Die Marmolata
Ein beliebter Dreitausender in den Dolomiten: die Marmolata. Foto: Adobe Stock
Ursachen, Einordnung, Perspektive

Gletschersturz an der Marmolata

Am 3. Juli 2022 kam es an der Marmolata in den italienischen Dolomiten zu einem Gletscherabbruch mit verheerenden Folgen. Rund 300 Meter unterhalb des Gipfels des beliebten Dreitausenders brach ein Sérac, ein Turm aus Gletschereis, ab und stürzte als Eis- und Felslawine ins Tal. Viele Bergsteigende wurden mitgerissen, elf Menschen starben. Wie kommt es zu solchen Unglücken und welche Schlüsse lassen sich daraus für den Bergsport ziehen?

Eindeutiger Bezug zum Klimawandel

„Dieses Ereignis hat einen eindeutigen Bezug zum Klimawandel und belegt die flächendeckenden rasanten Veränderungen in den Alpen“, stellt Dr. Tobias Hipp, Naturschutzexperte beim Deutschen Alpenverein fest. Beim Marmolata-Gletscher sieht man ein starkes Abschmelzen in den letzten 10 bis 15 Jahren, was dazu führt, dass der Zungenbereich nun in einem steilen Felsbereich liegt. Und das ist nur ein Faktor, der zu einer Katastrophe, wie wir sie an der Marmolata gesehen haben, führen kann.

Insgesamt kann man sagen, dass folgende Faktoren zu dem Gletschersturz geführt haben:

  • Klimawandel und Gletscherrückgang: Die meisten Gletscher haben stark an Volumen verloren und sind daher ausgedünnt. Dadurch kann Schmelzwasser leichter in den Gletscher eindringen und hat einen deutlich größeren Effekt als in einem mächtigen, tiefen Gletscher. Das Schmelzwasser innerhalb des Gletschers erzeugt Druck in den Hohlräumen und damit quasi eine Art “Sprengwirkung”.

  • Schneearmer Winter: Insbesondere in Südtirol war der vergangene Winter außerordentlich trocken und schneearm – laut Europäischer Dürrebeobachtungsstelle waren es nur 40 Prozent der Schneemenge des Mittelwerts der letzten zwölf Jahre. Dadurch war der Gletscher komplett aper, eine “schützende” Schneeauflage hat gefehlt. Normalerweise sind Gletscher im Juni noch mit Altschnee bedeckt. Die heißen Temperaturen haben also direkt zu einer erhöhten Gletscherschmelze geführt; normalerweise wäre zunächst der Schnee geschmolzen.

  • Außergewöhnliche und langanhaltende Hitzewelle: Seit ca. einem Monat herrschen in den Dolomiten außergewöhnlich hohe Temperaturen – das letzte Mal Frost in einer Höhe von 3000 Metern gab es am 9. Juni (siehe lawinen.report). Die Temperaturen von rund +10 °C, die seither durchgehend herrschen, sind für die Jahreszeit äußerst ungewöhnlich.

Die Daten der Wetterstation Piz Piscadu auf 3000 Metern nahe der Mamolata zeigen das letzte Frostereignis am 8./9. Juni. Quelle: lawinen.report

Meist ohne Vorwarnung und nicht vorhersagbar

Ereignisse wie der Gletschersturz an der Marmolata oder 2017 der Bergsturz am Piz Cengalo sind kaum bis gar nicht vorhersagbar – die 3343 Meter hohe Marmolata ist eigentlich nicht für Gletscherstürze bekannt. Wenn rechtzeitig Bewegungen am Berg entdeckt werden (was meist zufällig geschieht), dann besteht die Möglichkeit, Hang- und Gletscherbewegungen zu überwachen, um rechtzeitig Wege und Straßen zu sperren oder eine Evakuierung durchzuführen. So wird z.B. die Felsbewegung am Hochvogel in den Allgäuer Alpen mit Millimetergenauigkeit überwacht. In den allermeisten Fällen kommen diese extremen Ereignisse aber ohne Vorwarnung und nicht vorhersagbar.

In den bayerischen Alpen sind Eisschlag oder Gletscherbruch eher weniger ein Problem, in manchen Gebieten verschärft sich jedoch die Steinschlaggefahr aufgrund des tauenden Permafrosts.

Auswirkungen auf den Bergsport

Es ist davon auszugehen, dass es in den kommenden Jahren aufgrund des anhaltenden Gletscherrückgangs in den Alpen zu ähnlichen Ereignissen kommen wird. Auch das Auftreten anderer Naturgefahren wird im Zuge des Klimawandels wahrscheinlicher und häufiger:

  • Steinschlag: Permafrost hält steile Schuttflächen und Felswände zusammen. Wenn nun die Permafrost-Temperaturen steigen, verschiebt sich die Permafrost-Grenze in höhere Bereiche – die Steinschlaggefahr steigt insbesondere im Hochgebirge.

  • Größere Felsstürze: Gletscher an Wandfüßen von größeren Felswänden haben eine stabilisierende Wirkung, sind quasi eine Art Stütze – Permafrost kann zusätzlich stabilisieren. Sackt der Gletscher am Wandfuß durch Schmelze ab und taut der Permafrost, kann dies größere Bergstürze auslösen (siehe Piz Cengalo im Bergell).

  • Murgänge: Der Klimawandel sorgt für eine Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Extremwetterereignissen, v.a. Starkregen. Starkregen führt zu einer Zunahme von Murgängen (Schlammlawinen). Hier geschieht durch den Klimawandel eine weitere Rückkopplung: durch den Gletscherrückgang im Hochgebirge werden große Schuttflächen freigelegt. Dieses Lockermaterial kann durch die zunehmenden Starkregen mobilisiert werden und als Murgänge ins Tal gehen.

Welchen Gefahrenquellen sehen sich Bergsportler*innen in Zukunft  zunehmend ausgesetzt? Und welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf alpine Hütten und Wege? Im Video wird deutlich, wie sich der Klimawandel auf den Bergsport auswirkt und wie jede*r Einzelne zum Klimaschutz beitragen kann.