Illustration Chaos beim Abseilen
Abseilen bedeutet immer einen gewissen Stress, weil man sich durch Steilgelände hinunterfinden muss und im Seil hängt, so dass keine Fehler erlaubt sind. Aber mit guter Organisation kann man zumindest unnötigen Ärger vermeiden. Illustration: Georg Sojer
Abseilen

Mit Plan geht's besser!

Wer kennt das Szenario nicht: Am ersten Stand der Abseilpiste selbstgesichert, hängt man das Seil ein, nimmt es auf und wirft es aus – und schon hängt es an der nächsten Latsche oder Felszacke. Beim Abseilen bedeutet das ständige Stopps zum Entwirren und zusätzlichen Stress beim Hängen über der Tiefe, suchend nach dem nächsten Stand.

Wenn man den dann erreicht, hängen dort womöglich schon zwei weitere Seilschaften, die sich bedanken für die beim Seilentwursteln gelösten Steine und eher ungern zusammenrutschen. Bis sie dann abgeseilt sind und ihre Seile abgezogen haben, fällt weitere Wartezeit an – und am nächsten Stand wiederholt sich das Spiel. Das ist nervenaufreibend, Hunger und Durst nagen, die Füße drücken, womöglich ballen sich schon die Gewitterwolken … Ein entspannteres alpines Leben hat, wer die Organisation des Abseilens mit einem klaren Plan im Griff hat – und sich beim Zusammentreffen mit anderen abstimmt. So können mehrere Seilschaften, die sich gut organisieren, gemeinsam fast so schnell runterkommen wie Einzelteams; das belegt langjährige Erfahrung der Autoren. Das Konzept dafür ist nicht übermäßig kompliziert – dennoch ist es sinnvoll, es in ungefährlichem Gelände durchzuspielen und zu üben, damit man es im Ernstfall kompetent variieren kann und den Überblick behält.

Clever runterkommen

Der erste Schritt ist immer das Herrichten des Seils. Die Seilpartner*innen sichern sich per Selbstsicherungsschlinge am Stand und binden sich aus (nach Gipfelpause ohne Gurt: Partnercheck!). Dann wird das Seil durch den Abseilpunkt gefädelt. Ist die Abseilstelle höher als die halbe Seillänge, braucht man zwei Seilstränge; sie werden per Sackstich verknotet, und zwar so, dass der Knoten „innen“ liegt, also das „abziehende“ Seil wandseitig läuft. Welcher Strang abzieht, merken sich die Seilpartner*innen; als zusätzliche Merkhilfe kann man beim Abseilen die Selbstsicherungsschlinge dort einhängen. Startet die Abseilpiste direkt vom letzten Stand der Tour, ist es sinnvoll, die Seilenden der vorsteigenden Person zu fädeln und zu verknoten. Denn es liegt normalerweise unter dem Seilhaufen, der sich beim Nachsichern am Stand bildet; das Seil der nachsteigenden Person dagegen liegt obenauf und ist leichter auszuwerfen. Damit stellt sich die nächste Frage: Wie kommt das Seil nach unten? Der Klassiker heißt: Aufnehmen und mit angemessen weitem Schwung auswerfen – nach dem Warnruf „Achtung Seil“, falls Leute unterhalb sein könnten. Wichtig ist, dass das Aufnehmen sehr sorgfältig geschieht, sonst kann sich beim Werfen „Salat“ bilden. Oft ist es günstiger, das Seil in Ringform aufzunehmen statt in Rechts-Links-Schlaufen. Jedenfalls sollte das Seilende deutlich länger sein als das aufgenommene Seilbündel, damit sich beim Auswerfen kein Knoten bilden kann. Bei starkem Wind kann allerdings ein ausgeworfenes Seil verweht werden und sich hinter Felskanten oder in Rissen verhängen, vor allem wenn man Endknoten gemacht hat. Besonders in steilem Gelände kann es dann besser sein, das Seil einfach die Wand entlang hinuntergleiten zu lassen – wie es beim Abziehen in längeren Pisten ohnehin geschieht. Eventuell nimmt man ein paar Meter auf und wirft sie aus, um über die nächste Kante zu kommen. In gebändertem, womöglich schuttigem Gelände ist die Option „runterlaufen lassen“ allerdings nicht günstig oder gar unmöglich, und Auswerfen birgt auch Gefahren. Profis können dann das Seil von den Enden her über die Schulter aufnehmen und beim Abseilen immer wieder anhalten und ein paar Meter abnehmen; das braucht allerdings Übung. Oft ist die beste, sicherste und schnellste Lösung das Ablassen per HMS (evtl. per Tube mit Vorschaltkarabiner). Bei Halb- oder Zwillingsseilen im Doppelstrang; bei Einfachseilen nur dann im Einzelstrang, wenn keine großen Pendelbewegungen und keine eindeutig scharfen Felskanten absehbar sind. Abgelassen zu werden, fordert allerdings Vertrauen – und Sicht- oder Hörverbindung muss gegeben sein, damit das Tempo an Kanten und beim Erreichen des Standes passt.

Zügig vorwärtskommen

Egal ob man zu zweit abseilt oder sich mit anderen Seilschaften zusammenschließt: Effiziente Arbeitsmuster sparen Zeit und bringen oft noch Redundanz. Das fängt beim Einlegen des Seils ins Abseilgerät an: Zuerst bringt man die Hintersicherung an, also Kurzprusik oder FB-Kreuzklemmknoten. Dann zieht man einen Meter Seil durch, so dass sich zwischen Aufhängung und Hintersicherung eine Schlaufe bildet und man den Tube unbelastet einhängen kann. Wer ohne Hintersicherung abseilen will (etwa weil Zugsicherung von unten gegeben ist), kann das Seil mit den Füßen festhalten oder es sich vom Partner halten lassen. Wenn mehrere Personen abseilen, kann man die Hintersicherung schon anbringen, während der Vorgänger abseilt; diese Zeit ist anschließend gespart. Erreicht die erste Person den Stand, hängt sie die Selbstsicherungsschlinge so ein, dass sie später das Durchfädeln des Seils nicht behindert – falls die Abseilöse zu klein für mehrere Selbstsicherungen ist, kann sie einen zusätzlichen Zentralpunkt schaffen, etwa durch einen großen Verschlusskarabiner. Dann überträgt sie die Last auf die Selbstsicherung, zieht noch ein bis zwei Meter Seil aus dem Gerät und ruft „Seil frei“. So kann der*die Obere schon das Abseilgerät einhängen, während der*die Untere es unbelastet aushängen kann. Um die Seilenden zu sichern (vor allem bei schrägem Verlauf), kann man den Tube auch eingehängt lassen, oder man fixiert den Doppelstrang mit Sackstich und Verschlusskarabiner im Stand. Während der Partner abseilt, kann der*die Untere das Abziehen vorbereiten: Endknoten öffnen, das abziehende Seil richtigrum durch den Abseilpunkt fädeln und durchziehen, runterhängendes Restseil raufziehen und am Stand krangelfrei deponieren. Erreicht der zweite Partner den Stand und hat sich selbstgesichert (evtl. im zusätzlichen Zentralpunkt oder im Sicherungskarabiner der*des Ersten), löst er Abseilgerät und Hintersicherung. Wer günstiger steht, zieht ab, der*die andere führt das Restseil nach und bremst das nach unten laufende durchgezogene Seil. Ist das Gelände ungeeignet, das Seil einfach nach unten laufen zu lassen, wird es am Stand gesammelt und entweder ausgeworfen oder man lässt wieder ab.

Gemeinsam zurechtkommen

Diese Grundmuster passen auch, wenn man gemeinsam mit anderen auf der Piste ist, etwa wenn sich drei Zweierseilschaften zu einer Sechsergruppe zusammentun. Um Sackgassen oder unnötige Stockungen zu vermeiden, muss man dabei aber etwas mehr mitdenken. So hat die erste Person, die abgelassen wird oder abseilt, schon ein Seil für die nächste Abseillänge dabei. Erreicht sie den Stand, bleibt sie am besten dort, bis alle anderen durch sind: als „Standmanager“, der den Ablauf an dieser Position koordiniert. Normalerweise sollten höchstens drei Personen gleichzeitig an einem Stand sein; im Zweifelsfall müssen die Nachfolgenden mal warten. Die Selbstsicherungen der „Passagiere“ werden im Selbstsicherungskarabiner des Standmanagers eingehängt; falls das zu eng wird, in einen zusätzlichen großen (HMS-)Safelock-Karabiner. Der Standmanager lässt nun die nächste Person ab bis zum nächsten Stand oder hilft beim Auswerfen des Seils. Danach kann er allen folgenden Abseilenden Zugsicherung geben, was die manchmal zeitraubende Hintersicherung erspart. (Zugsicherung: das Seil locker in der Hand halten, den Abseilenden aufmerksam beobachten und falls nötig durch Straffziehen des Seils die Abseilfahrt stoppen.) Außerdem hilft er beim Aus- und Einhängen des Abseilgeräts und macht Partnercheck.

Flexibel im System: Statt Seilauswerfen ist oft Ablassen günstiger. Verfügbare Seile werden so schnell wie möglich nach unten gebracht. Wer als Erste*r einen Standplatz erreicht, organisiert dort als „Standplatzmanager“ den weiteren Ablauf. Wer abgelassen wird, hängt sich mit Sackstichknoten und Verschlusskarabiner ein; die Knoten können dann als Endknoten im Seil bleiben, wie abgebildet – oder man fixiert sie zur Sicherheit im Stand. Illustration: Georg Sojer

Der letzten Person hilft er beim Seilabziehen und Aufnehmen – sobald ein Seil aufgenommen ist, fährt eine Person damit an allen anderen vorbei zum untersten Stand, wo es gebraucht wird; dort wird sie dann zum „Standmanager“. Wenn alle Beteiligten diese Struktur zumindest im Prinzip verstanden haben und die Effizienzmuster gut verwenden, kommt man damit auch über längere Abseilpisten sicher und flott vorwärts. Allerdings braucht es dazu eine klare Vorstellung, wer an welcher Stelle wann was macht, und klare Kommunikation dazu. Sind weniger Erfahrene in der Gruppe, ist es besser, wenn eine Person „den Hut aufhat“ und alles zentral koordiniert; der günstigste Platz dafür ist an einer mittleren Position, von wo sie das Einrichten der untersten Abseilstelle und das Abziehen des obersten Seils im Blick hat. Das ganze Manöver funktioniert auch nur dann wirklich gut, wenn drei Personen zumindest einigermaßen am Stand stehen können. Bei Hängeständen wird es schnell ungemütlich bis gefährlich – dann mag es doch besser sein, getrennt abzuseilen und wenn nötig etwas zu warten, so dass nicht mehr als zwei Leute am Stand hängen.

Klarheit am Stand: Der Selbstsicherungs-Karabiner des „Standmanagers“ ist der zentrale Punkt – zur Aufhängung des HMS zum Ablassen und für die Selbstsicherung aller „Passagiere“. Illustration: Georg Sojer

Flott weiterkommen

Viele alpine Abstiege führen durch Schrofen, bei denen kurze Steilstufen (20-30 m) abgeseilt werden. Auch hier helfen ein paar Tricks weiter, um auch als größere Gruppe schneller und sicherer zu sein. Wieder koordiniert eine Person am Abseilstand als „Standmanager“. Sie lässt die erste Person ab oder man wirft die Seile aus, je nach Gelände (siehe oben). Den weiteren Abseilenden hilft der Standmanager beim Einhängen (durch Hochhalten des Seils) und mit Partnercheck. Auf die Hintersicherung kann man verzichten, wenn die Abseilstrecke ziemlich gerade verläuft und die unten stehende Person Zugsicherung macht – sofern sie nicht durch erhöhte Steinschlaggefahr unnötig gefährdet wird. Wer unten ankommt, geht noch ein paar Meter ins ebene Gelände oder zieht Seil aus dem Gerät, so dass der*die Nächste oben schon einhängen kann. Ist im Sonderfall zwischen dem Abseilstand und der Steilstufe ausreichend Platz (Terrasse, Baum), können alle Gruppenmitglieder gleichzeitig ihre Abseilgeräte einlegen – und dann, sobald die*der Erste unten ist, einer nach dem anderen abgleiten. Abseilen ist eines der gefährlichsten Manöver beim Bergsteigen, weil man unausweichlich mit voller Last im System hängt und ein Fehler an entscheidender Stelle sofort zum Absturz führt – anders als Sicherungsfehler, die nur dann fatal wirken, wenn man stürzt. Deshalb ist es wichtig, sich die Prinzipien klarzumachen und sie gründlich zu trainieren, bevor man auf Tour geht. Bei mehreren Personen kommt vor allem dem so genannten Standplatzmanager, der die Abläufe am Abseilpunkt koordiniert, eine entscheidende Rolle zu. Mit etwas Übung lassen sich aber auch die beschriebenen Manöver gut umsetzen – und bringen dann massive Vorteile.

Zusatztipp

Erfahrene Bergsportler können mit einem kleinen technischen Tipp aus dem Canyoning ohne viel Zeit- oder Mehraufwand eine gewisse zusätzliche Sicherheit gewinnen:

Sind die zwei Seile zum Abseilen am Stand vorbereitet, werden sie relativ nah an der Abseilöse ins Abseilgerät (z. B. Tube) eingehängt und mit dem Verschluss-Karabiner direkt im Stand fixiert. Dadurch sind beide Seilstränge hintersichert: Sollte ein Strang durch Steinschlag oder Abscherung reißen, hängt der Abseilende zumindest noch am anderen Strang. Illustration: Georg Sojer

Dateien

Name Größe
PDF: Mit Plan geht's besser 1.37 MB