David Göttler auf einer Leiter über einer Gletscherspalte
Leiter über die Spalte: David Göttler auf dem Weg ins Lager 2. Foto: David Göttler
Maltes Gespräche

David Göttler über Alpinismus

David Göttler, geboren 1978 in Starnberg, erreichte im Mai 2022 ohne zusätzlichen Sauerstoff und ohne Unterstützung von Sherpas den Gipfel des Everest. Im Himalaya machte er vor allem durch Versuche an Achttausendern im Winter von sich Reden und war ab 2000 Mitglied des ersten DAV-Expeditionskaders. Er lebt als Profibergsteiger abwechselnd in Chamonix-Mont-Blanc und Nordspanien.

Malte Roeper: David, wir kennen uns schon lange. Vor zwanzig Jahren hast du einen Umzug für mich gemanagt: Als ich mit der Familie im neuen Haus ankam, war die Küche betriebsfertig installiert und der Raumbedarf bei den Fahrzeugen war auf den Kubikzentimeter genau kalkuliert, das hat mich schwer beeindruckt.  

David Göttler: Ich pendle jetzt zweimal im Jahr hin und her zwischen Spanien und Chamonix, dieses Gepäck-Tetris hab ich immer noch drauf.  

 

Auf der Abschluss-Expedition vom ersten Expeditionskader, bei dem du ja dabei warst, waren die anderen aber auch einigermaßen beeindruckt, mit welcher Klarheit und Entschlossenheit du vieles in die Hand genommen hast.  

Das ist vielleicht so mein Wesen, dass ich so was relativ klar und entschlossen angehe. Und ziemlich bald, also nach dem Kader, habe ich eben gemerkt, hey, das könnte funktionieren, dass ich mit der Bergführerei meine Expeditionen finanziere. So hat es dann eben angefangen, dass ich ganz normal als Fulltime-Bergführer gearbeitet habe. Und da habe ich am Anfang mal zwei Jacken vom meinem jetzigen Hauptsponsor bekommen und irgendwann hat sich das halt so entwickelt, dass die Bergführerei immer weniger geworden ist und das mit den Sponsoren wurde langsam mehr. Und jetzt bin ich an dem Punkt, wo ich sage, okay, ich muss eigentlich nicht mehr führen und kann mich quasi komplett austoben.  

 

Du warst jetzt ohne künstlichen Sauerstoff auf dem Everest. Wie einsam hast du dich da gefühlt? Allein in der Natur fühlt man sich ja oft nicht so einsam wie allein unter vielen Leuten.  

Naja, ich war allein mit sechshundert anderen. Ich würde es nie als Solo-Bergsteigen bezeichnen, das gibt es nicht am Everest: Ich habe immer eine perfekte Spur und benutze die Fixseile. Und dann hatte ich aber auch ganz großes Glück - 2019 bin ich ja umgedreht, weil diese Menschenschlange zwischen Südgipfel und Hauptgipfel einfach nicht aufgehört hat und ich ohne Sauerstoff einfach keine Chance habe, mich da anderthalb Stunden hinzustellen und zu warten, dass die sich einen Meter nach vorne bewegen. Und jetzt dieses Jahr, weil das Wetter so lange so schön war, waren eigentlich alle schon weg. Und an dem Tag, wo ich zum Gipfel bin, war ich vom Südgipfel zum Hauptgipfel und zurück komplett allein und ich weiß nicht, wann das jemand zum letzten Mal vor mir so erleben durfte. Das war wirklich surreal.  

 

Stabiles Wetterfenster 2022 am Mount Everest - Davids dritter Versuch der Gipfelbesteigung ohne zusätzlichen Sauerstoff ist erfolgreich. Foto: David Göttler

Vorher bist du doch zwischen all diesen Kolonnen durchgestapft und musstest dein eigenes Zelt dann noch irgendwo hinstellen. Wie groß sind diese Lagerplätze? Findet man da immer noch Platz für sein Zelt?  

Für mein Zelt ganz leicht, das ist so ein winziges Ein-Mann-Zelt. Und am Everest sind die Lagerplätze sowieso sehr groß und total eben. Nur Lager drei in der Lhotse-Flanke ist nicht so groß, da habe ich meine eigene Plattform schaufeln müssen. Und ich genieße es auch, wenn ich außen rum so viele kenne: andere Bergführer, die dort arbeiten und Sherpas natürlich. Die haben mich immer zum Essen eingeladen, die haben ja in Lager 2 eine riesige Küche. Die haben gesagt "Hey David, komm zum Essen, wir haben genügend" und ich immer "Nein, sorry, meine Ethik ist, dass ich mich am Berg selber versorge" und so weiter. Teilweise haben sie nur den Kopf geschüttelt. Kurz vorm Gipfel in Lager 4 habe ich einen Freund getroffen, einen Bergführer, der hatte noch eine halbe Packung Haribo, da konnte ich dann nicht mehr widerstehen.  

 

Das wäre jetzt meine nächste Frage gewesen: Normalerweise ist das Schöne ja auch das Miteinander mit Partnern und Kollegen, was beim Alleingang eigentlich ausfällt - aber das ist bei dir dadurch entstanden, dass du als Global Player einfach so viele Leute kennst.  

Das war echt lustig, du gehst durch den Eisfall, und dann schreit mir ein Sherpa hinterher: "Are you David?!"
Wir hatten uns irgendwo schon mal gesehen, dann ratschen wir eine Weile und jeder geht so seines Weges. Und das ist total schön, der gegenseitige Respekt, den wir da eigentlich alle füreinander haben.  

 

Der wievielte Deutsche ohne Sauerstoff warst du jetzt am Everest?  

Das ist eine tricky Frage: wenn du hoch und runter zählst, dann war ich, glaub ich, der Dritte oder Vierte, aber es gab zwei, die im Abstieg gestorben sind. Weiß ich nicht, ob man die zählen soll oder nicht. Und ganz sicher kann ich nicht von einer erfolgreichen Besteigung sprechen, wenn ich auf der Hälfte des Abstiegs mit dem Helikopter abgeholt werde. Aber es ist auch ziemlich unwichtig, der wievielte ich bin. Wenn ich wirklich der Erste mit irgendwas bin, okay, das ist cool. Dritter oder vierter oder fünfter Deutscher, das kannst du dann immer weiter runterbrechen. Am Ende bin ich der Erste aus meiner Straße.  

Szenenbild von David Göttler am Denali im Kinofilm "Die unendliche Weite des Himmels". Foto: Visit Films/Renan Ozturk

Dir ist ja gelungen deinen Traum zu leben: du machst genau das, was du unbedingt machen willst. Wann hast du zum ersten Mal das Gefühl gehabt, das könnte gehen?  

Das kam ganz langsam. Ich meine, du kennst mich auch schon super-lange... ich bin halt nach dem Abitur irgendwie in diesen Expedkader vom Alpenverein gerutscht, da habe ich zum ersten Mal Bergführer kennengelernt, die dort Ausbilder waren. Unter anderem den Michi Wärthl, der hat meinen Seilpartner Dani Bartsch und mich nach Patagonien eingeladen, ihn zu begleiten. Und dann waren wir zum ersten Mal in Patagonien, oh mein Gott, jetzt sind wir in der großen, weiten Welt. Und dann die Abschluss-Expedition mit dem Kader 2002 nach Indien. Ich kann mich noch erinnern, wie vollmundig ich den anderen gesagt habe, "hey, ich brauche ein Ziel, das mich motiviert und jetzt bitteschön ganz großes Kino, sonst brauchen wir gar nicht losfahren"... und später war ich sechs Jahre lang Trainer von dem Kader und da stehst du natürlich auf der anderen Seite: "Hey Jungs, plant mal lieber was Realistisches!"  

 

Wer waren oder sind deine wichtigsten Vorbilder und Mentoren?  

Wenn wir jetzt von großen Vorbildern sprechen, das waren zum Beispiel Peter Bordman und Joe Tasker, die zwei Engländer, das war für mich Wahnsinn, was die gemacht haben. [Anmerk. d. Red.: 1982 kamen Joe Tasker und Peter Bordman am Mount Everest beim Versuch, ihn über die Gangshung-Route auf dem Nordostgrat ohne künstlichen Sauerstoff zu besteigen, ums Leben.] Und dann, wenn ich jetzt an die ganz großen denke: Reinhold Messner und Peter Habeler, da bin ich im Nachhinein, wo ich selbst ohne Sauerstoff am Everest war, noch stärker beeindruckt. Was die erlebt haben müssen, da oben, und diese Ungewissheit, ob es überhaupt funktioniert oder nicht, das sind schon inspirierende Figuren. Aber ich hatte nie jemanden, wo ich dachte, ich möchte so werden wie der, dieses Vorbild hatte ich nicht. Und dann war Ueli Steck für mich noch sehr prägend. In der kurzen Zeit, wo ich mit ihm am Weg war, bevor er ums Leben gekommen ist, da war es schon so, dass ich in eine neue Richtung abgebogen bin.  

Und die anderen aus der frühen Zeit - Jan Mersch, Trainer eures Expedkaders, Michi Wärthl, Ralf Dujmovits: Welche Rolle haben die gespielt?  

Ich habe unglaublich viel von denen gelernt. Egal mit wem ich unterwegs bin, versuche ich das maximale an Wissen abzusaugen und mir abzuschauen, zu hinterfragen auch, wie die was machen. Und gerade mit Ralf Dujmovits war ich einfach sehr oft auf Expedition, da habe ich mir unglaublich viel abgeschaut. 

 

Klingt ein bisschen herzlos, ehrlich gesagt, wenn du so sagst: Da habe ich Informationen abgegriffen.  

Ich weiß, aber es ist nicht einfach so, dass sie mich auf die Art inspiriert hätten, dass ich so werden wollte wie sie. Es sind aber gute Freunde und bin unglaublich gerne mit ihnen am Weg. Aber sie haben mich nicht so inspiriert wie ein Uli Steck, der einfach, denke ich, auch wirklich visionärer unterwegs war.  

 

Mit Erlaubnis und dem Schutz der Götter für eine sichere Besteigung. Foto: David Göttler

Steck war ja im Grunde der erste extreme Bergsteiger, der dieses systematische Konditionstraining fürs Hochgebirge übernommen hat. So wie Wolfgang Güllich das Training für die Sportkletterer systematisiert und als erster auf die Art praktiziert hat. Kann man sagen, bei den klassischen Bergsteigern war es Ueli Steck? 

Er war sicher von der jüngeren Generationen derjenige, der das in diesem Ausmaß als Erster so strukturiert gemacht hat. Ich weiß aber nicht, wie strukturiert zum Beispiel ein Reinhold Messner trainiert hat oder ein Erhard Loretan.  

 

Du arbeitest mit einem Trainer zusammen, wie stellt man sich das vor?  

Für 2016 war geplant, mit dem Ueli auf Expedition zu gehen und da habe ich mir vorher gedacht, jetzt muss ich aber nochmal eine Schippe drauflegen. Und habe angefangen mit Scott Johnson, der hatte gerade dieses Buch veröffentlicht: The Uphill Athlete. Und Steve House hat mir auch gesagt, probier das aus, das ist super. Seitdem arbeite ich mit Scott zusammen. Der ist in Amerika und hat mit seinen Athleten eine Online-Trainingsplattform. Das ist wie ein Kalender, in dem wir halt die ganzen Trainings aufschreiben und planen. Und meine Uhr lädt automatisch alle Werte hoch, sobald ich irgendwo laufen gehe. Und wir tauschen uns mehr oder weniger täglich aus. Und wir schauen dann, wo sind meine Stärken, meine Schwächen, was ist meine nächste Expedition und was brauche ich da? Und entsprechend wird das Training gesteuert. Ich habe damit wirklich nochmal einen unglaublichen Sprung in Sachen Ausdauer gemacht.  

 

Was mich wesentlich mehr beeindruckt hat als der Everest ohne Sauerstoff, ist der Umstand, dass du im Winter die Rupalwand am Nanga Parbat probiert hast - zu zweit!  

Das Thema ist auch noch nicht abgeschlossen. Ich war jetzt schon zweimal da, und beim ersten Mal, 2013, mit Simone Moro, da war auch eine polnische Expedition und am Ende waren wir in diesem klassischen Expeditionsstil mit Fixseilen unterwegs. Letzten Winter war ich dort mit Hervé Bermasse, da haben wir es wirklich im lupenreinem Alpinstil ohne Fixseile probiert und das war schon nochmal was komplett anderes. Und das nochmal zu probieren, reizt mich unglaublich. 

 

Du hast keinen festen Partner für Expeditionen? 

Das hängt einfach davon ab, was für ein Ziel ich angehe. Im Moment ist Hervé Barmasse meine erste Wahl, mit dem funktioniert es einfach super und wir mögen beide diesen puren Stil. 2021 am Everest war ich zusammen mit Kilian...  

 

... dem Berglauf-Meister aller Klassen, Kilian Jornet. Wie sieht das aus, man fängt den Tag zusammen an und dann sieht man ihn nur noch von hinten?  

Es kommt darauf an, von welcher Höhe wir reden. Das ist das Interessante am Höhenbergsteigen: Je höher wir kommen, desto weniger ist die Leistung ausschlaggebend, die man hier unten abrufen oder trainieren kann. Es geht darum, was dein Körper da oben mit der dünnen Luft anfangen kann. Das ist zum Großteil einfach Veranlagung. Und je höher wir gekommen sind, desto weniger ist er mir davongelaufen. Im Anmarsch unterhalb vom Basislager sind wir manchmal abends noch ein bisschen um den Block gelaufen, aber da hat dann jeder sein eigenes Tempo angeschlagen.  

 

Nochmal zum Training: Wie weit hat sich professionelles Training fürs Höhenbergsteigen durchgesetzt? 

Ich kenne nicht sehr viele, die da wirklich strukturiert arbeiten. Aber richtige Höhenbergsteiger, da gibt es in dem Sinne auch nicht so viele, muss man sagen. Viele, die man aus den Medien kennt, sind meiner Meinung nach mehr oder weniger geführte Gäste, weil die alle mit Sauerstoff unterwegs sind, alle mit einem Guide oder Sherpa, der ihnen die Entscheidungen abnimmt. In der Ära, als ich angefangen habe und mit Ralf Dujmovits und Gerlinde Kaltenbrunner unterwegs war, da haben ja alle ihre Entscheidungen immer noch selbst getroffen. Und wenn wir bei den Deutschen schauen, da sehen wir eigentlich gar nichts - keine Ahnung, vielleicht tue ich jetzt irgendjemandem unrecht oder habe jemand übersehen. Luis Stitzinger treffe ich immer wieder, der ist aber meistens am Führen für irgendeine eine Agentur. Sonst sehe ich niemanden. 

 

Jost Kobusch! 

Genau, stimmt.   

 

Was würdest du machen, wenn du ihn irgendwo am Basislager triffst?  

Ich würde sagen, hallo, viel Glück, auf Wiedersehen.  

 

Fährt der nicht genau deswegen im Winter allein ins Everest-Basislager, weil er genau weiß, da ist niemand und keiner kann sehen, dass er das einfach überhaupt nicht kann? Wenn keiner merken soll, dass du nicht bergsteigen kannst, dann ist das Everest Basislager im Winter der sicherste Platz: da bist du allein.  

Aber ich muss auch sagen, ich war überrascht, wie weit er überhaupt gekommen ist. Da habe ich vorher mit ihm ein Interview gegeben, wo ich gesagt habe, "hey, du hast 0,01 Prozent Chancen und allein bis auf 7000 Meter, das ist ein Himmelfahrtskommando" und er war dann zweimal auf 7300.  

 

Wie bist du selbst zum Bergsteigen gekommen?  

Ich bin damit aufgewachsen, mein Vater ist passionierter Alpinist. Der hat nie davon gelebt, der hatte einen ganz normalen Nine-to-Five-Job bei Siemens, aber in jeder freien Minute war er beim Bergsteigen oder Gleitschirmfliegen. Und da hat er mich und meine Schwester von Beginn an mitgenommen. Und wir haben als Familie auch nie klassisch Urlaub gemacht, sondern immer Abenteuer-Urlaube. Wir sind mal mit dem Jeep in die Sahara bis ins Hoggargebirge, das war mit am beeindruckendsten. 

 

Wie alt warst du da?  

Zehn oder elf, wir sind auch ein paar mal mit dem eigenen Auto mit der Fähre nach Island und dann da die ganzen Sommerferien. Oder nach Marokko und mit dem Snowboard von irgendeinem Dreitausender runtergefahren. Meine erste Übernachtung in einem Hotel war dann irgendwann mal auf Klassenfahrt der zehnten Klasse, davor war es immer im Zelt oder im Auto und immer im Schlafsack.  

 

Kindheitserinnerungen: Familienexpedition in die Sahara. Foto: David Göttler

Von dem her war ich schon glücklich, dass meine Eltern mir da so viel mitgegeben haben. Und Bergsteigen ist auch die einzige Sportart, die ich jemals gemacht habe. Ich habe nur mal ein Jahr Eishockey in einem Verein gespielt oder eher versucht zu spielen, aber die haben mich nie spielen lassen, weil ich zu klein war. Und nach einem Jahr hab ich gesagt gesagt, vergiss es! Mein Ding war einfach immer Bergsteigen.  

 

So wie das klingt, war es für dich nie der Ausbruch aus dem, was du kanntest oder eine Form von Rebellion. Es war im Grunde ein Fortführen dessen, was du in deiner Familie als normal erlebt hast. 

Ich bin kein Rebell, das habe ich nicht in mir drinnen. Nur einmal war ich vielleicht nah am Rebellieren, da hab ich gesagt nach der Schule, dass ich zur Polizei gehe als Kommissar, und das war für meine Eltern absolut die Horrorvorstellung. Und dann habe ich als gesagt: "Oder ich werd' Bergführer". Und dann waren sie erleichtert: Okay, werd Bergführer, das ist super!  

 

In der Zeit zwischen diesen Abenteuerfahrten mit deinen Eltern und dem Expeditionskader, hast du da so die klassische AV-Karriere gemacht mit Jugendgruppe, Jugendmannschaft etc. oder warst du gleiche auf eigene Faust unterwegs?  

Am Anfang war ich schon in der Jugendgruppe, aber dann ziemlich bald mit Freunden. Und ich war über meinen Vater in der Sektion Bayerland, da ist dann der Michael Olzowy auf mich und den Daniel Bartsch zugekommen, als der Expedkader gegründet worden ist: Meldet euch da mal, das könnte doch was für euch sein.  

 

Wie siehst du die Entwicklung im Höhenbergsteigen, was sind die wichtigen Trends? 

Wenn man ganz ehrlich ist, dann ist im Höhenbergsteigen außer beim Equipment nicht wirklich was vorwärts gegangen in den letzten dreißig Jahren. Es gab schon damals einen Erhard Loretan, der Achttausender im Single-Push bestiegen hat und das war genau das, was heute als absoluter Wahnsinn verkauft wird. Oder wenn du mit dem Gleitschirm irgendwo runterfliegst, das haben sie früher halt mit dem Drachen gemacht. Wenn wir das große Ganze anschauen, dann habe manchmal eher das Gefühl, wir entwickeln uns sogar rückwärts, weil dieser kommerzielle Stil mit Sauerstoff an den Achttausendern so Überhand genommen hat.  

 

Aber Sauerstoff spielt doch eine Rolle an den hohen Achttausendern? Die Niedrigen bis 8200 Meter, und das sind ja neun von vierzehn, die machen doch auch die kommerziellen Expeditionen noch ohne, oder?  

Nein, alle mit Sauerstoff! Es gibt schon Teilnehmer, die die ohne gehen, aber zum Beispiel diese Rekorde, keine Ahnung, in sieben Monaten alle Achttausender, das gehen sie alle mit Sauerstoff. Ich kann mich erinnern, mein erster Achttausender war der Gasherbrum 2, da habe ich mit Michi Wärthl geführt. Wir hatten zehn Gäste oder zwölf Gäste und keiner hatte Sauerstoff, es war überhaupt kein Thema. Und gerade gestern sind da zwei geführte Expeditionen zum Gipfel gekommen: alle mit Sauerstoff. 

 

Das habe ich nicht gewusst. Aber ich finde, es gibt schon einen großen Fortschritt, nämlich weniger Tote als in der 1980er Jahren. Damals gab es, genau wie du sagst, schon unfassbare Aktionen, die kaum wiederholt wurden. Aber die Leute sind gestorben wie die Fliegen. Es gab mal vier Tschechen, die haben die Everest-Südwestwand im Alpinstil gemacht, absolut unglaublich. Und sind alle im Abstieg umgekommen. So etwas passiert nicht mehr so oft. 

Es gibt gefühlt aber auch eher weniger, die solche ganz wilden Sachen angehen.  

 

Wenn sich dein Leben so sehr um die Berge dreht, wie viel gemeinsame Zeit hast du dann noch mit deiner Partnerin?  

Relativ viel, denn in der Zeit, wo ich nicht am Berg bin, bin ich dann ja mehr oder weniger hundert Prozent daheim. Wenn man diese Stunden übers Jahr addieren würde, bin ich wahrscheinlich mehr mit ihr zusammen als jemand, der seinen Nine-to-Five-Job hat und dann jeden Abend zuhause ist. Jetzt zum Beispiel, vor dem Everest, haben wir zweieinhalb Wochen zusammen Trekking in Nepal gemacht, wo ich mich nebenbei akklimatisiert habe.  

 

Wie habt Ihr euch kennengelernt?   

Voll kitschig - im Everest-Basislager! Sie ist Expeditionsärztin, deswegen kennt sie auch das ganze Expeditionsbergsteigen so gut. Sie ist jetzt selber aber keine Bergsteigerin in dem Sinne, sie macht das nur alles in einem Rahmen, wo es ihr nicht zu gefährlich wird. Aber es ist natürlich hilfreich, wenn der Partner das kennt und deine Leidenschaft unterstützen kann.  

 

Wie organisiert sie sich, damit sie diese Lebensmittelpunkte in Chamonix und in Nordspanien mit dir geregelt bekommt? Ist sie dann jetzt Online-Expeditionsärztin?  

Mittlerweile ist das wirklich hauptsächlich online. Früher war sie zehn Jahre lang in den Basislagern vor Ort, und jetzt funktioniert es perfekt online. Sie unterstützt die Expeditionen also von zu Hause aus, das geht tiptop.  

 

Ihr sitzt in Spanien und du machst online einen Vortrag für jemand in Amerika und sie sitzt im Nachbarzimmer und betreut Leute im Everest-Basislager. 

Genau, oder am K2.  

 

Großartig! Zukunftspläne?  

Da gibt es unglaublich viele. Ich habe diese unendlich lange Liste von Zielen, von Träumen. Und wie schon erwähnt, ist die Rupalwand im Winter ein großer Wunsch. Also die nächsten fünf, sechs Jahre möchte ich mich auf alle Fälle noch auf die hohen Berge konzentrieren, aber alle 14 Achttausender, das interessiert mich überhaupt nicht.  

- Ende -  

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