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Bergwandern im Schweizer Südwesten

Grand Muveran: Hüttentour überm Rhonetal

Die Umrundung des Grand Muveran, eine gewaltige Felsbastion auf der Grenze der Schweizer Kantone Wallis und Waadt, ist wegen der Hüttendichte und den traumhaften Ausblicken auf die höchsten Berge der Alpen beliebt. Wer es einsamer und anspruchsvoller mag, wählt alternative Teilstrecken und nimmt zwischendurch drei Gipfel bis über dreitausend Meter mit.

Es schadet ja nicht, die Glieder vor einer Hüttenwanderung nochmal zu entspannen. Der Besuch im Thermalbad des Walliser Örtchens Ovronnaz war eigentlich als Ausklang der Tour vorgesehen. Aber wer kann dieser Verlockung widerstehen? Schließlich haben wir uns eine spezielle Variante der „Tour des Muverans“ zusammengestellt, die vielfach von der originalen Route abweicht und deutlich fordernder ist. Während die klassische viertägige Umrundung im Schwierigkeitsgrad T3 der Skala des Schweizer Alpenclubs verbleibt, werden wir uns bis in den Bereich T5 bewegen. In den folgenden fünf Tagen sind nicht weniger als sieben Pässe zu überschreiten und drei herausragende Gipfel zu besuchen, wobei die Besteigung des 3051 Meter hohen Grand Muveran den krönenden Abschluss bilden soll.

Lieblich beginnt der Aufstieg durch einen Lärchenwald bis hinauf zur kargen Hochebene Euloi.

Am nächsten Morgen sitzen wir mit Betriebsstart im Sessellift zur Bergstation Jorasse. Lieblich beginnt der Aufstieg durch einen Lärchenwald bis hinauf zur kargen Hochebene Euloi. Den ersten Zwischenstopp legen wir beim Col de Fenestral ein, wo auch die gleichnamige Hütte steht. Ein wunderbarer Ort, um bei einer traumhaften Aussicht zum Montblanc eine kleine Stärkung zu sich zu nehmen. Die Wegmarkierung wechselt nun die Farbe von rot- auf blauweiß, was in der Schweiz bedeutet, dass man sich auf einer alpinen Wanderroute befindet. Tatsächlich müssen beim Schlussanstieg auf den Fast-Dreitausender Grande Dent de Morcles kurze Kraxelstellen bis zum zweiten Grad überwunden werden.

Verrückte Wanderroute

Atemberaubend ist die Ankunft am Gipfel. Er liegt im Schnittpunkt der höchsten Gebirge der Alpen: Montblanc-Massiv, Walliser und Berner Alpen. Der Morcles-Zahn markiert das westliche Ende jenes Alpenkammes, der auf dem Grimselpass beginnt und beim Rhoneknie endet. Kein Wunder, dass er zu den besten Aussichtsbergen der Schweiz zählt. Die Wanderroute durch die Südwestflanke gehört vielleicht zu den verrücktesten der Schweiz. Größtenteils ist der Weg, die „Grand Vire“ genannt, sogar in die Landeskarte eingezeichnet. Fast erstaunlich: Er könnte auch geheim sein, wie so vieles rund um Saint-Maurice, wo sich das Rhonetal verengt. Der Ort gehört nämlich zu den größten Festungen im Land; der Fuß der Dent de Morcles ist ganz durchlöchert mit geheimen Gängen und Kavernen.

Mal lauert die Tiefe neben dem rechten, mal am linken Sohlenrand.

Auch die Grand Vire hat einst das Militär angelegt. Heute können wir dankbar sein für diese alten Zeugnisse der Landesverteidigung – sie ermöglichen einen eindrücklichen Abstieg mit furchteinflößenden Tiefblicken ins Rhonetal. Der Pfad beginnt mit einem Test des Body-Mass-Index. Beim Durchzwängen an einem Klemmblock kann einem durchaus die Frage in den Sinn kommen „was tun, wenn ich stecken bleibe?“ Nach ein paar mehr oder weniger eleganten Verrenkungen an dieser Engstelle tauchen wir ein in eine vertikale Arena, durch die sich elegant die Route zieht, mal lauert die Tiefe neben dem rechten, mal am linken Sohlenrand.

Unterwegs auf der anspruchsvollen Grand Vire begeistern die Tiefblicke. Foto: Bernd Jung

Von der aussichtsreichen Sonnenterrasse der Cabane de la Tourche fällt der Blick auf die Felszähne der Dents du Midi auf der anderen Seite des Rhonetals und im Süden, gerade mal 45 Kilometer entfernt, auf das weiß glitzernde Haupt des Montblanc. Die hübsch geschmückte Hütte erinnert uns daran, dass heute der erste August ist – der Nationalfeiertag der Schweiz. Zur Freude aller Gäste tischen Hüttenwartin Laurianne Vaudan und ihr Team vor dem Abendessen einen Apéro auf: feinste Häppchen, dazu einen Waadtländer Weißen, der an den Hängen weit unterhalb der Cabane gedeiht, und zum Nachtisch selbstgemachten Aprikosenkuchen mit Sahne – Herrgott, kann das Hüttenwandern genussvoll sein! Im nahenden Abend blinzeln unten im Rhonetal schon die ersten Lichter, und weit vorne wartet ruhig der Genfersee auf eine laue Sommernacht.

Feierabend: Sonnenuntergang an der Cabane de la Tourche. Foto: Bernd Jung

Einmaliges Hochgebirgsambiente

Die nächste Etappe folgt noch kurz der Tour des Muverans. Doch schon bald verlassen wir den rot-weiß markierten Weg und wandern auf einem erstaunlich gut angelegten und mit vielen pinken Farbtupfern versehenen Pfad. Verwunderlich, dass diese aussichtsreiche und kurzweilige Route nicht in der Landeskarte zu finden ist. Es geht hinab zu einem Pass und dann hinauf bis auf den zweiten Gipfel unserer Runde, der Pointe des Savolaires. Ausgestattet mit einem kleinen grasigen Gipfelplateau, von wo der Blick auf das grüne Vallon de Nant fällt, mit der darüber aufragenden riesigen Westflanke des Muveran-Massivs. Am Talboden bei Pont de Nant ist das heutige Tagespensum noch nicht absolviert. Zum Glück lädt die gleichnamige Auberge zu einer ausgiebigen Rast ein. Und Energiezufuhr braucht es auch. Schließlich wollen wir nicht hier übernachten, sondern auf der Cabane Plan Névé, zu der ein fast dreistündiger Aufstieg mit gut tausend Höhemetern führt. Eine Bergunterkunft, wie man sie sich vorstellt: eine Steinhütte in einmaligem Hochgebirgsambiente, mit aussichtsreicher Lage, die einen tollen Sonnenuntergang verspricht.

Aufstieg zum Col du Chamois (2655 m). Foto: Bernd Jung

Nach einer durchregneten Nacht geht es am nächsten Morgen hoch zum Col du Chamois, der mit 2655 Meter höchste Pass unserer Rundtour. Im Aufstieg wabern Wolken um die Berge, immer wieder erscheinen gewaltige Felstürme plötzlich im Sonnenlicht und verschwinden kurze Zeit später wieder im Nebel. Beim Refuge Giacomini drängt sich schließlich eine Einkehr im Bann der gewaltigen Südwand des Diablerets-Massivs geradezu auf. Viel Kraft benötigt das Schlussstück über den sanften Pas de Cheville allerdings nicht mehr, bevor der hübsche Lac de Derborance mit dem gleichnamigen Refuge erreicht ist. Der vorletzte Tag folgt dann durchgehend der Tour des Muverans, bevor das Highlight unserer Spezialrunde am letzten Tag wartet: die Besteigung des Grand Muveran, der letzte Dreitausender am westlichen Abschluss der Berner Alpen.

Die Cabane Rambert vor dem Zapfen des Petit Muveran (2810 m). Foto: Bernd Jung

Kraxelei für Trittsichere

Trotz zeitigem Aufstehen am nächsten Morgen verzögert sich die Gipfeltour: Nahe der Cabane Rambert tummeln sich Steinböcke und setzen sich im morgendlichen Licht zu schön in Szene. Schließlich beginnt unsere Kraxelei, auf der sehr Trittsichere und Höhenresistente hochalpine Luft schnuppern können; nach Waadtländer Art gewürzt mit schmalen Bändern in schroffen Wänden, Geröll und brüchigem Fels. Doch wie sehr wird man nach den Strapazen der letzten Tage belohnt! Das Gipfelpanorama vom Muveran ist schlicht überragend. Von hier können wir einen großen Teil unserer Spezialrunde Revue passieren lassen und staunen ob der zahlreichen Täler und Pässe, die wir in den vergangenen Tagen durchwandert und überschritten haben. Zurück an der Cabane stellt sich uns die Frage: gleich weiter und so wie ursprünglich geplant noch ins Thermalbad von Ovronnaz? Oder stattdessen auf der Sonnenterrasse verweilen, das Panorama in Richtung der großen Walliser Berge genießen, mit Kaffee und Kuchen, Rösti und Bier? Die Entscheidung ist gleich gefällt. Schnell sind die Rucksäcke abgesetzt, die Liegestühle getestet und die Sonnencreme aufgetragen. Wie gut, dass wir den Thermenbesuch bereits abgehakt haben.

Gipfel des Grand Muveran (3051 m). Foto: Bernd Jung