Beim Anstieg zur Goûter-Hütte muss das Grand Couloir (hinter dem rechten Grat) gequert werden – Steinschlaggefahr inklusive.
Beim Anstieg zur Goûter-Hütte muss das Grand Couloir (hinter dem rechten Grat) gequert werden – Steinschlaggefahr inklusive. Foto: Adobe Stock/almostfuture
Aufstieg zum Mont Blanc: 37 Steinschläge pro Tag

Heißes Terrain: Permafrost & Bergsteigen

Eine Studie von 2020 zum Normalweg auf den Mont Blanc, zeigt: Jeden Sommer kommt es im Schnitt zu 15 schweren Unfällen, wovon vier tödlich ausgehen. Was diese Hochtour zu einer der gefährlichsten im Alpenraum macht? Steigende Boden- und Felstemperaturen im Permafrost.

Aufstieg zum Mont Blanc: Steinschlag alle 37 Minuten

Ein Drittel der Unfälle auf der Route über Refuge Tête Rousse und Refuge du Goûter geschehen ausschließlich durch Steinschlag und Felsstürze von oben, und das an genau einer bestimmten Stelle: an der Querung des Goûter-Couloirs, auf Englisch auch „Death Gully“ genannt. Hier rauscht im Sommer durchschnittlich alle 37 Minuten Steinschlag über die Aufstiegsroute. Bei im Schnitt mehr als 300 Bergsteiger*innen pro Tag ist das Begehen dieser Passage ein gefährliches Lotteriespiel.

Kleinste Eismengen halten Felswände zusammen

Steinschläge und auch größere Fels- oder Bergstürze im Hochgebirge nehmen aber nicht nur im Couloir du Goûter zu, sie betreffen das Hochgebirge im gesamten Alpenraum: Seit 2010 wurden allein in der Schweiz 12 größere Felsstürze aus Permafrostbereichen beobachtet, darunter, unter anderem am Piz Cengalo im Bergell (1,5 Mio. m³, 2013), am Birghorn (500.000 m³, 2011) oder am Piz Kesch im Engadin (150.000 m³, Winter 2014). Neben der Schneeschmelze und der Ausprägung von Frostzyklen spielt hier der alpine Permafrost eine zentrale Rolle. Darunter versteht man Böden, Felswände oder Schutthalden, die dauerhaft Temperaturen unter 0 °C aufweisen, also immer gefroren bleiben. In den Alpen ist dies in Nordhängen schon oberhalb von 2800 Metern möglich, in Südhängen oberhalb von rund 3200 Metern. Je kälter das Gemisch aus Gestein und Eis ist, desto stabiler sind die Moränen oder Schutthalden. Kleinste Eismengen in Poren und Klüften können dabei ganze Hänge oder Felswände „zusammenhalten“. Im Umkehrschluss gilt: Je wärmer der Permafrostkörper an sich ist und je weiter Temperaturen über Null in den Boden reichen, desto stärker steigt die Gefahr von Steinschlag und Felssturz.

Temperaturanstieg in der Schweiz oberhalb 1000 Meter, Quelle: MeteoSwiss/Swiss Permafrost Bulletin 2019/2020

Permafrost so warm wie noch nie

Das letzte Jahrzehnt war global das wärmste in der Erdgeschichte, die letzten Jahre allesamt Rekordjahre, was die Lufttemperatur angeht. Mit etwas zeitlichem Versatz zeigt sich dieser Trend nun auch in den tieferen Erd- oder Felsschichten: Noch nie zuvor wurden so hohe Boden-/Felstemperaturen im Permafrost gemessen wie im vergangenen Sommer und die Geschwindigkeit der Erwärmung ist alarmierend: In einer Tiefe von 20 Metern hat sich der Permafrost in der Schweiz in den letzten 20 Jahren um 0,8 bis 1 Grad erwärmt, in weniger tiefen Bodenschichten ist es deutlich mehr. Aktuelle Zeitreihen und Modellierungen zeigen, dass mit einer Fortsetzung dieser Entwicklung zu rechnen ist. Seit 1850 ist die Untergrenze des Permafrosts um etwa 150 Meter nach oben gewandert, bei einer weiteren Erwärmung von 1,5 Grad würde die Permafrostgrenze um weitere 200 bis 750 Meter ansteigen.

Steinschläge meist zwischen 16 und 18 Uhr

Was bedeutet das fürs Bergsteigen? Steinschläge und größere Felsstürze werden in den Sommermonaten Jahr für Jahr zunehmen und immer mehr alpine Bereiche könnten instabil werden. Zurück zum Couloir du Gouter: Die warmen Lufttemperaturen in den vergangenen heißen Sommermonaten haben den Permafrost im oberen Bereich des Couloirs stark erwärmt und Steinschlagmaterial „freigesetzt“. Auffällig ist, dass die Aktivität jeden Tag aufs Neue einem festen Rhythmus folgt: Die meisten und größten Steinschläge gibt es zwischen 16 und 18 Uhr verzeichnet, am wenigsten zwischen neun und zehn Uhr. Denn die Wärme der Mittagshitze braucht Zeit, bis sie tief genug ins Felsmaterial eindringt. Steinschläge sind mittlerweile vorhersehbar – wie leider auch die damit verbundenen Unfälle.

Weitere Informationen

Der Artikel ist im DAV Panorama 5/2021 erschienen.

Der Autor, Dr. Tobias Hipp, ist Geowissenschaftler und im DAV- Ressort Natur- und Umweltschutz für das Thema „​Alpine Raumordnung“ zuständig.

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