Südtirols erste Bergführerin Michaela Egarter im Porträt
Hat gut lachen: Am Berg ist Michaela in ihrem Element. Für ihre Gäste heißt das: prima Gaudi mit der „prima donna“ Südtirols – hier oberhalb der Tierser Alpe. Foto:; IDM Südtirol, Finn Beales
Bergführerin Michaela Egarter

„Der Berg hat mich immer geerdet!“

Unterwegs mit Michaela Egarter, die 2015 erste in Südtirol ausgebildete Berg- und Skiführerin wurde. Ansichten und Einsichten in ein noch immer männlich geprägtes Metier.

Wie das ist, erste in Südtirol ausgebildete Bergführerin zu sein? Vor allem teuer“, lacht Michaela Egarter. „Als ich die Prüfung bestanden hatte, musste ich zahllose Schnapserl-Runden ausgeben.“ Wir dagegen belassen es heute bei einem Cappuccino, den wir im „Gasthof Jägerrast“ auf die Schnelle trinken. Schließlich wollen wir noch ein ganzes Stück ins Pfossental hineinlaufen, ein bilderbuchartiges Seitental des Schnalstals, durch das sich der Meraner Höhenweg zieht.

Seit Michaela im Oktober 2013 erstmals als Aspirantin ins Berufsverzeichnis eingetragen wurde, bereichert sie das alpine Spitzenpersonal ihrer Provinz. Aktuell gibt es in Südtirol 195 internationale Bergführer*innen, darunter vier Frauen. Michi weiß: „Der Prozentsatz von Bergführerinnen ähnelt sich innerhalb der Alpenländer stark und liegt ungefähr zwischen zwei und drei Prozent.“ Doch warum hat Südtirol erst so spät eine „prima donna“ bekommen?

Intensive Ausbildung

Michaela sagt: „Die Ausbildung galt früher als frauenfeindlich, aber ich denke, im Grunde ist es wohl eher so wie in der „Fisherman’s Friend“-Werbung – wenn sie zu stark sind, bist du zu schwach. Meiner Erfahrung nach wird in der Ausbildung das Gleiche von Männern und Frauen verlangt. Ja, es wurde schon genau hingeschaut, aber nicht mehr als üblich gefordert.“ Zur intensiven Ausbildung gehören in Südtirol 105 Kurstage, berichtet sie, und: „In Sachen Ausbildung hängt die Latte hier bei uns sogar noch etwas höher als in den unmittelbaren Nachbarländern. Wer hier nicht besteht, geht nach Österreich oder ins Trentino. Dort soll es angeblich leichter sein.“

Bei einer Winterbegehung des Großglockners sichert Michi ihre Gäste am Kleinglockner. Foto: Michaela Egarter

„Ich bin ein Naturmensch, die Stadt wäre der Horror für mich“, erzählt sie im Weitergehen. Michaela, Jahrgang 1974, stammt aus dem Pustertal, die Eltern waren einfache Bauernkinder. Zum nächsten Dorf sind es zwei Kilometer von Michis Elternhaus. „Ich bin quasi in Lederhosen aufgewachsen. Mit 19 Jahren ging ich mit meinem Freund auf die erste Skitour. Das Runterkommen im tiefen Pulverschnee war dabei schwerer für mich als das Rauf“, erinnert sie sich. Doch das ist längst Vergangenheit: „Heute gehört das Skifahren im Gelände zu meinen ganz großen Stärken. Neben meiner Kondition, Tagestouren von über 2000 Höhenmetern sind kein Problem für mich.“

Erster Beruf: Krankenpflegerin

Ursprünglich arbeitete die diplomierte Krankenpflegerin in einem kleinen Krankenhaus in Innichen, beinahe 20 Jahre lang. Davon profitiert sie heute am Berg auf ganzer Linie: Im Umgang mit Kranken lernte sie, Menschen zu beobachten und einzuschätzen, ihnen mit Empathie zu begegnen, überhaupt ein gutes Gespür für Zwischenmenschliches zu entwickeln. Ein gediegenes psychologisches Fundament also für vielfältigste Situationen am Berg. Dabei fing Michi erst mit 29 Jahren mit dem Klettern an: „Zuvor dachte ich, das ist kein Sport für mich, ich bin ja nicht schwindelfrei. Ich habe Blut geschwitzt, das Klettern hat mir alles abverlangt. Ich hatte Höhenangst, aber ich habe sie wirklich überwunden. Man kann das schrittweise angehen. Und gerade weil ich diese Angst kenne, kann ich heute gute Tipps geben. Und wennst an Schädel hast, also mental stark bist, dann bist du schnell gut im Klettern und im Eis“, sagt sie. Den weißen Kittel hat sie längst an den Nagel gehängt, denn sie möchte nur noch eine Sache machen – und die dafür richtig.

Mit 21 sahen Michaelas Pläne noch ganz anders aus: heiraten, zwei Kinder. Geheiratet hat sie zwar, doch es ging ihr in dieser Ehe nicht gut. „Irgendwann dachte ich, wennst jetzt nicht gehst, stirbst du. Und ich wäre wohl tatsächlich zugrunde gegangen, habe drei Wochen nichts mehr gegessen, ohne dass es meinem Ehemann aufgefallen wäre“, sagt sie. Sie ging. Doch ein Gutes hatte die Ehe: Durch den Ex-Mann, einen Bergführer und Skilehrer, kam sie auf ihren neuen Beruf. In ihrer Freizeit half sie viel im Bergführerbüro mit und merkte bald: „Ich will lieber selbst mit dem Gast auf den Berg, nicht nur im Tal sitzen und Buchungen und Mails bearbeiten“. Also sagte sie sich, halb im Spaß: „In ein Bergführerbüro hock‘ ich mich erst wieder, wenn ich selbst mal Bergführerin bin!“.

Auf dem Weg ins hintere Pfossental erzählt Michaela aus ihrem Leben Foto;: Franziska Horn

Wirklich daran geglaubt hat sie damals nicht. 39 Jahre war sie alt, als sie sich zusammen mit einem Kumpel der Aufnahmeprüfung stellte. Sie bestand, der Bergfreund schaffte es nicht. Danach begann eine anstrengende Zeit. „Ich war viel unterwegs für die Kurse und Prüfungen. Für die Hochtourenprüfung ging es zur Vorbereitung beispielsweise in die Schweiz aufs Matterhorn, über den Liongrat rauf, den Hörnligrat herunter. Ich hatte damals einen Beruf, der mir gefiel. Wäre ich an der Ausbildung gescheitert, wäre ich Krankenpflegerin geblieben. Die Freude am Bergsteigen hätte darunter nicht gelitten.“

Es läuft!

Wir passieren jetzt uralte Höfe aus schwarz gebranntem Lärchenholz, die im Kontrast zu den weiß gezuckerten Gipfeln der Texelgruppe stehen. Zehn Jahre lang war Michi zudem aktive Bergretterin – wo einmal mehr ihre Erfahrungswerte aus dem Pflegeberuf zählten – und arbeitete als Flugretterin bei Aiut Alpin, einer Vereinigung von 17 Bergrettungsgebieten in den Dolomiten. Bis vor einem Jahr gehörte sie noch zum Team der Alpinschule Pustertal, inzwischen ist sie selbstständig, bietet Skihochtouren, Klettern und Eisklettern an und hat ein eigenes Programm für Frauen und Familien. „Ich hatte einen guten Übergang hin zur Selbstständigkeit, es läuft.“ Wer mit ihr unterwegs ist, merkt schnell: Michi lacht gern, redet gern. Hier am Berg ist sie in ihrem Element. Genügsam ist sie obendrein, denn wer den Nachtdienst gewohnt ist, kommt auch mit wenig Schlaf gut klar. „Wenn's sein muss, reichen mir auch zwei Stunden pro Nacht auf Touren. Und frühstücken kann ich zu jeder Tageszeit, das liebe ich!“

Doch noch mal nachgehakt: Warum gab's „Südtirols Erste“ denn erst im Jahr 2013, während die Nachbarländer schon ab Mitte der 1980er Jahre mit Profi-Bergfrauen punkteten? Ist das nur der schwierigeren Ausbildung geschuldet oder stecken starre Rollenbilder dahinter? „Vor mir waren bereits zwei Frauen in Ausbildung hier in Südtirol, haben es aber nicht geschafft. Und ja, dazu kommt schon auch: Hier geht es einfach noch etwas konservativ zu. Die Leute sind einfach gestrickt. Es gibt noch viele Bauern und Handwerker in den Tälern. Man(n) sieht die Frau am liebsten noch hinter dem Herd. Je enger das Tal, desto querschädeliger die Leute, könnte man sagen“, zwinkert sie.

„Wenn ‚Frau‘ aus der Reihe tanzt, sollte sie also gewappnet sein. Unsicherheit, Zweifel, oder mangelndes Selbstbewusstsein haben da keinen Platz. Da wirst du schnell überrollt! Sicheres und kompetentes Auftreten ist für Frauen in einem von Männern dominierten Beruf extrem wichtig. Das steht für mich in keinem Widerspruch zu einem transparenten Führungsstil. Es ist wichtig, die Gäste einzubeziehen, sie sollen Entscheidungen nachvollziehen können. Kommunikation hat einen großen Stellenwert. Man muss die Signale des Gastes auffangen, um ihn nicht zu überfordern. Es darf nicht passieren, dass einer Panik kriegt am Berg, das kann man verhindern.“

Manch dampfplaudernder Sprücheklopfer landet bei der Abfahrt verlässlich im erstbesten Schneeloch. Wer ihm da wieder raus hilft? Eh klar!

Dass mal der eine oder andere Macho-Spruch von einem Klienten daherkommt, kennt Michaela auch. Sie registriert es, mehr nicht. Macht sich nicht zur Zielscheibe, lässt es an sich vorbeilaufen. Denn sie weiß: Die Bergwelt regelt solche Fälle oft wie von Zauberhand – von ganz allein und nonverbal. So landet manch dampfplaudernder Sprücheklopfer dann bei der Abfahrt beinahe verlässlich im erstbesten Schneeloch. Beispielsweise. Wer ihm da wieder raus hilft? Eh klar! All das ist Geplänkel. „Gemobbt wurde ich nie!“, sagt Michaela. „Und wenn es drauf ankommt, sind Dinge wie Technik gefragt oder Reaktionsgeschwindigkeit. Zum Beispiel beim Gehen am kurzen Seil. Beim Klettern machen Frauen die geringere Armkraft mit einer sauberen Fußtechnik wett. Bei der Spaltenbergung spielt das Körpergewicht eine größere Rolle. Doch mit Reibung kann man Stürze halten, das ist eine Technikfrage. Vor allem aber geht es darum, Fehler zu vermeiden, zum Beispiel ist ein Schlappseil auf einem spaltenreichen Gletscher aufgrund des Schleudereffekts hochgefährlich“.

Michaela Egarter unterwegs in den heimischen Bergen, hier am Falzaregopass. Foto': Michaela Egarter

Ihre persönliche Mission, sofern sie eine hat? „Mich hat der Berg immer geerdet und mir über viele Krisen hinweggeholfen. Und ich habe einen starken Bezug zur Natur und großen Respekt vor ihr. All das möchte ich weitergeben.“ Letzterem folgen auf dem Rückweg die Taten: Mehrmals hebt sie winzige Vogelnester vom Weg auf, die wohl ein Sturm verweht hat. Vorsichtig platziert sie die zarten Gebilde ins Gebüsch. Vielleicht kommt ja der Hausbesitzer wieder zurück? Manchmal sind es die kleinen Dinge, die den Unterschied machen. Auch – oder gerade – beim alpinen Spitzenpersonal.

Chronologie: Staatlich geprüfte Bergführerinnen - im Vergleich der Alpenländer

Noch 1984 meldete sich die Schweizerin Nicole Niquille als Mann für die Bergführerausbildung an, da Frauen die Teilnahme bis dato verwehrt wurde. Als 1988 die erste Frau in Österreich den Kurs erfolgreich absolviert hatte, wurde sie vom internationalen Bergführerverband – den Vorsitz hatte damals die Schweiz – nicht akzeptiert. Was hat sich seitdem getan?

FRANKREICH

Erste Bergführerin: Martine Rolland, seit 1983

Verband: Le Syndicat national des guides de montagne (SNGM)

Stand Ende 2020: Insgesamt ca. 1650 Mitglieder

Frauenanteil: 2,0 Prozent

ITALIEN (gesamt)

Erste Bergführerin: Renata Rossi, seit 1984

Verband: Collegio Nazionale Guide Alpine Italiane (CONAGAI)

Stand Sept. 2022: Insgesamt 1165 Mitglieder

Frauenanteil: 1,72 Prozent

SCHWEIZ

Erste Bergführerin: Nicole Niquille, seit 1986

Verband: Schweizer Bergführerverband (SBV)

Seit 2020 an der Spitze des Verbands: Rita Christen

Stand Ende 2022: Insgesamt 1553 Mitglieder

Frauenanteil: 2,83 Prozent

DEUTSCHLAND

Erste Bergführerin: Gudrun Weikert, seit 1988

Verband: Verband Deutscher Berg- u. Skiführer e.V.

(VDBS)

Stand Ende 2022: Insgesamt 576 Mitglieder

Frauenanteil: 2,95 Prozent

ÖSTERREICH

Erste Bergführerin: Christine Eiter (verh. Welzl), Helene

Aberger (verh. Steiner), seit 1988

Verband: Verband der Österreichischen Berg- und

Skiführer (VÖBS)

Stand Ende 2022: Insgesamt 1305 Mitglieder

Frauenanteil: 2,29 Prozent

SÜDTIROL

Erste in Südtirol ausgebildete Bergführerin: Michaela Egarter, seit 2015

Verband: Verband der Südtiroler Ski- und Bergführer

Stand Ende 2022: Insgesamt 195 Mitglieder

Frauenanteil: 2,05 Prozent

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