Gekonnte Reparatur nach Kintsugi-Art: Mit Epoxy Kleber und Goldstaub wird zerbrochenes Porzellan zum Kunstobjekt.
Gekonnte Reparatur nach Kintsugi-Art: Mit Epoxy Kleber und Goldstaub wird zerbrochenes Porzellan zum Kunstobjekt. Foto: Adobe Stock/Christine Aust-Bendele
Mach's einfach: Kreislaufwirtschaft stärken

Reparieren vor Recyceln

Das „right to repair“ fordern NGOs, immer mehr Repair-Cafés helfen denjenigen, die Unterstützung brauchen. Reparieren ist ein Königsweg zur Nachhaltigkeit, noch vor dem Recycling – und nutzt nicht nur den Dingen.

Kennen Sie „Quality Land“ von Marc-Uwe Kling? Diese wunderbare, beklemmende Dystopie, die unsere Realität nur einen Fingerbreit weiter denkt? Im Staat Quality Land gibt es ein „Konsumschutzgesetz“: Es verbietet die Reparatur von Dingen. Stattdessen weiß der Algorithmus, wann du etwas Neues brauchst (auch wenn das Alte noch gut funktioniert), und schickt dir eine Lieferdrohne vorbei. Beim Auspacken filmt sie dich, und wenn dein Gesicht nicht glücklich wirkt, werden dir Wertpunkte abgezogen, die über gesellschaftliche Teilhabe und Lebenschancen entscheiden.

Vielleicht hatten Sie auch schon einmal eine Delle am Kotflügel oder einen erschöpften Akku im Rasierer oder Smartphone? Und der Kotflügel wurde teuer ausgetauscht, wo die Reparatur mit Smart Repair gereicht hätte; der Akku war fest im Elektrogerät verbaut, so dass ein Neues hermusste („ist ja eh besser …“). Wie gesagt: „Quality Land“ denkt unsere Realität nur einen Fingerbreit weiter.

Ein Kletterfreund kaufte in seiner Jugend ausrangierte Mercedesse; aus drei Wracks wurden zwei funktionierende Autos, mit denen sie nach Südfrankreich fuhren, sie dort verkauften und das süße Leben genossen. Heute müssen sich selbst die teuer bezahlten Fachkräfte in der Autowerkstatt auf das Auslesen von Fehlercodes und das Austauschen teurer Module beschränken, weil alles miteinander verschlungen ist und obendrein elektronisch gesteuert.

Die Wegwerfmentalität unserer Gesellschaft, so analysiert der Psychologe Wolfgang Schmidbauer in seinem Buch „Die Kunst der Reparatur“ (oekom Verlag), hat tiefgreifendere Konsequenzen. Wenn wegwerfen statt reparieren, austauschen statt aushalten die Verhaltensvorgabe einer Gesellschaft ist, erfasst sie das gesamte Leben: Im Fernsehen wird gezappt, im Datingportal gewischt, im Beruf gehoppt, auf der Trainerbank oder im Stadtrat ausgetauscht, weil am Aktuellen immer eine Nuance nicht passt und das große Versprechen „NEU“ lockt – statt zu versuchen, sich mit dem Gegebenen anzufreunden oder es zu verbessern, auch wenn das Aufwand bedeutet. Dass man dann selbst in Beruf und Partnerschaft zur Austauschware wird, kommt als Dauerbedrohung und Kränkung obendrauf.

Ein beschädigter Steinschlaghelm kann nicht repariert werden - allenfalls, wie eine japanische Kintsugi-Vase, zu Kunst veredelt. Foto: DAV/Sensit Communication GmbH

Reparieren statt resignieren

Zum Glück gibt es einen Gegentrend: Fast tausend Repair Cafés verzeichnet die Verbraucherzentrale in Deutschland; dort helfen erfahrene Ehrenamtliche bei der Reparatur von Alltagsgegenständen, dort gibt es Nähmaschinen und Werkzeug, die früher in jedem Haushalt selbstverständlich waren.

Reparatur bringt einen vielfachen Nutzen:

  • Sie spart Ressourcen, denn der Gegenstand bleibt länger nutzbar.

  • Sie spart Geld, denn kein Neukauf ist nötig.

  • Sie kostet zwar Zeit, gibt dafür aber die Befriedigung, den Gegenstand wertzuschätzen und ihn weiterhin benutzbar zu halten (wozu natürlich sorgsamer Umgang und Pflege gehören).

Reparieren fällt unter das Stichwort „Vermeiden“, die erste Priorität in allen Bemühungen um „nachhaltiges“ Handeln – nicht nur im DAV. Zweite Priorität hat „Reduzieren“ – wobei der zweite Rang bedeutet: Das eine tun, das andere nicht lassen. Und reduzieren heißt in diesem Kontext: recyceln. Weiter gedacht: Kreislaufwirtschaft. Das ist mehr, als die Plastikschale vom Supermarktgemüse brav in den Gelben Sack zu tun und darauf zu hoffen und zu vertrauen, dass das System dahinter die Gesetze der Abfallwirtschaft beachtet und das Material nicht nach Asien verschippert und dort ins Meer kippt. Kreislauftraining im Kleinen bedeutet so etwas wie: Das Gemüse gar nicht erst in der Plastikschale kaufen, sondern im mitgebrachten, vielfach verwendbaren Einkaufsnetz – und dieses erst dann ins Recycling geben, wenn es nichts mehr hält.

Im Großen bedeutet Kreislaufwirtschaft, in jeder Produktionsphase den Gedanken zu berücksichtigen, dass Rohstoffe selten sind. Also immer und so weit möglich: Recycelte statt neu geförderte Rohstoffe verwenden. Möglichst wenige verschiedene Stoffe kombinieren. Die Verbindungen so solide wie für Langlebigkeit nötig, aber so einfach lösbar wie möglich gestalten. Idealerweise ein Rücknahmemodell anbieten, die Produkte nach ihrem Lebenszyklus zerlegen und wieder sortengetrennt in den Rohstoffkreislauf einspeisen. Und Recycling-Technologien entwickeln, durch die der Rohstoff wieder in voller Funktion verfügbar wird. Das ist verfahrenstechnisch komplex und energieaufwendig – ein weiterer Beleg dafür, dass Recycling nur zweite Priorität haben kann.

Das deutsche Kreislaufwirtschaftsgesetz, zuletzt 2021 aktualisiert, wird vom Umweltministerium gelobt als „Gesetz für weniger Abfall und mehr Recycling“. Es enthält gute Ansätze, etwa gegen Einweg-Plastikprodukte oder zum sinnvollen Umgang mit Retouren und Überproduktion, aber man könnte sich durchaus noch weitergehende Regelungen vorstellen. Dass es konsequent beachtet wird, ist in der Breite der Wirtschaft nicht immer leicht durchzusetzen.

Ganzmachen macht glücklich

In „Die Kunst der Reparatur“ stellt Wolfgang Schmidbauer fest: Früher haben die Menschen so gelebt, als ob die Ressourcen endlich seien, obwohl die Grenzen nicht bekannt waren. Heute kennen wir die Grenzen, leben aber, als ob es sie nicht gäbe. Wenn wir den „World Overshoot Day“ – den Tag, wo die Ressourcen verbraucht sind, die die Erde in einem Jahr regenerieren kann – wieder ein Stück zum Jahresende hin verschieben wollen (heute liegt er im Juli), gehören Pflegen und Reparieren zum Königsweg. Zudem bietet beides nicht nur ein Doppel-Win, wie so oft bei nachhaltigem Handeln: Es spart Geld und Ressourcen und ist darüber hinaus Quelle von Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit, im Gegensatz zur passiven, kindlich-kindischen Freude am Auspacken von immer neuen Paketen.

Etwa so, wie es Sten Nadolny in „Die Zeit“ schildert: „Ich liebe es, Dinge zu reparieren. Das Kleben einer in 17 Scherben zersprungenen Vase […] kostet mich fast einen Tag […]. Während ich daran arbeite, vergesse ich alles andere. Ich bin während dieses Tuns außerhalb meiner selbst und zugleich ganz bei mir.“ Ganz ähnlich wie am Berg, oder?

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