Aufnahme von Mountainbikerin von oben
„Das pure Gefühl von Spaß“: Profi-Mountainbikerin Ines Thoma im „Flow“. Foto: BR/Johannes Noack und Maximilian Hirschfeld
Wir gehen in die Berge – und wie!?

Mit vollem Körpereinsatz

Den Körper spüren, ihn bewusst erleben: Das ist ein wichtiger Bestandteil einer Bergtour – auch als Gegenpol zum Alltag. Bedeutung, Bild und Funktion des Körpers waren und sind dabei stark von gesellschaftlichen Strukturen abhängig.

Der zweite Themenbereich nach „Abenteuer“ der Dauerausstellung „Darum Berge“ im Alpinen Museum setzt sich mit den körperlichen Aspekten des Bergsteigens auseinander. Denn im Gegensatz zum Alltag, in dem viele ihren Körper eher weniger bewusst erleben, spüren wir ihn am Berg viel intensiver – und das durchaus sehr individuell. Unser modernes und zunehmend auch inklusives Verständnis vom In-die-Berge-Gehen ist daher ein zentrales Element der Darstellung und Betrachtung: Körperbewusstsein, Körperwahrnehmung, das Verhältnis zum eigenen Körper und zu Körperlichkeit allgemein werden von Mensch zu Mensch verschieden empfunden und auch zeitbedingt immer wieder anders gesehen.

Im Moment aufgehen

Gleich am Anfang dieses Bereichs geht es um das Phänomen des Verschmelzens von körperlicher und psychischer Anstrengung und Konzentration: den Flow. „Es gibt ja den Moment im Bergsteigen, wo man in die Sache selbst vollständig eintaucht. Das ist dann der Moment, wo eigentlich nur die Aktion selbst existiert“, beschreibt der Extremkletterer und -bergsteiger Alexander Huber diesen Zustand. In einer Videoinstallation schildert er zu atemberaubenden Bildern des Films „Free Solo“ seine intensiven Flow-Erlebnisse beim seilfreien Klettern in schwierigsten alpinen Routen: „Dann muss ich ja voll fokussiert auf das Klettern selbst sein. Da ist alles andere ausgeblendet … da lebst du einfach im Jetzt. Jeder Bergsteiger, der das für sich schon so erlebt hat – und dazu muss man nicht unbedingt Free Solo klettern –, der weiß, warum er in die Berge geht. Das sind die Momente, die man nie mehr vergisst.“ „Eine klassische Beschreibung“ für das, was Menschen erleben, „die komplett aufgehen in dem, was sie da gerade tun“, erläutert der Sportpsychologe Prof. Dr. Oliver Stoll im ebenfalls in der Ausstellung zu sehenden Interview über die psychologischen Hintergründe.

„Der“ Bergsteiger: männlich, jung, sportlich, kraftvoll (?)

Ideal des kraftvollen, männlichen (Ski-)Bergsteigers: Das Ölgemälde „Im Aufstieg“ von Alfons Walde setzte 1930 den Maßstab und wurde 1932 Motiv eines „Tyrol“-Werbeplakats. Foto: DAV Archiv

Auch Körperbilder und Körperideale haben sich im Lauf der Zeit gewandelt. Und vor allem: Wir hinterfragen sie heute zunehmend. Wir sehen zwar ständig – zum Beispiel in der Werbung oder in den Sozialen Medien – Bilder von „perfekten“ Körpern – jung, schlank, muskulös, unversehrt. Diese Bilder suggerieren, dass wir nur mit solchen Körpern bestimmte Leistungen bringen und besondere Erlebnisse haben könn(t)en.

Mit Haut und Haaren ...

Den vielen sinnlichen Erfahrungen beim Bergsteigen stehen körperliche Empfindungen zur Seite, von denen in der Ausstellung noch einige weitere thematisiert werden:

Die interaktive Station „Sich spüren“ fordert zum „Nachspüren“ persönlicher körperlicher Erlebnisse bei den eigenen Bergtouren auf. Die Profi-Mountainbikerin Ines Thoma erzählt in einem Video-Interview vom „puren Gefühl von Spaß“, wenn ihr Körper und das Mountainbike quasi eins werden.

Vorgestellt wird außerdem die FLINTA-Gruppe (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen) der Sektion Freiburg, die versucht, bei gemeinsamen Touren eine Atmosphäre zu schaffen, in der die männlich dominierten Vorstellungen vom Bergsteigen überwunden werden.

Doch die Realität am Berg ist anders: Sie ist deutlich vielseitiger! Hier setzt die künftige Dauerausstellung des Alpinen Museums einen neuen Akzent. Sie stellt diesen Körper-Idealvorstellungen aktuelle Beispiele aus dem DAV-Leben entgegen, die exemplarisch die Vielfältigkeit körperlicher Bergerlebnisse illustrieren:

Die Jugend der Sektion Freiburg setzt sich zum Beispiel kritisch mit den „Werbe-Körpern“ der Outdoor-Branche und mit Körper-Geschlechterrollen auseinander: „Warum ist es bei Männern okay, wenn sie oberkörperfrei unterwegs sind, aber bei Frauen nicht?“

Welche Körperbilder zeigt uns die Werbung – und welche kommen nicht vor? Jugendleiter*innen der JDAV Freiburg gehen diesen Fragen auf Skitour nach. Foto: Archiv JDAV Freiburg

Sehr ungezwungen geht es in der Frauenklettergruppe der Sektion Kassel zu: „Das gemeinsame Hobby hat uns in einer wilden Mischung aus Alt und Jung, Groß und Klein, Dick und Dünn, Hell und Dunkel zusammengeführt. Es spielt für uns keine Rolle, wie jemand aussieht oder was er kann.“ Stellvertretend für inzwischen viele Inklusionsgruppen und -projekte erzählt Henry Salge aus Berlin, wie er trotz einer angeborenen Bewegungseinschränkung Fahrradfahren, Wandern und sogar Klettern gelernt hat und durch den JDAV-Kurs „Erlebnis Berg inklusiv“ DAV-Mitglied wurde: „Durch den Bergsport habe ich festgestellt, dass die durch die Gesellschaft festgelegten Körpernormen für mich völlig irrelevant sind.“ Seit 2022 ist Henry DAV-Jugendleiter.

Nach dem Ausstellungsbesuch können wir künftig dann hoffentlich ganz befreit zum nächsten persönlichen Bergerlebnis starten – mit vollem Einsatz dessen, was der eigene Körper halt so hergibt.

Ein neues Zuhause für die Berge

Das Alpine Museum des DAV auf der Münchner Praterinsel eröffnet als modernes, offenes, barrierefreies Haus mit Ausstellungen, Bibliothek, Archiv, Gastronomie und Veranstaltungsräumen im Frühjahr 2024 neu. Aktuelle Infos gibt’s im Bautagebuch auf alpenverein.de/36098.

Zur Wiedereröffnung startet auch die neu konzipierte Dauerausstellung, die inklusiv und mit vielen multimedialen sowie Erlebnis- und Mitmachstationen zeigen will, aus welchen unterschiedlichen Gründen Menschen in die Berge gehen. Damit will sie gleichzeitig für einen respektvollen Umgang untereinander und mit der Natur werben.

Die Schwerpunkte der Ausstellung wurden in Panorama vorgestellt:

  • Teil 1: Abenteuer (1/23)

  • Teil 2: Körperempfinden

  • Teil 3: Leistung

  • Teil 4: Natur erleben

  • Teil 5: Gemeinschaft