Klettern in GRönland
Begeisternde Szenerie: Klettern an Grönlands perfektem Granit mit Blick auf das Inlandeis. Und die Sonne scheint mehr als 20 Stunden am Tag. Foto: Thomas März
DAV Exped-Kader Abschlussexpedition

Klettern in Grönland - steiler Granit und endlose Tage

Seit 2019 war der aktuelle DAV Expeditions-Kader regelmäßig gemeinsam unterwegs. Diesen Sommer galt es dann, die trainierten Fähigkeiten auf großer Expedition an den Fels zu bringen. Premiere: Zum ersten Mal reiste ein Exped-Kader in den hohen Norden. Unberührte Wände im arktischen Grönland waren das Ziel.

Wir sind endlich unterwegs. Alles ist organisiert und wir sitzen im Zug nach Kopenhagen. Von dort geht es weiter nach Grönland, der größten Insel der Welt, wir fliegen in den Süden nach Narsarsuaq. Zum Basecamp im Tasermiut-Fjord geht es per Boot. Drei Jahre Kaderzeit mit genialen Highlights und intensiven Tiefs und Herausforderungen liegen hinter uns, vier Wochen Abenteuer mit der Hoffnung auf Erstbegehungen unberührter Wände vor uns. Wir haben alles selbst organisiert und werden vor Ort komplett autark agieren.

Willkommen in Grönland

Nachdem wir unser Basislager eingerichtet haben, kundschaften wir in zwei langen Touren die Wände aus, die realistisch zu erreichen sind. Die Distanzen, der Gletscherschwund und ein unüberquerbarer Fluss machen ein paar Optionen unmöglich. Die Dimensionen sind atemberaubend, die Landschaft wild, unglaublich schön und beeindruckend. Glücklicherweise sind die Tage lang, wirklich dunkel wird es fast gar nicht. Das Gelände ist unheimlich mühsam: reißende Bäche, Blockgelände, Gletscherschliff, Moränenschutt, dichtes Buschwerk und Heide. Schnelle Höhenmeter sind nicht drin.

Kniffliger Zustieg zu den Wänden: Ein Wasserlauf konnte per Seilbrücke überwunden werden. Foto: Christoph Gotschke

Eine Sache ist allerdings einfach: Die Saiblinge, Forellen und Lachse beißen gut, einen Fisch aus dem Fjord zu ziehen, ist so einfach wie daheim schnell zum Supermarkt zu gehen.

Kurbi und ich beginnen, eine Neutour an einer Wand direkt über dem Fjord zu erschließen. Seillänge für Seillänge arbeiten wir uns höher. Der Fels ist etwas anspruchsvoll: Bombenfester Granit wechselt sich mit Passagen mit losen Blöcken, brüchigem Gestein und moosigen Rissen ab.

So lässt es sich aushalten im Basislager: Die Versorgung mit frischem Fisch aus dem Fjord lief problemlos. Foto: Thomas März

Wetterpoker im Hotel Tinniertuup

Tom und Fabi haben sich währenddessen große Wände in einem Hochtal vorgenommen. Eine Traumkulisse für alle Felsbegeisterten: Eine Riesenwand reiht sich an die andere, umrahmt von Gletschern, die vom Inlandeis herunterziehen. Quadratkilometerweise Premiumgranit und nur eine Handvoll bestehender Routen. Das Wetter jedoch spielt nicht mit, die Wolken hängen tief im Tal, Regenschauer halten die Wände in unkletterbarem Zustand.

Vom Biwak "Hotel Tinniertuup" geht es zu den unberührten Wänden. Nur die Mücken sind lästig.

In den nächsten Wochen verbringen Tom und Fabi viel Zeit in ihrem „Hotel Tinniertuup“: Ein weit überhängender Block schützt gegen Wetterkapriolen, ein Gletschersee lädt zur Erfrischung ein, die Aussicht ist unschlagbar, das Sportprogramm umfangreich. Lediglich die Mücken sorgen für Punktabzug. Wenn nur eine Nasenspitze aus dem Schlafsack spitzelt, wird sie attackiert.

Ausblick und Bademöglichkeiten gab es reichlich. Ob Fjord oder der See mit Gletscherwasse kälter waren, war bis zum Schluss nicht klar. Foto: Thomas März

Basislager

Im Basislager ist auch dank der tollen Lage und des guten Essens die Stimmung gut, trotz des mäßigen Wetters. Das Team funktioniert, jeder trägt seinen Anteil bei und jeder hat seine alpinen Herausforderungen gefunden. Wenig später ist ein erster, für die Psyche sehr wichtiger Schritt geschafft: Kurbi und mir gelingt der Wanddurchstieg der 500 Meter hohen Klippe. Tag für Tag haben wir neue Seillängen hinzugefügt. Durch die Nähe zum Basislager waren wir flexibel und konnten auch kurze Wetterfenster nutzen. Die nächsten Tage wollen wir versuchen, alle Längen unserer Erstbegehung „Der alte Mann, der junge Mann und das Meer“ frei zu klettern. Denn trotz Expeditionsumgebung ist für uns technisches Klettern immer nur ein Notbehelf, VII, A2 ist uns nicht gut genug. Zwei Tage später gelingt uns auch das und nach neun Stunden sind alle Längen befreit: insgesamt etwa 450 Meter unterschiedlichster Kletterei im oberen achten Grad über dem Fjord. Nach drei Tagen Pause gehen wir dann schon die nächste Erstbegehung an.

Die Einzelzelte sind Gold wert: ein bisschen Privatsphäre, eine wind- und mückenfreie Minizone.

An den freiwilligen und unfreiwilligen Ruhetagen beschäftigen wir uns mit unterschiedlichen Dingen, darunter vor allem Essen und Schlafen. Viel hat aber auch damit zu tun, eine bescheidene Komfortzone, eine wohltuende Ordnung zu schaffen. Die Küche wird optimiert, Nahrungsmittel sortiert und rationiert. Manches muss repariert und getrocknet werden. Wir tauschen Bücher, führen lange und gute Unterhaltungen. Nicht ganz klar ist, ob das Baden im Gletscherbach oder im Fjord kälter ist. Wertvoll sind die Einzelzelte: ein bisschen Privatsphäre, eine wind- und mückenfreie Minizone.

Im Fjord ziehen Eisberge am Basislager vorbei. Foto: Thomas März

Nach und nach gehen die frischen Lebensmittel und einige schmackhafte Highlights aus. Wir müssen zaubern, um gute Nervennahrung auf den Tisch zu bekommen. Aber solange Bernhard immer neue Fischgerichte wie Lachssuppe entwickelt, kann von Leiden noch keine Rede sein.

Tom und Fabi, Go Time!

Zwei Männer kommen ins Basislager. Sie sehen Tom und Fabi zum Verwechseln ähnlich, nur dünner, etwas ausgetrocknet und ziemlich verschrammt sind sie. Doch an ihrem breiten Grinsen erkennt man, dass es ihnen bestens geht. Tom und Fabi sind nach fünf Tagen am Tinniertuup zurück. Sie mussten lange auf ein Wetterfenster warten, bis sie eine gigantische Erstbegehung klettern konnten: über 1000 Meter anspruchsvolle und abwechslungsreiche Kletterei, 26 Seillängen bis zum siebten Grad. Alles Trad in 26 Stunden nonstop. Gegen Ende hörte Fabi fremde Stimmen aus dem Kar, was ihm doch Sorgen machte. Er schob es auf die Dehydration. Erst später erfahren wir, dass eine britische Seilschaft vor Ort angekommen war. Die Route taufen sie auf den Namen „For our gone friends“. Am Abend öffnen wir eine Flasche Whisky, die uns Anderls Eltern mitgegeben haben. Vor zwei Jahren ist ihr Sohn, unser Freund aus dem Exped-Kader in Chamonix tödlich verunglückt.

Glatte Felspassagen und Risssysteme wechseln sich ab, die Felsqualität ist fast immer sehr gut. Foto: Thomas März

Kurbi und Chris: 4 Meter entscheiden

Nach drei Ruhetagen sind Kurbi und ich hochmotiviert, noch eins drauf zu setzen. Eine zweite Erstbegehung, in besserem Fels, höheren Schwierigkeitsgraden und noch cleaner.

Zuerst läuft es gut, drei neue Seillängen gelingen ohne Probleme, wir machen Meter. Dann entscheiden wir uns für eine Linie durch einen markanten, überhängenden Pfeiler, geschlossener, orangegrauer Granit. Wir müssen jetzt sogar in die Techno-Trickkiste greifen, um durchzukommen. Gehen diese Meter frei? Wenn ja, wäre es die erhoffte, schwere Erstbegehung.

Vorerst seilen wir ab, das Wetter ist mies, die Finger zu kalt und müde. Millimeter-Leisten im Sprühregen mit der Daunenjacke? Das wird heute nichts.

Beim nächsten Anlauf zwei Tage später konzentrieren wir uns auf die Crux und irgendwann löst sich das Puzzle. Alle Züge gehen. Eine unscheinbare Unebenheit reicht, um die Boulderstelle zu knacken und aus unserer Route eine Freikletterroute zu machen.

Jetzt noch durchsteigen. Die Sonne kommt um die Ecke, leichter Wind streicht vom Fjord die Wand hoch. Nach einer guten Pause sagt Kurbi plötzlich: „Des moch I jetz oafoch“. Er bindet sich ein und drei Minuten später, in denen Kurbi alles abbrennt, was er im Tank hat, steht er am Stand. Klettern kann so genial sein!

Der nächste Tag ist laut Wetterbericht der letzte mit guten Bedingungen. Mit letzter Kraft können wir die Route fertigmachen. Sie ist schön und schwer geworden, hart neun. Auch ich möchte die Schlüsselstelle noch knacken, so eine Chance kommt nicht wieder und irgendwie gelingt mir die schwierige Länge wie in Trance im ersten Versuch. Wir sind glücklich. Da fallen das anstrengende Abbauen der Fixseile, Abseilen und Rücktransport zum Basislager viel leichter.

Tom und Fabi schlafen nicht

Tom und Fabi haben noch genug Power und Motivation für eine zweite Runde. Sie beziehen noch einmal für fünf Tage ihr Biwak-Hotel Tinniertuup. Neue Strategie: Es bleibt bei Alpinstil, die Tageszeit spielt aber keine Rolle mehr, bei gutem Wetter wird eingestiegen und durchgeklettert.

Als Erstes wollen sie auf den höchsten Gipfel der Gruppe namens Hermellnberg. Die leichteste Route ist mit etwa 900 Klettermetern bis VII+ und anhaltender Kletterei im vierten und fünften Grad der Nordostgrat. Die Landschaft ist spektakulär: Der Hermellnberg ist eingebettet von Gletscher, der Blick schweift weit über Südgrönland und das Inlandeis.

Fabi beschreibt die Situation am Gipfel nach einer durchkletterten Nacht als fast surreal. „Durch den Wind am Grat war es uns bei dieser Tour deutlich kälter als sonst. Die Route war wesentlich anspruchsvoller als es die von britischem Understatement triefende Beschreibung vermuten ließ. Als aber gegen vier Uhr morgens über dem Inlandeis die Sonne aufging und der Wind etwas schwächer wurde, ließ uns die Schönheit des Moments Müdigkeit und die Sorgen um den Abstieg für ein paar Momente vergessen.“ Nach 17 Stunden sind die beiden wieder am „Hotel“.

Der Ermüdung zum Trotz starten direkt am nächsten Tag einen Versuch am Tinniertuup II, doch dieser endet dank Wetterumschwung nass. Für eineinhalb Tage reicht der Essensvorrat optimistisch gerechnet noch. Deswegen geht es schon am nächsten Morgen wieder in die Wand. Simultan klettern Tom und Fabi über den Vorbau bis zum Beginn der steilen Kletterei. 23 Stunden später haben sie die Route „Scorpion Groove“ wiederholt. 800 anspruchsvolle Klettermeter bis etwa VIII-, nie unter VI, alles selbst abzusichern, schwierige Wegfindung. Nach der Rückkehr ins Basislager kommen selbst von den beiden notorisch Motivierten keine weiteren Tourenvorschläge mehr – nur Menüanfragen.

Abschied

Als alle Felsunternehmungen beendet sind, ist der Abschied vom Fjord nur noch wenige Tage entfernt. Ein letztes Highlight gönnen wir uns noch. Wir biwakieren zusammen am Gipfel unseres Hausbergs. Blick über wabernde Nebel über dem Fjord und Nordlichter inklusive. Diese Eindrücke runden vier Wochen ab, die wir nie mehr vergessen werden. Eine sehr gute Zeit mit tollen alpinen Erfolgen geht zu Ende. Wir haben unglaublich viel erlebt, gelernt und sind an manchem Tag über uns hinausgewachsen.

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