattet wurde, dass er gen Zugspitze blicken konnte. Der Schenker erzählte mir auch, dass sein Ahne der einzige Bergsteiger der Familie gewesen sei und der Pickel so nur ihm hatte gehören können. Seine Großmutter bewahrte ihn als Erinnerung auf.

Als Nächstes befragte ich Hermann Huber, legendären Kenner der alpinen Ausrüstungsgeschichte. Von ihm kam der Tipp: Zametzers Seilgefährte Schwaiger war Gründer des ersten Spezialgeschäfts für Alpinausrüstung in München. So sei davon auszugehen, dass die Männer gut ausgerüstet waren. Und ein Blick in die Alpinpublikationen aus der Zeit zeigt: Pickel gehörten bei einer Tour im Hochgebirge dazu. Meist war das Stufenschlagen im Eis und das Sichern mit dem Pickel auf die Bergführer beschränkt. Doch da unsere Vierergruppe führerlos ging, mussten sie selbst die Pickel gebrauchen: „Von hier benützten wir nicht den gewöhnlichen Weg, sondern hielten uns über ein stark geneigtes Schneefeld, an dessen oberem Theil bereits Stufenhauen [mit dem Pickel] nöthig [war…]“. 

Und das Alter? Die damals eingesetzten Pickel waren länger als die, die wir heute verwenden. Ein Pickel müsse vom Boden bis zum Ellenbogen reichen, so die Alpenvereinsmitteilungen aus dem Jahre 1875. Sie wurden wie Bergstöcke auch als Geh- und Gleichgewichtshilfe eingesetzt. Erst seit den 1920er Jahren verbreiteten sich kürzere Pickel, die leichter und im steilen Gelände besser einsetzbar waren. Mit 120 Zentimetern ist der „Zugspitz“-Pickel länger als fast jeder andere unserer Sammlung. So hat er also wohl tatsächlich ein stattliches Alter.

Was lernen wir aus alledem? Der Pickel gehörte tatsächlich Heinrich Zametzer. Auf der Zugspitztour hatte er sicher einen Eispickel dabei. Ob es sich um dieses Exemplar handelte, bleibt zwar ungeklärt, doch der Pickel wirft ein Licht auf die Touren und die Ausrüstung der frühen, extremeren Alpinist*innen. – Wir haben uns für dieses Objekt entschieden. Seit kurzem bereichert der Eispickel von Heinrich Zametzer unsere Museumssammlung!

Text: Friederike Kaiser, Alpines Museum des DAV

An alle DAV-Spießer

Das Gipfelbuch der Lamsenspitze 1987/88

Nach einem schweißtreibenden Aufstieg oder einer schnellen Fahrt mit der Seilbahn zum Gipfel steht dem rituellen Eintrag ins Gipfelbuch nichts mehr im Wege. Eine uralte Tradition?

Gipfelbuch Lamsenspitze Foto: DAV Archiv/Stefan Ritter

Ursprünglich wurden Nachrichten über einen erfolgreichen Aufstieg für die Nachfolger*innen als Beweis der (Erst)besteigung auf handgeschriebenen Zetteln hinterlassen, die am Gipfel in leeren Weinflaschen deponiert wurden. Später hinterließ man Visitenkarten, oft mit Angaben zur Sektionszugehörigkeit. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzten sich Gipfelbücher durch. Anfangs versteckte man diese unter Steinen und Felsen. Sie waren dort Wind und Wetter ausgesetzt. Später wurden die Gipfelbücher in kleinen Kästen, oft aus Zinn, deponiert. Als nach dem Ersten Weltkrieg der Siegeszug der Gipfelkreuze begann, befestigte man diese meist am Kreuz. Das Gipfelbuch hatte seinen festen Platz gefunden.

Selten finden sich in den Eintragungen der Gipfelbücher literarische oder tiefgründige Inhalte. Ein „Ich war da!“, Bemerkungen zum Wetter, zum Aufstieg ist meist alles. Zuweilen wurden persönliche Eindrücke oder Empfindungen hinterlassen. Manchmal findet man Reime oder Graffitis, allzu oft ist es Nonsens. Es sind vom jeweiligen Zeitgeist geprägte „Selfies“ für die nachfolgenden Bergsteiger*innen mit kurzer Halbwertszeit.

Das Gipfelbuch der Lamsenspitze begrüßt uns mit einem kräftigen „BERG-GEIL“, durch eine zweite Hand adressiert „an alle DAV-Spießer“. Das Gipfelbuch beamt uns zurück in die 1980er Jahre. Man sieht sofort, wie das typische DAV-Mitglied (männlich, rote Socken, Kniebundhose und kariertes Hemd) seinen Kopf schüttelt, den Verfall der Sitten beklagt und korrigierend eingreift. Damals waren das Bergsteigen und der Alpenverein im Wandel begriffen. Die jungen Bergsteiger*innen orientierten sich am Sportklettern, der Ökoszene und am Umweltschutz. Auf den DAV-Hauptversammlungen wurden heftige Diskussionen um die Zukunft des Alpenvereins geführt. Letztlich entwickelte sich der Alpenverein auch dadurch zum Sport- und anerkannten Naturschutzverband. 

Mitglieder der Sektion Oberland bargen das Gipfelbuch und übergaben es 2015 dem DAV-Archiv. Dort sind die Nachrichten von der Lamsenspitze für jeden Interessierten einsehbar. Mit dem Begriff „Geil“ provoziert man heute jedoch wohl niemanden mehr, manche sehen hingegen den vermeintlich altehrwürdigen Gruß „Berg Heil“ kritisch.

Text: Stefan Ritter, Archiv des DAV

Last Christmas

Weihnachten auf der Baumoos-Alm, 1926

Weihnachtsbuden, Lebkuchenhäuser und Krippen - im Advent kann man dem romantischen Hüttenzauber kaum entkommen und die Alm wird zur Krippe

Weihnachten auf der Baumoos-Alm, 1926. Aus dem Nachlass von Fritz Schmitt. Foto: Archiv des DAV

Eine einsame, tief verschneite Hütte, hoch oben in den Bergen. Nach einer ausgiebigen Schneeschuhwanderung und anschließender fröhlicher Schneeballschlacht, kehren junge Menschen, vermutlich enge Freunde, frohgelaunt und vergnügt in die gemütliche, warme, weihnachtlich geschmückte Stube ihrer Hütte zurück. Im Ofen lodert ein Feuer, der Weihnachtsbaum strahlt und an den Fenstern kondensiert das Schwitzwasser der zum Trocknen aufgehängten Kleidung. Nach einem kargen Mahl rücken sie enger zusammen und tauen auf. WHAM! Imaginäre Glöckchen erklingen und ein Ohrwurm nimmt von einem Besitz. Es scheint, als hätte der bekannte Bergfilmer Arnold Fanck bereits in den zwanziger Jahren das Video zum unverwüstlichen „Last Christmas“ inszeniert.

Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Schutzhütten in den Alpen meist nur im Sommer geöffnet. Seit der Jahrhundertwende setzte sich das Skilaufen in den Alpen durch und wurde in den zwanziger Jahren zur Trendsportart, gepuscht durch populäre Zeitschriften und Ski-Filme wie „Der weiße Rausch“ von Arnold Fanck. Die ersten Sektionen begannen um 1905 mit der Einrichtung von Winter- und Trockenräumen für Skitourengeher. In den Sektionen wurden Schneeschuh- oder Skiabteilungen gegründet, geeignete Almen für die Wintermonate angemietet oder temporär gepachtet. Von 1924 bis 1927 mietete zum Beispiel die Sektion Bergland die Baumoos-Alm (1250m) am Brünnstein bei Oberaudorf. Es entstand ein neuer Hüttentypus: Die unbewirtschaftete Selbstversorgerhütte, meist in der näheren Umgebung der Sektion. Der Bergsport war nun ganzjährig möglich.

Gleichzeitig verklärten viele Menschen aus der Stadt die Bergweihnacht zu einem romantischen Idyll. Warum sollte man diese Hütten in der stillen Zeit, fernab der Familie, mit Freunden nicht nutzen? Eine Flucht vor den Konventionen im Tal. Ungezwungenheit in der Abgeschiedenheit der Bergwelt. Der Begriff der „Schutzhütte“ erhält so eine völlig neue Bedeutung. Wir kennen den Beziehungsstatus der abgebildeten Personen leider nicht. Feierten sie im nächsten Jahr noch zusammen? Eines wissen wir aber sicher: Die Hüttenweihnacht von 1926 blieb unvergessen. In der Weihnachtszeit ist das Foto von der Baumoos-Alm unser Dauerbrenner im Archiv. Man kann dem Bild nicht entfliehen. Unser Last Christmas.

Text: Stefan Ritter, Archiv des DAV

Maikäferballett

Die Kletterschuhe von Helmut Kiene

"Balletschuhartige Galoschen“ [Karl, Reinhard: Schnellklettern. Artisten an der Felswand ratlos, in: DAV-Mitteilungen 1/1977, S. 10-12, S. 10.] hat Reinhard Karl einmal diese Schuhe genannt. „Galoschki“ hießen sie in Russland. Aus Kautschuk gefertigt, mit Schnüren zur Sicherung an den Fersen, waren sie in den 1970er Jahren weit verbreitet. Auch wenn es heute, mit über 40 Jahren Abstand und unentwegter Ausrüstungsverbesserung anders erscheinen mag: es waren ausgezeichnete Kletterschuhe. Das hier gezeigte Exemplar sollte dabei Alpingeschichte schreiben.

"Galoschki" Foto: Alpines Museum des DAV/Anton Böhm

Es handelt sich um die Kletterschuhe von Helmut Kiene. Ein russischer Kletterer schenkte sie ihm 1976 auf den 1. Internationalen Kletterwettbewerben in der UdSSR (bei Gagra an der georgischen Schwarzmeerküste), an denen Kiene, Karl und Sepp Gschwendtner für den DAV teilnahmen.

Ein knappes Jahr später, am 2. Juni 1977, trug sie Kiene am Südostpfeiler der Fleischbank im Wilden Kaiser. Er und Reinhard Karl kletterten eine Tour, die Kiene im Vorjahr mit Bernd Kullmann angehen wollte, sie aber wegen schlechten Wetters dem Oktoberfest opferte. Nach ihrer erfolgreichen Erstbegehung nannten sie die Route die „Pumprisse“, da sie „gepumpt“ hatten „wie die Maikäfer beim Hochzeitsflug“. [Karl, Reinhard: Erlebnis Berg, München 1997, S. 80.]

Die immensen Schwierigkeiten, die die 300m lange Risskletterei mit sich brachte, hatte Kiene bereits vorab erkannt und deshalb mit Elmar Landes, dem damaligen Schriftleiter der DAV-Mitteilungen, vereinbart, einen Beitrag zur Erstbegehung zu veröffentlichen. Unter dem Titel „Eine Erstbegehung im Schwierigkeitsgrad VII“ forderte er eine Öffnung der UIAA-Skala über den bis dato als „die Grenze des Menschenmöglichen“ bezeichneten Grad VI+ hinaus, die Route selbst und deren Absicherung umfasste nur wenige Sätze des zweiseitigen Artikels. Der Beitrag und die Bestätigung der Schwierigkeiten durch Seilschaften, die die Route kurz nach Bekanntwerden wiederholten, sorgten nach intensiven Diskussionen für die Erweiterung der UIAA-Skala um den VII., wenig später um den VIII. Grad. Dieses Maikäferballett war die Abkehr von einer nach oben geschlossenen Skala, die bis dahin ein halbes Jahrhundert bestanden hatte.

Text: Max Wagner, Alpines Museum des DAV

Frauenpower

Das Reisetagebuch der Sophie von La Roche

Verfasserin des ersten deutschsprachigen Romans einer Schriftstellerin, Erfinderin des Briefromans, Gründerin der ersten deutschen Frauenzeitschrift, unabhängige Berufsschriftstellerin, frühe Alpenreisende und erste deutsche Frau am Fuße des Mont Blanc

Reisetagebuch Sophie von La Roche Foto: Archiv des DAV/Stefan Ritter

Sophie von La Roche war eine Meisterin im Brechen von Konventionen: Deutsch galt zu ihrer Zeit noch als unschicklich, Französisch und Latein waren die literarischen Verkehrssprachen der ’besseren‘ Kreise. Frauen hatten sich generell nicht in der Öffentlichkeit zu äußern. Auch für gebildete Töchter aus gutem Hause endete die Bildungskarriere in der Regel mit der Verheiratung. Durch eigene Erwerbstätigkeit selbständig für sich und die Familie zu sorgen, war in Zeiten völliger Abhängigkeit von Ehemann bzw. Vater nicht vorgesehen. Selbstbestimmte Reisen ohne Begleitung waren für Frauen im 18. Jahrhundert unüblich zumal im alpinen Hochgebirge in der Nähe furchteinflößender Gipfel. In allen Bereichen setzte Sophie von La Roche neue Maßstäbe, überschritt die bestehenden konventionellen Grenzen.

Geboren 1730 in Kaufbeuren, aufgewachsen in einer gutbürgerlichen, protestantischen Kaufmannsfamilie, gelangte sie durch Heirat in höfische Gesellschaft und erhielt Zugang zu Bibliotheken und literarischen Kreisen.

1771 gründete sie ihren ersten literarischen Salon, trat in regen Austausch mit bedeutenden Schriftsteller*innen und Künstler*innen ihrer Epoche. Nach dem frühen Tod ihres Mannes sah sich La Roche auch aus ökonomischen Gründen gezwungen, ihren Lebensunterhalt mit Schreiben abzusichern, ein für die damalige Zeit für eine Frau völlig neues und modernes Phänomen.

Über ihre erste Reise in die Alpen im Jahre 1784 berichtet sie im „Tagebuch einer Reise durch die Schweiz“. Diese „sentimental journey“ führte sie zu den vielen Städten und Persönlichkeiten der Schweiz, aber auch nach Chamonix, an den Fuß des Mont Blanc. Laut Auskunft ihrer Begleiter sei sie „[…] die erste teutsche Frau, welche sie zu Chamoni und bey dem Eis gesehen.“ [Tagebuch einer Reise durch die Schweiz, von der Verfasserin von Rosaliens Briefen. Altenburg, in der Richterschen Buchhandlung, 1787, S. 262] Diese tragen sie, hier doch ganz konventionell, auf einem extra angefertigten Stuhl bis an den Fuß des Eismeers. Sophie von La Roche ist ergriffen von der Erhabenheit der Landschaft, erfasst von einem religiösen Gefühl der Winzigkeit des Menschen gegenüber den monumentalen, göttlichen Naturgewalten:

„Der Eindruck des Ganzen auf die Seele ist unmöglich zu beschreiben, das Auge staunt und starrt gleichsam auf die Gegenstände, welche alle den Gedanken des großen Allmächtigen geben. Nie hat die Brust eine so reine erquickende Luft eingeathmet, nie war die Bewegung des Körpers so leicht, [… ] das Blaue des Himmels so stark und gleichsam glänzend.“
- Tagebuch einer Reise durch die Schweiz, von der Verfasserin von Rosaliens Briefen. Altenburg, in der Richterschen Buchhandlung, 1787, S. Tagebuch einer Reise durch die Schweiz, von der Verfasserin von Rosaliens Briefen. Altenburg, in der Richterschen Buchhandlung, 1787, S. 259

Das Reisetagebuch erschien im Jahre 1787 im sächsischen Altenburg in der Richterschen Buchhandlung. Trotz des großen Einflusses von Sophie von La Roche auf die deutsche Romantik, nahm die Bedeutung ihrer Bücher ab, weitere Auflagen erschienen nicht mehr. Die Bibliothek des DAV ist im Besitz eines schönen und gut erhaltenen Original-Exemplars dieses 435 Seiten umfassenden kostbaren Werks im Oktavformat. Das Buch ist online unter anderem in der Münchner Digitalen Bibliothek der Bayerischen Staatsbibliothek im Volltext einsehbar.

Text: Andreas Kaiser, Archiv/Bibliothek des DAV

Fluchtgepäck

Ein Kinderrucksack aus dem Sporthaus Schuster

1939 emigrierte der 18jährige Peter Siegel nach England. Seinen Kinderrucksack aus dem Münchner Sporthaus Schuster bewahrte er bis an sein Lebensende auf

Rucksack von Peter Siegel/Sinclair, 1930er Jahre. Nachlass H. Peter Sinclair, 2011. Foto: Alpines Museum des DAV/Wolfang Pulfer

Recht gewöhnlich und unauffällig sieht der oliv-bräunliche Rucksack aus. Die beiden Vordertaschen und der Deckel sind mit Leder eingefasst, die ledernen Tragriemen mit Filz unterlegt. Er verfügt über kein Traggestell und die Größe von 45 x 45 Zentimetern deutet darauf hin, dass es sich wohl um einen Kinderrucksack handelt. Der Rucksack wurde oft benutzt, das zeigen die abgenutzten Lederschnallen und seine leichte Verschmutzung. Was ist seine Geschichte?

Ein innen eingenähtes Firmenetikett gibt Auskunft, dass der Rucksack im Sporthaus Schuster, München, Rosenstraße 6 erworben wurde, daneben das Firmenlogo ASMÜ (August Schuster München). Im Archiv des Sporthauses Schuster findet man in den Sortimentskatalogen einen Kinderrucksack verzeichnet, der diesem Rucksack entspricht und sicher aus der Vorkriegszeit des Zweiten Weltkriegs stammt.

Der Eintrag in der Datenbank der Sachgutsammlung führt uns weiter. Der Rucksack stammt aus dem Nachlass H. Peter Sinclairs (27.02.1921 – 27.04.2010). Peter war der Sohn des angesehenen jüdischen Rechtsanwalts und ambitionierten Bergsteigers Dr. Michael Siegel aus München, der schon 1924 gegen die Nichtaufnahme von Juden in den Alpenverein protestiert hatte. Nachdem Siegel gegen die Inhaftierung eines jüdischen Mandanten als Schutzhäftling in Dachau vorgegangen war, wurde er von SS-Truppen schwer misshandelt und öffentlich diffamiert.

Michael Siegel und seine Frau konnten 1940 nach Peru emigrieren, ihre beiden Kinder Peter und Maria Beate hatten sie schon 1939 vor der Verfolgung durch das NS-Regime nach England in Sicherheit bringen können. Dort änderte Peter seinen Familiennamen in Sinclair um. Ob Peter Siegel/Sinclair den Rucksack schon als Kind für Bergtouren rund um das von der Familie vielgeliebte „Häuserl“ am Walchensee bekommen hatte oder ihn auch benutzte, um sein Fluchtgepäck nach England zu transportieren, ist nicht genau zu belegen.

Offensichtlich hatte sich Peter jedoch Zeit seines Lebens nicht von dem Rucksack trennen können. Die freundschaftliche Verbindung der Familie Siegel zum Sporthaus Schuster reicht weit zurück. August Schuster war Mandant von Rechtsanwalt Michael Siegel, sein Sohn Gustl Schuster war Peters Jugend- und Schulfreund. Peter Sinclair war der Familie Schuster bis zu seinem Tod im Jahr 2010 freundschaftlich verbunden. Der Rucksack wird ab Herbst 2023 in der neuen Dauerausstellung des Alpinen Museums zu sehen sein.

Text: Stephanie Kleidt, freie Ausstellungskuratorin

Mit der Bahn in die Berge

Bahnreisen vor 100 Jahren. Eine zeitgenössische Karikatur

Wer in diesem Sommer in die Berge fährt, muss sich auf manche unliebsame Überraschung einstellen. Aber schon vor 100 Jahren gab es überfüllte Züge und Chaos am Bahnsteig - zudem war auch damals die richtige Ausrüstung entscheidend

"Abfahrt des ersten Ferienzuges vom Anhalter Bahnhof". Karikatur von Johann Bahr um 1920. Foto: DAV Archiv

War früher alles besser? Bergtouristen drängen sich in einen bereits vollbesetzten Zug. Fahrräder können nicht mehr mitgenommen werden. Am Bahnsteig bricht Panik aus. Bereits bei der Abfahrt kommt die Ausrüstung zum Einsatz. Zur Sicherheit seilt man sich an. Familie Meyer aus dem Berlin des frühen 20. Jahrhunderts hätte bei einer Zeitreise in unsere Gegenwart wohl nur geringe Anpassungsschwierigkeiten. Wer momentan mit dem Zug in die Berge fahren möchte, muss sich auf manche unliebsame Überraschung einstellen.

Verspätungen, Zugausfälle, Signal- und Weichenstörungen, Störungen im Betriebsablauf, fehlende Wagons und streikende Klimaanlagen im Sommer (Fenster lassen sich schon lange nicht mehr öffnen) sind alltägliche Risiken im Regionalverkehr. In diesem Sommer ist jedoch durch die Einführung des Neun-Eurotickets die Nachfrage nach Bahnreisen in die Berge sprunghaft gestiegen. Die Züge sind heillos überfüllt – mancher Zug muss sogar in Stoßzeiten evakuiert werden. Reisende befürchten, dass sie am Bahnsteig zurückgelassen werden könnten, und die Mitnahme von Fahrrädern gleicht einem Glücksspiel. Kaum zu glauben, dass die circa hundert Jahre alte Karikatur von Johann Bahr (1859-1929) wieder aktuell ist.

Der Ausbau des Eisenbahnnetzes ab der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Voraussetzung für die touristische Erschließung der Ostalpen und ist auch indirekt für die Gründung des Deutschen Alpenvereins 1869 mitverantwortlich. Mit der Einführung des Achtstundentages und des Anspruches auf Urlaub für viele Arbeitnehmende nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Zug für breite Bevölkerungsschichten attraktiv. Schon damals kam es erst in den Sommermonaten, später auch in der Wintersaison, zu Engpässen. Um 1930 kostete der Bahnkilometer in der Dritten Klasse um die vier Pfennige (heute ca. 14 Cent). Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war die Eisenbahn das gebräuchlichste Verkehrsmittel für eine Reise in die Alpen. Die Sektionen des Alpenvereins und der Fahrtendienst des DAV (aus dem später der DAV Summit Club entstand) organisierten bis in die 1960er Jahre sogar Sonderzüge. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts drängte das Auto die Eisenbahn zunehmend aufs Abstellgleis, da es eine größere Flexibilität ermöglichte. Der fallende Benzinpreis im Vergleich zum gestiegenen Realeinkommen beschleunigte diesen Prozess. Seit vielen Jahren wirbt der DAV unter dem Motto „Mit der Bahn in die Berge“ für ein Umdenken. 2011 warb sogar eine Lokomotive der Deutschen Bahn mit diesem Motto und den Farben des Alpenvereins für diese Aktion.

Die Karikatur wurde zwischen 1920 und 1940 im Alpinen Museum in München ausgestellt. Im Archiv des DAV ist lediglich ein zeitgenössisches Glasdia vorhanden. Das Original kann bei meinen Kollegen vom ÖAV in Innsbruck eingesehen werden. Dorthin reist man am besten mit der Bahn.

Text: Stefan Ritter, Archiv des DAV

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